Category Archives: Gut gekleidete Männer

And Then There Were None

Wenn man einen allseits bekannten Buch-Klassiker als Grundlage eines Films nimmt, ist einem das Interesse mindestens all derer, die das Original zu einem Bestseller gemacht haben, wohl sicher. Wenn es sich dabei aber um ein Buch von Agatha Christie handelt, das schon kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 1939, zu einem Bestseller wurde und bis heute mit mehr als 100 Millionen Exemplaren eines der meist verkauften Bücher überhaupt ist, und überdies ebenfalls sehr erfolgreich als Theaterstück in London und am Broadway lief, dann steht man vor dem Problem, einen Krimi zu verfilmen, dessen komplette Handlung und Auflösung hinlänglich bekannt sind und dann, ja, dann muss man sich schon ein bisschen was einfallen lassen.

Einige Abweichungen von Christies Buch schienen der Produktionsfirma 20th Century Fox ohnehin notwendig, denn kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges meinte man das amerikanische Publikum wohl mit so krassen Themen wie Kindsmord und Teenager-Schwangerschaften nicht verstören zu dürfen. Während man aber den Film zunächst in Großbritannien unter demselben Titel in die Kinos brachte, den auch das Buch von Agatha Christie im Original hatte: Ten little Niggers, wurde er in den USA umbenannt in And Then There Were None.

Aber um die bei einem Krimi nötige Spannung zu erzeugen, reichen solche kleinen Veränderungen mit Sicherheit nicht aus, schließlich wird hier aus einem ursprünglichen ‘Whodunit’ ein ‘Howdidtheymakeit’, nicht im Hinblick auf die Protagonisten der Geschichte, sondern auf die Art und Weise der Inszenierung.

Gut, man kann das Ende anders gestalten, aber dies war ja für die Theaterfassung bereits geschehen, und überdies: wie schafft man es, dass die Zuschauer überhaupt solange dabei bleiben?

Auf alle Fälle sollte man natürlich die Schauspieler sorgfältig auswählen. Hervorragende Darsteller gibt es allerdings auch am Theater – beim Schauplatz der Handlung hingegen, hat ein Film schon viel mehr Spielraum und um dies gleich von Anfang an klar zu machen, geht es zu Beginn mit den Protagonisten erst mal aufs Wasser, in ein kleines Boot, wo wir Zuschauer während der Überfahrt dann auch genügend Zeit haben, zu erraten, wer denn nun gleich wen darstellen wird.

Vor allem aber ist es sicherlich klug, zu den Tricks zu greifen, die der Literatur und auch dem Theater eben nicht zu Verfügung stehen: lange Einstellungen auf dunkle Korridore zum Beispiel, in denen sich Türen langsam öffnen, um… und genau dies wird hier ausgiebig getan. Aber mit eben dem abwechslungsreichen Tempo, dass schnell vergessen lässt, dass die Geschichte ja eigentlich keine Überraschungen mehr zu bieten hat, oder doch?

Da der Film sich mittlerweile in der Public Domain befindet, ist davon auszugehen, dass der Mensch, der so freundlich war, ihn bei Youtube komplett einzustellen, sich damit nicht strafbar macht und so kann man, ganz nach Belieben, eigentlich gleich losschauen.

(And Then There Were None, USA 1945; Regie: René Clair.)

The Good, the Bad, the Weird

Comedy, Horror, Drama, gerne auch mal alles zusammen, Wrestling, Vampire, problematische Ehen, Geistergeschichten, Gangster, Serienmörder, Science Fiction und selbst Arnold Schwarzenegger verhalf er zu einem Comeback: in Kurz- wie in Langfilmen hat sich Kim Jee-Woon durch alle nur denkbaren Genres gearbeitet und meistens kam er damit bei Publikum wie Kritik gut an. Was wohl nicht zuletzt auch an den Schauspielern lag, mit denen er immer wieder zusammen arbeitete.

Ganz außerordentlich gut kam A Bittersweet Life an. Sein eigenwilliger visueller Stil wurde gelobt und die rasante Choreographie, während die Geschichte spannend und mit interessanten Wendungen erzählt wird, aber, dem Thema entsprechend, auch voller Gewalt ist: der Film nimmt sein Motto offensichtlich ernst, wobei einige Szenen selbst für dieses Genre ziemlich drastisch ausfallen, was auch dadurch nicht gemildert wird, dass zu Beginn und zum Schluss des Films buddhistische Parabeln erzählt werden.

Auch nicht unbedingt friedfertig mögen zwar die Protagonisten des darauf folgenden Films von Kim Jee-woon sein, aber es geht hier im Ganzen weniger brutal zu, insbesondere in der britischen Version des Films, die um zusätzliche fünf Sekunden wegen real animal cruelty gekürzt wurde. Außerdem wird es nun bunt und turbulent, pathetisch und manchmal auch ein wenig albern, denn diesmal hatte sich Kim Jee-Woon unübersehbar Sergio Leone zum Vorbild genommen, was er, um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen, gleich im Titel des Films klar macht, der auch im deutschen Verleih auf englisch erschien, und nicht, wie seinerzeit das Vorbild, falsch eingedeutscht wurde.

Und so, wie Sergio Leone damals dem Spaghetti-Western zum endgültigen Durchbruch verhalf, fügt Kim Jee-Woon nun dieser Film-Gattung sein eigenes Sub-Genre hinzu: den Kim-Chee-Western.

(The Good, the Bad, the Weird, Südkorea 2008; Regie: Kim Jee-Woon.)

Festival

Auch Im Kwon-taek gehört zu den drei Regisseuren, denen das Koreanische Film Archiv bei youtube eine eigene Liste gewidmet hat, allerdings finden sich dort von den über hundert Filmen, die er (bisher) gedreht hat, lediglich vier: General‘s Son und Sopyonje, Taebaek Mountains und Festival.

Von den ersten beiden war an dieser Stelle bereits die Rede und zu Taebaek Mountains wäre zu sagen, dass er in nahezu epischer Läge den Korea-Krieg behandelt und 1995 im Wettbewerb der Berlinale lief, wo er aber keinen Preis erhielt, während er zuvor in Korea 1994 zwar die Auszeichnung als Bester Film der Blue Dragon Awards erhalten hatte, ansonsten aber auch dort weder von Publikum noch Kritik mit großer Begeisterung aufgenommen worden war.

Ähnlich sieht es mit Festival aus, auch dieser erhielt 1996 den Blue Dragon Award als Bester Film, wurde aber kein Publikumserfolg und die Kritiker in Korea scheinen sich weitgehend einig darin zu sein, dass es sich um einen von Im Kwon-taeks „kleineren“ Filmen handelt. Dies ist eigentlich schade, denn Festival ist kein Gangster-, Action- und/oder Historienfilm und es geht auch nicht um spezielle Gesangsformen mit Trommelbegleitung, sondern um andere, ebenfalls sehr eigene koreanische Traditionen, hier im angewandten Fall einer Beerdigung, aber anders als die zuvor genannten Filme handelt es sich um eine Komödie, und manche Szene scheint tatsächlich dem richtigen Leben direkt abgeschaut zu sein.

Was wohl nicht zuletzt dem Autor Lee Cheong-joon zuzuschreiben ist, der schon die literarische Vorlage zu Sopyonje geliefert hatte und dessen Stoffe überhaupt gerne in Korea verfilmt wurden, aber anders als zum Beispiel bei Ieoh Island in der Version von Kim Ki-young dürfte er seine Geschichte hier auch weitgehend wieder erkannt haben…

(Festival, Südkorea 1996; Regie: Im Kwon-taek.)

Seong Chun-hyang

Auf das insgesamt umfangreiche Schaffen von Shin Sang-ok wurde hier bereits an anderer Stelle eingegangen, aber einer seiner Filme soll noch zusätzlich gewürdigt werden.

Es handelt sich um eine in Korea mehrfach verfilmte klassische Sage, und im Jahr 1961 waren gleich zwei Regisseure angetreten, um jeweils ihre Version davon in die koreanischen Kinos zu bringen. Der eine war Hong Seong-ki, damals bereits ein etablierter Filmemacher, dessen Werke zuverlässig die Kinos füllten und der andere war Shin Sang-ok, der zwar auch schon eine ganze Reihen von Filmen gedreht hatte, aber an Hong Seong-ki reichte er damit nicht heran und konnte nach allgemeiner Ansicht bei diesem Wettstreit nur verlieren.

Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte, denn zum einen hatte Shin Sang-ok mit Choi Eun-hee als Hauptdarstellerin einen bereits bewährten Publikumsliebling, während die wesentlich jüngere Kim Jee-mi in der konkurrierenden Fassung noch am Anfang ihrer Karriere stand, zum anderen waren es die ersten koreanischen Filme in Cinemascope und Farbe und wenn schon die Geschichte eigentlich jedem Kind in Korea bekannt war und von daher nicht viel Spannung bieten konnte, so sollte es doch wenigstens schön bunt auf der Leinwand werden.

Und hier trug Shin Sang-ok in jeder Hinsicht möglichst dick auf. Schon die eigentlich tragische Geschichte wurde derart übertrieben, und zusätzlich mit komödiantischen Elementen angereichert, dass sie über weite Teile eher fröhlich wirkt, aber vor allem bei Cinemascope und Farbe legte er sich richtig ins Zeug: knallbunte Kleidung bei Damen wie Herren, kaum weniger farbenfrohe Architektur und Requisiten, ergänzt um kleine Theater- und Schwertkampf-Einlagen und selbst tragische Szenen in Gefängnissen wurden durch den Einsatz farbiger Scheinwerfer bunt ausgeleuchtet. Gedreht auf Kodak Film und weiterverarbeitet in Tokyo, bei der darauf spezialisierten japanischen Post-Production Firma Imagica.

Dagegen sah die Version von Hong Seong-ki pastellfarben und blass aus.

Somit hatte Korea seinen ersten offiziellen und dokumentierten box office hit, dessen Zuschauerrekord erst sieben Jahre später von diesem Film geschlagen werden sollte (und aktuell seit vielen Jahren völlig zurecht von diesem Film gehalten wird), Shin-Song-ok hatte seinen endgültigen Durchbruch und wir haben mit der vom Koreanischen Filmarchiv auf youtube zur Verfügung gestellten Fassung, für deren Restaurierung offenbar mehrere unterschiedlich gut erhaltene Kopien zusammengefügt wurden, die Möglichkeit uns einen abwechslungsreich bunten koreanischen Abend zu machen.

(Seong Chun-hyang, Südkorea 1961; Regie: Shin Sang-ok.)

And Now for Something Completely Different

Wenn ist das Nurnstuck git und Slotermeyer? Ja! Feierhund das oder die Flipperwaldt gersput!“

Auch wenn das Lesen oder Hören dieser Zeilen gewisse Gesundheitsrisiken birgt, so ist es nun, spätestens nach dem an dieser Stelle bereits gewisse Parallelen zu erkennen waren, an der Zeit, auch Monty Pythons Schaffen zu würdigen.

Dies soll exemplarisch mit „And Now for Something Completely Different“ geschehen, ihrem ersten Kino-Film, der zwischen der ersten und zweiten Staffel ihrer TV-Serie Monty Pythons Flying Circus gedreht wurde, und der eigentlich dazu gedacht war, sie dem amerikanischen Publikum bekannt zu machen. Finanziert und produziert wurde das Ganze vom Playboy Magazin und der einen oder anderen Episode sieht man auch an, dass Monty Python sich der daraus resultierenden Verantwortung durchaus bewusst waren. Vor allem John Cleese scheute sich nicht, sich ganz im Geiste des damals populären Magazins zu präsentieren.

Dennoch war man in den USA zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht reif für diese spezielle Form von Humor, andererseits wurden Film und Fernsehserie in Großbritannien und Deutschland dafür umso freudiger aufgenommen, wo sie rasch zu eben jenen Klassikern avancierten, die sie bis heute sind. Bleibt nur noch, darauf hinzuweisen, dass einige der Sketche des Films ganz offiziell im Monty Python Channel auf youtube zu sehen sind, zum Beispiel hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier… und natürlich auch andere, die ebenfalls (wieder-)sehenswert sind und bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

(And Now for Something Completely Different, Großbritannien 1971; Regie: Ian MacNaughton.)

 

The Cat and the Canary

Hier haben wir den Beweis, dass das Grusel-Horror-Geister-Film Genre sein stilgerechtes Medium nicht nur im schwarz/weiß, sondern auch im Stummfilm hat.

Zunächst einmal ist alles vorhanden, was man von dieser Art Film und einem Regisseur, der gerade erst vom deutschen Expressionismus in die USA übergesiedelt war, erwarten darf: ein einsam gelegenes, unheilvolles Haus mit vielen dunklen Schatten, finsteren Ecken und langen düsteren Korridoren (mit wehenden Vorhängen!) und natürlich Treppen, Geheimtüren, -fächer und -gänge und nicht zu vergessen, das überdimensionierte Mobiliar, welches seinerseits wieder schöne, lange, schwarze Schatten wirft und alles zusammen bildet einen effektvollen Kontrast zu den Gesichtern der Menschen, die sich darin bewegen – hell und weiß und meist mit weit aufgerissenen Augen

Überdies spielt die Geschichte natürlich bei Nacht und spätestens hier ist vollkommen klar: in Farbe sähe all dies bei weitem nicht so eindrucksvoll aus (oder schlimmer noch, so albern, wie in der Neuverfilmung von 1978).

Aber auch, dass es sich um einen Stummfilm handelt, ist unbedingt von Vorteil, denn an den Stellen, wo es sinnvoll war, zeigte sich Regisseur Paul Leni ausgesprochen kreativ darin, Ton in Bilder umzusetzen, sei es zum Beispiel beim Schlagen einer Uhr oder auch bei der Gestaltung von Zwischentiteln, die es in ihrer Aussagekraft teilweise durchaus mit Comic-Sprache aufnehmen könnten, während die Tatsache, dass man die ganze Schreierei nur sieht und nicht hört, wiederum recht angenehm ist.

Und wer nun Laune bekommen hat, sich einen Klassiker des Grusel-Genres anzuschauen, kann dies ohne Umstände tun, denn wie so vieles Schöne und Spannende steht auch The Cat and the Canary bei archive.org zu Ansicht und Download bereit. Nur Musik muss man sich selbst dazu auflegen, denn die von Hugo Riesenfeld komponierte ist nicht dabei, aber vielleicht wird man ja hier fündig, oder hier…?

(The Cat and the Canary, USA 1927; Regie: Paul Leni.)

 

The Puppetmaster

Anders als bei der Reihe gleichnamiger Filme aus den USA handelt es sich hier keineswegs um einen Horrorfilm und der Titel ist auch nicht im übertragenen Sinne, zum Beispiel als politischer Strippenzieher zu verstehen, sondern es geht tatsächlich ganz handgreiflich um einen taiwanesischen Puppenspieler. Sein Name ist Li Tian-lu und er war bereits in diesem Film von Hou Hsiao-hsien zu sehen, aber während er dort die Rolle des Familienvaters spielt, geht es nun um sein eigenes, tatsächliches Leben, wobei auch dieses Drehbuch wieder in bereits bewährter Zusammenarbeit von Chu Tien-wen und Wu Nien-jen verfasst wurde.

Geboren im Jahr 1909, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erzählt der mittlerweile 84jährige Li seine persönliche Geschichte und damit auch die von Taiwan, beginnend in der Zeit als Taiwan eine japanische Kolonie war, über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Machtübernahme der chinesischen Kuoming-Partei.

Dabei wechseln sich lange, ungeschnittene Szenen, in denen der alte Mann ganz gelassen in einem Sessel sitzt und erzählt, mit solchen ab, in denen das Erzählte von Schauspielern nach-, bzw. vorabgespielt wird, denn bisweilen sieht man die gespielten Szenen, bevor durch die erst danach einsetzende Stimme aus dem Off verständlich wird, worum es sich handelt. Und so ist The Puppetmaster zwar einerseits der mittlere Teil der Film-Trilogie von Hou Hsiao-hsien, die sich mit der Geschichte Taiwans im 20. Jahrhundert auseinander setzt, gehört aber eben auch zu der ganzen Reihe von Hou Hsiao-hsien Filmen, die Autobiographisches verarbeiten.

Was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch grundlegend von vielen der späteren Filme Hou Hsiao-hsiens unterscheidet, die unübersehbar von der jeweiligen Gegenwart handeln, in der sie entstanden sind.

(The Puppetmaster, Taiwan 1993; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

City of Sadness

Mit dem Neuen Taiwanesischen Kino Anfang der 1980er kamen auch neue Themen. Während in The Time to Live, The Time to Die noch die private Geschichte von Hou Hsiao-hsiens Familie im Vordergrund stand, und die Taiwans eher im Hintergrund ablief, so handelt es sich bei City of Sadness zwar ebenfalls hauptsächlich um die Geschichte einer Familie, aber hier gibt es keinen Rückzug ins Private mehr, jedes Familienmitglied wird auf seine Art und Weise in die politischen Ereignisse verwickelt.

Es beginnt mit der Kapitulationsrede des japanischen Kaisers Hirohito. Der Zweite Weltkrieg ist verloren und damit endet nach 51 Jahren auch die Besatzungszeit der Japaner in Taiwan. Nun soll der Inselstaat wieder zu China gehören, aber zu welchem, einem von der chinesischen Nationalpartei Kuomintang unter General Chian Kai-shek, oder einem kommunistischen unter Mao Zedong ist noch nicht entschieden, denn noch tobt der Bürgerkrieg und Taiwan wird von einem Krieg gleich in den nächsten mit hinein gezogen. Entsprechend ist es im Film, während die Ansprache Hirohitos im Radio läuft, und man hören kann, wie irgendwo eine Geburt stattfindet, ist es zunächst einmal: dunkel.

Ebenfalls Teil einer Trilogie, in deren zweiten Teil, The Puppetmaster, Li Tian-lu, der hier den alten Familienpatriarchen gibt, noch eine wesentliche Rolle spielen wird, und deren dritter Teil, Good Men, Good Women, das Thema des ersten aus einer anderen Perspektive zeigt, geht es hier aber nicht nur allgemein darum, wie schwierig es ist, durch solche Zeiten einigermaßen mit Anstand zukommen, sondern auch um den sogenannten Zwischenfall vom 28. Februar 1947, jenem Aufstand in Taiwan, der durch chinesisches Militär niedergeschlagen wurde, wobei zwischen 10 000 und 30 000 Zivilisten getötet wurden.

Ein Thema, das lange Zeit in Taiwan tabu war, weshalb das Drehbuch auch von den beiden Personen gemeinsam verfasst wurde, auf die – einzeln oder in Zusammenarbeit – der weitaus größte Teil der Drehbücher des Neuen Taiwanesischen Kinos zurückging: der Schriftstellerin Chu Tien-wen und dem Drehbuchautor und Schauspieler Wu Nien-jen. Dennoch, allem Fingerspitzengefühl zum Trotz, erhielt City of Sadness laut Regisseur Hou Hsiao-hsien zunächst keine Aufführungserlaubnis für Taiwan und wurde erst freigegeben, nachdem er auf internationalen Festivals gelaufen und ausgezeichnet worden war.

Auf diesen aber wurde er gefeiert, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa, wo er als erster chinesisch-sprachiger Film den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, was schon deshalb ganz passend ist, weil hier gleich mehrere chinesische Sprachen und Dialekte zu hören sind: neben Taiwanesisch auch Mandarin, Kantonesisch und das für Shanghai typische Chinesisch (plus das Japanisch der ehemaligen Besatzungsmacht).

Und auch auf der hier schon das eine oder andere Mal erwähnten Hong Kong Film Award Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures brachte City of Sadness es auf Platz 5, was ihn zum höchstplatzierten taiwanesischen Film dieser Liste macht und wohl auch damit zu tun haben könnte, dass Tony Leung hier eine seiner frühen Hauptrollen hat, wenn auch eine stumme, da das für diese Rolle erforderliche Taiwanesisch aufgrund seiner Herkunft aus Hong Kong für Hou Hsiao-hsien einfach nicht überzeugend genug klang…

(City of Sadness, Taiwan 1989; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Green Snake

Alle Dinge können wachsen und sich verändern: Ein Stein kann eine Pflanze werden, eine Pflanze kann ein Tier werden, ein Tier kann zum Menschen werden und Menschen können zu Göttern werden.“

Derlei gravierende Veränderungen finden allerdings auch in den buddhistisch geprägten Geschichten des alten China nicht einfach so über Nacht statt – es gehören vielmehr ausreichend Training, Selbstdisziplin und Fortbildung dazu, nicht zu vergessen Meditation und vor allem: viele gute Taten. Wechselt man die Richtung seines Tuns von gut nach böse, kann die eigene Entwicklung aber auch umgekehrt verlaufen und so kann es passieren, dass sich ein Mönch und erfolgreicher Dämonenjäger als Magen einer Krabbe wiederfindet und allein dessen orangene Farbe erinnert noch an seine vorherige Inkarnations-Stufe.

Hier allerdings geht es nicht um Krabben, sondern um Schlangen, eine weiße und eine grüne, denen es Jahrhunderte langes Training ermöglicht, die Gestalt von Frauen anzunehmen. Aber die Form zu erlangen, egal wie gut ihnen dies auch gelungen sein mag, war nicht das eigentliche Ziel, sondern der Inhalt, weshalb sich die Damen nun daran machen, die menschliche Gefühlswelt zu erkunden. Mönche, die ihnen das Leben schwer machen gibt es zwar auch hier in ausreichender Menge, aber anders, als in einer der älteren Versionen der Geschichte wird im Film keiner davon zu einem Magen, egal welchen Lebewesens.

Denn ebenso wie bei diesem und diesem Wuxia-Film gibt es auch hier eine literarische Vorlage, genau genommen sogar einige, die ihrerseits wiederum auf eine wesentlich ältere Legende zurückgehen, deren erste überlieferte schriftliche Version aus der Zeit der Ming Dynastie stammt. Im Verlaufe der Jahrhunderte entstanden viele Varianten des Themas, auch wurde aus der ursprünglichen Horrorgeschichte eine Romanze, die Version aber, die dem Film letztlich als Grundlage diente, wurde von der zeitgenössischen Schriftstellerin Lilian Lee verfasst, deren Bücher schon häufiger verfilmt wurden, unter anderem von Chen Kaige (Farewell my Concubine) und Fruit Chan (Dumplings).

Ähnlich vielfältig wie ihre schriftliche Niederlegung sind auch ihre diversen Umsetzungen: in der chinesischen Oper war die Geschichte schon lange beliebt, 1956 brachte das hier bereits mehrfach gewürdigte japanische Toho Studio den Stoff in Zusammenarbeit mit dem Hong Konger Studio der Shaw Brothers als seinen ersten Farbfilm in die Kinos und bis heute folgten zahlreiche weitere Verfilmungen, für Kino wie TV, ebenso wie weitere Aufführungen als Oper, Theaterstück oder Musical.

Was Tsui Hark aber daraus gemacht hat, der nach der für alle Beteiligten wenig erfreulichen Teamarbeit dieses Films, bei Green Snake lieber gleich als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor fungierte, noch dazu unterstützt von Maggie Cheung und Joey Wang als Hauptdarstellerinnen, ist schon sehr eigen geraten: bunt, schräg und anarchisch, quer durch die Geschlechter-Klischees gepflügt und mit einigen durchaus überzeugenden, handfesten Argumenten gegen Selbstgerechtigkeit und Zölibat: „Du hast verloren!“

(Green Snake, Hong Kong 1993, Regie: Tsui Hark.)