Monthly Archives: September 2011

Eins, zwei, drei

„Kapitalismus ist wie ein toter Hering im Mondenschein: er glänzt, aber er stinkt!“

Billy Wilder hatte ein denkbar schlechtes Timing mit einem Film, in dem das Brandenburger Tor eine der Hauptrollen spielen sollte: eines Morgens, es war der 13. August 1961, stand das Filmteam buchstäblich vor verschlossener Türe – die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin und damit auch das Brandenburger Tor waren im Auftrag der Regierung der DDR über Nacht abgeriegelt worden und nun für die Crew nicht mehr passierbar. Plötzlich konnte einem, wie es der Erzähler am Anfang von Eins, Zwei, Drei ausdrückt, „..der vergangene Juli schon wie die gute alte Zeit vorkommen, gewiss, Berlin war auch damals schon eine geteilte Stadt, aber für diesen Zustand verlief das Leben verhältnismäßig normal – man konnte durchs Brandenburger Tor fahren, ja, man konnte sogar wieder zurück. Ein Teil der östlichen Volkspolizisten war bösartig und unwillig, dafür waren andere unartig und böswillig.“

Für das Filmteam bedeutete dies die Abreise aus Berlin nach München, wo auf dem Gelände der Bavaria Film Studios eine Attrappe des unteren Teils des Brandenburger Tores errichtet wurde, um die noch fehlenden Szenen drehen zu können.

Für die Premiere des Film bedeutete es aber auch, dass die Menschen nicht nur in Berlin, nur wenige Monate nach dem Mauerbau nicht wirklich empfänglich für den teilweise schmerzhaft treffenden Witz des Films waren, zudem eben ein Großteil der Geschichte auf dem schnellen Hin und Her zwischen West- und Ost-Berlin, immer mitten durch das Brandenburger Tor, beruhte, das zu dem Zeitpunkt, als der Film in den Kinos lief schon nicht mehr möglich war. Zwar wurde Eins, Zwei, Drei 1962 in den USA für einen Oscar und zwei Golden Globes nominiert, aber beim Publikum, in Deutschland, wie in den USA, fiel er weitgehend durch, woran auch Liselotte Pulvers Einsatz als personifiziertes ‚Fräuleinwunder‘ nichts ändern konnte.

Erst nach über 20 Jahren, als Eins, Zwei, Drei im Jahr 1985 erneut in die deutschen Kinos kam, fand er ein begeistertes Publikum, ganz besonders in West-Berlin, wo er sich in manchen Filmtheatern zum Dauerbrenner entwickelte. – Die Zeiten hatten sich geändert und schon wenige Jahre später sollten ja auch die Berliner Mauer Geschichte und das Brandenburger Tor wieder ungehindert passierbar sein.

(One, Two, Three, USA 1961; Regie: Billy Wilder.)

Tengoku to Jigoku

Akira Kurosawa hatte bereits zahlreiche Drehbücher geschrieben, bevor er seinen ersten Film als Regisseur drehte, dementsprechend wichtig waren ihm diese auch von Anfang an bei seinen eigenen Filmen. In seinen 1975 durch die Toho Company, deren langjähriger Angestellter er war, veröffentlichten Ratschlägen an junge Aspiranten des Filmgewerbes, heißt es z. B.: „Mit einem guten Drehbuch kann ein guter Regisseur ein Meisterwerk produzieren; mit dem selben Drehbuch kann ein mittelmäßiger Regisseur einen passablen Film machen. Aber aus einem schlechten Drehbuch kann nicht einmal ein guter Regisseur einen guten Film machen.“

In seiner Autobiographie empfiehlt Kurosawa zudem, man solle Drehbücher stets in kleinen Gruppen von mindestens drei Leuten schreiben, um mehrere, verschiedene Perspektiven zu erhalten. Er selbst arbeitete regelmäßig mit denselben fünf Drehbuchautoren zusammen: Eijirō Hisaita, Ryuzo Kikushima, Shinobu Hashimoto, Hideo Oguni und Masato Ide, die auch schon mal gruppenweise so lange in einem japanischen Onsen versammelt und von jeglicher Ablenkung ferngehalten wurden, bis Kurosawa zufrieden war und ein verwertbares Script hatte.

Damit nicht genug, verfasste Kurosawa aber auch noch, so schreibt es zumindest Stuart Galbraith in seinem Buch The Emperor and the Wolf: The Lives and Films of Akira Kurosawa and Toshiro Mifune (2002) zu manchen seiner Filme umfangreiche, Detail versessene Ausführungen, die keine Fragen über die Umsetzung seiner Vorstellungen mehr offen ließen, bis hin zu ausführlichen Genealogien der Hauptfiguren und der Art und Weise, wie bestimmte Charaktere gehen, grüßen, oder sich ihre Schuhe zubinden sollten.

Auch wenn Kurosawa für seine Drehbücher auf literarische Vorlagen zurückgriff, war er wählerisch – und ausgesprochen vielseitig: es konnte sich dabei sowohl um zeitgenössische japanische Romane, als auch um Shakespeares Macbeth handeln, den er ins Japan der Feudalzeit verlegte, oder er verfilmte Maxims Gorkis Theaterstück Nachtasyl. Im Falle von Tengoku to Jigoku (zu deutsch: Himmel und Hölle), kam die Vorlage allerdings von dem amerikanischen Krimiautor Ed McBain, der im selben Jahr, als Akira Kurosawa auf der Grundlage seines Krimis „King‘s Ransom“ den Film Tengoku to Jigoku drehte, seinerseits wiederum nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier für Alfred Hitchcock das Drehbuch zu Die Vögel schrieb…

(Tengoku to Jigoku, Japan 1963; Regie: Akira Kurosawa.)

Un Chien Andalou

„Dieser Film ging aus einer Begegnung zweier Träume hervor. Dalí hatte mich eingeladen, ein paar Tage bei ihm in Figueras zu verbringen, und als ich dort ankam, erzählte ich ihm, dass ich kurz vorher geträumt hätte, wie eine langgezogene Wolke den Mond durchschnitt und wie eine Rasierklinge ein Auge aufschlitzte. Er erzählte mir seinerseits, dass er in der voraufgehenden Nacht im Traum eine Hand voller Ameisen gesehen habe, und fügte hinzu: ‚Und wenn wir daraus einen Film machten?‘“

So erzählt es Luis Buñuel im Kapitel Un Chien Andalou seiner Erinnerungen „Mein letzter Seufzer“. Dort erfährt man auch, dass das Drehbuch „in weniger als einer Woche nach einer sehr einfachen Regel“ geschrieben wurde: „keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gäbe; die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängen, ohne in Erfahrung bringen zu wollen, warum.“ Kein Wunder also, dass Buñuel nach Abschluss des Drehbuchs feststellte, „dass es sich um einen höchst ungewöhnlichen, provozierenden Film handeln würde, den kein normales Produktionssystem akzeptierte.“ Also leiht er sich Geld von seiner Mutter, und nachdem er die Hälfte davon in verschiedenen Bars in Paris durchgebracht hat, macht er sich an die Dreharbeiten, welche 14 Tage dauern, von denen Dali allerdings die meisten in seinem Atelier damit verbringt, „Pech in die Augen der ausgestopften Eselsköpfe zu gießen“.

Dennoch kam es auf Betreiben von Man Ray 1929 sogar zu einer öffentlichen Premiere, bei der nicht nur die Gruppe der Surrealisten, u. a. Max Ernst, Hans Arp und René Magritte vollständig vertreten waren, sondern auch nahezu die gesamte intellektuelle und kreative Szene von Paris, inklusive Picasso, Le Corbusier, und Cocteau. Buñuel selbst war natürlich einigermaßen aufgeregt und hatte, so behauptet er, sich Steine in die Taschen gelegt, um im Falle eines Misserfolgs das Publikum damit zu bewerfen. Dazu kam es glücklicherweise nicht, der Film war ein Erfolg und zudem noch ein derart dauerhafter, dass er über acht Monate im Kino lief und ständig ausverkauft war, was Buñuel nicht nur Geld einbrachte, sondern auch eine Menge Ärger, denn während die Einen forderten, man solle Un Chien Andalou verbieten, verlangten die Surrealisten eine Erklärung von Buñuel, wie es passieren konnte, dass der als Skandal gedachte Film plötzlich so erfolgreich – noch dazu auch kommerziell! – sein konnte…?

Seither wurde er von vielen Regisseuren zitiert, darunter so unterschiedliche wie Hitchcock (Spellbound 1945 und North by Northwest 1959), Henri-Georges Clouzot (Les Diaboliques 1955), James Cameron (The Terminator 1984), David Lynch (Blue Velvet 1986), Pedro Almodóvar (Mujeres al Borde de un ataque de nervios 1988), Jonathan Demme (The silence of the lambs 1991), Krzysztof Kieslowski (La double vie de Véronique 1991), Andy und Lana Wachowsky (Matrix 1999), Gore Verbinsky (Ring 2002) und Chan-wok Park (Oldboy 2003), um nur einige wenige zu nennen, eine ausführliche, aber vermutlich immer noch nicht vollständige Liste findet sich z. B. hier.

Man sieht also, es lohnt sich durchaus, die 16 Minuten Zeit zu investieren, die Un Chien Andalou dauert, zudem man ihn ganz einfach und legal im Netz anschauen kann, z. B. hier oder hier.

(Un Chien Andalou, Frankreich 1929; Regie: Luis Buñuel.)

Oldboy

Selbst in Cannes dürfte es wohl nicht alle Tage vorkommen, dass ein Regisseur, nachdem er den Großen Preis der Jury entgegengenommen hat, neben Cast und Crew auch den vier Oktopoden dankt, die für seinen Film ihr Leben gelassen haben. Dass Park Chan-wook dies im Jahr 2004 tat, war allerdings durchaus angebracht, vor allem, wenn man die betreffende Szene kennt und weiß, dass Min-sik Choi, der Hauptdarsteller, bekennender Buddhist und Vegetarier ist – allerdings sollte man berücksichtigen, dass das Gericht, von dem hier die Rede ist, in Korea als Delikatesse gilt und tatsächlich in spezialisierten Restaurants serviert wird – wenn auch, wie die Frage der Köchin es im Film andeutet, normalerweise in geschnittener Form.

Alle weiteren Szenen des Films, eingeschlossen jene mit expliziter Gewalt, dürften in Europa aber genauso wenig missverständlich sein, wie in allen anderen Teilen der Welt und man muss auch nicht unbedingt wissen, dass die Geschichte lose auf dem gleichnamigen japanischen Manga von Tsuchiya Garon und Minegishi Nobuaki beruht, auch wenn dieser ebenfalls ausgezeichnet wurde. Ebenso wenig muss man wissen, dass es sich hier um den mittleren Teil der sogenannten „Rache-Trilogie“ von Chan-wook Park handelt, denn diese drei Filme haben nur das Thema gemeinsam, beziehen sich inhaltlich aber nicht weiter aufeinander.

Wesentlich aufschlussreicher ist es da schon, wenn man weiß, dass Park Chan-wook  von sich sagt, er habe kein Vergnügen an Filmen, die den Zuschauer zur Entspannung einladen, wenn man diese nötig habe, solle man doch besser einen Wellness-Tag einlegen. Auch, dass er von sich behauptet, regelmäßig nachts im Bett zu liegen und sich in übelsten Peinigungsszenen auszumalen, wie man das Leben eines Menschen aufs Gründlichste ruinieren kann, um danach mit einem Lächeln auf den Lippen einzuschlafen und dies – solange es im Bereich der Fantasie bleibt! – sogar als heilsam empfiehlt, könnte ebenfalls ein Schlüssel zum Verständnis seiner Filme sein. Andererseits muss man wohl nicht unbedingt alles glauben, was Chan-wook Park auf Pressekonferenzen erzählt, so sagte er z. B. auch, zur Rache-Trilogie sei es nur gekommen, weil ihn nach der Premiere von Oldboy die wiederholten Fragen der koreanischen Journalisten, warum er sich einem solch hässlichen Thema gleich zweimal hintereinander gewidmet habe, so provozierten, dass er spontan verkündete, er werde noch einen dritten Teil zum Thema Rache drehen, was eigentlich ganz und gar nicht seine Absicht gewesen sei, vielmehr habe er seine Ankündigung anschließend bereut, es aber dennoch umgesetzt, weil er es nicht mehr zurücknehmen konnte.

Absolut glaubwürdig ist Park Chan-wook hingegen, wenn er sagt: „I have principles and rules. I deal very carefully with acts of violence and make sure that audiences understand how much suffering these acts cause.“

Und wenn man Oldboy gesehen hat, glaubt man ihm auch dies aufs Wort: „Basically, I’m throwing out the question ‘When is such violence justified?’ To get that question to touch the audience physically and directly – that’s what my goal is. In the experience of watching my film, I don’t want the viewer to stop at the mental or the intellectual. I want them to feel my work physically. And because that is one of my goals, the title ‘exploitative’ will probably follow me around for a while.“

(Oldeuboi, Südkorea 2003; Regie: Park Chan-wook.)

The Good, the Bad and the Ugly

Gäbe es eine offizielle Liste der schlechtesten Übertragungen von Filmtiteln ins Deutsche, so wären dort „Der irre Flic mit dem heißen Blick“ und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ gut aufgehoben. Wie aus „Revenge of the Pink Panther“ erstere Fehlbetitelung werden konnte, möchte man lieber nicht wissen, während es sich beim zweiten Beispiel zwar um die wörtliche Übersetzung des englischen Romantitels von James M. Cain handelt, der als Drehbuch-Vorlage diente („The Postman always rings twice“), dieser aber als Sprichwort zu verstehen ist, im Sinne von „man sieht sich immer zweimal im Leben“ oder auch „es gibt immer eine zweite Chance“, wohingegen weder im Roman noch in einer der bisher fünf Verfilmungen, der Oper, oder dem Theaterstück, jemals ein Postbote eine Rolle spielte, geschweige denn, dass er zweimal klingelt.

Ob wiederum die Bezeichnungen „glorreich“ und „Halunken“ auf die Hauptrollen des Films mit dem deutschen Titel „Zwei glorreiche Halunken“ wirklich zutreffend sind, mag noch dahingestellt bleiben, ganz entschieden aber handelt es sich nicht um zwei, sondern um drei Personen, die mit durchaus unterschiedlichen Motiven und Charakteristika ausgestattet sind, weshalb der italienische Originaltitel auch deutlich differenzierter „Il buono, il brutto, il cattivo“ lautet – zu deutsch: der Gute, der Hässliche und der Böse. Wobei Hässlichkeit, ebenso wie Schönheit natürlich immer im Auge des Betrachters liegt, und darüber, wer hier eigentlich wie gut oder böse ist, kann man vielleicht auch geteilter Meinung sein.

Auf alle Fälle handelt es sich aber um den dritten Teil der sogenannten Dollar-Trilogie von Sergio Leone, mit der er den patriotischen US-Western der John-Wayne-Kategorie mal so richtig zeigte, mit wie wenig Budget man so was in Europa drehen kann und anschließend sieht es auch noch besser aus. Wobei die richtigen Vorbilder durchaus hilfreich sein können und mitunter aus Japan kommen, aber anders, als beim ersten Teil hatte Leone es hier nicht mehr nötig, Kurosawa nachzustellen. Einige Elemente ziehen sich durch alle drei Filme, die Kameraeinstellungen z. B., die gerne in langen Nahaufnahmen die Gesichter, manchmal nur die Augen zeigen, Clint Eastwood als einer der Hauptdarsteller und nicht zuletzt die unverwechselbar stilbildende Musik von Ennio Morricone, die nicht nur die Handlung, sondern auch gleich die Dialoge trägt und weiterführt. Und auch hier ist Leone nicht zimperlich, manche Szenen sind brutal, und wir sind trotzdem in Großaufnahme dabei, aber etwas ist hier anders als in seinen früheren Filmen: denn egal was die handvoll Männer, an deren keineswegs lauteren Absichten kein Zweifel bestehen kann, einander antun, und egal, wer von ihnen schließlich gewinnt oder verliert – vor dem Hintergrund des Krieges, in den sie hier immer wieder geraten, ist es geradezu harmlos.

(Il buono, il brutto, il cattivo, Italien 1966; Regie: Sergio Leone.)