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The Terrorizers

Vierzehn Jahre vor seinem letzten Film erschien The Terrorizers von Edward Yang. Es war sein dritter in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch realisierter Film und zu diesem Zeitpunkt steckte er schon mitten in jener Bewegung, die unter dem selbstbewussten und programmatischen Namen ‚Taiwan‘s New Cinema‘ stattfand.

Denn gemeinsam mit Edward Yang waren Anfang der 1980er eine ganze Reihe von hoffnungsvollen jungen Filmemachern und Drehbuchautoren in Taipeh angetreten, um ihre Vorstellung eines neuen Kinos zu verwirklichen: die Regisseure und Schauspieler Hou Hsiao-hsien und Wu Nien-jen zum Beispiel gehörten zu diesem Kreis, aber auch die Schriftstellerin Chu Tien-wen, deren Romanvorlagen und Drehbücher oft verfilmbares Material lieferten.

Neu daran waren zunächst einmal ihre Art zu erzählen und der angestrebte Realismus ihrer Filme. Ein wenig zeigte man sich hier wohl, wie später auch an anderer Stelle im chinesischsprachigen Kino, vom italienischen Neorealismus beeinflusst. Jedenfalls ging es nicht um Pathos und großes Drama und populäre Stars, sondern die Filmemacher versuchten so nah wie möglich an das Leben der Menschen in Taiwan, sei es in den Großstädten oder auf dem Land, heran zu kommen.

Ein in diesem Umfeld entstandener Film ist The Terrorizers. Anfangs erinnert er noch an Blow up von Michelangelo Antonioni, was ganz sicher kein Zufall, sondern Absicht ist, doch bald entwickelt er sich in eine andere, ganz eigene Richtung, so, wie die verschiedenen Erzählstränge der Geschichte, die anfangs nur parallel nebeneinander herlaufen, schließlich aber doch ein komplexes Gefüge ergeben. Angereichert wird die Handlung zudem durch viele kleine originelle Ideen und bisweilen selbstironische Hinweise, seien es mündliche auf japanische Horrorfilme oder optische, wie zum Beispiel Vergrößerungen, die aus vielen Einzelteilen bestehen und durch Windzug in Bewegung geraten.

Hinzu kommt ein Bildaufbau, der oft durch sich wie von selbst ergebende Rahmen strukturiert wird sowie eigenwillige Kameraschwenks, Bildausschnitte und -Übergänge, die dem Film einen ganz eigenen Stil geben, der, auch wenn man an den Frisuren und der Kleidung einiger Personen die 80er Jahre ablesen kann, ansonsten zeitlos wirkt.

(The Terrorizers, Taiwan 1986; Regie: Edward Yang.)

 

The Story of Qiu Ju

Mittlerweile hat sich Zhang Yimou, der bei den Olympischen Spielen im Sommer 2008 sowohl bei der aufwendig gestalteten Eröffnungs-, als auch bei der ebenfalls groß angelegten Abschlussfeier in Beijing die Regie führen durfte, ganz offensichtlich mit Zensur und Politik in seinem Heimatland China arrangiert.

Dies war zu Beginn seiner Karriere noch anders, gleich nach Abschluss seines Studiums an der Filmakademie von Beijing hatte er sich gemeinsam mit seinem Kommilitonen Chen Kaige in die Provinz abgesetzt, um dort diesen Film zu drehen, und bei vielen seiner späteren Arbeiten, bei denen er dann nicht mehr nur die Kamera, sondern auch die Regie führte, kam es immer wieder zu Differenzen mit den chinesischen Behörden, die wiederum regelmäßig Aufführungsverbote für seine Filme in China nach sich zogen. Was ihn aber andererseits auf internationalen Festivals vielleicht umso mehr zum gerne gesehenen und gefeierten Gast machte.

Jedenfalls hatte er, als er sich Anfang der 1990er daran machte, die Geschichte einer Frau zu verfilmen, die sich auf einen langen Weg durch die behördlichen Instanzen in China macht, im Hinblick auf dieses Thema, bereits reichlich eigene Erfahrung gesammelt. Dennoch geriet Qui Ju Da Guansi (Die Geschichte der Qiu Ju) keineswegs zu einer Abrechnung oder Anklage. – Traf aber dafür ziemlich genau den Geschmack und die Erwartungen der westlichen (Festival-) Zuschauer, oder doch zumindest der Kritiker und Jury-Mitglieder, die vor allem jene Teile des Films lobend hervorhoben, die den mit einer Handkamera aufgenommenen Alltag auf den Straßen von Chinas Städten zeigten, was vielleicht auch ein wenig damit zu tun hatte, dass sie ähnliche Bilder bereits von Michelangelo Antonioni kannten.

Zhang Yimou aber war es dieses Mal anscheinend endlich gelungen, es allen recht zu machen: auf den internationalen Festivals wurde er gefeiert und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Löwen in Venedig, und auch im Heimatland wurde sein Film mit wohlwollender Billigung der Behörden aufgeführt. Ein Konzept, dass er einige Jahre später, in einer etwas anderen Variante, diesmal nicht ganz unumstritten, aber mit dem selben Ergebnis, wieder erfolgreich anwenden sollte.

(The Story of Qiu Ju, China 1992; Regie: Zhang Yimou.)

Chung Kuo

„…und China ist Chung Kuo, das Reich der Mitte, eine der antiken Wiegen der Weltzivilisation. (…) und es sind sie, die Chinesen, die die Protagonisten unseres Filmes sind. Wir behaupten nicht, dass wir China verstehen. Alles was wir beabsichtigen ist, eine große Sammlung zu präsentieren, an Gesichtern, Gesten und Gewohnheiten. Als wir aus Europa ankamen, erwarteten wir, Berge und Wüsten zu erkunden, aber tatsächlich ist der größte Teil von China noch immer unerreichbar und der Zutritt verboten. Dennoch, in einer Art politischem Ping-Pong, haben die Chinesen einige Türen geöffnet, wenn auch stets begleitet von unseren Führern, die uns mit unnachgiebiger Beharrlichkeit davon abhielten, einen Schritt vom vorgeschriebenen Wege abzugehen.“

Im Jahr 1972, während in China die „Proletarische Kulturrevolution“ tobte, erhielt der italienische Filmemacher Michelangelo Antonioni, der sich selbst als marxistischen Intellektuellen bezeichnete, eine offizielle Einladung nach China, um dort eine Dokumentation über die Volksrepublik zu drehen. Die politischen Ereignisse in China waren in Europa – entsprechend der jeweils eigenen politischen Ausrichtung – mit Zustimmung oder Ablehnung aufgenommen worden, tatsächlich aber wusste man nicht viel darüber, da China selbst sich seit Jahren verschlossen gab und nur wenig nach außen dringen ließ.

Umso größer also das Interesse an authentischem Material, aber auch die Verantwortung, China im rechten Licht zu zeigen, nicht zu beschönigen, aber ebenso wenig zu verurteilen. Antonioni, der sich in seinen bisherigen Filmen meist zurückhaltend, aber durchaus kritisch mit dem ‚westlichen‘ Lebensstil auseinander gesetzt hatte und in Interviews von sich sagte, er sehe seine Stärke darin, ohne vorgefasste Erwartungen zunächst einmal aufzunehmen was vorhanden ist und erst bei der Sichtung des fertigen Materials einen Film daraus zu machen, schien für diese Aufgabe der Richtige zu sein.

Allerdings stellte sich bald heraus, dass er und sein Team nicht frei entscheiden konnten, worauf sie die Kamera überhaupt richten durften. Die Reiseroute, die sie mitbrachten, entsprach nicht der Vorstellung ihrer chinesischen Gastgeber, die ihrer Gastgeber nicht der eigenen, und so einigte man sich nach zähen Verhandlungen schließlich auf eine mehr-wöchige Reise mit den Stationen Beijing, Nanjing, Suzhou, Henan und Shanghai.

Da weder Antonioni noch ein anderes Mitglied seines Teams Chinesisch sprach und sie bei ihren Nachfragen auf ihre offiziellen Begleiter angewiesen waren, blieb ihnen nicht viel übrig, als die Kamera auf die Orte und vor allem Menschen zu richten und zu zeigen, was sie sahen. Was in manchen Situationen vollkommen ausreichend war, um beeindruckendes Material zu erhalten – so waren Antonioni und sein Team die ersten westlichen Filmemacher, die die Erlaubnis erhielten, in der „Verbotenen Stadt“ zu filmen, oder bei der vielleicht etwas drastischen Szene eines Kaiserschnitts mit Akupunktur-Anästhesie – aber an anderen Stellen eher hilflos wirkt.

Das Ergebnis waren viele Stunden Filmmaterial, die auf 220 Minuten zusammengeschnitten und unter dem Titel „Chung Kuo – Cina“ in drei Teilen im italienischen Fernsehen gezeigt wurden sowie eine zweistündige Fassung mit dem Titel „Antonionis China“, die 1973 in Frankreich in die Kinos kam und im europäischen und amerikanischen Fernsehen gezeigt wurde, unter anderem auch 1974 vom WDR.

In China allerdings wurde Antonionis Dokumentation zunächst nicht gut aufgenommen – Mao und seiner damals noch sehr einflussreichen letzten Ehefrau, Jiang Qing, hatte er dermaßen missfallen, dass sie nicht nur seine Ausstrahlung verboten, sondern Antonioni darüber hinaus eine anti-chinesische Haltung vorwarfen und ihn als Konterrevolutionär bezeichneten, zudem erschien 1974 in einer Beijinger Zeitung ein Artikel, der ausführlich gegen Antonionis Film Stellung bezog.

Erst 30 Jahre nach seiner Entstehung, im Jahr 2002 wurde er zum ersten Mal offiziell in China vor Publikum gezeigt: im Rahmen einer Veranstaltung, die in der Beijing Film Akademie stattfand, um Michelangelo Antonioni zu ehren.

(Chung Kuo, Italien 1972; Regie: Michelangelo Antonioni.)

Blow Up

Bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards, die ja nun auch schon bald wieder ansteht, gibt es die schöne Tradition der Dankesrede, die, je nach mentaler Verfassung des oder der Geehrten, gerührt, verheult oder zudringlich ausfallen, manchmal Ansätze von Hysterie, Größenwahn oder auch Erkenntnis zeigen und gelegentlich mit intimen Outings, Liebesschwüren oder politischen Statements angereichert werden. Als Michelangelo Antonio 1995 seinen Ehren-Oscar entgegen nahm, machte er es kurz: „Grazie.“

Um einiges ausführlicher konnte Antonioni hingegen werden, wenn er über seine Filme sprach:

„I always try to follow a certain pattern and work without thinking of the audience. It is not that I dislike my audience; I am not an intellectual, but I believe that films should not be made to entertain the audience, earn money or achieve popularity. I think that films should be made to be as good as possible. And it seems to me that this is the best way to work and to be trustworthy in the world of cinema.“

Oder:

„What happens to the characters in my films is not important. I could have them do one thing, or another thing. People think that the events in a film are what the film is about. Not true. A film is about the characters, about changes going on inside them. The experiences they have during the course of the film are simply things that ‘happen to happen’ to characters who do not begin and end when the film does. In Blowup (1966), a lot of energy was wasted by people trying to decide if there was a murder, or wasn’t a murder, when in fact the film was not about a murder but about a photographer. Those pictures he took were simply one of the things that happened to him, but anything could have happened to him: he was a person living in that world, possessing that personality.“

Und:

„By developing with enlargers things emerge that we probably don’t see with the naked eye. The photographer in Blowup (1966), who is not a philosopher, wants to see things closer up. But it so happens that by enlarging too far, the object itself decomposes and disappears. Hence there’s a moment in which we grasp reality, but then the moment passes. This was in part the meaning of Blowup.“

Noch sehr viel wortreicher kann es bisweilen werden, wenn andere über Antonionis Filme reden oder schreiben, weshalb hier nur noch rasch erwähnt sei, dass die Musik von Herbie Hancock stammt, David Hemmings, Vanessa Redgrave und Jane Birkin hier ihre ersten nennenswerten Rollen spielen, während die damals schon recht bekannte Veruschka von Lehndorff sich einfach selbst darstellt, dass die Yardbirds einen Auftritt mit Jimmy Page und Jeff Beck vor lethargisch-unbewegtem Publikum haben und dass der Film bei professionellen wie Amateurfotografen einen Nikon F-Hype auslöste.

(Blow Up, Großbritannien 1966; Regie: Michelangelo Antonioni.)