Monthly Archives: October 2012

The World

„See the world in one day without ever leaving Beijing!“

Manchmal ist Die Welt ein Themenpark. In diesem Falle kann man ihn per Bahn umrunden („Good day dear visitors, welcome onboard the monorail. It circles the park completely. The ride takes 15 minutes.“) oder auch zu Fuß besichtigen: ein japanisches Teehaus mit Garten zum Beispiel, den Eiffel-Turm, das Taj Mahal, den schiefen Turm von Pisa, den Petersplatz und die Pyramiden, die Tower Bridge, Big Ben und einige mehr, alles in miniatur nachgebaut versteht sich, aber dafür stehen hier auch solche Sehenswürdigkeiten, die es an ihrem eigentlichen Standort nicht mehr zu besichtigen gibt („These are the Twin Towers, they were bombed on 11th September, we still have them.“ – „Great!“).

Vorbild und Drehort waren der reale Beijing World Park und ein etwas älterer, aber ähnlicher Themenpark in Shenzhen, vor allem aber geht es hier um die Menschen, die dort arbeiten, bescheiden entlohnt und noch bescheidener untergebracht, als Wachpersonal, in der Gastronomie oder mit wechselnden Kostümen als Darsteller/innen an den Attraktionen des Parks oder in den dazugehörigen Shows.

Und angefangen hatte es ja schon mit diesem Film, aber irgendwann muss es zwischen den Kritikern und Jia Zhang-ke so richtig gefunkt haben, denn ab dann begannen ihn fast alle zu lieben, wobei ihm sein Ruf als chinesischer Underground- oder Independent-Filmemacher wohl ganz hilfreich gewesen sein dürfte.

Obwohl er dies genau genommen mit The World schon nicht mehr war. Denn zwar hatte Jia Zhang-ke mittlerweile eine eigene Produktionsfirma gegründet, und wurde weiterhin hauptsächlich von japanischen Filmstudios, allen voran Office Kitano, und mit Geld aus Frankreich finanziert, aber diesmal erhielt er auch Unterstützung aus Shanghai und vor allem: die offizielle Erlaubnis der chinesischen Filmaufsichtsbehörde in Beijing, diesen und bislang auch alle seine folgenden Filme ohne Änderungen im In- und Ausland zu zeigen und bei internationalen Wettbewerben einzureichen.

Letzteres mit Erfolg, denn auch wenn seine Filme weder in China noch im Rest der Welt das Publikum in Scharen in die Kinos zogen, Kritiker und Jurys internationaler Filmfestivals waren offensichtlich beeindruckt: auch für The World, der bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, gab es neben einigen anderen Auszeichnungen wieder eine Nominierung und zwei Jahre später, mit seinem nächsten Film, erhielt er dann schließlich auch seinen ersten Goldenen Löwen, ganz zu schweigen von all dem Kritiker-Lob, das er seitdem ebenfalls erhält

(The World, China 2004; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

The Story of Qiu Ju

Mittlerweile hat sich Zhang Yimou, der bei den Olympischen Spielen im Sommer 2008 sowohl bei der aufwendig gestalteten Eröffnungs-, als auch bei der ebenfalls groß angelegten Abschlussfeier in Beijing die Regie führen durfte, ganz offensichtlich mit Zensur und Politik in seinem Heimatland China arrangiert.

Dies war zu Beginn seiner Karriere noch anders, gleich nach Abschluss seines Studiums an der Filmakademie von Beijing hatte er sich gemeinsam mit seinem Kommilitonen Chen Kaige in die Provinz abgesetzt, um dort diesen Film zu drehen, und bei vielen seiner späteren Arbeiten, bei denen er dann nicht mehr nur die Kamera, sondern auch die Regie führte, kam es immer wieder zu Differenzen mit den chinesischen Behörden, die wiederum regelmäßig Aufführungsverbote für seine Filme in China nach sich zogen. Was ihn aber andererseits auf internationalen Festivals vielleicht umso mehr zum gerne gesehenen und gefeierten Gast machte.

Jedenfalls hatte er, als er sich Anfang der 1990er daran machte, die Geschichte einer Frau zu verfilmen, die sich auf einen langen Weg durch die behördlichen Instanzen in China macht, im Hinblick auf dieses Thema, bereits reichlich eigene Erfahrung gesammelt. Dennoch geriet Qui Ju Da Guansi (Die Geschichte der Qiu Ju) keineswegs zu einer Abrechnung oder Anklage. – Traf aber dafür ziemlich genau den Geschmack und die Erwartungen der westlichen (Festival-) Zuschauer, oder doch zumindest der Kritiker und Jury-Mitglieder, die vor allem jene Teile des Films lobend hervorhoben, die den mit einer Handkamera aufgenommenen Alltag auf den Straßen von Chinas Städten zeigten, was vielleicht auch ein wenig damit zu tun hatte, dass sie ähnliche Bilder bereits von Michelangelo Antonioni kannten.

Zhang Yimou aber war es dieses Mal anscheinend endlich gelungen, es allen recht zu machen: auf den internationalen Festivals wurde er gefeiert und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Löwen in Venedig, und auch im Heimatland wurde sein Film mit wohlwollender Billigung der Behörden aufgeführt. Ein Konzept, dass er einige Jahre später, in einer etwas anderen Variante, diesmal nicht ganz unumstritten, aber mit dem selben Ergebnis, wieder erfolgreich anwenden sollte.

(The Story of Qiu Ju, China 1992; Regie: Zhang Yimou.)