Monthly Archives: April 2011

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„Ich wollte einen ehrlichen Film machen. Ohne jede Lüge. Ich glaubte, ich hätte etwas so Einfaches zu sagen. Ein Film, der für alle irgendwie von Nutzen sein könnte, der helfen könnte, für immer alles zu begraben, was wir an Totem in uns tragen. Dabei bin vor allem ich es, dem der Mut fehlt, irgendetwas zu begraben. Und jetzt weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht und hab diesen Turm am Hals. Wer weiß, wieso das alles so gekommen ist. Wann genau habe ich den falschen Weg eingeschlagen? Ich hab halt einfach nichts zu sagen. Und trotzdem möchte ich etwas sagen.“

Ja, Guido Anselmi (Marcello Mastroianni), der bekannte und bislang erfolgreiche Regisseur, steckt in einer Krise. Sein aktueller Film ist eigentlich schon in der Produktion, die Finanzierung steht jedenfalls und auch ein Teil der Kulisse wurde bereits mit großem Aufwand und Kosten errichtet. Nun wollen die Schauspieler ihre Rollen und Anweisungen, wie sie zu spielen sind, der Produzent den raschen Drehbeginn und -Fortschritt, und die Presse Informationen über Inhalt und Bedeutung des Films, ebenso, wie über die politischen und religiösen Ansichten des Regisseurs. Kurz, alle haben Erwartungen, Fragen und Wünsche an ihn, aber: ihm fällt nichts mehr ein. Gut, vielleicht wäre sein Leben etwas einfacher, wenn er ein bisschen weniger egozentrisch und narzisstisch wäre, und wenn er nicht immer alles auf einmal haben wollte, auch im Privatleben, die Ehefrau, die Geliebte, ja eigentlich alle Frauen, oder auch wieder gar keine, weil sie ja doch alle so anstrengend und fordernd sind. Aber er ist nun mal, wie er ist und auf diese Weise kann er weder seinen Film, noch alles andere in den Griff kriegen.

„Nicht vergessen: dies ist eine Komödie“ soll Federico Fellini sich beim Dreh zur Erinnerung an die Kamera gepinnt haben und ganz offensichtlich hat er darauf gehört, denn immer dann, wenn unser Held, der natürlich auch irgendwie Fellini selbst ist, all zu sehr in seiner Schwermut aufgeht, korrumpiert er ihn mit Szenen von skurriler Komik.

Nach seiner eigenen Zählung (sechs Spielfilme, zwei Kurzfilme und einmal Co-Regie) war dies Fellinis Film Nummer otto e mezzo (achteinhalb), daher der Titel, obwohl der Arbeitstitel „La Bella Confusione“ (Die schöne Verwirrung) auch sehr passend gewesen wäre. Fellini führte aber nicht nur die Regie, sondern er schrieb auch das Drehbuch, und legte dabei auch gleich die denkbar härteste Kritik dem Drehbuchautor selbst in den Mund: „Eins ist mir bei der Lektüre des Drehbuches sofort aufgefallen, der Mangel an jeglicher Problematik, oder, wenn Sie so wollen, an einer philosophischen Grundlage. Das macht den Film zu einer Folge von unzusammenhängenden Episoden. Ich will durchaus nicht bestreiten, dass sie sehr unterhaltsam sein können, in ihrem zweideutigen Realismus, aber, man fragt sich, was wollen sie eigentlich, die Autoren? Wollen sie uns zum Nachdenken anregen, oder wollen sie uns Angst einjagen? Die Story enthüllt von Anfang bis Ende eine solche Armut an dichterischen Einfällen, entschuldigen Sie, aber für mich ist sie einer der eklatantesten und erschütterndsten Beweise dafür, dass der Film im Vergleich zu den anderen Kunstformen um 50 Jahre im Rückstand ist. Das Sujet hat nicht einmal den Wert, der manchmal einen avantgardistischen Film auszeichnet, auch wenn es alle seine sonstigen Schwächen aufweist.“

Dies wäre, wollte man es tatsächlich auf 8 ½ beziehen, natürlich unerhört tiefgestapelt, und könnte nur als reine Koketterie verstanden werden. Noch dazu für einen Film, in den Fellini einfach alles hineingepackt hat, sogar eine Rumba tanzende Saraghina und einen steppenden Matrosen!

(8 ½, Italien 1963; Regie: Federico Fellini.)

To be or not to be

„What would Lubitsch have done?“ soll auf einem Schild im Büro von Billy Wilder gestanden haben. Wilder, der selbst für einige der besten Komödien der Geschichte Hollywoods verantwortlich war, war nicht nur ein Freund und Bewunderer von Ernst Lubitsch, sondern hatte auch verschiedene Drehbücher für ihn verfasst. Beide waren in Berlin geboren, lernten sich aber erst nach ihrer Emigration in die USA kennen. Lubitsch hatte seine Karriere als Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin begonnen, wo er ab 1911 unter dem damaligen Intendanten Max Reinhardt engagiert war, ging aber nach ein paar Jahren dazu über, eigene Drehbücher zu verfassen und hauptsächlich als Regisseur zu arbeiten. 1922 siedelte er nach Hollywood über, das er auf einer früheren Reise kennengelernt hatte und dessen finanzielle wie technische Möglichkeiten er deutlich höher einschätzte, als jene, die ihm bisher zur Verfügung gestanden hatten.

Dort spezialisierte er sich bald auf Komödien, und entwickelte den damals schon viel gerühmten, sprichwörtlichen „Lubitsch-Touch“: einen speziellen Witz, der auf Timing und schlagfertigen, raschen Dialogen beruhte, angereichert mit Anzüglichkeiten, die gerne auch ein wenig deutlicher sein durften, aber nie vulgär.

To be or not to be war einer der letzten Filme von Ernst Lubitsch und ist bis heute einer seiner bekanntesten. Er war ebenfalls der größte Film-Erfolg in der Karriere von Hauptdarsteller Jack Benny, der später zu einem der beliebtesten amerikanischen Komiker des 20. Jahrhunderts werden sollte, und der letzte Film von Hauptdarstellerin Carol Lombard, die noch vor der Premiere bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Das Drehbuch wurde von Edwin Justus Mayer nach einer Geschichte von Lubitschs ungarischem Freund Menyhért Lengyel geschrieben und erzählt davon, wie eine Gruppe Theater-Schauspieler sich in Polen zu Beginn des zweiten Weltkrieges recht erfolgreich gegen die Nazi-Besatzer zur Wehr setzt. Als der Film 1942 und damit mitten im Krieg in die Kinos kam, waren einige Kritiker der Ansicht, dies sei keineswegs der richtige Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus, aber auch schon damals gab es viele andere, die meinten, Lubitsch habe mit seiner ganz speziellen Art und Weise durchaus den richtigen Ton getroffen. Ähnlich sah dies wohl nicht nur Mel Brooks, der 1983 seine Neuverfilmung in die Kinos brachte, sondern ganz offensichtlich auch die us-amerikanische Nationalbibliothek, die „Libary of Congress“, die ihn 1996 in das Verzeichnis besonders erhaltenswerter amerikanischer Filme, die „National Film Registry“ aufnahm.

(To be or not to be, USA 1942; Regie: Ernst Lubitsch.)

In the Mood for Love

„Y así pasan los días, y yo desesperando, y tú, tú, contestando, quizás, quizás, quizás?“

Hong Kong im Jahr 1962. Die nach dem Einmarsch der Kommunisten 1949 aus Shanghai geflüchteten Bewohner der Stadt bilden eine eigene, abgeschottete Gemeinschaft, weitgehend ohne Kontakt zur kantonesischen Bevölkerung Hong Kongs, deren Sprache die meisten von ihnen nicht einmal verstehen. Sie wohnen in eigenen Vierteln, wo sie nach ihren mitgebrachten Regeln und Ritualen leben, ihre Lebensmittel in speziellen Läden kaufen, mit denen sie die Speisen der Küche Shanghais zubereiten, ja, sie haben sogar ihre eigenen Kinos, in denen die Filme in ihrer Sprache, Mandarin gezeigt werden. Der Regisseur Wong Kar-Wei stammt selbst aus diesem Milieu, er war 5 Jahre alt, als seine Eltern seine Geburtsstadt Shanghai verließen und nach Hong Kong gingen und es ist diese Zeit und diese spezielle Gesellschaft, die er in seinem Film detailgetreu wiedererstehen lässt.

Nicht alles ist dabei für europäische Zuschauer verständlich, wie er in einem Interview erzählt, manches habe eben bei der Übersetzung gelitten, andere Details würden spezielle Kenntnisse voraussetzen, so z.B. dass die Küche Shanghais sich immer genau nach den Jahreszeiten richte, und man so im Film an den Speisen erkennen könne, ob es März oder Juni ist. Überhaupt: Speisen. Ganz am Anfang sei es eine Geschichte über Essen in drei Kapiteln, von ca. 30 Minuten Länge gewesen, konzentriert auf ein Restaurant und einen Nudel-Shop. Denn auch, wenn Sprache nicht immer einfach zu übersetzen ist, Speisen und Essgewohnheiten, in die richtigen Bilder gefasst, erschließen sich da schon leichter. Ebenso wie Musik, die auch eine wichtige Rolle spielt. Latino-Musik z.B., sei in den 1960ern in Hong Kong sehr populär gewesen und überall in den Restaurants gespielt worden. Aber auch chinesische Oper und Mandarin-Popsongs hört man im Film, eben alles, was damals beliebt war.

Allein die Dreharbeiten dauerten 15 Monate. Zu lang für Christopher Doyle, den bevorzugten Kameramann von Wong Kar-Wei, der nur an einem Drittel des Films beteiligt war. Die beiden Hauptdarsteller hingegen, Maggie Cheung und Tony Leung Chiu Wai, zur Entstehungszeit des Films eigentlich beide schon vielbeschäftigte Stars, blieben die ganze Zeit dabei. Ungewöhnlich, dass Schauspieler sich soviel Zeit für ein Projekt nehmen und verschiedene Dinge ausprobieren, sagt Wong Kar-Wei. Und ausprobiert wurde wohl viel, denn wie immer gab es bei ihm kein Drehbuch, Geschehen und Stimmung wurden vielmehr gemeinsam entwickelt. Zudem gab es nur wenige Dialoge, die Schauspieler waren also weitgehend auf ihre Körpersprache und Mimik angewiesen. Farben, Formen und Musik, Architektur und Mode, alles sorgfältig ausgewählt und zusammengestellt, tun dabei ihr Übriges.

Auch die Zeit, die sich die Beteiligten für den Film genommen haben, ist spürbar: Das Tempo ist langsam, alles sehr ruhig, sagt Wong Kar-Wei, so wie das musikalische Hauptthema, ein langsamer Walzer, der den ganzen Film bestimmt, und wie die beiden Hauptpersonen, die gewissermaßen auch einen langsamen Walzer miteinander tanzen, immer wieder vor und zurück. Vielleicht seien ihm manche Details schöner geraten, als es die Wirklichkeit war, sagt er. Und wahrscheinlich hat er da recht, denn schön ist dieser Film in jeder Hinsicht, aber das hat Kino ja noch nie geschadet.

(In the Mood for Love, Hong Kong 2000; Regie: Wong Kar-Wei.)

Yojimbo

Im Jahr 1964 gelang es Sergio Leone mit Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar) den Western völlig neu zu erfinden. Die Coolness und Unabhängigkeit des namenlosen Helden, einer Spielernatur, die nur ihrer eigenen Moral folgt, aber auch die Brutalität und Grausamkeit des Gezeigten waren so in dem bislang von Hollywood dominierten Genre nicht zu sehen gewesen.

Dumm nur, dass Leones Film von der Verlegung des Schauplatzes einmal abgesehen, die geradezu Szenen genaue Kopie eines drei Jahre älteren japanischen Films war, und dass, sowohl Leone selbst, als auch seine Produzenten, es versäumt hatten, sich mit Fragen des Urheberrechtes zu befassen und eine Erlaubnis für das Remake einzuholen. Dumm auch, da der Regisseur des Originals Akira Kurosawa war, ein zu diesem Zeitpunkt bereits hochberühmter und von vielen anderen Filmemachern verehrter Regisseur, der schnell von der unauthorisierten Neuverfilmung erfuhr. Zuerst wandte er sich persönlich in einem Brief an Leone und als dieser das Vorbild einfach leugnete, zog Kurosawa in Italien vor Gericht. Mit Erfolg: nach jahrelangem Prozess einigte man sich außergerichtlich, und zwar durchaus im Sinne Kurosawas, der 15% der weltweiten Einnahmen und die Verwertungsrechte auf dem asiatischen Markt erhielt.

Leone war nicht der erste, der auf die Idee kam, einen von Kurosawas Samurai-Filmen ins Western-Genre zu übertragen: schon im Jahr 1960 hatte John Sturges mit seinem Film The Magnificent Seven (Die glorreichen Sieben) nach der Vorlage von Kurosawas Shichinin no samurai (Die sieben Samurai) aus dem Jahr 1954, einen Klassiker abgeliefert, während das Remake von Kurosawas Rashomon (1950) als The Outrage unter der Regie von Martin Ritt (und wie Leones Film aus dem Jahr 1964), trotz Edward G. Robinson und Paul Newman als Hauptdarsteller ein Flop wurde.

Aber Leone schaffte es, obwohl er sich in Handlung, Szenen-Abfolge und teilweise bis zu den Kamera-Einstellungen und dem Einsatz von Geräuschen und Filmmusik eng an Yojimbo hielt, doch etwas Neues zu schaffen und damit wiederum ein eigenes Genre, den so genannten „Spaghetti-“ oder „Italo-Western“ zu begründen, der nicht nur viele Fans fand, sondern seinerseits wieder stilbildend wirkte.

Selbstverständlich sind beide Filme sehenswert, Yojimbo wie auch Per un pugno di dollari, ganz besonders im direkten Vergleich: wie aus einem japanischen Dorf in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ein zeitgleiches mexikanisches wird, aus einem namenlosen Samurai ein Revolverheld und aus einer Schale Reis ein Bohnensüppchen. Aber Kurosawas Yojimbo bleibt eben das Vorbild.

(Yojimbo, Japan 1961; Regie: Akira Kurosawa.)