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And Now for Something Completely Different

Wenn ist das Nurnstuck git und Slotermeyer? Ja! Feierhund das oder die Flipperwaldt gersput!“

Auch wenn das Lesen oder Hören dieser Zeilen gewisse Gesundheitsrisiken birgt, so ist es nun, spätestens nach dem an dieser Stelle bereits gewisse Parallelen zu erkennen waren, an der Zeit, auch Monty Pythons Schaffen zu würdigen.

Dies soll exemplarisch mit „And Now for Something Completely Different“ geschehen, ihrem ersten Kino-Film, der zwischen der ersten und zweiten Staffel ihrer TV-Serie Monty Pythons Flying Circus gedreht wurde, und der eigentlich dazu gedacht war, sie dem amerikanischen Publikum bekannt zu machen. Finanziert und produziert wurde das Ganze vom Playboy Magazin und der einen oder anderen Episode sieht man auch an, dass Monty Python sich der daraus resultierenden Verantwortung durchaus bewusst waren. Vor allem John Cleese scheute sich nicht, sich ganz im Geiste des damals populären Magazins zu präsentieren.

Dennoch war man in den USA zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht reif für diese spezielle Form von Humor, andererseits wurden Film und Fernsehserie in Großbritannien und Deutschland dafür umso freudiger aufgenommen, wo sie rasch zu eben jenen Klassikern avancierten, die sie bis heute sind. Bleibt nur noch, darauf hinzuweisen, dass einige der Sketche des Films ganz offiziell im Monty Python Channel auf youtube zu sehen sind, zum Beispiel hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier… und natürlich auch andere, die ebenfalls (wieder-)sehenswert sind und bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

(And Now for Something Completely Different, Großbritannien 1971; Regie: Ian MacNaughton.)

 

The Falls

Über Alfred Hitchcocks The Birds ist schon so viel gesagt und geschrieben worden, dass es wohl kaum nötig ist, dem noch mehr hinzuzufügen. Was aber geschah danach? Hier liefert Peter Greenaways Film The Falls einige interessante Ideen.

Ein im Film als VUE (Violent Unknown Event) bezeichnetes Ereignis hat stattgefunden, das viele Tote, aber auch eine ganze Reihe an Überlebenden zurückgelassen hat, von denen letztere infolge dessen auffällige Symptome und Verhaltensweisen entwickeln. Um der Sache auf den Grund zu gehen, wird mit all der Akribie, zu der nur wirkliche Bürokraten fähig sind, ein Verzeichnis aller Überlebenden, ihrer Symptome, ihres Bezugs zum VUE und ihres späteren Werdegangs angelegt. Der Film selbst stellt – als Auszug – die 92 Biographien jener Überlebenden vor, deren Name mit den Buchstaben FALL beginnt…

Es handelt sich hier, nach einigen Kurzfilmen, von denen zwei auch eingebaut wurden, um Peter Greenaways ersten langen (und mit 3 ½ Stunden dann gleich ziemlich langen), Film, von dem er allerdings selbst sagte, es sei ja niemand gezwungen, ihn am Stück zu schauen, vielmehr möge man die Biographien ganz nach eigenem Belieben durchstöbern. Und natürlich ist nicht zu übersehen, dass es eben kein Film von Alfred Hitchcock, sondern einer von Peter Greenaway ist, der herzlich wenig auf Suspense, dafür aber viel auf jene Form von Satire und Humor setzt, die man sonst eher bei Monty Python findet.

Und wer nun wissen möchte, was The Falls mit Theodor W. Adorno, Wittgenstein und Foucault zu tun hat, erfährt dies auf der recht umfangreich angelegten Website zum Film, auf der man auch sämtliche 92 Biographien in Textform findet – allerdings ist der Film selbst mit der Musik von Michael Nyman (und ein wenig Brian Eno) unterlegt, die auf der Website nicht zu hören ist und das macht einen großen Unterschied. Einen sehr großen.

(The Falls, Großbritannien 1980; Regie: Peter Greenaway.)

 

Film as a subversive Art:

Amos Vogel and Cinema 16

You know there is something I call visual sensibility. A sensibility for form, shape, abstract images. And this is really what made me love these very art films. I mean surrealist-films, abstract films and many other types. All kinds of avantgarde films. I was very taken by them. I always felt that if I have this sensibility – obvioulsly I‘m not unique – and I would think that there would be other people who would like to see these films, too.“

…eine Annahme, mit der Amos Vogel unbedingt recht behalten sollte, denn als er im Jahr 1947 mit Cinema 16 den ersten New Yorker Avantgarde Film Club gründete, fand dieser rasch Interesse und brachte es bis 1963 – so lange betrieb Amos Vogel Cinema 16 gemeinsam mit seiner Frau Marcia – auf stolze 7000 Mitglieder, mit regelmäßigen Filmvorführungen in einem Kino, das 1600 Plätze hatte. Und weil dies nicht reichte, fanden die meisten Veranstaltungen zweimal am selben Tag statt.

Fast 40 Jahre nach dem Ende von Cinema 16, im Jahr 2004 zog Paul Cronin, ein britischer Dokumentar-Filmer los, um über den damals 82jährigen Amos Vogel einen Interview-Film zu drehen und mehr muss man dazu eigentlich auch gar nicht sagen, das erzählt Amos Vogel hier alles schon selbst. Bleibt also nur noch darauf hinzuweisen, dass Paul Cronin so freundlich war, seinen Film an dieser Stelle legal und kostenfrei zur Ansicht zur Verfügung zu stellen und dreimal den Buzzer zu betätigen: „Look at the screen immediatelty!”

(Film as a subversive Art: Amos Vogel and Cinema 16, Großbritannien 2004; Regie: Paul Cronin.)

 

Wittgenstein

„A dog cannot lie. Neither can he be sincere. A dog may be expecting his master to come, but: why can‘t he be expecting him to come next Wednesday?“

Ludwig Wittgenstein hatte ein abwechslungsreiches Leben: 1889 geboren als Sohn einer reichen und angesehenen Industriellen-Familie in Wien, studierte er Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester, war Inhaber eines Patentes zur Verbesserung von Flugzeugpropellern, verschenkte sein gesamtes umfangreiches, ererbtes Vermögen an seine Geschwister, meldete sich freiwillig um im 1. Weltkrieg zu kämpfen, geriet in Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Volksschullehrer, später als Klostergärtner – Mönch zu werden ließ er sich gerade noch von einem Abt wieder ausreden – zog sich in der Einsamkeit Norwegens in ein Holzhaus zurück, entwarf für eine seiner Schwestern ein repräsentatives Haus in Wien, studierte, arbeitete und lehrte zwischendurch immer mal wieder in Cambridge, wo er schon zu Lebzeiten als Genie gehandelt wurde und gilt heute als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – obwohl, oder vielleicht auch gerade weil er die Philosophie auch schon mal als Geisteskrankheit bezeichnete, die erst durch das Philosophieren hervorgebracht würde.

Er selbst war letztendlich wohl durchaus zufrieden mit seiner Biographie: kurz vor seinem Tod ließ er seinen Freunden ausrichten, er habe ein wundervolles Leben gehabt.

Auch Derek Jarman war ein vielseitig interessierter Mann: Maler, Bühnenbildner, Regisseur von Filmen und Musikvideos, Autor und Gärtner, und auch, wenn er 1993, als er seinen Film Wittgenstein drehte, bereits schwer an AIDS erkrankt war, änderte dies nichts daran, dass er mit der Unterstützung seiner Schauspiel-Compagnie, bestehend u.a. aus Karl Johnson, Michael Gough und Tilda Swinton sowie Terry Eagleton als Drehbuchautor, einen lebensfrohen, klugen und witzigen Film drehte. Wobei er allerdings die einzelnen Episoden aus dem Leben Wittgensteins weniger mit filmischen Mitteln inszenierte, sondern eher als knallbuntes Theaterstück auf die Bühne brachte, was im Ergebnis so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, wie man sich zur Zeit ein sogenanntes Biopic vorstellt.

Natürlich sieht man hier Jarmans sehr spezielle Sicht auf Wittgenstein, zudem in seinem sehr eigenen Stil gedreht und sollte man noch nie von Ludwig Wittgenstein gehört oder gelesen haben, könnte das Ganze auch ein wenig verwirrend ausfallen, aber das wäre dann nicht Jarman anzulasten, sondern, um es mit Ludwig Wittgenstein in Jarmans Film zu sagen: „We imagine the meaning of what we say as something queer, mysterious, hidden from the view, but nothing is hidden! Everything is open to the view! It is just the philosophers, who muddy the waters.“

(Wittgenstein, Großbritannien 1993; Regie: Derek Jarman.)

The Elefant Man

Mit Mel Brooks verbindet man im Allgemeinen Filme, für deren uneingeschränkte Würdigung man mit einem eher speziellen Humor ausgestattet sein sollte. An seinem Ruf als Regisseur und Autor eigenwilliger Komödien hat er hart gearbeitet und ist vermutlich auch völlig zurecht stolz darauf, aber als „The Elefant Man“ 1980 in die Kinos kam, verzichtete er darauf, als Produzent genannt zu werden, weil er nicht wollte, dass sein Name beim Publikum falsche Erwartungen weckte.

Dennoch wäre der Film ohne Mel Brooks nicht verwirklicht worden, denn das Drehbuch war bereits von allen Studios, bei denen die Autoren es eingereicht hatten, abgelehnt worden und David Lynch hatte erst einen Film vorzuweisen, „Eraserhead“, eine mit überwiegend von ihm selbst zusammengeliehenem Geld finanzierte Produktion mit entsprechend geringem Budget, für den man – wenn auch nicht unbedingt Humor – ebenfalls ein eher spezielles Filmverständnis braucht.

Offensichtlich war dieses Verständnis bei Mel Brooks vorhanden, und so begab man sich gemeinsam an die Arbeit: Freddie Francis, der später noch häufiger mit Lynch zusammenarbeiten sollte, wurde als Kameramann angeheuert, John Hurt wurde in stundenlanger Arbeit unter Bergen von Maske vergraben, Anthony Hopkins spielte hier so ziemlich das Gegenteil seiner wesentlich bekannteren Rolle von 1991, und Anne Bancroft, nebenbei mit Mel Brooks verheiratet, spielte das, was sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war: eine Theaterschauspielerin. Währenddessen beschränkte sich David Lynch zwar als Darsteller auf einen kurzen Cameo-Auftritt, versuchte ansonsten aber alles selbst zu machen: die Idee und weitgehend auch das Drehbuch stammten von ihm, er führte Regie und Musikregie und übernahm auch das Sound Design. Immerhin scheiterte er daran, auch noch die aufwendige Maske von John Hurt selbst zu gestalten und anzulegen.

Die Geschichte beruhte auf einem authentischen Fall im viktorianischen England, der vom behandelnden Arzt Frederick Treves in seinem Buch „The Elephant Man and Other Reminiscences“ geschildert wurde. Was die Erzählung angeht, hielt Lynch sich nicht unbedingt immer an die Überlieferung, aber gleichzeitig legte er sowohl bei der Darstellung des historischen Joseph Merrick, als auch bei der Inszenierung des Zeitalters in dem dieser lebte, großen Wert auf ausgiebige vorherige Recherche und Detailgenauigkeit.

Über Sinn und Zweck mindestens der Eröffnungsszene kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein, wie über den Gehalt an Sentimentalität, aber davon einmal abgesehen ist die Handlung klar, geradlinig und nachvollziehbar und dafür, dass man gerade einen Lynch-Film gesehen hat, ist die Chance auf eine alptraumfreie Nacht relativ hoch.

(The Elefant Man, Großbritannien 1980; Regie: David Lynch.)

A Night to Remember

„Too many people from this shipyard lost their lives that night and too many others as well. Why should we help to make an entertainment out of it.“

Auch wenn man wohl annehmen darf, dass es nicht alleine Pietät war, die große Schiffsreedereien wie Harland and Wolff und Shaw Savill Shipping davon abhielt, die Dreharbeiten zu „A Night to Remember“ zu unterstützen, denn auch in wirtschaftlicher Hinsicht lag es kaum in ihrem Interesse, dass die Geschichte der RMS Titanic Jahrzehnte nach ihrem Untergang durch eine erneute Verfilmung wieder ins Bewusstsein der Menschen gebracht wurde, so ist diese Haltung angesichts von nur etwas über 700 Überlebenden und um die 1500 Toten wohl durchaus nachvollziehbar.

Der Verdacht, dass es bei diesem Film in erster Linie um Spannung und Unterhaltung gehen würde, lag auch schon deshalb nahe, weil das britische Produktionsstudio Rank mit Roy Ward Baker einen ehemaligen Regieassistenten von Alfred Hitchock als Regisseur verpflichtet hatte (der im Anschluss an dieses Projekt eine ganze Reihe von Horrorfilmen für das Hammer Studio drehen sollte), und mit dem Drehbuch Eric Ambler beauftragt wurde, der damals bereits als Schriftsteller und Filmproduzent von Thrillern und Krimis bekannt war. Beide, Ambler und Ward, hatten in diesem Genre auch schon gemeinsame Filme vorzuweisen.

Andererseits basierte das Skript zu „A Night to Remember“ auf dem gleichnamigen Sachbuch von Walter Lord, der im Zuge seiner Recherche 64 Überlebende zu den Ereignissen befragt hatte. Darüber hinaus war es dem Filmstudio gelungen, noch eine ganze Reihe weiterer Augenzeugen zu finden und zur Mitarbeit zu bewegen. Dennoch, zwischen dem historischen Ereignis und dem Erscheinen des Buches, bzw. dem Drehbeginn des Films lagen immerhin 43 bzw. 46 Jahre.

Entsprechend Vieles im Film stimmte dann auch nachweislich nicht mit den historischen Gegebenheiten überein. So wird zum Beispiel in einer der frühen Szenen des Films die Schiffstaufe der Titanic gezeigt: ganz klassisch mit Ansprache und Sektflasche, die so aber nie stattgefunden hat. Auch werden im letzten Drittel des Films Szenen von Chaos und Panik während des Untergangs mit einem verlassenen Kinderspielzimmer gegengeschnitten, das es ebenfalls nicht an Bord gegeben hatte. Überhaupt sind in der IMDb im Kapitel „Goofs“ eine ganze Reihe von sachlichen Irrtümern und Anachronismen aufgelistet, während man andere Details zur Entstehungszeit des Films noch gar nicht kennen konnte, da sich manche der Vorgänge beim Versinken des Schiffes erst nach der Entdeckung und Untersuchung des Wracks im Jahre 1985 rekonstruieren ließen.

Dennoch gilt „A Night to Remember“ bis heute von allen Titanic-Verfilmungen als jene, bei der man sich am erfolgreichsten um Realitätsnähe bemühte und dabei vergleichsweise wenig auf inszeniertes Drama und emotionsgeladene Szenen setzte. Ganz anders, als der bis heute beim Publikum und finanziell erfolgreichste Film zum selben Thema, auch wenn dessen Regisseur betonte, dass „A Night to Remember“ als Vorbild für seinen eigenen Film diente, wobei seine Fehlerliste in der IMDb allerdings zehnmal so viele Einträge aufweist.

Sollten sich aber in Zukunft tatsächlich noch einmal Filmemacher an dieses Thema begeben, so ist – egal ob es sich um eine möglichst exakte Darstellung des Geschehens, oder hemmungsloses Schwelgen im Kitsch handelt – nicht mehr mit allzu viel Erkenntniszuwachs zu rechnen, denn heute, 100 Jahre nach den Ereignissen, ist mit Sicherheit keiner der Augenzeugen mehr am Leben.

(A Night to Remember, Großbritannien 1958; Regie: Roy Ward Baker.)

Blow Up

Bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards, die ja nun auch schon bald wieder ansteht, gibt es die schöne Tradition der Dankesrede, die, je nach mentaler Verfassung des oder der Geehrten, gerührt, verheult oder zudringlich ausfallen, manchmal Ansätze von Hysterie, Größenwahn oder auch Erkenntnis zeigen und gelegentlich mit intimen Outings, Liebesschwüren oder politischen Statements angereichert werden. Als Michelangelo Antonio 1995 seinen Ehren-Oscar entgegen nahm, machte er es kurz: „Grazie.“

Um einiges ausführlicher konnte Antonioni hingegen werden, wenn er über seine Filme sprach:

„I always try to follow a certain pattern and work without thinking of the audience. It is not that I dislike my audience; I am not an intellectual, but I believe that films should not be made to entertain the audience, earn money or achieve popularity. I think that films should be made to be as good as possible. And it seems to me that this is the best way to work and to be trustworthy in the world of cinema.“

Oder:

„What happens to the characters in my films is not important. I could have them do one thing, or another thing. People think that the events in a film are what the film is about. Not true. A film is about the characters, about changes going on inside them. The experiences they have during the course of the film are simply things that ‘happen to happen’ to characters who do not begin and end when the film does. In Blowup (1966), a lot of energy was wasted by people trying to decide if there was a murder, or wasn’t a murder, when in fact the film was not about a murder but about a photographer. Those pictures he took were simply one of the things that happened to him, but anything could have happened to him: he was a person living in that world, possessing that personality.“

Und:

„By developing with enlargers things emerge that we probably don’t see with the naked eye. The photographer in Blowup (1966), who is not a philosopher, wants to see things closer up. But it so happens that by enlarging too far, the object itself decomposes and disappears. Hence there’s a moment in which we grasp reality, but then the moment passes. This was in part the meaning of Blowup.“

Noch sehr viel wortreicher kann es bisweilen werden, wenn andere über Antonionis Filme reden oder schreiben, weshalb hier nur noch rasch erwähnt sei, dass die Musik von Herbie Hancock stammt, David Hemmings, Vanessa Redgrave und Jane Birkin hier ihre ersten nennenswerten Rollen spielen, während die damals schon recht bekannte Veruschka von Lehndorff sich einfach selbst darstellt, dass die Yardbirds einen Auftritt mit Jimmy Page und Jeff Beck vor lethargisch-unbewegtem Publikum haben und dass der Film bei professionellen wie Amateurfotografen einen Nikon F-Hype auslöste.

(Blow Up, Großbritannien 1966; Regie: Michelangelo Antonioni.)

The 39 Steps

Ein MacGuffin kann ein Koffer sein, eine Aktentasche oder ein Päckchen. In Agentenfilmen sehr beliebt sind auch Mikrofilme mit geheimen Informationen oder gleich der ‚Weltenformel‘, es kann sich aber auch um außerirdische Steine handeln, den Inhalt einer Flasche, einen Schlitten, einen Teppich oder den Heiligen Gral – eigentlich kann es alles sein, denn ein McGuffin ist nach Alfred Hitchcock ein Objekt, das die Handlung eines Films zwar auslöst und entwickelt, selbst dabei aber völlig bedeutungslos bleiben kann.

Stets aber ist es ein Objekt der Begierde, das die handelnden Personen veranlasst, ihm hinterher- oder es sich gegenseitig abzujagen, was zu kriminellen Handlungen, Flucht, Verfolgung und Verrat führt und wobei – je nach Drehbuch und/oder Budget – eine unterschiedliche Menge an Material, Autos und Protagonisten auf der Strecke bleiben.

In diesem Fall verbirgt sich der MacGuffin gleich im Titel und was es damit auf sich hat, kann oder auch nicht am Ende aufgeklärt werden, ist aber auf alle Fälle sehenswert, da es sich hier um einen frühen, aber typischen Hitchcock handelt, inklusive dem unschuldig verfolgten Helden und der eigenwilligen Blondine, die ihn mehr oder weniger unfreiwillig auf seiner Flucht begleitet sowie einem Cameo-Auftritt des Meisters bei Minute 7. Und das alles gibt es zum Download bei Archive.org.

(The 39 Steps, Großbritannien 1935; Regie: Alfred Hitchcock.)

The Mystery of the Marie Celeste

Von der Schauspielerin Paula Maxa heißt es, sie sei im Verlaufe ihrer Karriere von 1917 bis in die 1930er Jahre auf mehr als 60 verschiedene Arten und über 10.000 mal auf der Bühne ermordet worden. Diese jahrelange intensive Ausübung des Opferrollenfachs ergab sich zwangsläufig daraus, dass sie die berühmteste Darstellerin des Grand Guignol war, einem kleinen, aber sehr beliebten Theater in Paris, dass sich von 1897 bis 1962 in einer ehemaligen Kapelle im Vergnügungsviertel Pigalle auf drastische Horror- und Gruselstücke spezialisiert hatte. Bis weit über die Grenzen Frankreichs hinaus wurden sie damit derart bekannt, dass das Théâtre du Grand Guignol heute als Vorläufer und Inspirationsquelle zahlreicher späterer Horror- und Splatterfilme gilt. Allen voran jenen der legendären Hammer Productions, denen wir die schaurig-blutigen Film-Serien über Dracula und Frankenstein mit Christopher Lee und Peter Cushing sowie nahezu unzählige weitere Horrorfilme mit Mumien, Werwölfen und Zombies verdanken. Diese erfreuten sich nicht nur beim Publikum über viele Jahre andauernder Begeisterung, sondern wurden von jenen Kritikern, die schon früh etwas mit dem Wort Kultfilm anfangen konnten, auch für ihren einzigartigen visuellen Stil gelobt.

Einer der ersten Hammer Filme überhaupt, The Mystery of the Marie Celeste aus dem Jahr 1936, steht bei Archive.org zum Download bereit: Es ist die auf Tatsachen beruhende Geschichte des amerikanischen Segelschiffs Marie Celeste, das am 4. Dezember 1872 im Atlantischen Ozean, nahe der Meerenge von Gibraltar, führerlos treibend aufgefunden wurde. Trotz guten Wetters – die Segel waren aufgezogen und kein Notsignal gehisst – fehlte vom Kapitän Benjamin Briggs, seiner Ehefrau Sarah und seiner zweijährigen Tochter Sophia, die sich als Passagiere an Bord befunden hatten, ebenso wie von den sieben Mitgliedern der Besatzung, jede Spur. Einen knappen Monat zuvor hatte das Handelsschiff mit einer Fracht von 1701 Fässern Industriealkohol, den Hafen von New York City in Richtung Genua verlassen. Der Kapitän und seine Mannschaft waren erfahrene Seeleute, es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt, vielmehr wurde das Schiff in segeltauglichem Zustand mit ausreichend Proviant für die nächsten sechs Monate an Bord angetroffen und auch im Logbuch fanden sich keine Hinweise auf die Vorkommnisse, die zum spurlosen Verschwinden der Besatzung geführt hatten.

Auch in den folgenden Jahren tauchte keiner der Vermissten wieder auf und so wurde das Rätsel trotz zahlreicher ausgefeilter Theorien, von Piraten über Tsunamis bis zur Entführung durch Außerirdische, nie befriedigend gelöst, was die Marie Celeste bis heute zu einem der berühmtesten Geisterschiffe der Geschichte macht. Ein idealer Plot also, für eine Verfilmung durch die Hammer Productions: hier fließt das Blut zwar noch in schwarzweiß und ohne Vampire und Monster, dafür aber spielt Bela Lugosi eine der Hauptrollen. Gut, der Film erhielt seinerzeit miserable Kritiken, aber jene Kritiker und Filmemacher, die sich und ihre Arbeit vielleicht manchmal ein bisschen zu ernst nehmen, konnten mit den Hammer Filmen ja noch nie etwas anfangen.

(The Mystery of the Marie Celeste, Großbritannien 1936; Regie: Denison Clift.)

The Innocents

„Horror-Movies come in two styles, visually: One of them in your face and the other at the corner of the retina.“

Novelle, Theaterstück, Oper und Film: „The Turn of the Screw“ von Henry James erschien im Jahr 1898 zunächst als Fortsetzungsgeschichte in einem amerikanischen Magazin, bevor sie 1908 als Novelle publiziert wurde. Ungefähr ein halbes Jahrhundert später machte William Archibald daraus ein Theaterstück, das seine Premiere 1950 am Broadway feierte, und 1954 hatte Benjamin Brittens gleichnamige Oper in zwei Akten in Venedig ihre Uraufführung. – Reichlich Vorlagen, also mit denen sich Regisseur Jack Clayton auseinander zu setzen hatte, als er wenige Jahre später daran ging, auch noch einen Film aus der Geschichte zu machen. Gleich mehrere professionelle Drehbuchschreiber wurden herangezogen, wobei Clayton später betonte, dass 90% der im Film enthaltenen Ideen auf Truman Capote zurückgehen, der nicht nur Untertöne á la Freud in die Handlung einbrachte, sondern in zahlreichen Bildern auch eines seiner Lieblingsthemen – die Dekadenz, den Zerfall hinter der Schönheit – unterbringen konnte.

Eine größere Schwierigkeit ergab sich daraus, dass – wie damals bei allen Filmen des Studio Fox – in Cinemascope gedreht werden musste, in eben jenem Format, von dem Fritz Lang bei Godard sagt, es sei nur für Schlangen und Beerdigungen geeignet. Hier aber war es der Kameramann Freddy Francis, der Mittel fand, um das ungeliebte Format in den Griff zu kriegen: z. B. indem er viel Licht einsetzte, um entweder ganze Szenen durchgehend strahlend hell zu erleuchten, oder andererseits einen Tunnel-Effekt erzielte, indem er das Licht auf die handelnden Personen in der Mitte konzentrierte, während die Ränder dunkel blieben. Darüber hinaus fügte er zahlreiche vertikale Linien ein, die den weiten Cinemascope-Rahmen unterteilten: z. B. Bettpfosten, Säulen und Statuen.

Beides konnte allerdings auch missverstanden werden, denn wenn des nächtens Frauen in langen weißen Nachthemden mit tropfenden Kandelabern in der Hand durch die dunklen Flure großer, düsterer Schlösser laufen, erwartet man heute wie damals unwillkürlich, dass Dracula oder einer seiner Genossen auftaucht, da dieses Klischee, ebenso wie wehende Vorhänge, tickende Großvateruhren und grimmig blickende pseudo-antike Statuen, zum Stil-Katalog der damals sehr populären Hammer Film Productions gehörte, die auch heute noch, nicht zuletzt dank zahlreicher Fernseh-Wiederholungen, fest im Bewusstsein der Zuschauer verankert sind.

Dies war allerdings eine Parallele, die Clayton gar nicht recht war, denn anders als Freddie Francis, der nach „The Innocents“ einige Jahre als Regisseur für die Hammer Film Productions arbeitete, wollte Clayton seinen Film keineswegs in dieser Ecke angesiedelt wissen, sondern suchte vielmehr die Nähe zu den deutlich subtileren Horrorfilmen der 30er und 40er Jahre, was sich unter anderem auch darin äußerte, dass er auf Technicolor verzichtete und seinen Film in schwarz-weiß drehte. Was wiederum bei Kritikern wie Publikum oft nicht richtig ankam: während die Anhänger der Hammer-Filme sich langweilten und die Schockeffekte vermissten, sahen die Vertreter der anderen Richtung wiederum für ihren Geschmack entschieden zu viel Hammer-Style. (Wobei es natürlich auch andere Meinungen gab – Francois Truffaut z. B., soll Jack Clayton, als sie sich zufällig in einem Restaurant begegneten, die seine schriftlich auf einer Serviette überreicht haben: dies sei der beste britische Film, seit Alfred Hitchcocks Übersiedlung in die USA – was vermutlich das höchste Lob war, das Truffaut überhaupt zu vergeben hatte.)

Den bleibenden Eindruck, den „The Innocents“ im Genre der Horror-Filme hinterlassen hat, sieht man aber vor allem daran, dass er über die Jahrzehnte immer wieder von anderen zitiert wurde. Stanley Kubricks „Shining“ z. B. zeigt einige Parallelen: das große Haus mit den vielen Zimmern im Kontrast zum labyrinthisch angelegten Garten, die Geistererscheinung und vor allem bei der Schluss-Szene. Alejandro Amenábar hingegen scheint hier nicht nur reichlich Anregung, sondern auch den Titel für seinen Film gefunden zu haben: „We‘ve got the whole house to ourselves. – More or less. There are still… the others.“ Und in der amerikanischen Verfilmung von „Ring“ ist sogar eine kleine Hommage versteckt, denn das singende Kind, dass auf dem Video zu hören ist, stammt ebenfalls aus „The Innocents“ .

Überhaupt kann man Ideen und Motive aus „The Innocents“ in vielen späteren Filmen entdecken, möglicherweise in sehr vielen Filmen, wobei natürlich nicht ganz auszuschließen ist, dass man hier Verbindungen sieht, die gar nicht da sind, denn: „Sometimes you can‘t help imagining things…“

(The Innocents, Großbritannien 1961; Regie: Jack Clayton.)