Gleich in der ersten Szene wird klar, dass es sich auch bei diesem Film von Lee Chang-dong keineswegs um etwas so unbelastet Reines und Schönes handelt, wie der Titel es verspricht. Aber bei Peppermint Candy, Oasis und Secret Sunshine entsprachen die Filme ja auch nicht unbedingt den warmen, freundlichen Assoziationen, die ihre Namen zunächst hervorrufen.
Für die Hauptrolle hatte Regisseur und Drehbuchautor Lee Chang- dong wohl von Anfang an Yoon Jeong-hee eingeplant, die von den späten 1960ern bis zum Ende der 80er eine der berühmtesten Schauspielerinnen Südkoreas war, viel beschäftigt und ausgezeichnet, und die hier nun zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder in einem Film mitspielte.
Noch bei Peppermint Candy hatte sich Lee Chang-dong vorwerfen lassen müssen, dass die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des männlichen Protagonisten erzählt wurde, während Gedanken und Gefühlen der weiblichen Figuren keinerlei Raum erhielten. Dies hatte sich zwar schon bei Secret Sunshine grundlegend geändert, aber anders als in jenem Film, wo auch die südkoreanische Kleinstadt mit ihren vielen Bewohnern eine wesentliche Rolle spielte, konzentriert sich Poetry nun nahezu völlig auf seine weibliche Hauptdarstellerin und damit auf das, was ihr und anderen Frauen in der Gesellschaft in der sie lebt, widerfährt – und welche Konsequenzen, oder eben auch nicht, dies für die Betroffenen hat.
Allein, ihre Art damit umzugehen, mitfühlend, freundlich und scheinbar zurückhaltend, aber hartnäckig darin, das umzusetzen, was sie einmal für richtig erkannt hat, macht sie auf ihre Weise viel selbständiger und unabhängiger als es Figuren in Lee Chang-dong Filmen normalerweise sind, und während Lee Shin-ae in Secret Sunshine eigentlich nur wenig Spielraum für eigene Entscheidungen blieb, hat Yang Mija in Poetry ihn nicht nur – sie nutzt ihn auch.
(Poetry, Südkorea 2010; Regie: Lee Chang-dong.)