Category Archives: Musik & Film

The Quiet Family

Im selben Jahr, als Park Ki-hyeong den unerbittlichen Horror südkoreanischer Mädchenschulen auslotete, fand ihn Kim Jee-Woon in seinem Debüt-Film an ganz anderer Stelle: in den idyllischen, wenn auch etwas abgelegenen Bergen Südkoreas.

Dorthin verschlägt es eine eigenwillige Familie, deren gut gemeinte Absicht, hier ein Gasthaus für Wanderer zu betreiben, durch ungünstige Umstände wie die Tatsache, dass eine schwer zugängliche Einöde nicht automatisch ein Paradies für Naturfreunde sein muss, vor allem aber das unangemessene Benehmen ihrer nicht eben zahlreich eintreffenden Gäste, ständig durchkreuzt wird.

Die innen wie außen stilgerecht gestaltete Herberge wurde komplett und in original Größe extra für den Film errichtet, und die Schauspieler, unter ihnen Choi Min-sik und Song Kang-ho in relativ frühen Rollen, scheinen vom Ambiente derart mitgerissen worden zu sein, dass sie allesamt und miteinander so souverän wie überzeugend agieren.

Sichtbar weniger Aufwand betrieb wenige Jahre später Takashi Miike, als er sich mit The Happiness of the Katakuris daran machte, dieselbe Geschichte auf seine Weise zu inszenieren. Er, der bekannt dafür ist, den ultimativen Horror ohnehin mühelos an praktisch jeder Stelle finden zu können, verlegte das Ganze nach Japan und machte daraus, nun ja, einen Miike-Film. Aber als Musical mit Tanzeinlagen. Und Karaoke. Und Knetfiguren…

(The Quiet Family, Südkorea 1998; Regie: Kim Jee-Woon & The Happiness of the Katakuris, Japan 2001; Regie: Takashi Miike.)

Chunhyang

Die Geschichte von der treuen Chunhyang ist Jahrhunderte alt und wurde in Korea gerne als Theater aufgeführt und viele Male verfilmt. Letzteres auch schon mal von zwei Regisseuren gleichzeitig, deren Versionen sich dann im Kino einen Wettkampf um die Zuschauer lieferten, bei dem es schließlich auch einen klaren Gewinner gab.

Ursprünglich handelte es sich aber um ein Pansori. Genau genommen vielleicht sogar das Pansori, da es als das berühmteste und erzählerisch wie musikalisch Beste seiner Art gilt. Und natürlich waren schon in diesem Film, mit dem Im-Kwon-taek 1993 in Südkorea dem Pansori zu einem Revival verhalf, ebenfalls Auszüge aus Chunhyang zu hören.

Einige Jahre später ging er das Thema noch einmal an und präsentierte nun die ganze Geschichte: parallel als Verfilmung mit historischen Kostümen und Kulissen einerseits, und gleichzeitig vorgetragen von einem Pansori-Sänger, auf einer Bühne und vor Publikum, das, wie es beim Pansori vorgesehen ist, sich mitreißen lässt und den Sänger angemessen unterstützt.

Vielleicht geriet Im Kwon-taeks Fassung nicht ganz so bon-bon-farben, wie die oben erwähnten Versionen, aber sie ist immer noch schön bunt und als sie im Jahr 2000 in Cannes lief, gab sie dem mittlerweile ganz allgemein auf europäischen Film-Festivals sehr beliebten Regisseur die Gelegenheit, auch gleich ein bisschen Werbung für Korea und seine Traditionen zu machen.

(Chunhyang, Südkorea 2000; Regie: Im Kwon-taek.)

Sopyonje

Nachdem Im Kwon-taek sich in den 1980ern von seinen vorherigen Themen, überwiegend Action- und Kriegsfilmen, Komödien und Melodramen, die ein möglichst großes Publikum ansprechen und unterhalten sollten, abgewandt und sich mit eher speziellen Fragen der koreanischen Kultur und Gesellschaft befasst hatte, drehte er 1990 mit General‘s Son doch noch einmal einen Gangster-Actionfilm mit vielen Kampfszenen und reichlich Pathos, der beim Publikum dann auch gleich so gut ankam, dass er sowohl 1990 als auch 1991 der meistbesuchte Kinofilm Südkoreas wurde.

Einen solchen Erfolg konnte man natürlich nicht alleine für sich stehen lassen und so wurde in den Jahren 1991 und 1992 mit General‘s Son II und III eine Trilogie daraus, die insgesamt gut besucht wurde und Im Kwon-taek eine ganze Menge Geld einbrachte.

Genug Kapital auf alle Fälle, um sich mal ein richtig ausgefallenes Thema leisten zu können, eines, das viel zu speziell wäre, um ein kommerzieller Erfolg zu werden. Zum Beispiel eine traditionelle Form epischen Gesangs, die es so nur in Korea gab, bei der eine Sängerin oder ein Sänger bis zu mehrere Stunden lange Erzählungen in Liedform vortrugen, unterstützt nur von der eigenen Gestik und Mimik, einem Fächer und einem Trommler.

Da man tatsächlich nicht mit allzu vielen Zuschauern rechnete, lief Sopyonje 1993 nur in einem einzigen Kino in Seoul an, wo ihn anfangs auch nur wenige Menschen sehen wollten. Aber, Mundpropaganda muss wohl ein Teil des Phänomens gewesen sein, dies sollte sich bald ändern und nach sechs Monaten war Sopyonje der erste Film, für den alleine in Seoul mehr als eine Million Tickets verkauft wurden, und der darüber hinaus dazu führte, dass Pansori zumindest eine ganze Weile lang eine echte Alternative zu K-Pop wurde.

Beide Filme, General‘s Son und Sopyonje, kann man sich auf dem Youtube-Channel des Koreanischen Film Archivs vollkommen legal und kostenlos anschauen und anhören.

(Sopyonje, Südkorea 1993; Regie: Im Kwon-taek.)

The Seaside Village

So fleißig Shin Sang-ok auch gewesen sein mag – in der ImdB wird er mit 101 Titeln als Produzent und 72 als Regisseur gelistet – unter den Regisseuren Südkoreas mit den meisten Filmen schaffte er es nicht einmal unter die ersten drei.

Auf Platz eins ist bislang Go yeong-nam, von dem allerdings selbst das Koreanische Film Archiv schreibt:

„Usually concentrating on action and melodramatic films, director Go Yeong-nam did not make the so-called masterpieces of Korean film history, but he was recognized among producers for making commercially stable films.“

Was vielleicht auch der Grund ist, weshalb auf dem youtube channel des KoFA keiner seiner Filme präsentiert wird.

Anders sieht es schon bei Platz zwei aus: Regisseur Kim Soo-yong ist mit immerhin drei seiner insgesamt 106 Filme vertreten: Kinship (1963), Flame in the Valley (1967) und The Seaside Village (1965), von denen letzterer als einer seiner besten gilt. Anders als bei Shin Sang-ok sind die Menschen hier, insbesondere die Frauen, nicht entweder grundgut oder verrucht, sondern vielschichtiger angelegt und teilweise sogar mit genug Selbstbewusstsein ausgestattet, das bei allen nicht eben rosigen Umständen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung mit sich bringt.

Bei einigen von ihnen gilt dies auch in sexueller Hinsicht, was angesichts der damals in Südkorea herrschenden Zensurgesetze zwar nur angedeutet oder in Metaphern gezeigt wird, aber dennoch nur schwer misszuverstehen ist.

Gedreht wurde The Seaside Village in Cinemascope, aber schwarz-weiß, denn, nur weil Cinemascope und Farbe möglich sind, heißt das ja nicht unbedingt, dass man auch beides einsetzen muss. Dies mag zwar zum einen eine Frage des Budgets sein, kann aber durchaus auch ästhetische Vorteile haben, wie hier zu sehen ist.

(The Seaside Village, Südkorea 1965; Regie: Kim Soo-yong.)

 

Seong Chun-hyang

Auf das insgesamt umfangreiche Schaffen von Shin Sang-ok wurde hier bereits an anderer Stelle eingegangen, aber einer seiner Filme soll noch zusätzlich gewürdigt werden.

Es handelt sich um eine in Korea mehrfach verfilmte klassische Sage, und im Jahr 1961 waren gleich zwei Regisseure angetreten, um jeweils ihre Version davon in die koreanischen Kinos zu bringen. Der eine war Hong Seong-ki, damals bereits ein etablierter Filmemacher, dessen Werke zuverlässig die Kinos füllten und der andere war Shin Sang-ok, der zwar auch schon eine ganze Reihen von Filmen gedreht hatte, aber an Hong Seong-ki reichte er damit nicht heran und konnte nach allgemeiner Ansicht bei diesem Wettstreit nur verlieren.

Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte, denn zum einen hatte Shin Sang-ok mit Choi Eun-hee als Hauptdarstellerin einen bereits bewährten Publikumsliebling, während die wesentlich jüngere Kim Jee-mi in der konkurrierenden Fassung noch am Anfang ihrer Karriere stand, zum anderen waren es die ersten koreanischen Filme in Cinemascope und Farbe und wenn schon die Geschichte eigentlich jedem Kind in Korea bekannt war und von daher nicht viel Spannung bieten konnte, so sollte es doch wenigstens schön bunt auf der Leinwand werden.

Und hier trug Shin Sang-ok in jeder Hinsicht möglichst dick auf. Schon die eigentlich tragische Geschichte wurde derart übertrieben, und zusätzlich mit komödiantischen Elementen angereichert, dass sie über weite Teile eher fröhlich wirkt, aber vor allem bei Cinemascope und Farbe legte er sich richtig ins Zeug: knallbunte Kleidung bei Damen wie Herren, kaum weniger farbenfrohe Architektur und Requisiten, ergänzt um kleine Theater- und Schwertkampf-Einlagen und selbst tragische Szenen in Gefängnissen wurden durch den Einsatz farbiger Scheinwerfer bunt ausgeleuchtet. Gedreht auf Kodak Film und weiterverarbeitet in Tokyo, bei der darauf spezialisierten japanischen Post-Production Firma Imagica.

Dagegen sah die Version von Hong Seong-ki pastellfarben und blass aus.

Somit hatte Korea seinen ersten offiziellen und dokumentierten box office hit, dessen Zuschauerrekord erst sieben Jahre später von diesem Film geschlagen werden sollte (und aktuell seit vielen Jahren völlig zurecht von diesem Film gehalten wird), Shin-Song-ok hatte seinen endgültigen Durchbruch und wir haben mit der vom Koreanischen Filmarchiv auf youtube zur Verfügung gestellten Fassung, für deren Restaurierung offenbar mehrere unterschiedlich gut erhaltene Kopien zusammengefügt wurden, die Möglichkeit uns einen abwechslungsreich bunten koreanischen Abend zu machen.

(Seong Chun-hyang, Südkorea 1961; Regie: Shin Sang-ok.)

The Falls

Über Alfred Hitchcocks The Birds ist schon so viel gesagt und geschrieben worden, dass es wohl kaum nötig ist, dem noch mehr hinzuzufügen. Was aber geschah danach? Hier liefert Peter Greenaways Film The Falls einige interessante Ideen.

Ein im Film als VUE (Violent Unknown Event) bezeichnetes Ereignis hat stattgefunden, das viele Tote, aber auch eine ganze Reihe an Überlebenden zurückgelassen hat, von denen letztere infolge dessen auffällige Symptome und Verhaltensweisen entwickeln. Um der Sache auf den Grund zu gehen, wird mit all der Akribie, zu der nur wirkliche Bürokraten fähig sind, ein Verzeichnis aller Überlebenden, ihrer Symptome, ihres Bezugs zum VUE und ihres späteren Werdegangs angelegt. Der Film selbst stellt – als Auszug – die 92 Biographien jener Überlebenden vor, deren Name mit den Buchstaben FALL beginnt…

Es handelt sich hier, nach einigen Kurzfilmen, von denen zwei auch eingebaut wurden, um Peter Greenaways ersten langen (und mit 3 ½ Stunden dann gleich ziemlich langen), Film, von dem er allerdings selbst sagte, es sei ja niemand gezwungen, ihn am Stück zu schauen, vielmehr möge man die Biographien ganz nach eigenem Belieben durchstöbern. Und natürlich ist nicht zu übersehen, dass es eben kein Film von Alfred Hitchcock, sondern einer von Peter Greenaway ist, der herzlich wenig auf Suspense, dafür aber viel auf jene Form von Satire und Humor setzt, die man sonst eher bei Monty Python findet.

Und wer nun wissen möchte, was The Falls mit Theodor W. Adorno, Wittgenstein und Foucault zu tun hat, erfährt dies auf der recht umfangreich angelegten Website zum Film, auf der man auch sämtliche 92 Biographien in Textform findet – allerdings ist der Film selbst mit der Musik von Michael Nyman (und ein wenig Brian Eno) unterlegt, die auf der Website nicht zu hören ist und das macht einen großen Unterschied. Einen sehr großen.

(The Falls, Großbritannien 1980; Regie: Peter Greenaway.)

 

The Cat and the Canary

Hier haben wir den Beweis, dass das Grusel-Horror-Geister-Film Genre sein stilgerechtes Medium nicht nur im schwarz/weiß, sondern auch im Stummfilm hat.

Zunächst einmal ist alles vorhanden, was man von dieser Art Film und einem Regisseur, der gerade erst vom deutschen Expressionismus in die USA übergesiedelt war, erwarten darf: ein einsam gelegenes, unheilvolles Haus mit vielen dunklen Schatten, finsteren Ecken und langen düsteren Korridoren (mit wehenden Vorhängen!) und natürlich Treppen, Geheimtüren, -fächer und -gänge und nicht zu vergessen, das überdimensionierte Mobiliar, welches seinerseits wieder schöne, lange, schwarze Schatten wirft und alles zusammen bildet einen effektvollen Kontrast zu den Gesichtern der Menschen, die sich darin bewegen – hell und weiß und meist mit weit aufgerissenen Augen

Überdies spielt die Geschichte natürlich bei Nacht und spätestens hier ist vollkommen klar: in Farbe sähe all dies bei weitem nicht so eindrucksvoll aus (oder schlimmer noch, so albern, wie in der Neuverfilmung von 1978).

Aber auch, dass es sich um einen Stummfilm handelt, ist unbedingt von Vorteil, denn an den Stellen, wo es sinnvoll war, zeigte sich Regisseur Paul Leni ausgesprochen kreativ darin, Ton in Bilder umzusetzen, sei es zum Beispiel beim Schlagen einer Uhr oder auch bei der Gestaltung von Zwischentiteln, die es in ihrer Aussagekraft teilweise durchaus mit Comic-Sprache aufnehmen könnten, während die Tatsache, dass man die ganze Schreierei nur sieht und nicht hört, wiederum recht angenehm ist.

Und wer nun Laune bekommen hat, sich einen Klassiker des Grusel-Genres anzuschauen, kann dies ohne Umstände tun, denn wie so vieles Schöne und Spannende steht auch The Cat and the Canary bei archive.org zu Ansicht und Download bereit. Nur Musik muss man sich selbst dazu auflegen, denn die von Hugo Riesenfeld komponierte ist nicht dabei, aber vielleicht wird man ja hier fündig, oder hier…?

(The Cat and the Canary, USA 1927; Regie: Paul Leni.)

 

The Hole

Anfang der 1990er, ungefähr zur gleichen Zeit, als in Beijing auf die „Fünfte Generation“ Filmemacher die sechste folgte, gab es in Taiwan ebenfalls nach der ersten Welle des New Taiwanese Cinema, eine zweite und bereits fünf Jahre nachdem überhaupt zum ersten Mal ein Film in chinesischer Sprache in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, konnte nach Hou Hsiao-hsien schon der zweite Filmemacher aus Taiwan diesen Preis entgegen nehmen.

Denn auch wenn Tsai Ming-liang genau genommen in Kuching, Malaysia, geboren und aufgewachsen war, und sich einige Jahre als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur bei TV-Produktionen in Hong Kong betätigte, so drehte er doch bislang die meisten seiner Filme in Taipeh, wo er bis 1982 an der Chinese Culture University Drama und Film studiert hatte.

In diesen, seinen Filmen verzichtet Tsai Ming-liang weitgehend auf Dialoge, setzt aber mit schöner Regelmäßigkeit Räume, am liebsten Küchen, unter Wasser, oder lässt es doch wenigstens draußen ständig regnen, was den praktischen Nebeneffekt hat, dass das Geräusch des ständig strömenden Wassers auch gleich den Soundtrack ersetzt.

Ähnlich wie seine Kollegen von der ersten Welle des Neuen Taiwanesischen Kinos schätzt Tsai Ming-liang auch sehr, sehr lange Einstellungen, in denen zum Beispiel Flure oder Durchgänge gezeigt werden: Menschen bleiben darin stehen, gehen hinein und hinaus, bisweilen pinkeln sie auch, aber die Kamera bewegt sich nicht – manchmal passiert auch gar nichts, oder es wird dunkel, weil eine Frau gerade das Fenster mit Paketband zugeklebt hat.

Damit das Ganze nicht zu symbolisch aufgeladen wirkt, wird es ab und zu durch absurde Sexszenen aufgelockert, in einem seiner bekanntesten Filme zum Beispiel, spielen dabei Wassermelonen eine wichtige Rolle, die allerdings, wie er bereits vorher in einem anderen Film anschaulich vorgeführt hatte, auch gut zum Bowling geeignet sind. Überhaupt zitiert Tsai Ming-liang sich ganz gerne selbst, oder ist doch zumindest darum bemüht, seine eigene Bildsprache zu entwickeln und wiederholt einzusetzen.

Eine weiterer fester Bestandteil seiner Filme ist Lee Kang-sheng, der in allen Filmen von Tsai Ming-liang die Hauptrolle spielt, so auch in The Hole, unterstützt von Yang Kuei-Mei, die man zwar auch aus diesem Film kennen kann, aber eben auch aus zahlreichen anderen Tsai Ming-liang-Produktionen. Überhaupt sind hier viele der typischen Elemente vertreten, aber die langen Einstellungen werden in The Hole zum ersten Mal so konsequent wie abwechslungsreich eingesetzt: apokalyptisches Wasserrauschen in der baufälligen Sperrzone contra 30er Jahre Mandarin-Popsongs mit Federn und Pailletten.

(The Hole, Taiwan und Frankreich 1998; Regie: Tsai Ming-liang.)


The Puppetmaster

Anders als bei der Reihe gleichnamiger Filme aus den USA handelt es sich hier keineswegs um einen Horrorfilm und der Titel ist auch nicht im übertragenen Sinne, zum Beispiel als politischer Strippenzieher zu verstehen, sondern es geht tatsächlich ganz handgreiflich um einen taiwanesischen Puppenspieler. Sein Name ist Li Tian-lu und er war bereits in diesem Film von Hou Hsiao-hsien zu sehen, aber während er dort die Rolle des Familienvaters spielt, geht es nun um sein eigenes, tatsächliches Leben, wobei auch dieses Drehbuch wieder in bereits bewährter Zusammenarbeit von Chu Tien-wen und Wu Nien-jen verfasst wurde.

Geboren im Jahr 1909, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erzählt der mittlerweile 84jährige Li seine persönliche Geschichte und damit auch die von Taiwan, beginnend in der Zeit als Taiwan eine japanische Kolonie war, über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Machtübernahme der chinesischen Kuoming-Partei.

Dabei wechseln sich lange, ungeschnittene Szenen, in denen der alte Mann ganz gelassen in einem Sessel sitzt und erzählt, mit solchen ab, in denen das Erzählte von Schauspielern nach-, bzw. vorabgespielt wird, denn bisweilen sieht man die gespielten Szenen, bevor durch die erst danach einsetzende Stimme aus dem Off verständlich wird, worum es sich handelt. Und so ist The Puppetmaster zwar einerseits der mittlere Teil der Film-Trilogie von Hou Hsiao-hsien, die sich mit der Geschichte Taiwans im 20. Jahrhundert auseinander setzt, gehört aber eben auch zu der ganzen Reihe von Hou Hsiao-hsien Filmen, die Autobiographisches verarbeiten.

Was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch grundlegend von vielen der späteren Filme Hou Hsiao-hsiens unterscheidet, die unübersehbar von der jeweiligen Gegenwart handeln, in der sie entstanden sind.

(The Puppetmaster, Taiwan 1993; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)