Monthly Archives: April 2012

Wittgenstein

„A dog cannot lie. Neither can he be sincere. A dog may be expecting his master to come, but: why can‘t he be expecting him to come next Wednesday?“

Ludwig Wittgenstein hatte ein abwechslungsreiches Leben: 1889 geboren als Sohn einer reichen und angesehenen Industriellen-Familie in Wien, studierte er Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester, war Inhaber eines Patentes zur Verbesserung von Flugzeugpropellern, verschenkte sein gesamtes umfangreiches, ererbtes Vermögen an seine Geschwister, meldete sich freiwillig um im 1. Weltkrieg zu kämpfen, geriet in Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Volksschullehrer, später als Klostergärtner – Mönch zu werden ließ er sich gerade noch von einem Abt wieder ausreden – zog sich in der Einsamkeit Norwegens in ein Holzhaus zurück, entwarf für eine seiner Schwestern ein repräsentatives Haus in Wien, studierte, arbeitete und lehrte zwischendurch immer mal wieder in Cambridge, wo er schon zu Lebzeiten als Genie gehandelt wurde und gilt heute als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – obwohl, oder vielleicht auch gerade weil er die Philosophie auch schon mal als Geisteskrankheit bezeichnete, die erst durch das Philosophieren hervorgebracht würde.

Er selbst war letztendlich wohl durchaus zufrieden mit seiner Biographie: kurz vor seinem Tod ließ er seinen Freunden ausrichten, er habe ein wundervolles Leben gehabt.

Auch Derek Jarman war ein vielseitig interessierter Mann: Maler, Bühnenbildner, Regisseur von Filmen und Musikvideos, Autor und Gärtner, und auch, wenn er 1993, als er seinen Film Wittgenstein drehte, bereits schwer an AIDS erkrankt war, änderte dies nichts daran, dass er mit der Unterstützung seiner Schauspiel-Compagnie, bestehend u.a. aus Karl Johnson, Michael Gough und Tilda Swinton sowie Terry Eagleton als Drehbuchautor, einen lebensfrohen, klugen und witzigen Film drehte. Wobei er allerdings die einzelnen Episoden aus dem Leben Wittgensteins weniger mit filmischen Mitteln inszenierte, sondern eher als knallbuntes Theaterstück auf die Bühne brachte, was im Ergebnis so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, wie man sich zur Zeit ein sogenanntes Biopic vorstellt.

Natürlich sieht man hier Jarmans sehr spezielle Sicht auf Wittgenstein, zudem in seinem sehr eigenen Stil gedreht und sollte man noch nie von Ludwig Wittgenstein gehört oder gelesen haben, könnte das Ganze auch ein wenig verwirrend ausfallen, aber das wäre dann nicht Jarman anzulasten, sondern, um es mit Ludwig Wittgenstein in Jarmans Film zu sagen: „We imagine the meaning of what we say as something queer, mysterious, hidden from the view, but nothing is hidden! Everything is open to the view! It is just the philosophers, who muddy the waters.“

(Wittgenstein, Großbritannien 1993; Regie: Derek Jarman.)

The Elefant Man

Mit Mel Brooks verbindet man im Allgemeinen Filme, für deren uneingeschränkte Würdigung man mit einem eher speziellen Humor ausgestattet sein sollte. An seinem Ruf als Regisseur und Autor eigenwilliger Komödien hat er hart gearbeitet und ist vermutlich auch völlig zurecht stolz darauf, aber als „The Elefant Man“ 1980 in die Kinos kam, verzichtete er darauf, als Produzent genannt zu werden, weil er nicht wollte, dass sein Name beim Publikum falsche Erwartungen weckte.

Dennoch wäre der Film ohne Mel Brooks nicht verwirklicht worden, denn das Drehbuch war bereits von allen Studios, bei denen die Autoren es eingereicht hatten, abgelehnt worden und David Lynch hatte erst einen Film vorzuweisen, „Eraserhead“, eine mit überwiegend von ihm selbst zusammengeliehenem Geld finanzierte Produktion mit entsprechend geringem Budget, für den man – wenn auch nicht unbedingt Humor – ebenfalls ein eher spezielles Filmverständnis braucht.

Offensichtlich war dieses Verständnis bei Mel Brooks vorhanden, und so begab man sich gemeinsam an die Arbeit: Freddie Francis, der später noch häufiger mit Lynch zusammenarbeiten sollte, wurde als Kameramann angeheuert, John Hurt wurde in stundenlanger Arbeit unter Bergen von Maske vergraben, Anthony Hopkins spielte hier so ziemlich das Gegenteil seiner wesentlich bekannteren Rolle von 1991, und Anne Bancroft, nebenbei mit Mel Brooks verheiratet, spielte das, was sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war: eine Theaterschauspielerin. Währenddessen beschränkte sich David Lynch zwar als Darsteller auf einen kurzen Cameo-Auftritt, versuchte ansonsten aber alles selbst zu machen: die Idee und weitgehend auch das Drehbuch stammten von ihm, er führte Regie und Musikregie und übernahm auch das Sound Design. Immerhin scheiterte er daran, auch noch die aufwendige Maske von John Hurt selbst zu gestalten und anzulegen.

Die Geschichte beruhte auf einem authentischen Fall im viktorianischen England, der vom behandelnden Arzt Frederick Treves in seinem Buch „The Elephant Man and Other Reminiscences“ geschildert wurde. Was die Erzählung angeht, hielt Lynch sich nicht unbedingt immer an die Überlieferung, aber gleichzeitig legte er sowohl bei der Darstellung des historischen Joseph Merrick, als auch bei der Inszenierung des Zeitalters in dem dieser lebte, großen Wert auf ausgiebige vorherige Recherche und Detailgenauigkeit.

Über Sinn und Zweck mindestens der Eröffnungsszene kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein, wie über den Gehalt an Sentimentalität, aber davon einmal abgesehen ist die Handlung klar, geradlinig und nachvollziehbar und dafür, dass man gerade einen Lynch-Film gesehen hat, ist die Chance auf eine alptraumfreie Nacht relativ hoch.

(The Elefant Man, Großbritannien 1980; Regie: David Lynch.)

A Night to Remember

„Too many people from this shipyard lost their lives that night and too many others as well. Why should we help to make an entertainment out of it.“

Auch wenn man wohl annehmen darf, dass es nicht alleine Pietät war, die große Schiffsreedereien wie Harland and Wolff und Shaw Savill Shipping davon abhielt, die Dreharbeiten zu „A Night to Remember“ zu unterstützen, denn auch in wirtschaftlicher Hinsicht lag es kaum in ihrem Interesse, dass die Geschichte der RMS Titanic Jahrzehnte nach ihrem Untergang durch eine erneute Verfilmung wieder ins Bewusstsein der Menschen gebracht wurde, so ist diese Haltung angesichts von nur etwas über 700 Überlebenden und um die 1500 Toten wohl durchaus nachvollziehbar.

Der Verdacht, dass es bei diesem Film in erster Linie um Spannung und Unterhaltung gehen würde, lag auch schon deshalb nahe, weil das britische Produktionsstudio Rank mit Roy Ward Baker einen ehemaligen Regieassistenten von Alfred Hitchock als Regisseur verpflichtet hatte (der im Anschluss an dieses Projekt eine ganze Reihe von Horrorfilmen für das Hammer Studio drehen sollte), und mit dem Drehbuch Eric Ambler beauftragt wurde, der damals bereits als Schriftsteller und Filmproduzent von Thrillern und Krimis bekannt war. Beide, Ambler und Ward, hatten in diesem Genre auch schon gemeinsame Filme vorzuweisen.

Andererseits basierte das Skript zu „A Night to Remember“ auf dem gleichnamigen Sachbuch von Walter Lord, der im Zuge seiner Recherche 64 Überlebende zu den Ereignissen befragt hatte. Darüber hinaus war es dem Filmstudio gelungen, noch eine ganze Reihe weiterer Augenzeugen zu finden und zur Mitarbeit zu bewegen. Dennoch, zwischen dem historischen Ereignis und dem Erscheinen des Buches, bzw. dem Drehbeginn des Films lagen immerhin 43 bzw. 46 Jahre.

Entsprechend Vieles im Film stimmte dann auch nachweislich nicht mit den historischen Gegebenheiten überein. So wird zum Beispiel in einer der frühen Szenen des Films die Schiffstaufe der Titanic gezeigt: ganz klassisch mit Ansprache und Sektflasche, die so aber nie stattgefunden hat. Auch werden im letzten Drittel des Films Szenen von Chaos und Panik während des Untergangs mit einem verlassenen Kinderspielzimmer gegengeschnitten, das es ebenfalls nicht an Bord gegeben hatte. Überhaupt sind in der IMDb im Kapitel „Goofs“ eine ganze Reihe von sachlichen Irrtümern und Anachronismen aufgelistet, während man andere Details zur Entstehungszeit des Films noch gar nicht kennen konnte, da sich manche der Vorgänge beim Versinken des Schiffes erst nach der Entdeckung und Untersuchung des Wracks im Jahre 1985 rekonstruieren ließen.

Dennoch gilt „A Night to Remember“ bis heute von allen Titanic-Verfilmungen als jene, bei der man sich am erfolgreichsten um Realitätsnähe bemühte und dabei vergleichsweise wenig auf inszeniertes Drama und emotionsgeladene Szenen setzte. Ganz anders, als der bis heute beim Publikum und finanziell erfolgreichste Film zum selben Thema, auch wenn dessen Regisseur betonte, dass „A Night to Remember“ als Vorbild für seinen eigenen Film diente, wobei seine Fehlerliste in der IMDb allerdings zehnmal so viele Einträge aufweist.

Sollten sich aber in Zukunft tatsächlich noch einmal Filmemacher an dieses Thema begeben, so ist – egal ob es sich um eine möglichst exakte Darstellung des Geschehens, oder hemmungsloses Schwelgen im Kitsch handelt – nicht mehr mit allzu viel Erkenntniszuwachs zu rechnen, denn heute, 100 Jahre nach den Ereignissen, ist mit Sicherheit keiner der Augenzeugen mehr am Leben.

(A Night to Remember, Großbritannien 1958; Regie: Roy Ward Baker.)

Hero

„Wenn man sich nach einigen Jahren an Hero erinnert, dann wird man sich an die Farben erinnern. Man wird sich an zwei Frauen in einem Meer von goldenen Blättern erinnern, die in roter Kleidung durch die Luft tanzen. Man wird sich an zwei Männer erinnern, die auf einem spiegelglatten See ihre Schwerter nutzen, um ihre Traurigkeit auszudrücken.“

Vielleicht sollte man diesen Worten des Regisseurs Zhang Yimou der besseren Anschaulichkeit halber noch hinzufügen, dass allein die erwähnte See-Szene fast drei Wochen in Anspruch nahm, weil er darauf bestand, nur bei absolut ruhiger Wasseroberfläche zu drehen, was bei diesem speziellen See nur an zwei Stunden pro Tag der Fall war, und dass für die andere erwähnte Szene der goldenen Blätter, zunächst abgewartet werden musste, bis die tatsächlichen, in der Natur vorhandenen, nicht etwa am Computer digital eingefärbten, Blätter sich gelb färbten. Als es soweit war, wurden eigens Blattsammler angeheuert, deren alleinige Aufgabe darin bestand, ausreichend Blätter der richtigen Farbe einzusammeln, die dann in vier Kategorien sortiert wurden, um entsprechend ihrer Farbe, Frische und Sauberkeit, zum Einsatz zu kommen.

Für die, ebenfalls in dieser Szene zu sehende, rote Kleidung musste wiederum ein spezieller roter Farbstoff aus England importiert werden, nachdem zahlreiche, von der Kostümbildnerin Emi Wada vorgeschlagene Proben vom Regisseur verworfen worden waren, da sie nicht exakt seiner Vorstellung entsprachen – Emi Wada durfte sich also zusätzlich zur Auswahl der Stoffe und dem Design der Kleider auch mit dem Einfärben derselben befassen. Und es blieb nicht nur bei Stoffen: mehr als 300 Pferde wurden ebenfalls schwarz eingefärbt, da sie so angeblich eher den ‚historischen Vorgaben‘ (will meinen: den farblichen Vorstellungen des Regisseurs) entsprachen, während wir von den ungefähr 18000 eingesetzten Statisten zwar annehmen dürfen, dass sie nur eingekleidet und nicht auch umgefärbt wurden, aber auch hier waltete Perfektionismus: zum Beispiel wurden alle der unüberschaubar vielen Soldaten der Qin-Armee von tatsächlichen Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee dargestellt.

Man könnte immer so weitermachen: Mit Jet Li und Donnie Yen wurden zwei Martial-Arts-Legenden angeheuert, wobei nicht nur deren Action-Szenen vom eigens dafür hinzu geholten Martial-Arts-Action-Szenen-Guru Siu-Tung Ching choreographiert wurden, der von „A Chinese Ghost Story“ über diverse Jet Li-Filme bis zu „House of the Flying Daggers“ mittlerweile so ziemlich alle Varianten des Wuxia durchgespielt hat. Die bereits erwähnte japanische Kostümbildnerin Emi Wada hatte schon die Kostüme für Akira Kurosawas Ran entworfen und neben vielen anderen Auszeichnungen hierfür den Oscar erhalten, während sich Zhang Yimou von Wong Kar-Wai nicht nur den ebenfalls zigfach ausgezeichneten Kameramann Christopher Doyle auslieh, sondern auch Maggie Cheung Man-Yuk und Tony Leung Chiu-Wai, die zu den ganz großen Stars, nicht nur des chinesischen Kinos, zählen und hier auch nicht zum ersten Mal ein Liebespaar geben.

Kein Wunder also, dass Hero diesen Film hier als teuersten chinesischen Film aller Zeiten ablöste und den Titel bis heute verteidigen konnte. Nur, dass es eben bei aller Schönheit der Bilder in beiden Filmen, dem Regisseur Chen Kaige gelungen ist, seinem Film eine eindeutige politische Aussage mitzugeben, während die von Zhang Yimou gedrehte, deutlich abstraktere Behandlung desselben Themas zu vollkommen unterschiedlichen Interpretationen hinsichtlich der politischen Aussage führte.

(Hero, China 2002; Regie: Zhang Yimou.)