Mit dem Neuen Taiwanesischen Kino Anfang der 1980er kamen auch neue Themen. Während in The Time to Live, The Time to Die noch die private Geschichte von Hou Hsiao-hsiens Familie im Vordergrund stand, und die Taiwans eher im Hintergrund ablief, so handelt es sich bei City of Sadness zwar ebenfalls hauptsächlich um die Geschichte einer Familie, aber hier gibt es keinen Rückzug ins Private mehr, jedes Familienmitglied wird auf seine Art und Weise in die politischen Ereignisse verwickelt.
Es beginnt mit der Kapitulationsrede des japanischen Kaisers Hirohito. Der Zweite Weltkrieg ist verloren und damit endet nach 51 Jahren auch die Besatzungszeit der Japaner in Taiwan. Nun soll der Inselstaat wieder zu China gehören, aber zu welchem, einem von der chinesischen Nationalpartei Kuomintang unter General Chian Kai-shek, oder einem kommunistischen unter Mao Zedong ist noch nicht entschieden, denn noch tobt der Bürgerkrieg und Taiwan wird von einem Krieg gleich in den nächsten mit hinein gezogen. Entsprechend ist es im Film, während die Ansprache Hirohitos im Radio läuft, und man hören kann, wie irgendwo eine Geburt stattfindet, ist es zunächst einmal: dunkel.
Ebenfalls Teil einer Trilogie, in deren zweiten Teil, The Puppetmaster, Li Tian-lu, der hier den alten Familienpatriarchen gibt, noch eine wesentliche Rolle spielen wird, und deren dritter Teil, Good Men, Good Women, das Thema des ersten aus einer anderen Perspektive zeigt, geht es hier aber nicht nur allgemein darum, wie schwierig es ist, durch solche Zeiten einigermaßen mit Anstand zukommen, sondern auch um den sogenannten Zwischenfall vom 28. Februar 1947, jenem Aufstand in Taiwan, der durch chinesisches Militär niedergeschlagen wurde, wobei zwischen 10 000 und 30 000 Zivilisten getötet wurden.
Ein Thema, das lange Zeit in Taiwan tabu war, weshalb das Drehbuch auch von den beiden Personen gemeinsam verfasst wurde, auf die – einzeln oder in Zusammenarbeit – der weitaus größte Teil der Drehbücher des Neuen Taiwanesischen Kinos zurückging: der Schriftstellerin Chu Tien-wen und dem Drehbuchautor und Schauspieler Wu Nien-jen. Dennoch, allem Fingerspitzengefühl zum Trotz, erhielt City of Sadness laut Regisseur Hou Hsiao-hsien zunächst keine Aufführungserlaubnis für Taiwan und wurde erst freigegeben, nachdem er auf internationalen Festivals gelaufen und ausgezeichnet worden war.
Auf diesen aber wurde er gefeiert, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa, wo er als erster chinesisch-sprachiger Film den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, was schon deshalb ganz passend ist, weil hier gleich mehrere chinesische Sprachen und Dialekte zu hören sind: neben Taiwanesisch auch Mandarin, Kantonesisch und das für Shanghai typische Chinesisch (plus das Japanisch der ehemaligen Besatzungsmacht).
Und auch auf der hier schon das eine oder andere Mal erwähnten Hong Kong Film Award Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures brachte City of Sadness es auf Platz 5, was ihn zum höchstplatzierten taiwanesischen Film dieser Liste macht und wohl auch damit zu tun haben könnte, dass Tony Leung hier eine seiner frühen Hauptrollen hat, wenn auch eine stumme, da das für diese Rolle erforderliche Taiwanesisch aufgrund seiner Herkunft aus Hong Kong für Hou Hsiao-hsien einfach nicht überzeugend genug klang…
(City of Sadness, Taiwan 1989; Regie: Hou Hsiao-hsien.)