Monthly Archives: June 2012

On the Beat

Polizeialltag zum Zweiten: diesmal ist es kein heißer Sommer in Tokyo, sondern wir schreiben das Jahr des Hundes in Beijing und es ist ein kalter, meist grauer Winter, voll mit Routine und Langweile. Aber anders als die japanischen Ermittler im Jahr 1949, die sich noch zu Fuß die Hacken ablaufen müssen, erledigen die chinesischen Polizisten Mitte der 1990er ihren uniformierten Streifendienst immerhin schon per Fahrrad.

Der chinesische Titel dieses Films, 民警故事, bedeutet übersetzt so viel wie ‚Volkspolizei Geschichte(n)‘, was ebenso wie sein englischer Titel, ‚On the Beat‘, unter dem er auf internationalen Festivals lief, und den man ins Deutsche mit ‚Auf Streife‘ übersetzen kann, den Inhalt des Films ganz zutreffend wieder gibt. Entsprechend werden wir gleich zu Beginn ausführlich mit den vielfältigen Pflichten eines Streifen-Polizisten in Beijing vertraut gemacht und natürlich erfüllen diese Staatsbeamten nicht nur gewissenhaft ihre Aufgaben, sondern haben darüber hinaus auch ganz konkrete Vorstellungen, was in China alles so schief läuft und ebenso praktische wie leicht umsetzbare Vorschläge, es besser zu machen („…hier ist ein ehemaliger Fürstenhof, wo sich während der Kulturrevolution eine Tischlerei breit machte. Jetzt steht er unter Denkmalschutz und verwahrlost.“ – „Abreißen und ein Hochhaus hin bauen.“).

Wobei diejenigen, die uns dies vermitteln, sich in der Sache auskennen, denn zwar sind alle Darsteller als Schauspieler Amateure, aber im richtigen Leben echte Polizisten bzw. Bewohner des Bezirks. Was wohl damit zu tun hat, dass Regisseurin Ning Ying zwar gemeinsam mit Zhang Yimou, Chen Kaige und den anderen Filmemachern der sogenannten 5. Generation die Beijing Film Akademie besucht hatte, danach aber nach Italien ging, um am Centro Sperimentale di Cinematografia zu studieren, wo sie den Italienischen Neorealismus und Bernardo Bertolucci kennen lernte. Beiden konnte sie offensichtlich einiges abgewinnen: Letzteren unterstützte sie 1987 als Regieassistentin in China bei den Dreharbeiten zu The Last Emperor, aber während dieser wohl den Monumentalfilmen zugerechnet werden darf, entsprechen ihren eigenen Arbeiten als Regisseurin tatsächlich eher dem Neorealismus.

In diesem Sinne geht es hier nicht um die große Tragödie und es ist auch nichts auf Hochglanz poliert, keine hochbezahlten Star-Schauspieler geben harte Kerle, die sich durch Geschichten von Verrat und Gewalt ballern. Dementsprechend steht auch nicht zu befürchten, dass On the Beat, anders als zum Beispiel dieser Film hier, jemals von Hollywood nachverfilmt und mit Oscars überhäuft wird.

Aber viele kleine Dramen gibt es auch hier – und ausgesprochen einsatzfreudige Verfolgungsjagden.

(On the Beat, China 1995; Regie: Ning Ying.)

Nora Inu

Es ist heiß in Tokyo, im Sommer 1949. Der Polizeialltag ist ohnehin mühsam genug und wird durch die Hitze nicht leichter. Der Tag war lang, der Weg nach Hause ist es auch, der Bus ist völlig überfüllt mit schwitzenden Menschen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, jemand nutzt seine Chance und die Dienstwaffe ist gestohlen – eine gerade in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt besonders seltene und wertvolle Ware. Für den jungen Polizisten kann es das Ende seiner Karriere bedeuten, aber nicht nur dies, auch das Gefühl, dass es in seiner Verantwortung liegt, was nun mit der Pistole geschieht, treibt ihn an, sich auf die Suche nach Dieb und Waffe zu machen.

Fünf Jahre bevor Regisseur Ishiro Honda diesen Zeitgenossen auf Tokyo los ließ, war er noch hoch geschätzter Erster Regie-Assistent von Akira Kurosawa. Und als solcher lieferte er für Kurosawas Film Nora Inu (Stray Dog), ganz wesentliche Szenen: Gemeinsam mit Kameramann Kazuo Yamada war Honda in jene Viertel von Tokyo gegangen, die damals als gefährlich und teilweise von Yakuza beherrscht galten, um dort zu filmen. Größere Gruppen, womöglich noch mit Schauspielern wären hier nur unangenehm aufgefallen und so kam es, dass in jenen Szenen, die den Hauptcharakter Murakami, eigentlich dargestellt von Toshiro Mifune, von der Taille abwärts zeigen, tatsächlich meist Honda zu sehen ist.

Ebenfalls zu sehen ist das Tokyo der Nachkriegszeit, vor allem aber die Menschen, die dort leben und weiterhin versuchen klar zu kommen – die einen, indem sie erfüllen, was sie für ihre Pflicht halten, die anderen auf anderen Wegen. Bei seinen Ermittlungen wird unser Held von seinem älteren und erfahrenen Kollegen Sato begleitet und schon diese beiden, obwohl sie gut miteinander auskommen, haben völlig verschiedene Perspektiven auf das Geschehen und seine Ursachen – sind es in erster Linie die Umstände, die das Handeln der Menschen bestimmen, oder liegt eben doch das meiste in der persönlichen Verantwortung? – Themen, die so schon schwierig genug sind, wenn es nicht auch noch so unerträglich heiß wäre.

Und Themen, die fast fünfzig Jahre später in derselben Stadt von einem anderen japanischen Regisseur ganz anders behandelt werden.

(Nora Inu, Japan 1949; Regie: Akira Kurosawa.)

Mimic

„Can I eat it or will it eat me?“ diese Frage stand nicht nur im Drehbuch zu Mimic, sondern sie stellte sich Regisseur Guillermo del Toro bei den Dreharbeiten möglicherweise auch selbst, denn einer der Produzenten, Bob Weinstein, tauchte angeblich regelmäßig am Set auf, um zusätzliche Szenen einzufordern, seine vielfältigen kreativen Ideen einzubringen und überhaupt allen Beteiligten so gut wie möglich auf die Nerven zu fallen. Da Bob Weinstein der Bruder von Harvey ist (die andere Hälfte der Produktionsfirma Miramax), dem es ungefähr zur gleichen Zeit sogar gelang, Hayao Miyazaki so weit zu treiben, dass er zur Waffe griff, kann man sich gut vorstellen, was del Toro zu leiden hatte.

Ob er dann ebenfalls zu drastischen Maßnahmen griff, um sich die Weinsteins vom Leibe zu halten, ist zwar nicht überliefert, wohl aber, dass er es später ablehnte, noch einmal mit den Brüdern zusammenzuarbeiten und schließlich sogar so weit ging, sich vom ganzen Projekt zu distanzieren. Als allerdings sein eigener, Jahre lang angekündigter, Directors Cut 2011 endlich erschien, kam so mancher nach eingehendem Vergleich beider Fassungen durchaus zu dem Ergebnis, dass er den Film damit nun auch nicht wirklich aufgewertet hatte.

Das alles ist sehr schade, denn Mimic, zumindest in der Fassung von 1997, ist eigentlich ein gelungener Beitrag zum Genre, mit Anspielungen und Verweisen, aber auch neuen Ideen, die stilvoll in Szene gesetzt wurden. Zwischen ihm und dem ersten Big Bug-Film liegen 43 Jahre und eine ganze Menge Filme, die das Kino mit Krabbel-Getier aller möglichen Spezies belebten, und eine lange Zeit, in der natürlich auch die Special Effects, Animations- und Pyrotechnik, zum Beispiel, weiterentwickelt wurden.

Aber auch die Bugs hatten ausreichend Zeit, ihre Fähigkeiten auszubauen. Und auch, wenn sie es an Eleganz und Behändigkeit mit diesem Einzelgänger, aber Spitzenreiter ihrer Zunft nicht wirklich aufnehmen können, setzen sie hier sehr effektiv auf Zusammenarbeit und Strategie. Denn längst geben sie ihre Absichten nicht mehr gleich zu erkennen und tragen ihre Kämpfe auch nicht offen und draußen aus, sondern es geht gleich hinein und hinunter, ins Dunkle, wo sie gelernt haben, sich anzupassen und den richtigen Moment abzuwarten, denn auch sie scheinen zu wissen: „Evolution has a way of keeping things alive.“

(Mimic, USA 1997; Regie: Guillermo del Toro.)

Tarantula

Hatten wir es in diesem Film noch mit recht groß gewachsenen Ameisen zu tun, so handelt Tarantula, wie der Name schon andeutet, von einer anderen Gattung achtbeiniger Krabbler, allerdings wurde im vorliegenden Fall die Bescherung nicht durch Nuklear-Waffen-Tests verursacht, sondern ist vielmehr auf beste Absichten, nicht zur Vernichtung, sondern zur Rettung der Menschheit zurückzuführen.

Allein, gut gemeint ist, wie so oft, auch hier wieder das Gegenteil von gut gemacht, denn es stimmt zwar, dass anders als die Wüste, die wieder Schauplatz des Geschehens ist, manche Bereiche unseres schönen Planeten bekanntlich nicht so weitgehend menschenleer vor sich hin existieren dürfen, sondern, um es mit den Worten von Professor Gerald Deemer zu sagen: „There are 2 billion people in the world today. In 1975 there’ll be 3 billion. In the year 2000, there’ll be 3,625,000,000!“

Und auch, wenn sich der Professor im Hinblick auf das Jahr 2000 etwas verrechnet hat, denn tatsächlich waren es damals schon fast doppelt so viele Menschen, als in seiner Hochrechnung, Tendenz weiter steigend, so ist die Frage, die sich daraus ergibt – Wie sollen die alle ernährt werden? – natürlich durchaus berechtigt, und der Ansatz: Warum machen wir nicht einfach die vorhandenen Nahrungsmittel etwas größer? – vielleicht grundsätzlich auch gar nicht so falsch. Dumm nur, wenn eben andere Dinge ebenfalls größer werden, zum Beispiel solche, die, wie ja bereits an anderer Stelle anschaulich vorgeführt wurde, schon in relativ kleinem Zustand auf die meisten Menschen ausgesprochen beunruhigend wirken.

Damit dieser Effekt nicht etwa mit zunehmender Größe verloren ging, setzte man hier nicht auf Stop-Motion-Tricktechnik oder steckte Menschen in Monster-Anzüge, und baute auch keine großen, flauschigen, ferngesteuerten Tiere, sondern ließ für die meisten Szenen eine echte Spinne über eine Miniatur-Landschaft krabbeln, womit sicher gestellt war, dass alles, was diese Tiere im richtigen Leben so vielen Menschen extrem unsympathisch macht, auch auf der Leinwand in vollem Umfang erhalten blieb.

Verantwortlich für Idee und Umsetzung des Ganzen war Jack Arnold, der vollkommen zu Unrecht, immer noch gelegentlich als Trash-Filmemacher diffamiert wird, und dass, obwohl selbst in der IMDb über ihn zu lesen ist: „Jack Arnold reigns supreme as one of the great directors of 50s science fiction features. His films are distinguished by moody black and white cinematography, solid acting, smart, thoughtful scripts, snappy pacing, a genuine heartfelt enthusiasm for the genre, and plenty of eerie atmosphere.“

Oder, wie es Dr. Matt Hastings ausdrücken würde: „Well, not many of us look that far in the future, Sir.“

(Tarantula, USA 1955; Regie: Jack Arnold.)