„Dieser Film ging aus einer Begegnung zweier Träume hervor. Dalí hatte mich eingeladen, ein paar Tage bei ihm in Figueras zu verbringen, und als ich dort ankam, erzählte ich ihm, dass ich kurz vorher geträumt hätte, wie eine langgezogene Wolke den Mond durchschnitt und wie eine Rasierklinge ein Auge aufschlitzte. Er erzählte mir seinerseits, dass er in der voraufgehenden Nacht im Traum eine Hand voller Ameisen gesehen habe, und fügte hinzu: ‚Und wenn wir daraus einen Film machten?‘“
So erzählt es Luis Buñuel im Kapitel Un Chien Andalou seiner Erinnerungen „Mein letzter Seufzer“. Dort erfährt man auch, dass das Drehbuch „in weniger als einer Woche nach einer sehr einfachen Regel“ geschrieben wurde: „keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gäbe; die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängen, ohne in Erfahrung bringen zu wollen, warum.“ Kein Wunder also, dass Buñuel nach Abschluss des Drehbuchs feststellte, „dass es sich um einen höchst ungewöhnlichen, provozierenden Film handeln würde, den kein normales Produktionssystem akzeptierte.“ Also leiht er sich Geld von seiner Mutter, und nachdem er die Hälfte davon in verschiedenen Bars in Paris durchgebracht hat, macht er sich an die Dreharbeiten, welche 14 Tage dauern, von denen Dali allerdings die meisten in seinem Atelier damit verbringt, „Pech in die Augen der ausgestopften Eselsköpfe zu gießen“.
Dennoch kam es auf Betreiben von Man Ray 1929 sogar zu einer öffentlichen Premiere, bei der nicht nur die Gruppe der Surrealisten, u. a. Max Ernst, Hans Arp und René Magritte vollständig vertreten waren, sondern auch nahezu die gesamte intellektuelle und kreative Szene von Paris, inklusive Picasso, Le Corbusier, und Cocteau. Buñuel selbst war natürlich einigermaßen aufgeregt und hatte, so behauptet er, sich Steine in die Taschen gelegt, um im Falle eines Misserfolgs das Publikum damit zu bewerfen. Dazu kam es glücklicherweise nicht, der Film war ein Erfolg und zudem noch ein derart dauerhafter, dass er über acht Monate im Kino lief und ständig ausverkauft war, was Buñuel nicht nur Geld einbrachte, sondern auch eine Menge Ärger, denn während die Einen forderten, man solle Un Chien Andalou verbieten, verlangten die Surrealisten eine Erklärung von Buñuel, wie es passieren konnte, dass der als Skandal gedachte Film plötzlich so erfolgreich – noch dazu auch kommerziell! – sein konnte…?
Seither wurde er von vielen Regisseuren zitiert, darunter so unterschiedliche wie Hitchcock (Spellbound 1945 und North by Northwest 1959), Henri-Georges Clouzot (Les Diaboliques 1955), James Cameron (The Terminator 1984), David Lynch (Blue Velvet 1986), Pedro Almodóvar (Mujeres al Borde de un ataque de nervios 1988), Jonathan Demme (The silence of the lambs 1991), Krzysztof Kieslowski (La double vie de Véronique 1991), Andy und Lana Wachowsky (Matrix 1999), Gore Verbinsky (Ring 2002) und Chan-wok Park (Oldboy 2003), um nur einige wenige zu nennen, eine ausführliche, aber vermutlich immer noch nicht vollständige Liste findet sich z. B. hier.
Man sieht also, es lohnt sich durchaus, die 16 Minuten Zeit zu investieren, die Un Chien Andalou dauert, zudem man ihn ganz einfach und legal im Netz anschauen kann, z. B. hier oder hier.
(Un Chien Andalou, Frankreich 1929; Regie: Luis Buñuel.)