Category Archives: Heimatfilm

The Time to Live and the Time to Die

Einer der aktivsten und konsequentesten Mitbegründer des Taiwanesischen Neuen Kinos Anfang der 1980er war Hou Hsiao-hsien, der sich gleich in vielfacher Hinsicht als treibende Kraft betätigte: als Regisseur, Schauspieler und Produzent beispielsweise. Und anders als sein Kollege Edward Yang, wandte er sich dem Filmemachen auf direktem Wege zu, ohne Umwege über Computerdesign und die USA. Hou Hsiao-hsien war und blieb zunächst in Taiwan, wohin seine Familie, wie so viele andere, 1948, als er knapp ein Jahr alt war, aus der chinesischen Provinz Guangdong vor dem Bürgerkrieg in China geflohen war.

In Taiwan und seiner wechselhaften Geschichte fand Hou Hsiao-hsien auch die Themen seiner frühen Filme, die wiederum gerne auf Autobiographischem beruhten, so wie die Trilogie A Summer at Grandpa‘s (1984), The Time to Live and the Time to Die (1985) und Dust in the Wind (1986), von denen der erste Teil auf den Kindheitserinnerungen der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Chu Tien-wen beruht, der dritte Teil auf denen von Wu Nien-jen, der hier das Drehbuch verfasste und der mittlere Teil von Hou Hsiao-hsiens Kindheit handelt, zu dem er das Drehbuch gemeinsam mit Chu Tien-wen schrieb.

Es ist ein bedächtiger Film, mit langen Einstellungen und ästhetisch schönen Bildern, ruhig und geradlinig erzählt, allenfalls vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Taiwan, die nur gelegentlich auf eine geradezu diskrete Weise in Geräuschen und Bildern erscheint, wie zum Beispiel jene von vorbeifahrenden Panzern, die in der Nacht nur zu hören sind und am nächsten Tag lediglich Spuren auf der Straße hinterlassen haben.

Vielmehr geht es um die sehr private Familiengeschichte der aus China in die Provinz Taiwans Eingewanderten, auch darum, wie es war in dieser Zeit erwachsen zu werden, aber anders, als der einige Jahre später zum gleichen Thema entstandene Film von Edward Yang, A Brighter Summerday (1991), bleibt hier die Zahl der Personen überschaubar, im Wesentlichen auf die Kernfamilie konzentriert, die wir über eine längere Zeitspanne hinweg begleiten und über die wir entsprechend mehr erfahren, unter anderem auch, wie extrem unterschiedlich das Leben für Männer und Frauen war.

(The Time to Live and the Time to Die, Taiwan 1985; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

The Missing Gun

Wie genau das sieben-jährige Arbeitsverbot als Regisseur definiert war und was im Falle der Zuwiederhandlung drohte, wurde nicht weiter offiziell verlautbart, aber tatsächlich brachte Jiang Wen nach diesem Film und den daraus resultierenden Schwierigkeiten mit der chinesischen Filmbehörde erst pünktlich nach Ablauf der gesetzten Frist wieder einen Beitrag als Regisseur heraus.

Der erste Film, an dem er mitwirkte, nachdem er in Ungnade gefallen war, erschien allerdings schon zwei Jahre später, Jian Wen spielte hier immerhin die Hauptrolle, wenn auch unter der Regie von Lou Chuan.

Die Geschichte könnte einem vage bekannt vorkommen, zumindest, wenn man diesen Film gesehen hat, allerdings sieht sie hier von Anfang an ganz anders aus und entwickelt sich auch rasch eine andere Richtung – aber einige Parallelen bleiben bis zum Schluss erkennbar, ausreichend jedenfalls, um deutlich zu machen, dass Regisseur und Drehbuchautor Lou Chuan hier tatsächlich auf Kurosawa verweist.

Im Hinblick auf Alter und Abschlussjahrgang ist Lu Chuan ebenfalls ein Mitglied der sogenannten 6. Generation der Beijing Film Akademie, was allerdings den Stil seiner Filme angeht, so unterscheidet er sich unübersehbar von seinen Generationsgenossen, was immerhin den angenehmen Nebeneffekt hat, dass seine Filme je nach Thema auch mal selbstironisch und unterhaltsam geraten können, ein Talent, dass er außer fürs große Kino auch recht erfolgreich in der Werbung einsetzt, sei es für Autos oder Reiseziele, aber stets gerne mit viel Landschaft.

Ein wenig davon ist auch in diesem, seinem ersten Film zu sehen, aber mehr noch sieht man von der Kleinstadt, in der er spielt, denn anders als in diesem oder auch in diesem Film, läuft und radelt unser Held weder durch die Hauptstadt Japans noch die der Volksrepublik China, sondern durch die chinesische Provinz, die allerdings, entsprechend dem oben erwähnten Talent seines Regisseurs, ausgesprochen schön anzusehen sehen ist, während die Bewohner für Verwirrung und Intrige sorgen.

(The Missing Gun, China 2002; Regie: Lou Chuan.)

 

The World

„See the world in one day without ever leaving Beijing!“

Manchmal ist Die Welt ein Themenpark. In diesem Falle kann man ihn per Bahn umrunden („Good day dear visitors, welcome onboard the monorail. It circles the park completely. The ride takes 15 minutes.“) oder auch zu Fuß besichtigen: ein japanisches Teehaus mit Garten zum Beispiel, den Eiffel-Turm, das Taj Mahal, den schiefen Turm von Pisa, den Petersplatz und die Pyramiden, die Tower Bridge, Big Ben und einige mehr, alles in miniatur nachgebaut versteht sich, aber dafür stehen hier auch solche Sehenswürdigkeiten, die es an ihrem eigentlichen Standort nicht mehr zu besichtigen gibt („These are the Twin Towers, they were bombed on 11th September, we still have them.“ – „Great!“).

Vorbild und Drehort waren der reale Beijing World Park und ein etwas älterer, aber ähnlicher Themenpark in Shenzhen, vor allem aber geht es hier um die Menschen, die dort arbeiten, bescheiden entlohnt und noch bescheidener untergebracht, als Wachpersonal, in der Gastronomie oder mit wechselnden Kostümen als Darsteller/innen an den Attraktionen des Parks oder in den dazugehörigen Shows.

Und angefangen hatte es ja schon mit diesem Film, aber irgendwann muss es zwischen den Kritikern und Jia Zhang-ke so richtig gefunkt haben, denn ab dann begannen ihn fast alle zu lieben, wobei ihm sein Ruf als chinesischer Underground- oder Independent-Filmemacher wohl ganz hilfreich gewesen sein dürfte.

Obwohl er dies genau genommen mit The World schon nicht mehr war. Denn zwar hatte Jia Zhang-ke mittlerweile eine eigene Produktionsfirma gegründet, und wurde weiterhin hauptsächlich von japanischen Filmstudios, allen voran Office Kitano, und mit Geld aus Frankreich finanziert, aber diesmal erhielt er auch Unterstützung aus Shanghai und vor allem: die offizielle Erlaubnis der chinesischen Filmaufsichtsbehörde in Beijing, diesen und bislang auch alle seine folgenden Filme ohne Änderungen im In- und Ausland zu zeigen und bei internationalen Wettbewerben einzureichen.

Letzteres mit Erfolg, denn auch wenn seine Filme weder in China noch im Rest der Welt das Publikum in Scharen in die Kinos zogen, Kritiker und Jurys internationaler Filmfestivals waren offensichtlich beeindruckt: auch für The World, der bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, gab es neben einigen anderen Auszeichnungen wieder eine Nominierung und zwei Jahre später, mit seinem nächsten Film, erhielt er dann schließlich auch seinen ersten Goldenen Löwen, ganz zu schweigen von all dem Kritiker-Lob, das er seitdem ebenfalls erhält

(The World, China 2004; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

The Story of Qiu Ju

Mittlerweile hat sich Zhang Yimou, der bei den Olympischen Spielen im Sommer 2008 sowohl bei der aufwendig gestalteten Eröffnungs-, als auch bei der ebenfalls groß angelegten Abschlussfeier in Beijing die Regie führen durfte, ganz offensichtlich mit Zensur und Politik in seinem Heimatland China arrangiert.

Dies war zu Beginn seiner Karriere noch anders, gleich nach Abschluss seines Studiums an der Filmakademie von Beijing hatte er sich gemeinsam mit seinem Kommilitonen Chen Kaige in die Provinz abgesetzt, um dort diesen Film zu drehen, und bei vielen seiner späteren Arbeiten, bei denen er dann nicht mehr nur die Kamera, sondern auch die Regie führte, kam es immer wieder zu Differenzen mit den chinesischen Behörden, die wiederum regelmäßig Aufführungsverbote für seine Filme in China nach sich zogen. Was ihn aber andererseits auf internationalen Festivals vielleicht umso mehr zum gerne gesehenen und gefeierten Gast machte.

Jedenfalls hatte er, als er sich Anfang der 1990er daran machte, die Geschichte einer Frau zu verfilmen, die sich auf einen langen Weg durch die behördlichen Instanzen in China macht, im Hinblick auf dieses Thema, bereits reichlich eigene Erfahrung gesammelt. Dennoch geriet Qui Ju Da Guansi (Die Geschichte der Qiu Ju) keineswegs zu einer Abrechnung oder Anklage. – Traf aber dafür ziemlich genau den Geschmack und die Erwartungen der westlichen (Festival-) Zuschauer, oder doch zumindest der Kritiker und Jury-Mitglieder, die vor allem jene Teile des Films lobend hervorhoben, die den mit einer Handkamera aufgenommenen Alltag auf den Straßen von Chinas Städten zeigten, was vielleicht auch ein wenig damit zu tun hatte, dass sie ähnliche Bilder bereits von Michelangelo Antonioni kannten.

Zhang Yimou aber war es dieses Mal anscheinend endlich gelungen, es allen recht zu machen: auf den internationalen Festivals wurde er gefeiert und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Löwen in Venedig, und auch im Heimatland wurde sein Film mit wohlwollender Billigung der Behörden aufgeführt. Ein Konzept, dass er einige Jahre später, in einer etwas anderen Variante, diesmal nicht ganz unumstritten, aber mit dem selben Ergebnis, wieder erfolgreich anwenden sollte.

(The Story of Qiu Ju, China 1992; Regie: Zhang Yimou.)

Yellow Earth

Als dieser Film 1964 in China seine Uraufführung hatte, war Chen Kaige 12 Jahre alt und nur wenige Jahre später sollte er im Rahmen der damals in China üblichen Erziehungsmaßnahmen, die ganz besonders die Kinder von ehemals Kulturschaffenden und Akademikern betrafen, seine Schulzeit beenden, um in einem von seinem Zuhause und der Familie weit entfernt gelegenen Teil des Landes zum Arbeitseinsatz geschickt zu werden.

Ebenfalls 12 Jahre alt war damals auch Zhang Yimou, dessen Kindheit in dieser Hinsicht ganz ähnlich verlief. Aber als die Zeit, die in China von offizieller Seite als Kulturrevolution bezeichnet wurde, vorbei war und 1978 in Beijing die Filmakademie wieder eröffnet wurde, gehörten beide zum ersten Jahrgang und erhielten vier Jahre später dort ihren Abschluss. Nur kurze Zeit danach war es dann wohl Zhang Yimou, der es Chen Kaige nahelegte, Beijing zu verlassen und es in einem kleineren Filmstudio, dem Guangxi, zu versuchen, wo sie gemeinsam den Film huáng tǔdì (Gelbe Erde) drehten, mit Chen Kaige als Drehbuchautor und Regisseur, während Zhang Yimou die Kameraarbeit übernahm.

Und die Idee, weit weg von der Hauptstadt und damit auch vom Fokus der Zensurbehörde, vielleicht etwas ungestörter arbeiten zu können, bewährte sich: denn auch wenn er sein Publikum in China teilweise erst mit etwas Verspätung fand, so war er doch der erste chinesische Film seit Beginn der Mao-Zeit, der auch in anderen Teilen der Welt aufgeführt wurde und dort viel Lob fand. Zudem zeigte er 20 Jahre nach eben diesem Film, dass man von nun an, auch international, mit einer neuen Art Filme aus der Volksrepublik China rechnen durfte. Was wiederum 21 Jahre später in Hong Kong dadurch honoriert wurde, dass Yellow Earth auf der bereits mehrfach erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures auf den vierten Platz gewählt wurde, hinter zwei Filmen aus Hong Kong und mit diesem Film auf Platz Eins.

(Yellow Earth, China 1984; Regie: Chen Kaige.)

 

Dōngfāng hóng

Der erste Farbfilm in chinesischer Sprache erschien im Jahr 1965 in Beijing, nur ein Jahr bevor in Hong Kong dieser Film, ebenfalls in Farbe, anlief. Seine Uraufführung hatte er bereits im Jahr zuvor, am 2. Oktober 1964, zur Feier des 15. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China in der Großen Halle des Volkes am historisch bedeutsamen Tian’anmen-Platz und beides, Entstehungszeit wie Anlass, sind dem Film auch unschwer anzusehen.

Wie sehr sich die Zeiten und damit, ganz unabhängig von Farbe oder Schwarz/Weiß, auch die Filme geändert hatten, wird ganz besonders deutlich, wenn man ihn zum Beispiel mit einem Film vergleicht, der in Shanghai mehr als 15 Jahre früher, also kurz vor der Gründung der Volksrepublik China gedreht und dann für lange Zeit nicht mehr aufgeführt wurde.

Aber da sich seither die Zeiten weiter geändert haben, stehen heute beide Filme, sowohl Spring in a Small Town, als auch Dōngfāng hóng, bzw. The East is Red bei Archive.org zur Ansicht und zum Download zur Verfügung.

(Dōngfāng hóng, China 1965; Regie: Ping Wang.)

 

Spring in a Small Town

Im Jahr 2005 feierte man in Hong Kong das 100jährige Bestehen des chinesischen Films. Aus diesem Anlass wurde bei der 24. Verleihung der Hong Kong Film Awards eine Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures vorgestellt, wobei es sich genauer gesagt um die 103 besten chinesischen Filme handelt, da diese drei Filme wohl unbedingt noch mit auf die Liste sollten: The Puppetmaster von Hou Hsiao-Hsien (101), Summer Snow von Ann Hui (102) und Not one Less von Zhang Yimou (103).

Die Filme wurden fein säuberlich getrennt nach Produktionsort Hong Kong, China oder Taiwan aufgeführt, und angesichts der Tatsache, dass sie von einer Jury aus 101 Filmemachern und Kritikern, überwiegend der Hong Konger Filmindustrie, gewählt wurden, ist es wohl nicht weiter überraschend, dass der bei weitem größte Teil der Chinese Motion Pictures dieser Auswahl aus Hong Kong stammt: 61 Filme, während es aus China nur 24 Filme, und nur 16 aus Taiwan (sowie 2 Co-Produktionen) auf die Liste schafften.

Ebenfalls wenig überraschend ist, dass auch von den ersten drei der Besten-Liste zwei Filme in Hong Kong produziert wurden, aber während selbst dieser Film, der bei der Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1997 noch mit einer bis heute nicht übertroffenen Anzahl von Preisen ausgezeichnet wurde, auf der Liste von 2005 schon ‚nur‘ noch auf Platz 28 landete, wurde der erste Platz an einen Film vergeben, als dessen Produktionsort China genannt wird und der in Mandarin gedreht gedreht wurde. Wobei mit China in diesem Falle Shanghai gemeint ist und der Film aus dem Jahr 1948 stammt, einer Zeit, als die Filmindustrie in Hong Kong noch in ihren Anfängen steckte, während sich Shanghai gerade im zweiten Goldenen Zeitalter seines Films befand.

Von Shanghai ist bei Spring in a Small Town auch gelegentlich die Rede, davon dort hinzugehen um dort zu leben und zu studieren und damit auch gleich ein wenig von der großen Welt zu sehen, die in der kleinen Stadt, in der die Geschichte spielt, sehr weit weg zu sein scheint. Es ist die Zeit kurz nach dem großen Krieg und vor der Kommunistischen Revolution, aber Politik kommt hier nur am Rande zur Sprache, was den Film kurze Zeit nach seinem Erscheinen, im mittlerweile kommunistischen China, von der Bildfläche verschwinden ließ: zu unpolitisch, möglicherweise gar reaktionär und nicht geeignet zur damals angestrebten Volkserziehung beizutragen.

Erst Jahrzehnte später, als Anfang der 1980er das China Film Archive in Beijing öffentlich zugänglich wurde, erschien eine Kopie des heute verlorenen Originals von Spring in a Small Town, die in den folgenden Jahren, sowohl in China als auch weltweit, ein wachsendes Publikum und viel Lob fand. Und wer sich nun ebenfalls sein eigenes Urteil bilden möchte, kann diese Kopie im Internet Archive finden, wo sie zu eben diesem Zweck bereit gestellt ist.

(Spring in a Small Town, China 1948; Regie: Fei Mu.)


 

Comrades – Almost a Love story

Nach den Eindrücken eines italienischen Filmemachers Anfang der 1970er von China, dem Spielfilm eines weiteren italienischen Filmemachers aus den 1980ern und der Doku über das Bild, das Hollywood Jahrzehnte lang von China und seinen Einwohnern verbreitete, wird es nun Zeit, einen Blick auf die Selbstdarstellung der chinesischen Filmindustrie zu werfen. So werden in Hong Kong zum Beispiel seit 1982 die Hong Kong Film Awards verliehen. Die Regeln sind relativ einfach, der Film sollte im Vorjahr in Hong Kong in den Verleih gegangen sein, er darf nicht weniger als eine Stunde dauern und wenn dann noch mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass entweder der Regisseur bzw. die Regisseurin in Hong Kong ansässig ist, oder eine der Film-Gesellschaften oder doch wenigstens sechs Mitglieder der Crew, steht der Nominierung grundsätzlich nichts mehr im Wege. Und falls es mit der Ansässigkeit in Hong Kong so gar nicht klappen sollte, gibt es seit 2002 noch die Best Asian Film Kategorie. Ansonsten heißen die Kategorien Bester Film, Beste Regie, Beste Haupt- und Nebendarsteller und -darstellerinnen, weitere Auszeichnungen gibt es unter anderem auch für die Beste Filmproduktion, den Besten Nachwuchs, Drehbuch, Schnitt, Art Direction, Kostüm & Make Up Design, Filmmusik sowie Filmsong und Choreographie, Visual Effects und Sound Design.

Ähnlich wie bei den Academy Awards in Hollywood handelt es sich hier nicht um einen Publikumspreis, sondern professionelle Filmschaffende bestimmen sowohl die Nominierungen, als auch die Gewinner. In dem Jahr, in welchem zum Beispiel Bertolucci gerade an Originalschauplätzen seinen Last Emperor drehte, wurde in Hong Kong dieser Film gefeiert, der zwar in einer ganz anderen Epoche spielt, aber auch davon abgesehen ein völlig anderes Bild von China, wenn auch in diesem Falle speziell Hong Kongs, vermittelt.

Bislang führend in der Kategorie „Häufigste Nominierung ohne Gewinn“ ist übrigens der auch außerhalb von Hong Kong recht bekannte Jackie Chan, der zwischen 1985 und 2005 allein 10 mal als Bester Hauptdarsteller nominiert war, aber diese Auszeichnung kein einziges Mal erhielt (in anderen Kategorien wurden seine Filme aber durchaus in Hong Kong für preiswürdig befunden).

Andere waren da zwar erfolgreicher, aber in dem Maße, wie Bertolucci, der im Jahr 1988 neun Academy Awards in Hollywood abräumte, gelang dies bei den Hong Kong Awards bisher nur ein einziges Mal, als im Jahr 1997 Comrades – Almost a Lovestory ebenfalls mit neun Auszeichnungen bedacht wurde, unter anderen die für den Besten Film, die Beste Regie, das Beste Drehbuch und die Beste Hauptdarstellerin, wobei Letztere in Person von Maggie Cheung ohnehin sowohl die meisten Nominierungen als auch die meisten Auszeichnungen als Beste Hauptdarstellerin bei den Hong Kong Film Awards vorzuweisen hat.

Selbstverständlich vermittelt auch dieser Film ein sehr spezielles Bild von China, beziehungsweise von Hong Kong und seinen Zugezogenen, aber man darf wohl angesichts der vielen Preise annehmen, dass es weitgehend dem entspricht, das sich die in Hong Kong ansässigen Filmemacher in den 1990ern von ihrer Stadt und dem Leben darin machen, oder doch zumindest dem, wie sie im Kino gesehen werden wollten.

(Comrades – Amost a Love Story, Hong Kong 1996; Regie: Peter Chan.)

 

Welt am Draht

Das muss man sich auch erst einmal leisten können: Während Rainer Werner Fassbinder international noch immer als einer der wichtigsten deutschen Filmemacher gilt, wurde und wird sein Werk in seinem Heimatland eher kontrovers aufgenommen: zwar erhielt er auch in Deutschland zahlreiche Auszeichnungen, aber bis zu einer Academy Award Nominierung kam es z. B. nie, was auch kaum möglich war, da von seinen vielen Filmen (44 in 13 Jahren) überhaupt nur ein einziger (Lili Marleen, 1981) für den Wettbewerb um den Besten Fremdsprachigen Film aus Deutschland eingereicht wurde.

Andere schafften es gar nicht erst in die Kinos, schon nicht in die deutschen, von Europa oder den USA ganz zu schweigen: Fassbinders von einem Goldmann Taschenbuch inspirierter, zweiteiliger Science-Fiction Film „Welt am Draht“ wurde beispielsweise 1973 für ca. 950.000 DM unter Einsatz von zahlreichen Schauspielern (sowohl des ‚Fassbinder-Ensembles‘, als auch von deutschen Schauspieler-Größen damals schon eher vergangener Tage…) und einiger ziemlich origineller Special Guests (z. B. Rainer Langhans, Eddie Constantine, Werner Schroeter, Christine Kaufmann) im Auftrag des WDR produziert. Die Uraufführung gab es dementsprechend am 14. und 16.10.1973 im Westdeutschen Rundfunk Köln, wo er trotz überwiegend positiver Kritiken auch weiterhin verblieb: im Fernsehen, wo er von sehr seltenen Wiederholungen einmal abgesehen, schlicht nicht zu sehen war. Und auch die Tatsache, dass Rainer Werner Fassbinder in den darauffolgenden Jahren im In- und Ausland mehr und mehr zu einem geachteten und geehrten Filmemacher wurde, änderte daran nichts. „Welt am Draht“ kam nicht in die Kinos, er war nicht auf VHS und auch später nicht auf DVD erhältlich.

Erst als sich Jahrzehnte später die Rainer Werner Fassbinder Foundation anlässlich des 65. Geburtstages von Fassbinder und des 75. Geburtstages von Michael Ballhaus, daran machte, eine restaurierte und digitalisierte Fassung zu erstellen, was immerhin auch das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) für förderungswürdig hielt, und die im Rahmen der Berlinale 2010 ihre Uraufführung hatte, kam eben diese Fassung auch als DVD auf den Markt und in den USA in die Kinos, wo er, auch viele Jahre nach seiner Entstehung, gleich wieder inspirierend wirkte.

(Welt am Draht, Deutschland 1973/2010; Regie: Rainer Werner Fassbinder.)