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The Hole

Anfang der 1990er, ungefähr zur gleichen Zeit, als in Beijing auf die „Fünfte Generation“ Filmemacher die sechste folgte, gab es in Taiwan ebenfalls nach der ersten Welle des New Taiwanese Cinema, eine zweite und bereits fünf Jahre nachdem überhaupt zum ersten Mal ein Film in chinesischer Sprache in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, konnte nach Hou Hsiao-hsien schon der zweite Filmemacher aus Taiwan diesen Preis entgegen nehmen.

Denn auch wenn Tsai Ming-liang genau genommen in Kuching, Malaysia, geboren und aufgewachsen war, und sich einige Jahre als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur bei TV-Produktionen in Hong Kong betätigte, so drehte er doch bislang die meisten seiner Filme in Taipeh, wo er bis 1982 an der Chinese Culture University Drama und Film studiert hatte.

In diesen, seinen Filmen verzichtet Tsai Ming-liang weitgehend auf Dialoge, setzt aber mit schöner Regelmäßigkeit Räume, am liebsten Küchen, unter Wasser, oder lässt es doch wenigstens draußen ständig regnen, was den praktischen Nebeneffekt hat, dass das Geräusch des ständig strömenden Wassers auch gleich den Soundtrack ersetzt.

Ähnlich wie seine Kollegen von der ersten Welle des Neuen Taiwanesischen Kinos schätzt Tsai Ming-liang auch sehr, sehr lange Einstellungen, in denen zum Beispiel Flure oder Durchgänge gezeigt werden: Menschen bleiben darin stehen, gehen hinein und hinaus, bisweilen pinkeln sie auch, aber die Kamera bewegt sich nicht – manchmal passiert auch gar nichts, oder es wird dunkel, weil eine Frau gerade das Fenster mit Paketband zugeklebt hat.

Damit das Ganze nicht zu symbolisch aufgeladen wirkt, wird es ab und zu durch absurde Sexszenen aufgelockert, in einem seiner bekanntesten Filme zum Beispiel, spielen dabei Wassermelonen eine wichtige Rolle, die allerdings, wie er bereits vorher in einem anderen Film anschaulich vorgeführt hatte, auch gut zum Bowling geeignet sind. Überhaupt zitiert Tsai Ming-liang sich ganz gerne selbst, oder ist doch zumindest darum bemüht, seine eigene Bildsprache zu entwickeln und wiederholt einzusetzen.

Eine weiterer fester Bestandteil seiner Filme ist Lee Kang-sheng, der in allen Filmen von Tsai Ming-liang die Hauptrolle spielt, so auch in The Hole, unterstützt von Yang Kuei-Mei, die man zwar auch aus diesem Film kennen kann, aber eben auch aus zahlreichen anderen Tsai Ming-liang-Produktionen. Überhaupt sind hier viele der typischen Elemente vertreten, aber die langen Einstellungen werden in The Hole zum ersten Mal so konsequent wie abwechslungsreich eingesetzt: apokalyptisches Wasserrauschen in der baufälligen Sperrzone contra 30er Jahre Mandarin-Popsongs mit Federn und Pailletten.

(The Hole, Taiwan und Frankreich 1998; Regie: Tsai Ming-liang.)


Song of the Exile

Nicht nur die Herren des Neuen Kinos in Taiwan nutzten ihre Arbeit als Filmemacher, um sich mit ihren Autobiographien und Familiengeschichten auseinander zu setzen, auch die große Dame der Hong Kong New Wave verarbeitete ihre eigene, private Geschichte.

Aber auch wenn die Geburtstage von Ann Hui und Hou Hsiao-hsien zum Beispiel, nur wenige Wochen im Frühjahr 1947 auseinander lagen, und ihre Geburtsorte in China mit nur etwas über 2600 km gemessen an der Gesamtgröße der Volksrepublik geradezu nahe beieinander liegen, so schlugen ihre Familien während des Bürgerkrieges verschiedene Richtungen ein: während Hou Hsiao-hsien in Taiwan aufwuchs, gingen Ann Huis chinesischer Vater und ihre japanische Mutter zuerst nach Macao und dann nach Hong Kong.

Und auch, wenn Hou Hsiao-hsien das Drehbuch zu seinem autobiographischen Film gemeinsam mit der Schriftstellerin Chu Tien-wen verfasste, während Ann Hui sich für das Drehbuch ihres Films Wu Nien-jen auslieh, der sich ja schon im Rahmen des New Taiwanese Cinemas auf Autobiographisches spezialisiert hatte, und ihr Film überhaupt in Hong Konger und Taiwanesischer Zusammenarbeit entstand, so liegt es wohl nicht nur an ihrer Hauptdarstellerin Maggie Cheung, dass Ann Huis Song of the Exile so vollkommen anders aussieht, als Hou Hsiao-hsiens The Time To Live, The Time to Die.

Man sieht vielmehr deutlich, dass hier zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken: mit unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten – vor allem ist es die Darstellungsweise, mit der sie Welten auseinander liegen – aber es sind ja auch ganz andere Geschichten, die hier erzählt werden, und die beide Filme sehenswert machen.

(Song of the Exile, Hong Kong und Taiwan 1990; Regie: Ann Hui.)

 

The Puppetmaster

Anders als bei der Reihe gleichnamiger Filme aus den USA handelt es sich hier keineswegs um einen Horrorfilm und der Titel ist auch nicht im übertragenen Sinne, zum Beispiel als politischer Strippenzieher zu verstehen, sondern es geht tatsächlich ganz handgreiflich um einen taiwanesischen Puppenspieler. Sein Name ist Li Tian-lu und er war bereits in diesem Film von Hou Hsiao-hsien zu sehen, aber während er dort die Rolle des Familienvaters spielt, geht es nun um sein eigenes, tatsächliches Leben, wobei auch dieses Drehbuch wieder in bereits bewährter Zusammenarbeit von Chu Tien-wen und Wu Nien-jen verfasst wurde.

Geboren im Jahr 1909, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erzählt der mittlerweile 84jährige Li seine persönliche Geschichte und damit auch die von Taiwan, beginnend in der Zeit als Taiwan eine japanische Kolonie war, über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Machtübernahme der chinesischen Kuoming-Partei.

Dabei wechseln sich lange, ungeschnittene Szenen, in denen der alte Mann ganz gelassen in einem Sessel sitzt und erzählt, mit solchen ab, in denen das Erzählte von Schauspielern nach-, bzw. vorabgespielt wird, denn bisweilen sieht man die gespielten Szenen, bevor durch die erst danach einsetzende Stimme aus dem Off verständlich wird, worum es sich handelt. Und so ist The Puppetmaster zwar einerseits der mittlere Teil der Film-Trilogie von Hou Hsiao-hsien, die sich mit der Geschichte Taiwans im 20. Jahrhundert auseinander setzt, gehört aber eben auch zu der ganzen Reihe von Hou Hsiao-hsien Filmen, die Autobiographisches verarbeiten.

Was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch grundlegend von vielen der späteren Filme Hou Hsiao-hsiens unterscheidet, die unübersehbar von der jeweiligen Gegenwart handeln, in der sie entstanden sind.

(The Puppetmaster, Taiwan 1993; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

City of Sadness

Mit dem Neuen Taiwanesischen Kino Anfang der 1980er kamen auch neue Themen. Während in The Time to Live, The Time to Die noch die private Geschichte von Hou Hsiao-hsiens Familie im Vordergrund stand, und die Taiwans eher im Hintergrund ablief, so handelt es sich bei City of Sadness zwar ebenfalls hauptsächlich um die Geschichte einer Familie, aber hier gibt es keinen Rückzug ins Private mehr, jedes Familienmitglied wird auf seine Art und Weise in die politischen Ereignisse verwickelt.

Es beginnt mit der Kapitulationsrede des japanischen Kaisers Hirohito. Der Zweite Weltkrieg ist verloren und damit endet nach 51 Jahren auch die Besatzungszeit der Japaner in Taiwan. Nun soll der Inselstaat wieder zu China gehören, aber zu welchem, einem von der chinesischen Nationalpartei Kuomintang unter General Chian Kai-shek, oder einem kommunistischen unter Mao Zedong ist noch nicht entschieden, denn noch tobt der Bürgerkrieg und Taiwan wird von einem Krieg gleich in den nächsten mit hinein gezogen. Entsprechend ist es im Film, während die Ansprache Hirohitos im Radio läuft, und man hören kann, wie irgendwo eine Geburt stattfindet, ist es zunächst einmal: dunkel.

Ebenfalls Teil einer Trilogie, in deren zweiten Teil, The Puppetmaster, Li Tian-lu, der hier den alten Familienpatriarchen gibt, noch eine wesentliche Rolle spielen wird, und deren dritter Teil, Good Men, Good Women, das Thema des ersten aus einer anderen Perspektive zeigt, geht es hier aber nicht nur allgemein darum, wie schwierig es ist, durch solche Zeiten einigermaßen mit Anstand zukommen, sondern auch um den sogenannten Zwischenfall vom 28. Februar 1947, jenem Aufstand in Taiwan, der durch chinesisches Militär niedergeschlagen wurde, wobei zwischen 10 000 und 30 000 Zivilisten getötet wurden.

Ein Thema, das lange Zeit in Taiwan tabu war, weshalb das Drehbuch auch von den beiden Personen gemeinsam verfasst wurde, auf die – einzeln oder in Zusammenarbeit – der weitaus größte Teil der Drehbücher des Neuen Taiwanesischen Kinos zurückging: der Schriftstellerin Chu Tien-wen und dem Drehbuchautor und Schauspieler Wu Nien-jen. Dennoch, allem Fingerspitzengefühl zum Trotz, erhielt City of Sadness laut Regisseur Hou Hsiao-hsien zunächst keine Aufführungserlaubnis für Taiwan und wurde erst freigegeben, nachdem er auf internationalen Festivals gelaufen und ausgezeichnet worden war.

Auf diesen aber wurde er gefeiert, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa, wo er als erster chinesisch-sprachiger Film den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, was schon deshalb ganz passend ist, weil hier gleich mehrere chinesische Sprachen und Dialekte zu hören sind: neben Taiwanesisch auch Mandarin, Kantonesisch und das für Shanghai typische Chinesisch (plus das Japanisch der ehemaligen Besatzungsmacht).

Und auch auf der hier schon das eine oder andere Mal erwähnten Hong Kong Film Award Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures brachte City of Sadness es auf Platz 5, was ihn zum höchstplatzierten taiwanesischen Film dieser Liste macht und wohl auch damit zu tun haben könnte, dass Tony Leung hier eine seiner frühen Hauptrollen hat, wenn auch eine stumme, da das für diese Rolle erforderliche Taiwanesisch aufgrund seiner Herkunft aus Hong Kong für Hou Hsiao-hsien einfach nicht überzeugend genug klang…

(City of Sadness, Taiwan 1989; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

The Time to Live and the Time to Die

Einer der aktivsten und konsequentesten Mitbegründer des Taiwanesischen Neuen Kinos Anfang der 1980er war Hou Hsiao-hsien, der sich gleich in vielfacher Hinsicht als treibende Kraft betätigte: als Regisseur, Schauspieler und Produzent beispielsweise. Und anders als sein Kollege Edward Yang, wandte er sich dem Filmemachen auf direktem Wege zu, ohne Umwege über Computerdesign und die USA. Hou Hsiao-hsien war und blieb zunächst in Taiwan, wohin seine Familie, wie so viele andere, 1948, als er knapp ein Jahr alt war, aus der chinesischen Provinz Guangdong vor dem Bürgerkrieg in China geflohen war.

In Taiwan und seiner wechselhaften Geschichte fand Hou Hsiao-hsien auch die Themen seiner frühen Filme, die wiederum gerne auf Autobiographischem beruhten, so wie die Trilogie A Summer at Grandpa‘s (1984), The Time to Live and the Time to Die (1985) und Dust in the Wind (1986), von denen der erste Teil auf den Kindheitserinnerungen der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Chu Tien-wen beruht, der dritte Teil auf denen von Wu Nien-jen, der hier das Drehbuch verfasste und der mittlere Teil von Hou Hsiao-hsiens Kindheit handelt, zu dem er das Drehbuch gemeinsam mit Chu Tien-wen schrieb.

Es ist ein bedächtiger Film, mit langen Einstellungen und ästhetisch schönen Bildern, ruhig und geradlinig erzählt, allenfalls vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Taiwan, die nur gelegentlich auf eine geradezu diskrete Weise in Geräuschen und Bildern erscheint, wie zum Beispiel jene von vorbeifahrenden Panzern, die in der Nacht nur zu hören sind und am nächsten Tag lediglich Spuren auf der Straße hinterlassen haben.

Vielmehr geht es um die sehr private Familiengeschichte der aus China in die Provinz Taiwans Eingewanderten, auch darum, wie es war in dieser Zeit erwachsen zu werden, aber anders, als der einige Jahre später zum gleichen Thema entstandene Film von Edward Yang, A Brighter Summerday (1991), bleibt hier die Zahl der Personen überschaubar, im Wesentlichen auf die Kernfamilie konzentriert, die wir über eine längere Zeitspanne hinweg begleiten und über die wir entsprechend mehr erfahren, unter anderem auch, wie extrem unterschiedlich das Leben für Männer und Frauen war.

(The Time to Live and the Time to Die, Taiwan 1985; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

The Terrorizers

Vierzehn Jahre vor seinem letzten Film erschien The Terrorizers von Edward Yang. Es war sein dritter in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch realisierter Film und zu diesem Zeitpunkt steckte er schon mitten in jener Bewegung, die unter dem selbstbewussten und programmatischen Namen ‚Taiwan‘s New Cinema‘ stattfand.

Denn gemeinsam mit Edward Yang waren Anfang der 1980er eine ganze Reihe von hoffnungsvollen jungen Filmemachern und Drehbuchautoren in Taipeh angetreten, um ihre Vorstellung eines neuen Kinos zu verwirklichen: die Regisseure und Schauspieler Hou Hsiao-hsien und Wu Nien-jen zum Beispiel gehörten zu diesem Kreis, aber auch die Schriftstellerin Chu Tien-wen, deren Romanvorlagen und Drehbücher oft verfilmbares Material lieferten.

Neu daran waren zunächst einmal ihre Art zu erzählen und der angestrebte Realismus ihrer Filme. Ein wenig zeigte man sich hier wohl, wie später auch an anderer Stelle im chinesischsprachigen Kino, vom italienischen Neorealismus beeinflusst. Jedenfalls ging es nicht um Pathos und großes Drama und populäre Stars, sondern die Filmemacher versuchten so nah wie möglich an das Leben der Menschen in Taiwan, sei es in den Großstädten oder auf dem Land, heran zu kommen.

Ein in diesem Umfeld entstandener Film ist The Terrorizers. Anfangs erinnert er noch an Blow up von Michelangelo Antonioni, was ganz sicher kein Zufall, sondern Absicht ist, doch bald entwickelt er sich in eine andere, ganz eigene Richtung, so, wie die verschiedenen Erzählstränge der Geschichte, die anfangs nur parallel nebeneinander herlaufen, schließlich aber doch ein komplexes Gefüge ergeben. Angereichert wird die Handlung zudem durch viele kleine originelle Ideen und bisweilen selbstironische Hinweise, seien es mündliche auf japanische Horrorfilme oder optische, wie zum Beispiel Vergrößerungen, die aus vielen Einzelteilen bestehen und durch Windzug in Bewegung geraten.

Hinzu kommt ein Bildaufbau, der oft durch sich wie von selbst ergebende Rahmen strukturiert wird sowie eigenwillige Kameraschwenks, Bildausschnitte und -Übergänge, die dem Film einen ganz eigenen Stil geben, der, auch wenn man an den Frisuren und der Kleidung einiger Personen die 80er Jahre ablesen kann, ansonsten zeitlos wirkt.

(The Terrorizers, Taiwan 1986; Regie: Edward Yang.)

 

Yi Yi

Auch den 1947 in Shanghai geborenen, in Taipeh aufgewachsenen und 2007 verstorbenen Regisseur Edward Yang zog es früh in die USA. Allerdings zunächst einmal, um sein in Taiwan begonnenes Studium des Computerdesigns abzuschließen und diesen Beruf auch für einige Jahre in Seattle auszuüben. Aufgewachsen in einer Zeit, als es in Taipeh durchaus möglich war, Klassiker des Europäischen Kinos in Retrospektiven zu sehen, hatte er schon seit seiner Kindheit eine Leidenschaft für Filme entwickelt, die ihn nach Abschluss seines Studiums dazu brachte, anstatt eines PhDs lieber ein Filmstudium in Angriff zu nehmen.

Allerdings reagierte er auf die amerikanische Filmindustrie völlig anders als zum Beispiel der Regisseur dieses Films, denn seine nach einem Semester wieder beendete Studienzeit an der USC School of Cinematic Arts in Los Angeles überzeugte ihn zunächst davon, mit dem Filmgeschäft, das ihm dort viel zu kommerziell orientiert war, lieber nichts zu tun haben zu wollen.

Edward Yang selbst erzählte später, dass es Aguirre, der Zorn Gottes, von Werner Herzog war, dem man wohl tatsächlich nicht unterstellen kann, dass er rein kommerzielle Absichten verfolgt, der ihn dazu veranlasste, sich schließlich doch noch selbst auf diesem Gebiet zu betätigen.

Allerdings verließ er zu diesem Zweck die USA und kehrte zurück nach Taiwan, wo er nach einigen kleineren Arbeiten fürs Fernsehen bald eigene Filme schrieb und drehte, für die er sowohl in Taiwan, als auch auf internationalen Festivals viel Anerkennung erhielt.

Sein letzter Film, Yi Yi, wurde im Jahr 2000 in Cannes für die Goldene Palme nominiert und mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Einen Oscar hat Edward Yang für keinen seiner Filme erhalten, aber man darf wohl annehmen, dass dies auch nicht in seiner Absicht lag.

(Yi Yi, Taiwan und Japan 2000; Regie: Edward Yang.)

 

Eat Drink Man Woman

Neben dem Kino des sogenannten Mainland China und den Filmen aus Hong Kong gibt es noch einen weiteren Zweig Filmindustrie chinesischer Sprache mit langer Tradition: das Kino Taiwans.

Großen Zulauf erhielt dieses, ebenso wie Hong Kong, vor allem in der Frühphase der Volksrepublik China, als man im Zuge der angestrebten Volkserziehung auch beim Kino alles zu unterbinden suchte, das nicht ins offizielle Bild passte. In Hong Kong und Taiwan ließ es sich in solchen Zeiten einfach entspannter und unkontrollierter arbeiten und auch Geldgeber fanden sich dort leichter. Und so ist es kein Zufall, dass auch King Hu zum Beispiel, nachdem er diesen Film in Hong Kong gedreht hatte, weiter zog, um seine nachfolgenden, für das Wuxia-Genre stilbildenden Filme in Taiwan zu drehen.

In späteren Zeiten sollte sich dieser – für Taiwan ausgesprochen lukrative Trend für eine Weile umkehren, denn Schauspielerinnen wie zum Beispiel Brigitte Lin (hier und hier) und Joey Wong (hier und hier) oder der Schauspieler Takeshi Kaneshiro (ebenfalls hier zu sehen), stammen gebürtig aus Taiwan, wurden aber hauptsächlich durch Hong Kong Produktionen bekannt.

Auch den zur Zeit international wohl bekanntesten Filmschaffenden aus Taiwan zog es nach drei Filmen, die er in seinem Geburtsland drehte, in eine völlig andere Arbeitsumgebung, anders als die zuvor Genannten wechselte er aber auch gleich den Kontinent, indem er zunächst nach Großbritannien und dann nach Hollywood ging. Was wohl ebenfalls kein Zufall ist, denn wenn man sich die ambitionierte Liste der aus Taiwan als Anwärter für den Academy Award eingereichten Filme ansieht, dann fällt dort neben den vielen „Not Nominated“ nur zweimal „Nominee“ und nur ein einziges Mal „Won Academy Award“ auf, wobei in allen drei Fällen der Name des Regisseurs Ang Lee lautet.

Von eben diesen drei Filmen wurde Eat Drink Man Woman zwar ‚nur‘ nominiert und nicht mit dem Academy Award ausgezeichnet, war aber der letzte Film von Ang Lee, den er ausschließlich in Taiwan drehte und bevor er in den USA lernte, wie Filme aussehen müssen, um tatsächlich für Oscar würdig befunden zu werden.

(Eat Drink Man Woman, Taiwan 1994; Regie: Ang Lee.)

 

The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Come Drink with Me

„Ich sagte es Dir schon einmal: Du solltest mehr beobachten und weniger kämpfen – aber Du musst ja unbedingt immer zeigen, wie gut Du in Martial Arts bist…“

Ein Vorwurf, der der hier angesprochenen jungen Dame gegenüber vielleicht ein klein wenig unfair ist, denn genau darum geht es ja schließlich in Martial Arts-Filmen. Wobei wir es hier mit einer besonderen Kategorie zu tun haben, dem Wuxia-Film, der sich von anderen Martial Arts- bzw. Kung Fu-Filmen in mancher Hinsicht unterscheidet: durch seine historisierenden und manchmal auch fantastischen Elemente zum Beispiel, denn ob die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Helden und Heldinnen noch mit Jahre langem diszipliniertem Training und Meditation zu erreichen sind, oder ob hier Übernatürliches mitspielt, bleibt meist offen und auch dadurch, dass die kämpfenden Herren es hier regelmäßig mit ihnen ebenbürtigen oder auch überlegenen, ebenfalls bewaffneten Damen zu tun kriegen.

Zudem hatte Wuxia, bevor es auf Film und Comic übertragen wurde, bereits eine lange Tradition in der Literatur und damit ausreichend Zeit, über die Jahrhunderte einen ganz eigenen Kosmos zu entwickeln. Einen wahren Kern haben die Geschichten ebenfalls, denn auch, wenn im China früherer Jahrhunderte fliegende Schwertkämpfer und -kämpferinnen wohl eher rar waren, so gab es doch ausreichend Kampf und Krieg und entsprechend viele daran Beteiligte, von denen manche wiederum den Umgang mit Waffen so weit professionalisierten, dass sie ihn hauptberuflich ausüben und mit viel Glück lange genug überleben konnten, um den Nährboden für Heldensagen zu liefern.

Doch anders als zum Beispiel in Japan, wo der Held dieses Films anfangs vielleicht ein wenig herunter gekommen wirkt, von dem wir aber dennoch annehmen dürfen, dass er als Samurai der Aristokratie angehört, entstammten ihre chinesischen Berufskollegen keineswegs nur der Oberschicht, sondern kamen aus allen Teilen der Bevölkerung.

Die historische Korrektheit darf an dieser Stelle bezweifelt werden, aber zumindest in den Wuxia-Geschichten folgen sie dabei stets ihrer eigenen, sehr individuellen Ethik und kämpfen selbstverständlich nur für das Gute – oder zumindest das, was sie dafür halten (auch Wuxia-Helden können irren), was gelegentlich miteinschließt, dass die Bevölkerung gegen eine ausbeuterische und korrupte Oberschicht verteidigt werden muss. Eine Haltung, die zwar beim Publikum immer gut ankommt, von Regierungen mit Hang zur Zensur aber meist weniger gerne gesehen wird, und dazu führte, dass Wuxia-Filme wegen ihres anscheinend subversiven Charakters in den Anfängen der chinesischen Republik zunächst einmal verboten wurden – was wiederum der in Hong Kong und Taiwan ansässigen Filmindustrie eine gerne genutzte Einnahmequelle bescherte.

Einer, der von eben dort aus das Genre mit seinen Filmen erfolgreich weiterentwickelte, war der Regisseur King Hu. Er sagte von sich, dass ihn die Bewegungen der Tänzer und Artisten der Peking Oper fasziniert hatten, er aber meinte, ihre Kunst würde durch die Bühne zu sehr begrenzt und könne im Film viel besser zur Entfaltung kommen. Folgerichtig engagierte er mit Cheng Pei-pei eine Tänzerin für die Hauptrolle seines zweiten Films Come drink with me. Ein Konzept, das aufging, denn dieser, ebenso wie seine nachfolgenden Filme, Dragon Gate Inn und besonders A Touch of Zen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und gelten heute ebenso als Klassiker des Genres, wie seine Hauptdarstellerin geradezu als Königin des Wuxia-Films.

Und wem nun die Szene, in der eine junge Dame sich gegen eine Reihe von Angreifern zur Wehr setzt und dabei eine renovierungsbedürftige Herberge hinterlässt, ebenso bekannt vor kommt, wie die Hauptdarstellerin selbst, der hat vermutlich diesen Film gesehen und liegt damit völlig richtig.

(Come Drink with Me, Hong Kong 1966; Regie: King Hu.)