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Film as a subversive Art:

L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat

Was den Herrn, von dem dieser Film handelt, weit über die Grenzen New Yorks hinaus bekannt machte, war aber nicht sein Avantgarde-Filmclub, sondern das Buch, das 1974 unter dem Titel Film as a subversive Art in der amerikanischen Originalausgabe erschien und einige Jahre später auf Französisch, Niederländisch und Deutsch.

Mehr als 600 Filme wurden hier von Amos Vogel besprochen, viele davon mit einem Szenenfoto illustriert, und obwohl es mittlerweile längst die technischen Möglichkeiten gäbe, diese Filme allen zugänglich zu machen, ist der bei weitem größte Teil damals wie heute kaum öffentlich zugänglich. Einige wenige sind heute Klassiker, die gelegentlich Gegenstand von Retrospektiven sind, oder neu aufgelegt wurden und manche sind sogar im Internet zu finden.

Einer dieser Filme, und der älteste, auf der Liste von Amos Vogel, ist L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat von 1896. Ein früher Film der Brüder Auguste und Louis Lumière, dessen Aufführung zwar entgegen der schön erfundenen Legende wohl doch nicht dazu führte, dass die Zuschauer in Panik den Vorführraum, in diesem Falle ein Café verließen, der aber wohl auch ohne diese Geschichte als Klassiker der Filmgeschichte gelten darf und den man zur Zeit tatsächlich auch auf Youtube ansehen kann.

Um dies zu würdigen ist das Movie of the Week diesmal nur etwa 50 Sekunden lang, allerdings mit Hinweis darauf, dass einige andere der von Amos Vogel als subversiv empfohlenen Filme an dieser Stelle bereits besprochen wurden: zum Beispiel hier, oder hier, und hier, sowie hier und hier, oder auch hier und hier

Diese, und alle weiteren, die noch hinzukommen, werden von nun an hier zu finden sein.

(L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat, Frankreich 1896; Regie: Auguste und Louis Lumière.)

 

The Hole

Anfang der 1990er, ungefähr zur gleichen Zeit, als in Beijing auf die „Fünfte Generation“ Filmemacher die sechste folgte, gab es in Taiwan ebenfalls nach der ersten Welle des New Taiwanese Cinema, eine zweite und bereits fünf Jahre nachdem überhaupt zum ersten Mal ein Film in chinesischer Sprache in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, konnte nach Hou Hsiao-hsien schon der zweite Filmemacher aus Taiwan diesen Preis entgegen nehmen.

Denn auch wenn Tsai Ming-liang genau genommen in Kuching, Malaysia, geboren und aufgewachsen war, und sich einige Jahre als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur bei TV-Produktionen in Hong Kong betätigte, so drehte er doch bislang die meisten seiner Filme in Taipeh, wo er bis 1982 an der Chinese Culture University Drama und Film studiert hatte.

In diesen, seinen Filmen verzichtet Tsai Ming-liang weitgehend auf Dialoge, setzt aber mit schöner Regelmäßigkeit Räume, am liebsten Küchen, unter Wasser, oder lässt es doch wenigstens draußen ständig regnen, was den praktischen Nebeneffekt hat, dass das Geräusch des ständig strömenden Wassers auch gleich den Soundtrack ersetzt.

Ähnlich wie seine Kollegen von der ersten Welle des Neuen Taiwanesischen Kinos schätzt Tsai Ming-liang auch sehr, sehr lange Einstellungen, in denen zum Beispiel Flure oder Durchgänge gezeigt werden: Menschen bleiben darin stehen, gehen hinein und hinaus, bisweilen pinkeln sie auch, aber die Kamera bewegt sich nicht – manchmal passiert auch gar nichts, oder es wird dunkel, weil eine Frau gerade das Fenster mit Paketband zugeklebt hat.

Damit das Ganze nicht zu symbolisch aufgeladen wirkt, wird es ab und zu durch absurde Sexszenen aufgelockert, in einem seiner bekanntesten Filme zum Beispiel, spielen dabei Wassermelonen eine wichtige Rolle, die allerdings, wie er bereits vorher in einem anderen Film anschaulich vorgeführt hatte, auch gut zum Bowling geeignet sind. Überhaupt zitiert Tsai Ming-liang sich ganz gerne selbst, oder ist doch zumindest darum bemüht, seine eigene Bildsprache zu entwickeln und wiederholt einzusetzen.

Eine weiterer fester Bestandteil seiner Filme ist Lee Kang-sheng, der in allen Filmen von Tsai Ming-liang die Hauptrolle spielt, so auch in The Hole, unterstützt von Yang Kuei-Mei, die man zwar auch aus diesem Film kennen kann, aber eben auch aus zahlreichen anderen Tsai Ming-liang-Produktionen. Überhaupt sind hier viele der typischen Elemente vertreten, aber die langen Einstellungen werden in The Hole zum ersten Mal so konsequent wie abwechslungsreich eingesetzt: apokalyptisches Wasserrauschen in der baufälligen Sperrzone contra 30er Jahre Mandarin-Popsongs mit Federn und Pailletten.

(The Hole, Taiwan und Frankreich 1998; Regie: Tsai Ming-liang.)


I comme Icare

„Diese Geschichte ist vollkommen wahr, weil ich sie von Anfang bis Ende erfunden habe.“ (Boris Vian, L‘Ecume des Jours)

Und da wahr, weil erfunden, spielt die Geschichte in einem fiktiven Staat, dessen Name ungenannt bleibt, auch wenn seine Fahne gewisse Parallelen zur us-amerikanischen aufweist, seine Währung der Dollar ist, und einem die Bilder der ersten Minuten überhaupt sehr bekannt vorkommen. Denn „ohne die Wahrheit gibt es keine Spannung“, wie es bei 1h, 46 min heißt, und so ist es natürlich auch kein Zufall, dass der Name Daslow ein Anagramm auf Oswald ist. Dennoch wird hier auf Doku-Material verzichtet, die Bilder werden nur ungefähr nachgestellt, nur so, dass die Parallele klar wird, aber zu eng soll es nicht werden, denn es handelt sich hier eben nicht um einen ganz speziellen Fall, der nur einmal, in der Vergangenheit stattgefunden hat und damit erledigt ist, sondern um Vorgänge, die so, oder so ähnlich immer wieder vorkommen konnten oder können.

Ganz anders als zum Beispiel bei diesem Film: Gleich zu Beginn werden Original-Szenen der damaligen Nachrichten gezeigt, bis zum Zeitpunkt der Filmpremiere viele Male gesendet und mittlerweile jedem bekannt. Worum es hier geht, ist von Anfang an klar, das Land, die Zeit, die Ereignisse, die Namen des Präsidenten und der handelnden Personen werden genannt, es gibt keine Anspielungen und keine Anagramme. Aber dann verlässt der Film sehr schnell die politische Ebene, um sich Tun und Charakter der Hauptfiguren zu widmen, während die tatsächlichen Geschehnisse völlig in den Hintergrund rücken.

I comme Icare hingegen ist zwar fiktiv, bleibt aber immer an den Ereignissen, wobei auf ein scharf abgegrenztes Gegenüber von Gut (Ermittler) und Böse (Verschwörer) verzichtet wird. Auch wird die Rolle der Medien immer wieder reflektiert, vor allem im Hinblick darauf, welche Bilder gezeigt und was weggelassen wird, zum Beispiel wenn wir das aufgebrachte Publikum der Live-Sendung im Hintergrund aufspringen sehen, während der Monitor im Vordergrund das gesendete Bild zeigt: einen vergleichsweise kontrollierten Moderator, der das Geschehen auf recht distanzierte Weise kommentiert.

Und wenn hier die allgemeine politische Ebene verlassen wird, um die Rolle der Einzelnen zu zeigen, dann nicht mit der beruhigenden Aussage, dass auch kleine Lichter ausreichend Helligkeit gegen große dunkle Verschwörungen erzeugen können, sondern mit eher gegenteiligem Ergebnis, denn der Teil des Films, der ausdrücklich nicht fiktiv ist, bezieht sich auf die Experimente von Stanley Milgram, die sich mit Autoritätshörigkeit und der Bereitschaft zum Gehorsam bei ganz normalen Bürgern in demokratischen Staaten befassten.

(I… comme Icare, Frankreich 1979; Regie: Henri Verneuil.)

The Fifth Element

„Sind Sie… von der Erde?“ versus „Are you Germans?“ – Nein, es sind die Mondoshawan.

Die Geschichte ist weder neu, noch besonders originell: die Erde ist mal wieder in Gefahr, von bösen Mächten zerstört zu werden, und nun wird dringend ein Held gebraucht, der den Planeten rettet. Dass der nun ausgerechnet von Bruce Willis (erster Vorname Walter, Geburtsort Ida-Oberstein) dargestellt wird, ist ebenfalls nicht wirklich ausgefallen und dass hinter kapitalistischem Großunternehmertum auf der Basis von Waffenhandel (und in diesem Falle: einer Taxi-Firma) nur das ultimative Erzböse stecken kann, hatten wir sowieso schon immer geahnt.

Gut und Böse sind hier jedenfalls klar aufgeteilt, der Angreifer ist selbstverständlich übermächtig, und eine sexy Heldin in knapper Bekleidung gibt es auch. Es ist also absolut glaubhaft, wenn Regisseur Luc Besson erzählt, er habe sich die Handlung zumindest in groben Zügen schon als Teenager in der High School ausgedacht. Was derselbe Teenager aber auch tat, war fleißig Comics (pardon: Graphic Novels) zu lesen und das ist es, was den Film wirklich zu etwas Besonderem macht, denn Besson heuerte seine persönlichen Favoriten, zwei der berühmtesten französischen Comic-Autoren an, um den visuellen Stil des Films zu erschaffen: Jean Giraud, alias Moebius und Jean-Claude Mézières. Moebius hatte schon vorher an Filmen mitgewirkt und beide hatten zahlreiche Filme inspiriert, wobei Letzteres aber keineswegs immer honoriert worden war. Die beiden Zeichner kannten sich vom Studium an der Académie des Beaux-Arts in Paris, hatten aber noch nie zusammen gearbeitet und machten sich nun gemeinsam daran, in zahlreichen detaillierten Zeichnungen und Storyboards die Optik der Zukunft zu entwerfen: von Straßenschluchten mit fliegenden Taxis und China-Imbissen über Raumschiffe und Vergnügungsplaneten bis zum Aussehen von Aliens und Menschen, der Apartments in denen sie leben und der Form der Zigaretten, die sie rauchen.

Und da es im Comic ja möglich ist, mit wenigen Strichen, Settings und Ereignisse zu schaffen, deren Umsetzung im Film (zumindest im Jahre 1996 noch), eine sehr teure Angelegenheit werden können, uferte das Ganze bisweilen ein wenig aus: eine der Szenen zeigt z. B. die größte „Indoor-Explosion“, die jemals gefilmt wurde und zudem beinahe außer Kontrolle geraten wäre. Überhaupt war er mit 80 Millionen Dollar allein für die Special-Effects, zu seiner Zeit der teuerste Film, der bis dahin in Europa produziert worden war. Aber auch dort, wo das Medium Comic an seine Grenzen stößt, und der Film seine Möglichkeiten entfaltet, waren Spezialisten am Werk: Mit Thierry Arbogast war jener Kameramann dabei, der bislang am häufigsten für den französischen Filmpreis César nominiert wurde, Jean Paul Gaultier höchstselbst entwarf 954 Kostüme und der Soundtrack stammt von Éric Serra, einem nicht nur von Luc Besson gerne gebuchten Filmkomponisten.

Bei dieser geballten Ansammlung französischer Kreativität konnte es natürlich nicht anders sein, dass „The Fifth Element“ 1997 als Eröffnungsfilm bei den Festspielen in Cannes lief, wo er überwiegend positiv aufgenommen wurde, während nämlich einige wenige Kritiker nach tieferem Sinn und Logik suchten, ließen die anderen sich schlichtweg unterhalten, denn das Ganze ist laut, hektisch, bunt und knallig, und macht einfach Spaß anzuschauen, vor allem Gary Oldman als Nietzsche zitierender („Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“) Ausbeuter-Kapitalist, der selbstgefällige Monologe über Zerstörung als Triebfeder der Ökonomie hält, was im Übrigen eine zwar immer noch beliebte, aber dennoch falsche Argumentation ist, wie schon Frédéric Bastiat wusste.

(The Fifth Element, Frankreich 1997; Regie: Luc Besson.)

La Règle du Jeu

„Das ist auch ein Zeichen unserer Zeit, heutzutage lügt jeder: die Pharmaprospekte, die Regierungen, das Radio, die Filme, die Zeitungen. Also warum sollten einfache Leute wie wir nicht auch lügen?“

Es waren schlimme Zeiten, als La Règle du Jeu (Die Spielregel) 1939 seine Premiere in Paris hatte, Europa stand am Anfang des Zweiten Weltkrieges und die Franzosen erwarteten den Einmarsch der Deutschen – nicht wirklich die richtigen Umstände um feinsinnige Komödien zu würdigen: Das Publikum tobte, buhte und schrie und es ist überliefert, dass einer der Zuschauer gar eine Zeitung in Brand setzte, in der Absicht, das ganze Kino niederzubrennen.

Auch die französischen Behörden hielten Jean Renoirs Film für „kapriziös“ und „demoralisierend“, was Grund genug war, seine Aufführung zu verbieten und dass im kurze Zeit später besetzten Frankreich die Nazis erst recht keinen Grund sahen, ihn wieder freizugeben, dürfte wohl nicht nur daran gelegen haben, dass Renoir 1940 in die USA, nach Hollywood, geflüchtet war, um dort antifaschistische Filme zu drehen.

Erst als nach dem Krieg einzelne Stücke von Kopien des Negativs mühsam wieder zu einer geschlossenen Fassung restauriert wurden – das Original war während eines Bombenangriffs der Alliierten zerstört worden – fand der Film sein Publikum und wurde auch von Regisseuren wie z.B. Francois Truffaut und Jacques Rivette als einer der besten Filme aller Zeiten und großes Vorbild für eigene Arbeiten gefeiert.

Das mit dem Vorbild sah dann viele Jahre später Robert Altman genauso, der mit seinem Film Gosford Park aus dem Jahr 2001 zwar eine im Detail ganz andere Geschichte verfilmte, aber kein Geheimnis daraus machte, dass er Schauplatz und Situation der Geschichte ebenso übernommen hatte, wie einige filmische Techniken, z.B. die ständig bewegte Kamera und den sogenannten ‚deep focus‘, der zur Folge hat, dass das Hintergrundgeschehen ebenso betont wird, wie das im Vordergrund.

Beide Filme erzählen von Jagdgesellschaften auf den Schlössern reicher Adliger, und beide, soviel darf hier wohl noch von der Handlung verraten werden, zeigen die ‚Herrschaften‘ einerseits und die ‚Dienerschaft‘ andererseits, aber während es bei „La Règle du Jeu“ die französische ‚bessere Gesellschaft‘ ist, die nicht eben gut wegkommt, ist es bei „Gosford Park“ die englische Aristokratie, die von Robert Altman noch ein ganzes Stück spöttischer in Szene gesetzt wird.

(La Règle du Jeu, Frankreich 1939; Regie: Jean Renoir.)

Interstella 5555

„We are delighted to be able to share with you one of our childhood dreams, which has now become a reality.“

Vom Toei Animations-Studio in Tokyo war hier bereits in anderem Zusammenhang die Rede. Auch davon, welche Bereicherungen das deutsche Fernsehen ihm in den 70er Jahren zu verdanken hatte. Zwei, die ihre Kindheit anscheinend auch mit Heidi und Captain Future, wenn auch in diesem Falle vor Fernsehern in Frankreich verbracht haben, sind Guy-Manuel de Homem Christo und Thomas Bangalter.

Welche Spuren dies bei den beiden hinterlassen hatte, zeigte sich viele Jahre später, als sie bereits die Mitglieder des Electronic Music Duos Daft Punk waren. Schon für die Single-Auskopplungen ihres Debütalbums Homework von 1997 waren Musikvideos von Michel Gondry (Around the World), Spike Jones (Da Funk) und Roman Coppola (Revolution 909) gedreht worden, was allen drei Stücken einen dauerhaften Platz in der MTV-Rotation sicherte.

Um dies mit ihrem zweiten Album zu toppen, mussten sie sich etwas einfallen lassen: „It was during the early sessions for our second album Discovery that we came up with the notion of an animated musical, mixing science-fiction with the decadent world of show business, limousines with spaceships. So we began, alongside the music, to write the story with our friend and collaborator Cédric-Hervet. As all three of us grew up with the enigmatic, poetic universe of „Albator“, we dreamt of a possible collaboration with Leiji Matsumoto, and in the summer of 2000, we flew to meet him, taking our album and the completed synopsis. In Tokyo, Leiji welcomed us warmly. Enthused when he heard the music, he joined the team right away. At last we are ready to blast off into his baroque intergalactic universe.“

Matsumoto machte aus Discovery einen waschechten japanischen Manga: Interstella 5555. Die Optik erinnert stark an die auch in Europa bekannten Fernsehserien von Toei Animation, die Musik von Daft Punk passt dazu ganz hervorragend und ein dauerhafter Platz für die dem Film entnommenen Musikvideos in der MTV-Rotation war selbstverständlich auch wieder gesichert.

(Interstella 5555, Japan und Frankreich 2003; Regie: Leiji Matsumoto.)

Un Chien Andalou

„Dieser Film ging aus einer Begegnung zweier Träume hervor. Dalí hatte mich eingeladen, ein paar Tage bei ihm in Figueras zu verbringen, und als ich dort ankam, erzählte ich ihm, dass ich kurz vorher geträumt hätte, wie eine langgezogene Wolke den Mond durchschnitt und wie eine Rasierklinge ein Auge aufschlitzte. Er erzählte mir seinerseits, dass er in der voraufgehenden Nacht im Traum eine Hand voller Ameisen gesehen habe, und fügte hinzu: ‚Und wenn wir daraus einen Film machten?‘“

So erzählt es Luis Buñuel im Kapitel Un Chien Andalou seiner Erinnerungen „Mein letzter Seufzer“. Dort erfährt man auch, dass das Drehbuch „in weniger als einer Woche nach einer sehr einfachen Regel“ geschrieben wurde: „keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gäbe; die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängen, ohne in Erfahrung bringen zu wollen, warum.“ Kein Wunder also, dass Buñuel nach Abschluss des Drehbuchs feststellte, „dass es sich um einen höchst ungewöhnlichen, provozierenden Film handeln würde, den kein normales Produktionssystem akzeptierte.“ Also leiht er sich Geld von seiner Mutter, und nachdem er die Hälfte davon in verschiedenen Bars in Paris durchgebracht hat, macht er sich an die Dreharbeiten, welche 14 Tage dauern, von denen Dali allerdings die meisten in seinem Atelier damit verbringt, „Pech in die Augen der ausgestopften Eselsköpfe zu gießen“.

Dennoch kam es auf Betreiben von Man Ray 1929 sogar zu einer öffentlichen Premiere, bei der nicht nur die Gruppe der Surrealisten, u. a. Max Ernst, Hans Arp und René Magritte vollständig vertreten waren, sondern auch nahezu die gesamte intellektuelle und kreative Szene von Paris, inklusive Picasso, Le Corbusier, und Cocteau. Buñuel selbst war natürlich einigermaßen aufgeregt und hatte, so behauptet er, sich Steine in die Taschen gelegt, um im Falle eines Misserfolgs das Publikum damit zu bewerfen. Dazu kam es glücklicherweise nicht, der Film war ein Erfolg und zudem noch ein derart dauerhafter, dass er über acht Monate im Kino lief und ständig ausverkauft war, was Buñuel nicht nur Geld einbrachte, sondern auch eine Menge Ärger, denn während die Einen forderten, man solle Un Chien Andalou verbieten, verlangten die Surrealisten eine Erklärung von Buñuel, wie es passieren konnte, dass der als Skandal gedachte Film plötzlich so erfolgreich – noch dazu auch kommerziell! – sein konnte…?

Seither wurde er von vielen Regisseuren zitiert, darunter so unterschiedliche wie Hitchcock (Spellbound 1945 und North by Northwest 1959), Henri-Georges Clouzot (Les Diaboliques 1955), James Cameron (The Terminator 1984), David Lynch (Blue Velvet 1986), Pedro Almodóvar (Mujeres al Borde de un ataque de nervios 1988), Jonathan Demme (The silence of the lambs 1991), Krzysztof Kieslowski (La double vie de Véronique 1991), Andy und Lana Wachowsky (Matrix 1999), Gore Verbinsky (Ring 2002) und Chan-wok Park (Oldboy 2003), um nur einige wenige zu nennen, eine ausführliche, aber vermutlich immer noch nicht vollständige Liste findet sich z. B. hier.

Man sieht also, es lohnt sich durchaus, die 16 Minuten Zeit zu investieren, die Un Chien Andalou dauert, zudem man ihn ganz einfach und legal im Netz anschauen kann, z. B. hier oder hier.

(Un Chien Andalou, Frankreich 1929; Regie: Luis Buñuel.)

Les Vacances de Monsieur Hulot

… ist ein Film von Jacques Tati, und Jacques Tati ist Monsieur Hulot: ein gutmütiger, höflicher Herr, stets hilfsbereit, mit etwas altmodischen Manieren und einer charakteristischen Silhuette, der, meist unbeabsichtigt, aber sehr wirkungsvoll, Chaos in geordnete Verhältnisse bringt.

In diesem, dem zweiten Spielfilm von Jacques Tati und dem ersten von Monsieur Hulot, bringt er einen beschaulichen kleinen französischen Urlaubsort und seine zahlreich dort angereisten Gäste durcheinander, denn während er mit Kindern und Hunden prächtig auskommt, gestaltet sich sein Umgang sowohl mit Erwachsenen als auch mit unbelebten Gegenständen bisweilen eher kompliziert, obwohl er eigentlich immer freundlich und gut aufgelegt sein Bestes gibt.

Eher ungewöhnlich für einen Urlaubsfilm, brachte Tati ihn in Schwarzweiß in die Kinos, obwohl er in Farbe gedreht wurde. Auch gibt es kaum Dialoge, es wird zwar gelegentlich gesprochen, die Worte selbst bleiben aber meist im Hintergrund, während die entspannte Musik von Alain Romans und akustische Effekte dem Film seine Atmosphäre geben.

Gedreht wurde im bretonischen Saint-Marc-sur-Mer, Saint-Nazaire, an der französischen Atlantikküste, wo der Strand in Anerkennung seiner Verdienste heute „Plage de Monsieur Hulot“ heißt und man ihn selbst in Bronze gegossen findet: charakteristisch mit Hut und langer Pfeife, steht er da auf langen Beinen, den Oberkörper nach vorne gelehnt, die Hände in den Rücken gestützt, blickt er auf das Meer, und kein Zweifel, gleich wird er losgehen, ständig den Hut anhebend, um gewissenhaft nach rechts und links Feriengäste, Strandmöwen und leere Boote zu grüßen und dann wird irgendetwas schief gehen. Nichts wirklich Schlimmes, aber es wird wohl ein wenig Aufregung geben.

(Les Vacances de Monsieur Hulot, Frankreich 1953; Regie: Jaques Tati.)

Les Diaboliques

Nur um wenige Stunden war Georges-Henry Clouzot angeblich schneller als Alfred Hitchcock gewesen, aber diese reichten aus, um ihm die Filmrechte am Roman „Celle qui n’était plus“ (übersetzt: Sie, die nicht mehr war; deutscher Titel des Buches: Tote sollen schweigen, bzw. wie der deutsche Titel des Films: Die Teuflischen), zu sichern. Dass die Autoren Pierre Boileau und Thomas Narcejac hier die perfekte Vorlage für einen Thriller geschrieben hatten, war demnach nicht nur einem bedeutenden Regisseur aufgefallen und so wurde der Film, der 1955 in die Kinos kam, eben kein Hitchcock, sondern ein Clouzot, keine Hollywood-Produktion, sondern ein französischer Film (das us-amerikanische Remake mit dem Titel „Diabolique“ von 1996 können wir hier vernachlässigen) und die Hauptrollen gingen an Simone Signoret und Vera Clouzot, statt… wer auch immer es bei Alfred Hitchcock wohl gewesen wäre?

Hitchcock ging aber ebenfalls nicht leer aus, denn zum einen machten sich die Autoren des so begehrten Werkes gleich wieder an die Arbeit und schrieben eine neue Vorlage exklusiv für ihn, womit sie die Grundlage schufen, auf der Hitchcock 1957 einen seiner besten Filme, Vertigo, drehte. Zum anderen war das, was Georges-Henry Clouzot aus den von ihm gekauften Filmrechten machte, so überzeugend, dass Hitchcock das Ergebnis nicht nur für sehr gelungen hielt, sondern sich, wie man an seinen eigenen späteren Werken sehen kann, von ihm auch inspirieren ließ.

Mehr sollte man zu Les Diaboliques wohl auch nicht sagen. Am besten, man sieht ihn selbst.

(Les Diaboliques, Frankreich 1955; Regie: Henri-Georges Clouzot.)

Die Verachtung (Le Mépris)

Als Jean-Luc Godard im Februar 2011 mit dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden sollte, reiste er nicht zur Verleihung nach Hollywood und auf die Frage, was ihm dieser Preis bedeute, antwortete er: „Nichts.“ Und weiter: „Wenn das der Academy gefällt, soll sie es tun. Aber ich finde es seltsam. Welche Filme von mir haben die gesehen?, fragte ich mich. Kennen die meine Filme überhaupt?”. Eine durchaus berechtigte Frage, sollte man meinen, denn vermutlich haben auch außerhalb der Academy of Motion Picture, Arts and Science sehr viel mehr Menschen vom Filmregisseur Godard irgendwie mal gehört, dass er sehr bedeutend ist, als tatsächlich seine Filme gesehen. Und auch wenn er von anderen Regisseuren gerne als großes Vorbild bezeichnet wird, hat man bisweilen den Eindruck, es gehe diesen in erster Linie darum, ihre eigene Intellektualität durch solche gut zitierbaren Äußerungen zu unterstreichen.

Doch Jean-Luc Godard, der Filmkritiker, -Theoretiker und Regisseur, macht es einem auch nicht immer leicht. Man kann seine Filme unverständlich finden, langweilig oder aufgeblasen, aber man kann sich auch darauf einlassen und mit etwas gutem Willen lernt man nicht nur erstaunlich viel über das Kino, sondern kriegt mitunter auch einen überraschend schönen Film zu sehen, wie z.B. diesen: Le Mépris (Die Verachtung) von 1963. Zwar wird auch hier, wie überhaupt gerne bei Godard, das Ende des Kinos schon bei Minute 6:40 ausgerufen, doch tatsächlich hat er wieder sehr viel zum Thema beizutragen – in Form von Zitaten, Allegorien und Doppeldeutigkeiten, ebenso wie durch wunderschöne Bilder.

Mehr Sinn für die Schönheit der Hauptdarstellerin Brigit Bardot, als für den Film hatten allerdings seine Produzenten. Denn während Godard noch in den 1950ern einer der engagiertesten Vertreter des ‚Autorenkinos‘ war, dem französischen Gegenentwurf zum ‚Produzentenkino‘ a la Hollywood, wollte er Anfang der 1960er Jahre auch einmal einen Film mit einem großen Budget drehen. Und einem richtigen Star. So kam er an die Produzenten George de Beauregard, Carlo Ponti und an das Geld des amerikanischen Produzenten Joseph E. Levine. Es sollte seine einzige Produktion dieser Art bleiben und nicht zuletzt der Film selbst zeigt auf anschauliche Weise warum.

Zwar gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Michel Piccoli in seiner ersten Hauptrolle, durchaus harmonisch und vor allem bekam Godard auf diese Weise die Gelegenheit, mit Fritz Lang zu arbeiten, der, damals 73 Jahre alt, ganz einfach sich selbst darstellte und offensichtlich großen Spaß dabei hatte. Auf der anderen Seite versuchten die Produzenten allerdings massiv in Godards Arbeit einzugreifen, was für ihn sicherlich enervierend war, für das Publikum aber ausgesprochen unterhaltsam ist, da er seine Erfahrungen mehr oder minder ungebremst in den Film einfließen ließ. So wurde er z.B. genötigt in Cinemascope zu drehen, was er im Film entsprechend kommentieren lässt (Paul: I like Cinemascope very much. – Fritz Lang: Oh, it wasn‘t meant for human beings. Just for snakes – and funerals.). Zudem bestanden die Produzenten auf Nacktszenen mit Brigitte Bardot, die Godard schließlich ebenso unwillig wie demonstrativ einbaute, während er zugleich die Darstellung des fiesen Produzenten im Film um weitere authentische Details bereicherte.

Immerhin, das Kinopublikum hatte 1963 wohl doch andere Vorlieben als die Produzenten, denn auf der Liste der erfolgreichsten Filme seines Erscheinungsjahres schaffte es Le Mépris selbst in Frankreich nur auf Platz sieben, trotz Brigit Bardot in nackig, und war damit offiziell ein Kassen-Flop, für Jean-Luc Godard allerdings ist es bis heute, wenn auch nur in finanzieller Hinsicht, sein größter Erfolg.

(Le Mépris, Frankreich, Italien 1963; Regie: Jean-Luc Godard.)