Monthly Archives: July 2011

Silentium

Eine kleine, böse Würdigung der Salzburger Festspiele. Und die zweite von drei Verfilmungen der gleichnamigen Krimis von Wolf Haas. Der erste Teil aus dem Jahr 2000, Komm süßer Tod, und der bislang letzte Teil von 2009, Der Knochenmann, sind auch schön anzuschauen. Alle sind mit Josef Hader, aber nur dieser ist mit Christoph Schlingensief.

(Silentium, Österreich 2004; Regie: Wolfgang Murnberger.)

Leben!

Als Mao Zedong 1966 mit der Kampagne begann, die als chinesische Kulturrevolution in die Geschichte eingehen sollte, war sie angeblich nur für einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr geplant gewesen. Als sie nach seinem Tod im Jahre 1976 langsam ihr Ende fand, war in der chinesischen Gesellschaft nichts mehr wie vorher.

Zu den von der Kulturrevolution direkt Betroffenen gehörte auch die Familie von Zhang Yimou. Sein Vater war Dermatologe, aus der Perspektive der regierenden Kommunistischen Partei ein Angehöriger der falschen gesellschaftlichen Klasse und hatte, ebenso wie einer seiner Brüder und einer seiner Söhne schon im chinesischen Bürgerkrieg auf der falschen Seite gestanden. So wurde Zhang Yimou, wie viele andere, statt die Schule zu beenden, zur Arbeit aufs Land und in eine Fabrik geschickt. Später sagte er über diese Zeit:

„The Cultural Revolution was a very special period of Chinese history, unique in the world. It was part of my youth. It happened between when I was 16 and when I was 26. During those 10 years, I witnessed so many terrible and tragic things. For many years, I have wanted to make movies about that period – to discuss the suffering and to talk about fate and human relationships in a world which people couldn’t control and which was very hostile. I would like to make not just one but many movies, both autobiographical and drawing on other people’s stories. I’ll just have to wait.“ ( IMDb, Yimou Zhang, Personal Quotes)

Und tatsächlich schaffte er es nach dem Ende der Kulturrevolution, seinem familiären Hintergrund zum Trotz, und obwohl er das Zulassungsalter schon überschritten hatte und ihm überdies auch die nötige akademische Qualifikation fehlte, 1978 an der gerade erst wieder eröffneten Bejing Film Akademie angenommen zu werden. Dort machte er 1982 seinen Abschluss, gleichzeitig mit Tian Zhuangzhuang, Chen Kaige, Zhang Junzhao und anderen, die gemeinsam als sogenannte Fünfte Generation das Kino in China grundlegend verändern und darüber hinaus auch internationale Anerkennung erringen sollten. Schon der erste Film von Zhang Yimou (Rotes Kornfeld) wurde auf der Berlinale von 1988 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Seine nächsten Filme waren für den Oscar nominiert (Ju Dou und Rote Laterne), oder erhielten den Goldenen Löwen von Venedig (Die Geschichte der Qiu Ju). Überhaupt ist er seit Beginn seiner Arbeit als Filmemacher ständig auf internationalen Film-Festivals vertreten, gerne auch mal als Mitglied der Jury.

Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb, hatte Zhang Yimou, ebenso wie die anderen Filmemacher seiner Generation, mit der chinesischen Staatsbehörde für Radio, Film und Fernsehen zu kämpfen. Und auch, wenn sich sein Verhältnis zu Regierung und Zensurbehörde in China anscheinend mittlerweile deutlich entspannt hat – immerhin war Zhang Yimou 2008 hochoffiziell mit der Regie der Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Bejing betraut – war dies nicht immer so, denn während z.B. sein Film Leben! unter anderen internationalen Auszeichnungen im Jahr 1994 den Großen Preis der Jury in Cannes und 1995 den British Academy Award erhielt, durfte er in China nicht öffentlich gezeigt werden.

(Huozhe, Volksrepublik China & Hong Kong 1992; Regie: Zhang Yimou.)

Der Mann mit der Kamera

Es beginnt mit viel Text in russischen Buchstaben (und im Falle der hier besprochenen Version, auch mit der Übersetzung ins Englische, die da lautet):

„Man with a Movie Camera/A6 reel record on film/Produced by VUFKU in 1929/ATTENTION VIEWER:/This film is an experiment/in cinematic communication of real events/Without the help of Intertitels/Without the help of a story/Without the help of theatre/This experimental work aims at creating a truly international language/of cinema based on its absolute separation/from the language of theatre and literature“

Man sieht, der Regisseur Dziga Vertov meint es ernst, mit dem Film und dem Kino. Was dann aber kommt, ist eine schnelle und abwechslungsreiche Abfolge von durchaus unterhaltsamen Bildern und Szenen, eingefangen mit nahezu allen damals zur Verfügung stehenden Aufnahmetechniken plus noch ein paar mehr, die der Filmemacher bei dieser Gelegenheit einführte. Nicht nur deshalb gilt er bis heute als wegweisend, darüber hinaus ist er ein schönes Dokument seiner Zeit, nichts wurde von Schauspielern gestellt, versicherte der Regisseur, alle sind echt und stellen nur sich selbst und ihre tatsächliche jeweilige Tätigkeit dar.

Das alles ist zudem so gut gelungen, dass es über die Jahre hinweg zahlreiche Musiker veranlasst hat, eine Filmmusik zu komponieren. Wie damals üblich, wurde der Stummfilm bei seiner Premiere 1929 ebenso, wie bei den späteren Aufführungen im Kino, zunächst von einem Klavierspieler begleitet. Die Anweisungen, die Dziga Vertov dazu geschrieben hatte, nahm z. B. der norwegische Ambient-Musiker Geir Jenssen, Künstlername Biosphere, als Grundlage seiner Version, die 1996 beim norwegischen Tromsö International Festival uraufgeführt wurde und als Musik-CD erschienen ist. Ein paar Jahre später erhielt die britische Jazz/Electronica Band The Cinematic Orchestra den Auftrag, zum Festival der Kulturhauptstadt Porto 2000 ebenfalls eine Filmmusik zu komponieren, die sowohl als Musik-CD, aber auch als DVD mit Film erschien, und im Jahr 2002 gab das British Film Institute eine DVD des Films mit Musik von Michael Nyman heraus. Und dies sind nur drei von vielen weiteren Filmmusiken.

Man kann sich Man with a Movie Camera aber auch ohne musikalische Untermalung bei archive.org ansehen und herunterladen. Vielleicht findet man ja eine passende Musik von entsprechender Länge in der eigenen Sammlung, oder man macht sich eben selbst ans Komponieren.

(Chelovek s kino-apparatom, UdSSR 1929; Regie: Dziga Vertov.)

Lawrence of Arabia

„…denn ich möchte mal wissen, welcher Film auf dieser Welt, einen Oscar erhält, in dem die weibliche Hauptrolle fehlt.“

Marlon Brando hatte ihn spielen sollen, Anthony Perkins oder Montgomery Clift, auch Alec Guiness war im Gespräch für die Hauptrolle, ebenso wie Horst Buchholz und Alain Delon für die wichtigste Nebenrolle – am Ende wurden es aber die damals noch unbekannten Peter O‘Toole und Omar Sharif.

Die Geschichte um die Rolle des Briten beim Aufstand der arabischen Stämme gegen das Osmanische Reich darf man, spätestens nach zahlreichen Wiederholungen im Fernsehen, wohl als bekannt voraussetzen, weniger bekannt ist vielleicht, dass der historische Thomas E. Lawrence als Archäologe in Syrien und Palästina unterwegs war, bevor er zum britischen Geheimdienst ging, wobei sich beide Tätigkeiten schon früh gegenseitig ergänzten.

Berühmt und zum „Lawrence of Arabia“ wurde er aber erst durch den amerikanischen Kriegsberichterstatter, Lowell Thomas der zahlreiche Berichte über ihn in die amerikanischen Zeitungen brachte und nach dem Krieg mit seinen Fotos und Filmmaterial, ergänzt um tanzende Frauen in bunten Kostümen, Räucherwerk und was eben sonst gerade an Exotismen en vogue war, in einer großen Show durch die englischsprachige Welt tourte. Mit spektakulären Reiseberichten ließ sich damals viel Geld verdienen.

Noch mehr Geld ließ sich ca. 40 Jahre später mit Kinofilmen verdienen, vor allem, wenn sich Männer wie der Produzent Sam Spiegel und der Regisseur David Lean des Themas annahmen: Der Film Lawrence of Arabia wurde ein Welterfolg und ist es bis heute, auch wenn der echte Thomas E. Lawrence durch die Darstellung von Peter O‘Toole dermaßen gut weg kam, dass selbst sein eigener Bruder ihn im Film nirgendwo wieder erkennen konnte. Überhaupt war Arnold W. Lawrence, der selbst Klassische Archäologie in Cambridge lehrte, der Ansicht, der ganze Film, der immerhin auf der Autobiographie seines Bruders beruhte, sei von vorne bis hinten reine Fiktion.

Dass es Regisseur David Lean tatsächlich mehr um die Darstellung großer Gefühle, am liebsten vor eindrucksvoller Landschaft, als um wissenschaftliche oder politische Korrektheit bei der Darstellung von historischem Geschehen ging, zeigte sich auch drei Jahre später wieder, als 1965 sein nächstes Großprojekt in die Kinos kam: aber Dr. Schiwago stand immerhin eine weibliche Hauptrolle zur Seite. Genau genommen sogar zwei, von diversen weiblichen Nebenrollen einmal abgesehen, während in Lawrence of Arabia, auf über 3 ½ Stunden Filmlänge Frauen in so gut wie keiner Szene auch nur zu sehen sind und schon gar nicht zu Wort kommen, was ihn bis heute zum vermutlich längsten und erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten macht, in dem Frauen nichts zu sagen haben und die eingangs zitierte Frage der Fantastischen Vier mit ‚nicht nur einen, sondern sieben‘ beantwortet.

(Lawrence of Arabia, Großbritannien 1962; Regie: David Lean.)