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Poetry

Gleich in der ersten Szene wird klar, dass es sich auch bei diesem Film von Lee Chang-dong keineswegs um etwas so unbelastet Reines und Schönes handelt, wie der Titel es verspricht. Aber bei Peppermint Candy, Oasis und Secret Sunshine entsprachen die Filme ja auch nicht unbedingt den warmen, freundlichen Assoziationen, die ihre Namen zunächst hervorrufen.

Für die Hauptrolle hatte Regisseur und Drehbuchautor Lee Chang- dong wohl von Anfang an Yoon Jeong-hee eingeplant, die von den späten 1960ern bis zum Ende der 80er eine der berühmtesten Schauspielerinnen Südkoreas war, viel beschäftigt und ausgezeichnet, und die hier nun zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder in einem Film mitspielte.

Noch bei Peppermint Candy hatte sich Lee Chang-dong vorwerfen lassen müssen, dass die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des männlichen Protagonisten erzählt wurde, während Gedanken und Gefühlen der weiblichen Figuren keinerlei Raum erhielten. Dies hatte sich zwar schon bei Secret Sunshine grundlegend geändert, aber anders als in jenem Film, wo auch die südkoreanische Kleinstadt mit ihren vielen Bewohnern eine wesentliche Rolle spielte, konzentriert sich Poetry nun nahezu völlig auf seine weibliche Hauptdarstellerin und damit auf das, was ihr und anderen Frauen in der Gesellschaft in der sie lebt, widerfährt – und welche Konsequenzen, oder eben auch nicht, dies für die Betroffenen hat.

Allein, ihre Art damit umzugehen, mitfühlend, freundlich und scheinbar zurückhaltend, aber hartnäckig darin, das umzusetzen, was sie einmal für richtig erkannt hat, macht sie auf ihre Weise viel selbständiger und unabhängiger als es Figuren in Lee Chang-dong Filmen normalerweise sind, und während Lee Shin-ae in Secret Sunshine eigentlich nur wenig Spielraum für eigene Entscheidungen blieb, hat Yang Mija in Poetry ihn nicht nur – sie nutzt ihn auch.

(Poetry, Südkorea 2010; Regie: Lee Chang-dong.)

Secret Sunshine

Nach Theaterstücken und Drehbüchern, nach drei Filmen als Regisseur und Drehbuchautor in einer Person, nach viel Anerkennung und Auszeichnungen, zuletzt 2002 in Venedig mit dem Preis für die Beste Regie, legte Lee Chang-dong eine mehrjährige Pause als Filmemacher ein, da er im Jahr 2003 vom neu gewählten Präsidenten Südkoreas, Roh Moo-hyun, zum Minister für Kultur berufen wurde.

Zwar hatte er wohl nicht lange den Eindruck, der Richtige für diesen Posten zu sein, jedenfalls legte er das Amt bereits Mitte 2004 nieder, doch bis sein nächster Film seine Premiere hatte, dauerte es trotzdem noch bis zum Festival in Cannes im Jahre 2007.

Dass es Lee Chang-dong nicht wirklich um Kassenschlager und angenehme Unterhaltung für sein Publikum geht, hatte er ja schon mit seinen vorherigen Filmen überzeugend vermittelt, und auch Secret Sunshine bildet da keine Ausnahme, obwohl er zunächst so leicht und fröhlich anfängt, als habe man es mit einer freundlichen Liebeskomödie zu tun, aber so wird es nicht bleiben.

Doch neben der eigentlichen, tragischen Geschichte beeindrucken vor allem die vielen kleinen wirklichkeitsnahen Szenen, die mit geradezu unheimlichen Realismus das Leben in einer Kleinstadt Südkoreas („not much goes unnoticed around here“) abbilden. Da wird auf begrenzter Fläche hinter dem Laden gewohnt, oder gleich im Chaos in der Werkstatt, Elternabende finden nach erfolgreich absolviertem Rhetorik-Kurs der Sprößlinge beim Essen im Restaurant statt, während die ortsansässigen Geschäftsfrauen sich beim Friseur oder in der Disco treffen und die Herren Chi beim Bergsteigen sammeln, oder doch zumindest in der gemeinsamen Zigarettenpause davon erzählen.

Dass Regisseur Lee den Ruf hat, es seinen Schauspielern nicht leicht zu machen, und sie bei der Interpretation ihrer Rollen weitgehend sich selbst zu überlassen, bereitete anscheinend weder den Nebendarstellern, noch Song Kang-ho Probleme, wobei dieser bereits eine kleinere Rolle in Green Fish spielte, und überhaupt schon reichlich Erfahrung in den unterschiedlichsten Genres gesammelt hatte. Anders empfand es wohl Hauptdarstellerin Jeon Do-yeon, deren Arbeit aber immerhin reichlich belohnt wurde.

(Secret Sunshine, Südkorea 2007; Regie: Lee Chang-dong.)

Peppermint Candy

Nachdem Park Kwang-su einmal festgestellt hatte, dass sich politische Themen auch im südkoreanischen Kino mitunter erfolgreicher darstellen lassen, wenn man sie nicht in eine Komödie verpackt, sondern auf möglichst direktem Wege vermittelt, blieb er bei dieser Methode, gründete, nachdem die Dreharbeiten zu Berlin Report wohl eher chaotisch verlaufen waren, als erster koreanischer Filmregisseur 1993 seine eigene Produktionsfirma und brachte mit dieser noch im selben Jahr To The Starry Island heraus, zwei Jahre später gefolgt von A Single Spark.

Beides waren politisch engagierte und erfolgreiche Filme, und: beide Filme entstanden nach Drehbüchern von Lee Chang-dong. Dieser wiederum hatte als Autor von Theaterstücken angefangen und entschied sich, nach der Zusammenarbeit mit Park Kwang-su, selbst ins Regiefach zu wechseln. Schon sein erster Film, Green Fish, kam 1997 sowohl beim Publikum, als auch auf Filmfestivals gut an, nicht zuletzt bei jenen, die Preise zu vergeben haben.

Sein zweiter Film in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch, Peppermint Candy, hatte seine Premiere dann 1999 als Eröffnungsfilm auf dem Internationalen Film-Festival in Busan, und so kam es, dass die dortigen Zuschauer sich mit ihrer Festlaune ziemlich bald nach Beginn des Films bei einem Mann wiederfanden, der mit ausgebreiteten Armen auf den Gleisen einer Eisenbahnbrücke steht und dem auf ihn zu rasenden Zug „Ich will zurück!“ entgegen schreit.

Mit diesem Moment beginnend wird chronologisch rückwärts in sieben, insgesamt 20 Jahre umfassenden, Episoden erzählt, wie der Mann an diesen Punkt kam, wobei seine Geschichte eng verknüpft wird mit der Geschichte Südkoreas: der Finanzkrise in den späten 1990ern, der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs davor, der Militärdiktatur und der Niederschlagung der Studentenbewegung.

Damit sich die Geschichte erschließt, muss man mit einiger Konzentration dabei bleiben, denn Peppermint Candy ist kein einfacher Film: manches wird nur angedeutet oder durch wiederkehrende Metaphern – Züge, die titelgebenden Pfefferminz-Bon Bons, eine Photokamera – vermittelt, andere Szenen sind unmissverständlich und teilweise drastisch in ihrer Darstellung von körperlicher Gewalt und emotionaler Grausamkeit. Aber wenn man Filmen zugesteht, dass sie zur Aufarbeitung von gesellschaftlich verdrängten, traumatischen historischen Ereignissen beitragen können, dann ist dies auch ein wichtiger Film.

(Peppermint Candy, Südkorea 1999; Regie: Lee Chang-dong.)