Monthly Archives: July 2013

Memento Mori

…dass es sich bei südkoreanischen Mädchenschulen, egal wie harmlos sie von außen scheinen mögen, in Wahrheit um Orte des Horrors handelt, wurde in diesem Film offensichtlich so überzeugend dargestellt, dass er schon kurze Zeit später ein Sequel erhielt, und noch eins, und noch eins, und noch eins

Abgesehen von der Grundidee, ‚Mädchenschulen, die von Geistern heimgesucht werden‘, bauen die einzelnen Teile allerdings inhaltlich nicht wirklich aufeinander auf: erzählt werden jeweils unabhängige Geschichten mit wechselnden Personen, Handlungsorten und Schulen. Einige Elemente bleiben jedoch gleich, denn auch wenn Grad und Detailfreude bei der Darstellung von Gewalt durchaus variieren, so bleibt doch die grundsätzliche Aussage erhalten, dass der eigentliche Horror zumeist darin besteht, sich als Teenager im Leben und dann auch noch in einem autoritären Schulsystem zurecht finden zu müssen.

In dieser Hinsicht bildet Memento Mori keine Ausnahme. Ähnlich wie bei seinem Vorgänger wird auch hier weitgehend auf die explizite Darstellung von Gewalt verzichtet, wobei die beiden Regisseure ursprünglich zudem wohl vorhatten, auch auf die Darstellung von Geistern gänzlich zu verzichten, dies aber sahen die Produzenten anscheinend anders, und so mussten einige entsprechende Szenen hinzugefügt werden.

Aber auch, wenn die nachfolgenden Teile der Whispering CorridorsReihe, Whishing Stairs (2003), Voice (2005) und A Blood Pledge (2009), ebenfalls durchaus sehenswert sind, so fällt Memento Mori doch sichtlich aus dem Rahmen der Serie: zum einen wegen seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur, die wiederum durch ein an sich schon sehr kreativ gestaltetes Tagebuch gegliedert wird, vor allem aber durch seinen wunderschönen, poetischen visuellen Stil.

(Memento Mori, Südkorea 1999; Regie: Kim Tae-yong and Min Kyu-dong.)

Whispering Corridors

Zu den altehrwürdigen, überlieferten Künsten Koreas – wie wohl der meisten Kulturen – gehört das Erzählen von Geister-Geschichten. Über die Jahrhunderte hinweg dürften es unzählige gewesen sein, grausame und gruselige, melancholische und traurige und bisweilen sicher auch komische, wobei die meisten wohl in Vergessenheit gerieten, manche aber zu Klassikern wurden und sich bis heute immer wieder aufmerksam gespannter Zuhörerschaft erfreuen.

Auch blieben gewisse Grundstrukturen der Erzählungen gleich, oder kehrten immer wieder – wohl, weil sie so glaubhaft waren – und auch im Zeitalter von Computern, Internet und Mobile Phones gibt es eigentlich keinen Grund, diese schöne Tradition aufzugeben. Vielleicht werden hier und da ein paar Details modernisiert, oder, wie im Falle der beliebten Geschichten von Personen, die unter besonders dramatischen Umständen ums Leben kamen und deshalb immer wieder die Stelle heimsuchen, an der sie den Tod fanden: man passt den Ort des Geschehens einfach der heutigen Zeit an.

Eine besonders geignete Stätte fanden die Macher von Whispering Corridors, dessen Original-Titel 여고괴담, bzw. in Umschrift Yeogogoedam lautet, was übersetzt soviel bedeutet wie Mädchen-Schulen-Gespenster-Geschichte und das Genre damit würdig weiterführt, denn schließlich soll ja in jeder guten (Gespenster-)Geschichte auch stets ein Funken Wahrheit enthalten sein, und bei allem, was man bis heute vom anspruchsvollen südkoreanischen Schulsystem hört, das im Ruf steht, seinen Zöglingen einiges abzuverlangen, herrschen dort nicht unbedingt entspannte paradiesische Zustände.

Ob es andererseits in südkoreanischen (Mädchen-)Schulen tatsächlich so zugeht, wie in Whispering Corridors, der 1998 (und damit im selben Jahr wie im Nachbarland Japan dieser Film) erschien, kann derart pauschal natürlich nicht beantwortet werden, aber dass es durchaus in der Absicht des Regisseurs lag, die gerade erst vollzogene Lockerung der Zensurgesetze in Südkorea zu nutzen, um auch gleich ein wenig Kritik am heimischen Schulsystem unterzubringen, dürfte wohl offensichtlich sein.

(Whispering Corridors, Südkorea 1998; Regie: Park Ki-hyeong.)

301/302

Mitte der 1990er, während Im Kwon-taek noch auf den Spuren eher traditioneller koreanischer Kultur und entsprechender Frauenbilder unterwegs war, und Park Kwang-su gerade seine beiden Filme nach Drehbüchern von Lee Chang-dong drehte, die ebenfalls mehr der Aufarbeitung von Koreas Vergangenheit gewidmet waren, war Regisseur Park Chul-soo schon lange in der Gegenwart Südkoreas angekommen.

Seine ersten Filme hatte er bereits Ende der 70er gedreht und in den darauf folgenden beiden Jahrzehnten wurde er zu einem der fleißigsten koreanischen Filmemacher, wobei seine Filme wohl von Anfang an den einen oder anderen Aufreger lieferten, im Großen und Ganzen aber ganz einfach die damals in Südkorea populären Genres bedienten, entweder in Form von sentimentalen Melodramen, oder, indem sie von Frauen, Sex und Gewalt handelten.

Erst mit 301/302 sollte sich dies ändern, denn zwar dreht sich auch dieser Film hauptsächlich um die letzteren drei der oben genannten Themenbereiche, aber er entsprach keinem gängigen Genre. Tatsächlich geht es um zwei recht moderne koreanische Frauen, die für die sehr zeitgenössischen Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, eine eigenwillige, aber konsequente Lösung finden.

Und selbst wenn die Geschichte stellenweise ein wenig drastisch sein mag, sie war immerhin originell genug und leuchtete ausreichend vielen Menschen ein, um im Jahr 1995 beim Grand Bell Award als bester koreanischer Film ausgezeichnet zu werden – überdies ist es wohl kein Zufall, dass 301/301 einer der ersten, wenn nicht der erste südkoreanische Film war, der auch außerhalb von Festivals in us-amerikanischen Kinos lief.

(301/302, Südkorea 1995; Regie: Park Chul-soo.)

Poetry

Gleich in der ersten Szene wird klar, dass es sich auch bei diesem Film von Lee Chang-dong keineswegs um etwas so unbelastet Reines und Schönes handelt, wie der Titel es verspricht. Aber bei Peppermint Candy, Oasis und Secret Sunshine entsprachen die Filme ja auch nicht unbedingt den warmen, freundlichen Assoziationen, die ihre Namen zunächst hervorrufen.

Für die Hauptrolle hatte Regisseur und Drehbuchautor Lee Chang- dong wohl von Anfang an Yoon Jeong-hee eingeplant, die von den späten 1960ern bis zum Ende der 80er eine der berühmtesten Schauspielerinnen Südkoreas war, viel beschäftigt und ausgezeichnet, und die hier nun zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder in einem Film mitspielte.

Noch bei Peppermint Candy hatte sich Lee Chang-dong vorwerfen lassen müssen, dass die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des männlichen Protagonisten erzählt wurde, während Gedanken und Gefühlen der weiblichen Figuren keinerlei Raum erhielten. Dies hatte sich zwar schon bei Secret Sunshine grundlegend geändert, aber anders als in jenem Film, wo auch die südkoreanische Kleinstadt mit ihren vielen Bewohnern eine wesentliche Rolle spielte, konzentriert sich Poetry nun nahezu völlig auf seine weibliche Hauptdarstellerin und damit auf das, was ihr und anderen Frauen in der Gesellschaft in der sie lebt, widerfährt – und welche Konsequenzen, oder eben auch nicht, dies für die Betroffenen hat.

Allein, ihre Art damit umzugehen, mitfühlend, freundlich und scheinbar zurückhaltend, aber hartnäckig darin, das umzusetzen, was sie einmal für richtig erkannt hat, macht sie auf ihre Weise viel selbständiger und unabhängiger als es Figuren in Lee Chang-dong Filmen normalerweise sind, und während Lee Shin-ae in Secret Sunshine eigentlich nur wenig Spielraum für eigene Entscheidungen blieb, hat Yang Mija in Poetry ihn nicht nur – sie nutzt ihn auch.

(Poetry, Südkorea 2010; Regie: Lee Chang-dong.)