Monthly Archives: November 2011

The Innocents

„Horror-Movies come in two styles, visually: One of them in your face and the other at the corner of the retina.“

Novelle, Theaterstück, Oper und Film: „The Turn of the Screw“ von Henry James erschien im Jahr 1898 zunächst als Fortsetzungsgeschichte in einem amerikanischen Magazin, bevor sie 1908 als Novelle publiziert wurde. Ungefähr ein halbes Jahrhundert später machte William Archibald daraus ein Theaterstück, das seine Premiere 1950 am Broadway feierte, und 1954 hatte Benjamin Brittens gleichnamige Oper in zwei Akten in Venedig ihre Uraufführung. – Reichlich Vorlagen, also mit denen sich Regisseur Jack Clayton auseinander zu setzen hatte, als er wenige Jahre später daran ging, auch noch einen Film aus der Geschichte zu machen. Gleich mehrere professionelle Drehbuchschreiber wurden herangezogen, wobei Clayton später betonte, dass 90% der im Film enthaltenen Ideen auf Truman Capote zurückgehen, der nicht nur Untertöne á la Freud in die Handlung einbrachte, sondern in zahlreichen Bildern auch eines seiner Lieblingsthemen – die Dekadenz, den Zerfall hinter der Schönheit – unterbringen konnte.

Eine größere Schwierigkeit ergab sich daraus, dass – wie damals bei allen Filmen des Studio Fox – in Cinemascope gedreht werden musste, in eben jenem Format, von dem Fritz Lang bei Godard sagt, es sei nur für Schlangen und Beerdigungen geeignet. Hier aber war es der Kameramann Freddy Francis, der Mittel fand, um das ungeliebte Format in den Griff zu kriegen: z. B. indem er viel Licht einsetzte, um entweder ganze Szenen durchgehend strahlend hell zu erleuchten, oder andererseits einen Tunnel-Effekt erzielte, indem er das Licht auf die handelnden Personen in der Mitte konzentrierte, während die Ränder dunkel blieben. Darüber hinaus fügte er zahlreiche vertikale Linien ein, die den weiten Cinemascope-Rahmen unterteilten: z. B. Bettpfosten, Säulen und Statuen.

Beides konnte allerdings auch missverstanden werden, denn wenn des nächtens Frauen in langen weißen Nachthemden mit tropfenden Kandelabern in der Hand durch die dunklen Flure großer, düsterer Schlösser laufen, erwartet man heute wie damals unwillkürlich, dass Dracula oder einer seiner Genossen auftaucht, da dieses Klischee, ebenso wie wehende Vorhänge, tickende Großvateruhren und grimmig blickende pseudo-antike Statuen, zum Stil-Katalog der damals sehr populären Hammer Film Productions gehörte, die auch heute noch, nicht zuletzt dank zahlreicher Fernseh-Wiederholungen, fest im Bewusstsein der Zuschauer verankert sind.

Dies war allerdings eine Parallele, die Clayton gar nicht recht war, denn anders als Freddie Francis, der nach „The Innocents“ einige Jahre als Regisseur für die Hammer Film Productions arbeitete, wollte Clayton seinen Film keineswegs in dieser Ecke angesiedelt wissen, sondern suchte vielmehr die Nähe zu den deutlich subtileren Horrorfilmen der 30er und 40er Jahre, was sich unter anderem auch darin äußerte, dass er auf Technicolor verzichtete und seinen Film in schwarz-weiß drehte. Was wiederum bei Kritikern wie Publikum oft nicht richtig ankam: während die Anhänger der Hammer-Filme sich langweilten und die Schockeffekte vermissten, sahen die Vertreter der anderen Richtung wiederum für ihren Geschmack entschieden zu viel Hammer-Style. (Wobei es natürlich auch andere Meinungen gab – Francois Truffaut z. B., soll Jack Clayton, als sie sich zufällig in einem Restaurant begegneten, die seine schriftlich auf einer Serviette überreicht haben: dies sei der beste britische Film, seit Alfred Hitchcocks Übersiedlung in die USA – was vermutlich das höchste Lob war, das Truffaut überhaupt zu vergeben hatte.)

Den bleibenden Eindruck, den „The Innocents“ im Genre der Horror-Filme hinterlassen hat, sieht man aber vor allem daran, dass er über die Jahrzehnte immer wieder von anderen zitiert wurde. Stanley Kubricks „Shining“ z. B. zeigt einige Parallelen: das große Haus mit den vielen Zimmern im Kontrast zum labyrinthisch angelegten Garten, die Geistererscheinung und vor allem bei der Schluss-Szene. Alejandro Amenábar hingegen scheint hier nicht nur reichlich Anregung, sondern auch den Titel für seinen Film gefunden zu haben: „We‘ve got the whole house to ourselves. – More or less. There are still… the others.“ Und in der amerikanischen Verfilmung von „Ring“ ist sogar eine kleine Hommage versteckt, denn das singende Kind, dass auf dem Video zu hören ist, stammt ebenfalls aus „The Innocents“ .

Überhaupt kann man Ideen und Motive aus „The Innocents“ in vielen späteren Filmen entdecken, möglicherweise in sehr vielen Filmen, wobei natürlich nicht ganz auszuschließen ist, dass man hier Verbindungen sieht, die gar nicht da sind, denn: „Sometimes you can‘t help imagining things…“

(The Innocents, Großbritannien 1961; Regie: Jack Clayton.)

Ring

„You know what, Mum? – Yes? – Tomo-chan watched the cursed video!“

Diesen Film sollte man sich eigentlich auf Video ansehen, vielleicht sollte man sein Telefon vorher ausschalten und vermutlich wird man seinen Fernseher anschließend mit anderen Augen sehen, aber eine DVD ist hier eigentlich nicht das passende Medium.

Der japanische Film Ring oder Ringu aus dem Jahr 1998 gilt noch immer als erfolgreichster japanischer Horrorfilm, sowohl in Japan selbst, als auch international. Und auch wenn Kouji Suzuki, der Autor der zugrunde liegenden Geschichte, durchaus schon einmal erzählt, er habe sich von Poltergeist (1982) inspirieren lassen, so hat der Film doch in erster Linie seinen ganz eigenen, unverkennbaren und mittlerweile oft kopierten Stil, der nicht nur zwei Sequels, ein Prequel und eine koreanische Neuverfilmung nach sich zog, sondern eigentlich, ebenso wie dieser Film hier, gleich ein ganzes Genre begründet hat, woran auch die Tatsache, dass das Medium, auf das er sich bezieht, schon lange nicht mehr allgemein gebräuchlich ist, bis heute nichts geändert hat.

Selbstverständlich gibt es auch ein Hollywood-Remake, das in diesem, aber auch nur in diesem Falle, sogar sehenswert ist, denn die amerikanische Fassung The Ring von 2002 von wurde nicht nur mit allerlei Zitaten und Metaphern ausgestattet – was Letztere angeht, regnet es zum Beispiel viel in diesem Film, so wie Wasser hier überhaupt allgegenwärtig ist, und auch Ringe als Motiv, egal ob als Zahlen auf Türen oder als Muster auf Hemden, wurden geradezu obsessiv verteilt – darüber hinaus erfährt aber auch die Geschichte selbst einige Abwandlungen und was beide Filme im Vergleich gesehen, über die Gesellschaften aussagen, in denen sie sich abspielen, ist ebenfalls sehr aufschlussreich.

Wobei letzten Endes natürlich für beide Filme sowie sämtliche Sequels, Remakes und Nachahmungen, dasselbe gilt, was für Horrorfilme, ebenso wie für Gespenstergeschichten, schon immer galt: „This kind of thing… it doesn’t start by one person telling a story. It’s more like everyone’s fear just takes on a life of its own Fear… – Or maybe it isn’t our fear, maybe it’s what we secretly hope is true.“

(Ring, Japan 1998; Regie: Hideo Nakata & The Ring, USA 2002; Regie: Gore Verbinski.)

Una pura Formalità

Wenn in einem Film Roman Polanski und Gerard Depardieu als Schauspieler aufeinandertreffen, kann eigentlich nicht viel schief gehen. Am besten, man gibt ihnen eine ganze Menge Text und viele Großaufnahmen, hält die Nebenrollen winzig, damit niemand von ihnen ablenken kann, räumt selbst die Filmkulisse von möglicherweise störenden Elementen frei und vermeidet lästige Unterbrechungen, wie z. B. durch allzuviele Szenenwechsel oder Special Effects.

Um auch bei der Filmmusik auf Nummer sicher zu gehen, gibt man diese dann noch bei Ennio Morricone in Auftrag, und dann… ja, dann bleibt eigentlich nur noch, sich zurückzulehnen und „Action“ zu sagen, während der Rest sich ganz von alleine abspielt.

So ist es wahrscheinlich nicht gewesen, vermutlich hat Regisseur und Drehbuchautor Giuseppe Tornatore, ebenso wie die vielen anderen Beteiligten, sehr viel Arbeit in „Una pura Formalità“ (Eine reine Formalität) gesteckt, aber dem Ergebnis merkt man das nicht an. Es macht viel mehr den Eindruck, als hätten Polanski und Depardieu dieses Kammerspiel gemeinsam für sich entwickelt und als hätte die Kunst des Filmemachens in diesem Fall ganz einfach nur darin bestanden, das richtige Umfeld zu schaffen und die beiden Hauptdarsteller dann nicht mehr weiter zu stören.

(Una pura Formalità, Italien 1994; Regie: Guiseppe Tornatore.)

Night of the Living Dead

„..the unburied dead rise to find human victims, eating their flesh..“

Das Genre der klassischen Zombiefilme beginnt stilecht auf einem Friedhof. Zwar gab es schon früher Filme mit dem Wort „Zombie“ im Titel, während in diesem hier das Wort nicht nur im Titel fehlt, sondern im ganzen Film kein einziges Mal fällt, aber vor Night of the Living Dead hatte man unter einem Zombie das willenlose Opfer eines Vodoo-Priesters zu verstehen, während magische Praktiken, egal welcher Art, hier keinerlei Rolle spielen. Vielmehr handelt es sich nun um Widergänger, Tote, die zurückkommen um die Lebenden zu meucheln, und erst hier werden die wesentlichen Merkmale des Zombie-Genres etabliert: von nun an werden wir sie am – teilweise erheblich fortgeschrittenen – Verwesungszustand ihres Äußeren erkennen, wir werden wissen, dass sie auch dann wiederkommen, wenn wir meinen, sie nun wirklich getötet zu haben, dass sie ansteckend sind, dass sie das Fleisch der Lebenden essen und dass man ihr Gehirn zerstören muss, um sie endgültig außer Gefecht zu setzen. Und wir werden uns fragen, sind wir drinnen und sie draußen, oder umgekehrt?

Unklar hingegen bleibt hier, wie in den meisten folgenden Zombiefilmen auch, woran sie ihre Artgenossen erkennen, denn gegenseitig greifen sie sich nicht an, was die Frage aufwirft, ob es wohl reichen würde, einen schleppenden Gang zum hängendem Kopf zu simulieren und man käme davon?

Warum man, einmal angegriffen und überwältigt, zu Ihresgleichen wird, bleibt hier ebenfalls offen, in späteren Zombie-Filmen wird der Auslöser vorzugsweise ein Virus sein, in diesem Film kommen Radio und Fernsehen offiziell mit einer anderen Erklärung daher, aber die Medien präsentieren uns ja bekanntermaßen ständig irgendwelche obskuren Erklärungen für Dinge, die ihre Journalisten selbst nicht verstanden haben und so vertrauen wir lieber auf die Aussage von Regisseur und Drehbuchautor Romero, dass die tatsächliche Ursache hier nicht enthüllt wird.

Während jedenfalls die wiederauferstandenen Toten auf Menschenjagd gehen, gehen diese wiederum auf Zombiejagd: Bürgerwehren werden organisiert, die sich mit unverhohlener Begeisterung daran machen, dem dysfunktionalen Teil der Bevölkerung zu zeigen, wo sein Platz ist: nämlich tot, verbrannt und begraben unter der Erde. Wozu allerdings auch nicht allzuviel Mut nötig ist, da sich die reichlich derangierten und entsprechend langsamen Gestalten nicht unbedingt als gefährliche Gegner erweisen (Field Reporter: Are they slow-moving, chief? – Sheriff McClelland: Yeah, they’re dead. They’re all messed up.)

Es sei denn natürlich, sie sind in der Überzahl.

(Night of the Living Dead, USA 1968; Regie: George A. Romero.)