Category Archives: Tatsächliche Ereignisse

Peppermint Candy

Nachdem Park Kwang-su einmal festgestellt hatte, dass sich politische Themen auch im südkoreanischen Kino mitunter erfolgreicher darstellen lassen, wenn man sie nicht in eine Komödie verpackt, sondern auf möglichst direktem Wege vermittelt, blieb er bei dieser Methode, gründete, nachdem die Dreharbeiten zu Berlin Report wohl eher chaotisch verlaufen waren, als erster koreanischer Filmregisseur 1993 seine eigene Produktionsfirma und brachte mit dieser noch im selben Jahr To The Starry Island heraus, zwei Jahre später gefolgt von A Single Spark.

Beides waren politisch engagierte und erfolgreiche Filme, und: beide Filme entstanden nach Drehbüchern von Lee Chang-dong. Dieser wiederum hatte als Autor von Theaterstücken angefangen und entschied sich, nach der Zusammenarbeit mit Park Kwang-su, selbst ins Regiefach zu wechseln. Schon sein erster Film, Green Fish, kam 1997 sowohl beim Publikum, als auch auf Filmfestivals gut an, nicht zuletzt bei jenen, die Preise zu vergeben haben.

Sein zweiter Film in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch, Peppermint Candy, hatte seine Premiere dann 1999 als Eröffnungsfilm auf dem Internationalen Film-Festival in Busan, und so kam es, dass die dortigen Zuschauer sich mit ihrer Festlaune ziemlich bald nach Beginn des Films bei einem Mann wiederfanden, der mit ausgebreiteten Armen auf den Gleisen einer Eisenbahnbrücke steht und dem auf ihn zu rasenden Zug „Ich will zurück!“ entgegen schreit.

Mit diesem Moment beginnend wird chronologisch rückwärts in sieben, insgesamt 20 Jahre umfassenden, Episoden erzählt, wie der Mann an diesen Punkt kam, wobei seine Geschichte eng verknüpft wird mit der Geschichte Südkoreas: der Finanzkrise in den späten 1990ern, der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs davor, der Militärdiktatur und der Niederschlagung der Studentenbewegung.

Damit sich die Geschichte erschließt, muss man mit einiger Konzentration dabei bleiben, denn Peppermint Candy ist kein einfacher Film: manches wird nur angedeutet oder durch wiederkehrende Metaphern – Züge, die titelgebenden Pfefferminz-Bon Bons, eine Photokamera – vermittelt, andere Szenen sind unmissverständlich und teilweise drastisch in ihrer Darstellung von körperlicher Gewalt und emotionaler Grausamkeit. Aber wenn man Filmen zugesteht, dass sie zur Aufarbeitung von gesellschaftlich verdrängten, traumatischen historischen Ereignissen beitragen können, dann ist dies auch ein wichtiger Film.

(Peppermint Candy, Südkorea 1999; Regie: Lee Chang-dong.)

Black Republic

In 1945, there was no prosecution of war criminals in Korea – unlike France and Germany. The Koreans who had served the Japanese remained in power and became the new ruling class. They are still there today. I think this is one of the fundamental problems in Korean society.“

Dies dürfte wohl ein zentraler Teil der Botschaft gewesen sein, die der Mann auf dem Hochhaus in diesem Film, beziehungsweise sein Regisseur, eigentlich hatten vermitteln wollten, aber irgendwie kam sie beim ersten Versuch wohl noch nicht richtig an.

Park Kwang-su hatte zunächst Bildhauerei an der Seoul National University studiert, wo er auch Mitglied der Yallasung Filmgruppe wurde und damit begann, Super 8 Filme zu drehen. Da es im Südkorea der frühen 80er Jahre aber kaum möglich war, kritische politische Filme öffentlich aufzuführen, blieben diese meist ohne Publikum.

Nach seinem Abschluss gründete er die Seoul Film Group, die weiterhin Beziehungen zur studentischen Protest-Bewegung unterhielt, aber im Hinblick auf Film war er wohl nicht wirklich überzeugt von deren Tun: „Myself, I was never too comfortable with agit-prop film-making. I tended to think that the films made by underground groups like Changsan-Gotmae were simply the other side of the coin of government propaganda films.“

Erst als er nach Paris ging, um an der ESEC Film zu studieren, änderte sich seine Einstellung: „..in Paris my own sense of the possibilities changed. In France I saw a lot of features and documentaries from Third World countries and realised that they weren’t being made underground but quite openly. Some of Lino Brocka’s films, for instance. I found myself thinking that similar film-making should be possible in Korea.“

Als er aber nach seiner Rückkehr nach Korea seinen ersten Film drehte, und es ihm trotz vieler Zugeständnisse an die Produzenten nicht gelang, ein großes Publikum zu erreichen, änderte er seine Strategie erneut („I’d made quite a lot of compromises in the hope of reaching the mass audience; since I failed, I thought that I should forget about trying to please people and make a more personal film.“), schrieb das Drehbuch selbst, ließ alle Komödien-Aspekte weg und griff lieber auf eigene Erfahrungen zurück: „it expressed a lot of my feelings about Korea and Korean politics in the years since Kwangju.“

Seinen zweiten Film durch die Zensur zu kriegen, war dann zwar leichter, als er erwartet hatte, aber einige Szenen mussten dennoch geschnitten werden, hauptsächlich jene, in denen die Geschichte der studentischen Widerstandsorganisation, der der Protagonist angehörte, in Rückblicken erzählt wurde. Trotzdem wurde der Inhalt dadurch nicht weniger verständlich, und diesmal wurde die Botschaft offensichtlich auch gehört.

Das vollständige Interview von 1993, aus dem die obigen Zitate stammen, kann bei Archive.org nachgelesen werden, während Black Republic auf dem Youtube-Kanal des Korean Film Archive zur Verfügung steht.

(Black Republic, Südkorea 1990; Regie: Park Kwang-su.)

Chiwaseon

Jang Seung-eop, oder Owon, wie sein Künstlername lautete, lebte von 1843 bis ungefähr 1897, während der Choson-Dynastie, und war bereits zu seiner Zeit einer der berühmtesten Maler Koreas.

Einigermaßen berüchtigt war er, soweit überliefert, ebenfalls: für seine Unnachgiebigkeit, seinen mitunter zügellosen Alkoholkonsum und sein auch ansonsten wohl recht wildes Leben – aber dergleichen soll ja bei Malern, die es ernst mit der Kunst meinen, keine Seltenheit sein und gibt darüber hinaus erstklassigen Stoff für einen Film ab.

Und da Im Kwon-taek gerade erst im Vorjahr in Sachen Historienfilme zur koreanischen Kultur unter anderem auch in Europa gut angekommen war, nahm er sich des Themas an, was dann auch gleich wieder eine Einladung nach Cannes zur Folge hatte, wo er dieses Mal zwar auch nicht mit der Goldenen Palme, aber als bester Regisseur ausgezeichnet wurde.

Eigentlich hätte für Chiwaseon aber auch gut noch ein Preis für den besten Darsteller dabei sein dürfen, denn zum einen ist in einer Nebenrolle Ahn Sung-ki zu sehen, der schon in diesem, nicht ganz konventionellen Film ganze Arbeit geleistet hatte und zum anderen wird der eigenwillige Maler von Choi Min-sik gespielt, der sich hiermit wohl auch für seine nächste, nicht weniger ausgefallene Rolle qualifizierte…

(Chiwaseon, Südkorea 2002; Regie: Im Kwon-taek.)

Vredens Dag

Nichts ist so still, wie ein Herz, das aufgehört hat zu schlagen…“

Noch einmal Hexen in schwarz/weiß, aber diesmal völlig anders: Ungefähr 20 Jahre nachdem Benjamin Christensen das Thema ebenso einsatzfreudig wie skurril in Szene gesetzt hatte, drehte Carl Theodor Dreyer seinen Vredens Dag (Tag der Rache oder Day of Wrath).

Christensen und Dreyer stammten beide aus Dänemark, sie kannten sich und hatten bereits 1924 zusammengearbeitet, als Christensen in Dreyers Film Michael die Hauptrolle spielte, aber hier hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf, denn Carl Theodor Dreyers Filme unterscheiden sich im Allgemeinen, wie auch in diesem speziellen Fall, fundamental von denen Benjamin Christensens.

Und so werden in Dreyers Film weder Folterinstrumente noch schwarze Messen erschöpfend behandelt, niemand fliegt auf Besen zum Blocksberg und kein lüsterner Satan hüpft gut gelaunt durch die Kulissen. Stattdessen basiert das Drehbuch auf dem Theaterstück Anne Pedersdotter von Hans Wiers-Jenssen, der sich wiederum auf einen authentischen und gut dokumentierten Fall von Hexenverbrennung im Jahr 1590 in Bergen bezieht.

Für Dreyer selbst war es der erste Film, den er nach seinem bis heute ungleich berühmteren Vampyr von 1932 verwirklichen konnte – zwischen beiden lagen allerdings 11 Jahre, in denen Dreyer als Kritiker und Journalist arbeitete, da es ihm nicht gelang, ausreichend Geld für weitere Produktionen aufzutreiben.

Ebenso wie Vampyr wurde auch Vredens Dag ein finanzieller Misserfolg und von den zeitgenössischen Kritikern zurückhaltend bis negativ aufgenommen, aber ebenso wie dieser gilt Vredens Dag heute als Meisterwerk, sogar beim Publikum und Amos Vogel ging sogar so weit, über ihn zu schreiben, Stil und erzählerische Mittel Dreyers nähmen hier „…den modernen Film voraus und setzten eine Norm, die selten übertroffen worden ist.“

(Vredens Dag, Dänemark 1943; Regie: Carl Theodor Dreyer.)

 

The Private Life of a Cat

Subversion, ebenso wie Anstand und Moral, mögen ja, wie so Vieles andere, im Auge des Betrachters liegen. Dass es aber die New Yorker Zensurbehörde tatsächlich schaffte, diesen Film des Avantgarde-Regisseurs Alexander Hammid und seiner damaligen Frau, Maya Deren, die bis heute als eine der wichtigsten amerikanischen Avantgarde-Künstlerinnen gilt, als „unanständig“ einzustufen und gleichzeitig ein Verbot der öffentlichen Aufführung verhängte, ist doch noch immer erstaunlich.

Aber, so berichtet es Amos Vogel sowohl in diesem Film, als auch in seinem Buch, eben dieses war der Fall, als The Private Life of a Cat im Jahr 1948 im Rahmen von Cinema 16 zum ersten Mal aufgeführt werden sollte. Begründet wurde die Entscheidung der Zensurbeamten damit, dass im Film eine Geburt gezeigt wird. Da es sich um einen Stummfilm handelt ohne Ton und in schwarz-weiß, aber von sehr nah.

Allerdings war es nicht nur so, dass der zu diesem glücklichen Ereignis führende, vorherige Zeugungsakt von den Filmemachern schamhaft weggelassen, weder gezeigt oder auch nur erwähnt wurde, sondern es handelt sich darüber hinaus, wie der Titel schon sagt: um Katzen.

Nun, immerhin in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten geändert: Katzencontent ist heutzutage im Internet an der einen oder anderen Stelle zu finden und auch The Private Live of a Cat ist bei archive.org zu Ansicht und Download bereitgestellt. Und so steht es jedem frei, sich selbst ein Bild davon zu machen, ob die gezeigten Bilder tatsächlich so unanständig sind, dass ihre Aufführung verboten gehörte, oder einfach nur unfassbar putzig.

(The Private Life of a Cat, USA 1944; Regie: Alexander Hammid.)

 

Film as a subversive Art:

L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat

Was den Herrn, von dem dieser Film handelt, weit über die Grenzen New Yorks hinaus bekannt machte, war aber nicht sein Avantgarde-Filmclub, sondern das Buch, das 1974 unter dem Titel Film as a subversive Art in der amerikanischen Originalausgabe erschien und einige Jahre später auf Französisch, Niederländisch und Deutsch.

Mehr als 600 Filme wurden hier von Amos Vogel besprochen, viele davon mit einem Szenenfoto illustriert, und obwohl es mittlerweile längst die technischen Möglichkeiten gäbe, diese Filme allen zugänglich zu machen, ist der bei weitem größte Teil damals wie heute kaum öffentlich zugänglich. Einige wenige sind heute Klassiker, die gelegentlich Gegenstand von Retrospektiven sind, oder neu aufgelegt wurden und manche sind sogar im Internet zu finden.

Einer dieser Filme, und der älteste, auf der Liste von Amos Vogel, ist L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat von 1896. Ein früher Film der Brüder Auguste und Louis Lumière, dessen Aufführung zwar entgegen der schön erfundenen Legende wohl doch nicht dazu führte, dass die Zuschauer in Panik den Vorführraum, in diesem Falle ein Café verließen, der aber wohl auch ohne diese Geschichte als Klassiker der Filmgeschichte gelten darf und den man zur Zeit tatsächlich auch auf Youtube ansehen kann.

Um dies zu würdigen ist das Movie of the Week diesmal nur etwa 50 Sekunden lang, allerdings mit Hinweis darauf, dass einige andere der von Amos Vogel als subversiv empfohlenen Filme an dieser Stelle bereits besprochen wurden: zum Beispiel hier, oder hier, und hier, sowie hier und hier, oder auch hier und hier

Diese, und alle weiteren, die noch hinzukommen, werden von nun an hier zu finden sein.

(L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat, Frankreich 1896; Regie: Auguste und Louis Lumière.)

 

Film as a subversive Art:

Amos Vogel and Cinema 16

You know there is something I call visual sensibility. A sensibility for form, shape, abstract images. And this is really what made me love these very art films. I mean surrealist-films, abstract films and many other types. All kinds of avantgarde films. I was very taken by them. I always felt that if I have this sensibility – obvioulsly I‘m not unique – and I would think that there would be other people who would like to see these films, too.“

…eine Annahme, mit der Amos Vogel unbedingt recht behalten sollte, denn als er im Jahr 1947 mit Cinema 16 den ersten New Yorker Avantgarde Film Club gründete, fand dieser rasch Interesse und brachte es bis 1963 – so lange betrieb Amos Vogel Cinema 16 gemeinsam mit seiner Frau Marcia – auf stolze 7000 Mitglieder, mit regelmäßigen Filmvorführungen in einem Kino, das 1600 Plätze hatte. Und weil dies nicht reichte, fanden die meisten Veranstaltungen zweimal am selben Tag statt.

Fast 40 Jahre nach dem Ende von Cinema 16, im Jahr 2004 zog Paul Cronin, ein britischer Dokumentar-Filmer los, um über den damals 82jährigen Amos Vogel einen Interview-Film zu drehen und mehr muss man dazu eigentlich auch gar nicht sagen, das erzählt Amos Vogel hier alles schon selbst. Bleibt also nur noch darauf hinzuweisen, dass Paul Cronin so freundlich war, seinen Film an dieser Stelle legal und kostenfrei zur Ansicht zur Verfügung zu stellen und dreimal den Buzzer zu betätigen: „Look at the screen immediatelty!”

(Film as a subversive Art: Amos Vogel and Cinema 16, Großbritannien 2004; Regie: Paul Cronin.)

 

Ordinary Heroes

This is a story about political activism in 1980s Hong Kong. Many of the events are based on real historical incidents and most of the main characters are based on real people…“ was zum Beispiel auch, wie der Vorspann weiter mitteilt, für das Straßentheater gilt, mit dem der Film beginnt und zu dem er wiederholt zurückkehrt, denn dieses erzählt die Geschichte des mittlerweile verstorbenen Aktivisten Ng Chung Yin.

Aber es geht hier keinesweg nur um ihn, sondern um eine ganze Gruppe politisch engagierter Menschen, die sich über Jahre hinweg hauptsächlich für die Rechte der sogenannten „Boat People“ einsetzen, oft mit mehr Ausdauer als Erfolg, da sie mit ihren Bemühungen regelmäßig an den strikten Gesetzen der damals noch britischen Regierung scheitern. (Vielleicht kann man dieses Thema bei einem Film aus dem Jahr 1999, zwei Jahre nach dem Ende eben dieser Regierungszeit, auch als kleine Erinnerung daran verstehen, dass unter britischer Herrschaft in Hong Kong ebenfalls nicht immer alles ideal geregelt war?)

Wobei einem der Hauptdarsteller durchaus bekannt vorkommen kann, was mal wieder zeigt, dass der Anspruch auf Exklusivität nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhen muss, denn nur weil Tsai Ming-liang keinen Film ohne ihn drehen kann, heißt das noch lange nicht, dass dies umgekehrt ebenso der Fall ist: im Anschluss an diesen Film jedenfalls, nahm sich auch Lee Kang-sheng mal eine Auszeit, um unter anderer Regie zu spielen, aber es war ja auch der beste Regisseur von Hong Kong, der da gerufen hatte…

(Ordinary Heroes, Hong Kong 1999; Regie: Ann Hui.)

Song of the Exile

Nicht nur die Herren des Neuen Kinos in Taiwan nutzten ihre Arbeit als Filmemacher, um sich mit ihren Autobiographien und Familiengeschichten auseinander zu setzen, auch die große Dame der Hong Kong New Wave verarbeitete ihre eigene, private Geschichte.

Aber auch wenn die Geburtstage von Ann Hui und Hou Hsiao-hsien zum Beispiel, nur wenige Wochen im Frühjahr 1947 auseinander lagen, und ihre Geburtsorte in China mit nur etwas über 2600 km gemessen an der Gesamtgröße der Volksrepublik geradezu nahe beieinander liegen, so schlugen ihre Familien während des Bürgerkrieges verschiedene Richtungen ein: während Hou Hsiao-hsien in Taiwan aufwuchs, gingen Ann Huis chinesischer Vater und ihre japanische Mutter zuerst nach Macao und dann nach Hong Kong.

Und auch, wenn Hou Hsiao-hsien das Drehbuch zu seinem autobiographischen Film gemeinsam mit der Schriftstellerin Chu Tien-wen verfasste, während Ann Hui sich für das Drehbuch ihres Films Wu Nien-jen auslieh, der sich ja schon im Rahmen des New Taiwanese Cinemas auf Autobiographisches spezialisiert hatte, und ihr Film überhaupt in Hong Konger und Taiwanesischer Zusammenarbeit entstand, so liegt es wohl nicht nur an ihrer Hauptdarstellerin Maggie Cheung, dass Ann Huis Song of the Exile so vollkommen anders aussieht, als Hou Hsiao-hsiens The Time To Live, The Time to Die.

Man sieht vielmehr deutlich, dass hier zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken: mit unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten – vor allem ist es die Darstellungsweise, mit der sie Welten auseinander liegen – aber es sind ja auch ganz andere Geschichten, die hier erzählt werden, und die beide Filme sehenswert machen.

(Song of the Exile, Hong Kong und Taiwan 1990; Regie: Ann Hui.)

 

The Puppetmaster

Anders als bei der Reihe gleichnamiger Filme aus den USA handelt es sich hier keineswegs um einen Horrorfilm und der Titel ist auch nicht im übertragenen Sinne, zum Beispiel als politischer Strippenzieher zu verstehen, sondern es geht tatsächlich ganz handgreiflich um einen taiwanesischen Puppenspieler. Sein Name ist Li Tian-lu und er war bereits in diesem Film von Hou Hsiao-hsien zu sehen, aber während er dort die Rolle des Familienvaters spielt, geht es nun um sein eigenes, tatsächliches Leben, wobei auch dieses Drehbuch wieder in bereits bewährter Zusammenarbeit von Chu Tien-wen und Wu Nien-jen verfasst wurde.

Geboren im Jahr 1909, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erzählt der mittlerweile 84jährige Li seine persönliche Geschichte und damit auch die von Taiwan, beginnend in der Zeit als Taiwan eine japanische Kolonie war, über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Machtübernahme der chinesischen Kuoming-Partei.

Dabei wechseln sich lange, ungeschnittene Szenen, in denen der alte Mann ganz gelassen in einem Sessel sitzt und erzählt, mit solchen ab, in denen das Erzählte von Schauspielern nach-, bzw. vorabgespielt wird, denn bisweilen sieht man die gespielten Szenen, bevor durch die erst danach einsetzende Stimme aus dem Off verständlich wird, worum es sich handelt. Und so ist The Puppetmaster zwar einerseits der mittlere Teil der Film-Trilogie von Hou Hsiao-hsien, die sich mit der Geschichte Taiwans im 20. Jahrhundert auseinander setzt, gehört aber eben auch zu der ganzen Reihe von Hou Hsiao-hsien Filmen, die Autobiographisches verarbeiten.

Was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch grundlegend von vielen der späteren Filme Hou Hsiao-hsiens unterscheidet, die unübersehbar von der jeweiligen Gegenwart handeln, in der sie entstanden sind.

(The Puppetmaster, Taiwan 1993; Regie: Hou Hsiao-hsien.)