Monthly Archives: November 2012

The Time to Live and the Time to Die

Einer der aktivsten und konsequentesten Mitbegründer des Taiwanesischen Neuen Kinos Anfang der 1980er war Hou Hsiao-hsien, der sich gleich in vielfacher Hinsicht als treibende Kraft betätigte: als Regisseur, Schauspieler und Produzent beispielsweise. Und anders als sein Kollege Edward Yang, wandte er sich dem Filmemachen auf direktem Wege zu, ohne Umwege über Computerdesign und die USA. Hou Hsiao-hsien war und blieb zunächst in Taiwan, wohin seine Familie, wie so viele andere, 1948, als er knapp ein Jahr alt war, aus der chinesischen Provinz Guangdong vor dem Bürgerkrieg in China geflohen war.

In Taiwan und seiner wechselhaften Geschichte fand Hou Hsiao-hsien auch die Themen seiner frühen Filme, die wiederum gerne auf Autobiographischem beruhten, so wie die Trilogie A Summer at Grandpa‘s (1984), The Time to Live and the Time to Die (1985) und Dust in the Wind (1986), von denen der erste Teil auf den Kindheitserinnerungen der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Chu Tien-wen beruht, der dritte Teil auf denen von Wu Nien-jen, der hier das Drehbuch verfasste und der mittlere Teil von Hou Hsiao-hsiens Kindheit handelt, zu dem er das Drehbuch gemeinsam mit Chu Tien-wen schrieb.

Es ist ein bedächtiger Film, mit langen Einstellungen und ästhetisch schönen Bildern, ruhig und geradlinig erzählt, allenfalls vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Taiwan, die nur gelegentlich auf eine geradezu diskrete Weise in Geräuschen und Bildern erscheint, wie zum Beispiel jene von vorbeifahrenden Panzern, die in der Nacht nur zu hören sind und am nächsten Tag lediglich Spuren auf der Straße hinterlassen haben.

Vielmehr geht es um die sehr private Familiengeschichte der aus China in die Provinz Taiwans Eingewanderten, auch darum, wie es war in dieser Zeit erwachsen zu werden, aber anders, als der einige Jahre später zum gleichen Thema entstandene Film von Edward Yang, A Brighter Summerday (1991), bleibt hier die Zahl der Personen überschaubar, im Wesentlichen auf die Kernfamilie konzentriert, die wir über eine längere Zeitspanne hinweg begleiten und über die wir entsprechend mehr erfahren, unter anderem auch, wie extrem unterschiedlich das Leben für Männer und Frauen war.

(The Time to Live and the Time to Die, Taiwan 1985; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

The Terrorizers

Vierzehn Jahre vor seinem letzten Film erschien The Terrorizers von Edward Yang. Es war sein dritter in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch realisierter Film und zu diesem Zeitpunkt steckte er schon mitten in jener Bewegung, die unter dem selbstbewussten und programmatischen Namen ‚Taiwan‘s New Cinema‘ stattfand.

Denn gemeinsam mit Edward Yang waren Anfang der 1980er eine ganze Reihe von hoffnungsvollen jungen Filmemachern und Drehbuchautoren in Taipeh angetreten, um ihre Vorstellung eines neuen Kinos zu verwirklichen: die Regisseure und Schauspieler Hou Hsiao-hsien und Wu Nien-jen zum Beispiel gehörten zu diesem Kreis, aber auch die Schriftstellerin Chu Tien-wen, deren Romanvorlagen und Drehbücher oft verfilmbares Material lieferten.

Neu daran waren zunächst einmal ihre Art zu erzählen und der angestrebte Realismus ihrer Filme. Ein wenig zeigte man sich hier wohl, wie später auch an anderer Stelle im chinesischsprachigen Kino, vom italienischen Neorealismus beeinflusst. Jedenfalls ging es nicht um Pathos und großes Drama und populäre Stars, sondern die Filmemacher versuchten so nah wie möglich an das Leben der Menschen in Taiwan, sei es in den Großstädten oder auf dem Land, heran zu kommen.

Ein in diesem Umfeld entstandener Film ist The Terrorizers. Anfangs erinnert er noch an Blow up von Michelangelo Antonioni, was ganz sicher kein Zufall, sondern Absicht ist, doch bald entwickelt er sich in eine andere, ganz eigene Richtung, so, wie die verschiedenen Erzählstränge der Geschichte, die anfangs nur parallel nebeneinander herlaufen, schließlich aber doch ein komplexes Gefüge ergeben. Angereichert wird die Handlung zudem durch viele kleine originelle Ideen und bisweilen selbstironische Hinweise, seien es mündliche auf japanische Horrorfilme oder optische, wie zum Beispiel Vergrößerungen, die aus vielen Einzelteilen bestehen und durch Windzug in Bewegung geraten.

Hinzu kommt ein Bildaufbau, der oft durch sich wie von selbst ergebende Rahmen strukturiert wird sowie eigenwillige Kameraschwenks, Bildausschnitte und -Übergänge, die dem Film einen ganz eigenen Stil geben, der, auch wenn man an den Frisuren und der Kleidung einiger Personen die 80er Jahre ablesen kann, ansonsten zeitlos wirkt.

(The Terrorizers, Taiwan 1986; Regie: Edward Yang.)

 

Yi Yi

Auch den 1947 in Shanghai geborenen, in Taipeh aufgewachsenen und 2007 verstorbenen Regisseur Edward Yang zog es früh in die USA. Allerdings zunächst einmal, um sein in Taiwan begonnenes Studium des Computerdesigns abzuschließen und diesen Beruf auch für einige Jahre in Seattle auszuüben. Aufgewachsen in einer Zeit, als es in Taipeh durchaus möglich war, Klassiker des Europäischen Kinos in Retrospektiven zu sehen, hatte er schon seit seiner Kindheit eine Leidenschaft für Filme entwickelt, die ihn nach Abschluss seines Studiums dazu brachte, anstatt eines PhDs lieber ein Filmstudium in Angriff zu nehmen.

Allerdings reagierte er auf die amerikanische Filmindustrie völlig anders als zum Beispiel der Regisseur dieses Films, denn seine nach einem Semester wieder beendete Studienzeit an der USC School of Cinematic Arts in Los Angeles überzeugte ihn zunächst davon, mit dem Filmgeschäft, das ihm dort viel zu kommerziell orientiert war, lieber nichts zu tun haben zu wollen.

Edward Yang selbst erzählte später, dass es Aguirre, der Zorn Gottes, von Werner Herzog war, dem man wohl tatsächlich nicht unterstellen kann, dass er rein kommerzielle Absichten verfolgt, der ihn dazu veranlasste, sich schließlich doch noch selbst auf diesem Gebiet zu betätigen.

Allerdings verließ er zu diesem Zweck die USA und kehrte zurück nach Taiwan, wo er nach einigen kleineren Arbeiten fürs Fernsehen bald eigene Filme schrieb und drehte, für die er sowohl in Taiwan, als auch auf internationalen Festivals viel Anerkennung erhielt.

Sein letzter Film, Yi Yi, wurde im Jahr 2000 in Cannes für die Goldene Palme nominiert und mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Einen Oscar hat Edward Yang für keinen seiner Filme erhalten, aber man darf wohl annehmen, dass dies auch nicht in seiner Absicht lag.

(Yi Yi, Taiwan und Japan 2000; Regie: Edward Yang.)

 

Eat Drink Man Woman

Neben dem Kino des sogenannten Mainland China und den Filmen aus Hong Kong gibt es noch einen weiteren Zweig Filmindustrie chinesischer Sprache mit langer Tradition: das Kino Taiwans.

Großen Zulauf erhielt dieses, ebenso wie Hong Kong, vor allem in der Frühphase der Volksrepublik China, als man im Zuge der angestrebten Volkserziehung auch beim Kino alles zu unterbinden suchte, das nicht ins offizielle Bild passte. In Hong Kong und Taiwan ließ es sich in solchen Zeiten einfach entspannter und unkontrollierter arbeiten und auch Geldgeber fanden sich dort leichter. Und so ist es kein Zufall, dass auch King Hu zum Beispiel, nachdem er diesen Film in Hong Kong gedreht hatte, weiter zog, um seine nachfolgenden, für das Wuxia-Genre stilbildenden Filme in Taiwan zu drehen.

In späteren Zeiten sollte sich dieser – für Taiwan ausgesprochen lukrative Trend für eine Weile umkehren, denn Schauspielerinnen wie zum Beispiel Brigitte Lin (hier und hier) und Joey Wong (hier und hier) oder der Schauspieler Takeshi Kaneshiro (ebenfalls hier zu sehen), stammen gebürtig aus Taiwan, wurden aber hauptsächlich durch Hong Kong Produktionen bekannt.

Auch den zur Zeit international wohl bekanntesten Filmschaffenden aus Taiwan zog es nach drei Filmen, die er in seinem Geburtsland drehte, in eine völlig andere Arbeitsumgebung, anders als die zuvor Genannten wechselte er aber auch gleich den Kontinent, indem er zunächst nach Großbritannien und dann nach Hollywood ging. Was wohl ebenfalls kein Zufall ist, denn wenn man sich die ambitionierte Liste der aus Taiwan als Anwärter für den Academy Award eingereichten Filme ansieht, dann fällt dort neben den vielen „Not Nominated“ nur zweimal „Nominee“ und nur ein einziges Mal „Won Academy Award“ auf, wobei in allen drei Fällen der Name des Regisseurs Ang Lee lautet.

Von eben diesen drei Filmen wurde Eat Drink Man Woman zwar ‚nur‘ nominiert und nicht mit dem Academy Award ausgezeichnet, war aber der letzte Film von Ang Lee, den er ausschließlich in Taiwan drehte und bevor er in den USA lernte, wie Filme aussehen müssen, um tatsächlich für Oscar würdig befunden zu werden.

(Eat Drink Man Woman, Taiwan 1994; Regie: Ang Lee.)

 

The Missing Gun

Wie genau das sieben-jährige Arbeitsverbot als Regisseur definiert war und was im Falle der Zuwiederhandlung drohte, wurde nicht weiter offiziell verlautbart, aber tatsächlich brachte Jiang Wen nach diesem Film und den daraus resultierenden Schwierigkeiten mit der chinesischen Filmbehörde erst pünktlich nach Ablauf der gesetzten Frist wieder einen Beitrag als Regisseur heraus.

Der erste Film, an dem er mitwirkte, nachdem er in Ungnade gefallen war, erschien allerdings schon zwei Jahre später, Jian Wen spielte hier immerhin die Hauptrolle, wenn auch unter der Regie von Lou Chuan.

Die Geschichte könnte einem vage bekannt vorkommen, zumindest, wenn man diesen Film gesehen hat, allerdings sieht sie hier von Anfang an ganz anders aus und entwickelt sich auch rasch eine andere Richtung – aber einige Parallelen bleiben bis zum Schluss erkennbar, ausreichend jedenfalls, um deutlich zu machen, dass Regisseur und Drehbuchautor Lou Chuan hier tatsächlich auf Kurosawa verweist.

Im Hinblick auf Alter und Abschlussjahrgang ist Lu Chuan ebenfalls ein Mitglied der sogenannten 6. Generation der Beijing Film Akademie, was allerdings den Stil seiner Filme angeht, so unterscheidet er sich unübersehbar von seinen Generationsgenossen, was immerhin den angenehmen Nebeneffekt hat, dass seine Filme je nach Thema auch mal selbstironisch und unterhaltsam geraten können, ein Talent, dass er außer fürs große Kino auch recht erfolgreich in der Werbung einsetzt, sei es für Autos oder Reiseziele, aber stets gerne mit viel Landschaft.

Ein wenig davon ist auch in diesem, seinem ersten Film zu sehen, aber mehr noch sieht man von der Kleinstadt, in der er spielt, denn anders als in diesem oder auch in diesem Film, läuft und radelt unser Held weder durch die Hauptstadt Japans noch die der Volksrepublik China, sondern durch die chinesische Provinz, die allerdings, entsprechend dem oben erwähnten Talent seines Regisseurs, ausgesprochen schön anzusehen sehen ist, während die Bewohner für Verwirrung und Intrige sorgen.

(The Missing Gun, China 2002; Regie: Lou Chuan.)