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Vargtimmen

Davon, dass Ingmar Bergman in seinem Leben oft mit Ehrungen und Auszeichnungen bedacht wurde, und wie er darauf reagierte, war hier schon an anderer Stelle die Rede. Als einer seiner bekanntesten, nicht nur preiswürdigen, sondern auch einflussreichsten Filme gilt bis heute Persona. Wesentlich weniger bekannt ist hingegen Vargtimmen, obwohl er gewissermaßen die andere Hälfte von Persona darstellt, denn beide Filme gehen auf das gleiche Manuskript mit dem Arbeitstitel „Die Menschenfresser“ zurück, das Bergman 1964 während eines langen Krankenhausaufenthalts schrieb. Wieder genesen erschien ihm das Skript zunächst als zu aufwendig und teuer zu verfilmen, weshalb er es in reduzierter und damit auch konzentrierterer Version drehte. Nach Abschluss der Dreharbeiten zu Persona scheinen ihm aber doch einige Ideen und Motive aus dem ursprünglichen Manuskript zu wichtig gewesen zu sein, um sie einfach fallen zu lassen und so kam es zu Vargtimmen, zu deutsch: Die Stunde des Wolfes.

Dass dieser Film, gemessen an seinem Vorgänger, ein weniger großer Erfolg wurde, dürfte wohl damit zusammenhängen, dass er, selbst für einen Bergman, sehr düster geraten ist. Zudem verabschiedet er sich hier von herkömmlichen Erzählformen: die Geschichte ist ineinander verschachtelt und damit ähnlich verwirrt wie der nervliche Zustand des Protagonisten. Aber auch Vargtimmen hat, wie viele Filme von Bergman, autobiographische Züge: so lässt er Max von Sydow als Johan Borg einiges Erhellendes zum Thema Künstlerdasein sagen und eine kurze, aber sehr intensive Szene, in der es um Schränke, elterliche Bestrafung und daraus resultierende Kindheitstraumata geht, könnte ziemlich genau so, wie sie im Film geschildert wird, auf Bergmans eigene Erinnerungen zurück gehen, wobei sie den erst vor kurzem ebenfalls gefeierten und mit zahlreichen Auszeichnungen versehenen Film von Michael Haneke, Das weiße Band, geradezu vorweg nimmt. Allerdings, während Haneke seine Geschichte in 144 Minuten erzählt, reichen bei Bergman nur wenige Sätze.

(Vargtimmen, Schweden 1968; Regie: Ingmar Bergman.)

Wilde Erdbeeren

Es gibt zahlreiche internationale Filmfestivals, die meisten davon finden jährlich statt und fast alle vergeben Preise, wobei Kategorien wie „Bester Film“ und „Bester Regisseur“ selbstverständlich immer vertreten sind. Folglich ist im Laufe der Zeit so Einiges zusammengekommen, an ‚ausgezeichneten‘ Filmen, wie auch an ebensolchen Filmemachern. Wenn aber eine Jury aus ihrerseits preisgekrönten Filmregisseuren einen „Besten Filmregisseur aller Zeiten“ kürt, so wie 1997, anlässlich des 50. Jubiläums der Filmfestspiele von Cannes geschehen, dann liegt es wohl in der Natur der Sache, dass dieser Preis nicht gerade dazu geeignet ist, inflationär zu werden.

Selbst für Ingmar Bergman, der damals fast 80 Jahre alt war und in seinem Leben viele Auszeichnungen, nicht nur in Cannes, erhalten hatte, dürfte dies wohl eine besondere Art der Ehrung gewesen sein. Trotzdem machte er sich nicht die Mühe, selbst nach Cannes zu reisen, um sich dort feiern zu lassen, lieber schickte er einen Fernsehfilm als Beitrag („Lamar och gör sig till“/ „Dabei: ein Clown“) und seine Tochter Linn Ulmann um die „Palme der Palmen“ unter dem Applaus von 28 Filmregisseuren, jeder davon ebenfalls im Besitz mindestens einer Goldenen Palme, entgegen zu nehmen.

Er selbst hingegen zog es vor, daheim zu bleiben, in seinem Haus auf der Insel Farö, das nach seinen Vorstellungen gestaltet war und wo er, wie er ein paar Jahre später in einem Interview erzählte, zwar manchmal tagelang mit niemandem ein Wort wechselte, sich aber dennoch nicht als einsam empfand (Zitat ab 4:25 min).

Ein zurückgezogenes Leben in einem schönen Haus, Jemand, der sich um den Haushalt kümmert, ansonsten nicht allzu viel menschlicher Kontakt, so lernen wir auch Professor Isaak Borg kennen, den Protagonisten aus Wilde Erdbeeren – allerdings wurde dieser Film bereits 40 Jahre vor besagter Preisverleihung in Cannes gedreht und Bergman war damals erst Ende Dreißig. Sein Hauptdarsteller, Victor Sjöström, hingegen, ehemals selbst ein gefeierter Hollywood-Regisseur der Stummfilmzeit, brachte mit knapp 80 Jahren durchaus das erforderliche Alter und die nötige Reife für diese, seine letzte Rolle, mit. Was die Zusammenarbeit der beiden aber wohl auch nicht immer vereinfachte, zumindest erzählte Bergman später gerne, dass Sjöström während der Dreharbeiten hauptsächlich an seinem frühen Feierabend sowie dem dazugehörigen, pünktlich servierten Glas Whisky gelegen war.

Der schwedische Originaltitel des so im Jahre 1957 entstandenen Films lautet Smultronstället, was nicht nur, wie der deutsche Titel, Wilde Erdbeeren bedeutet, sondern auch einen vielleicht unscheinbaren, aber besonderen Ort meinen kann, an dem persönliche Erinnerungen hängen. Auch der Vorname des Helden, Isaak, hat seine spezielle Bedeutung, aus dem Hebräischen übersetzt heißt er „Gott möge lächeln“, was man bei Ingmar Bergman, Sohn eines lutherischen Pastors, der in vielen seiner Filme seine Bibelfestigkeit unter Beweis stellte, wohl als gewusst und beabsichtigt voraussetzen darf.

Und, ja, selbstverständlich wurde auch dieser Film mehrfach ausgezeichnet, wenn auch nicht in Cannes, aber 1958 mit dem Goldenen Bären in Berlin, 1959 mit dem Astor de Oro als „Bester Film“ und Victor Sjöström als „Bester Darsteller“ beim Mar del Plata in Argentinien und im Jahr 1960 in Los Angeles bei der Verleihung der Golden Globes mit dem Samuel Goldwyn International Award.

(Smultronstället, Schweden 1957; Regie: Ingmar Bergman.)