Category Archives: Gut gekleidete Männer

The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Nora Inu

Es ist heiß in Tokyo, im Sommer 1949. Der Polizeialltag ist ohnehin mühsam genug und wird durch die Hitze nicht leichter. Der Tag war lang, der Weg nach Hause ist es auch, der Bus ist völlig überfüllt mit schwitzenden Menschen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, jemand nutzt seine Chance und die Dienstwaffe ist gestohlen – eine gerade in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt besonders seltene und wertvolle Ware. Für den jungen Polizisten kann es das Ende seiner Karriere bedeuten, aber nicht nur dies, auch das Gefühl, dass es in seiner Verantwortung liegt, was nun mit der Pistole geschieht, treibt ihn an, sich auf die Suche nach Dieb und Waffe zu machen.

Fünf Jahre bevor Regisseur Ishiro Honda diesen Zeitgenossen auf Tokyo los ließ, war er noch hoch geschätzter Erster Regie-Assistent von Akira Kurosawa. Und als solcher lieferte er für Kurosawas Film Nora Inu (Stray Dog), ganz wesentliche Szenen: Gemeinsam mit Kameramann Kazuo Yamada war Honda in jene Viertel von Tokyo gegangen, die damals als gefährlich und teilweise von Yakuza beherrscht galten, um dort zu filmen. Größere Gruppen, womöglich noch mit Schauspielern wären hier nur unangenehm aufgefallen und so kam es, dass in jenen Szenen, die den Hauptcharakter Murakami, eigentlich dargestellt von Toshiro Mifune, von der Taille abwärts zeigen, tatsächlich meist Honda zu sehen ist.

Ebenfalls zu sehen ist das Tokyo der Nachkriegszeit, vor allem aber die Menschen, die dort leben und weiterhin versuchen klar zu kommen – die einen, indem sie erfüllen, was sie für ihre Pflicht halten, die anderen auf anderen Wegen. Bei seinen Ermittlungen wird unser Held von seinem älteren und erfahrenen Kollegen Sato begleitet und schon diese beiden, obwohl sie gut miteinander auskommen, haben völlig verschiedene Perspektiven auf das Geschehen und seine Ursachen – sind es in erster Linie die Umstände, die das Handeln der Menschen bestimmen, oder liegt eben doch das meiste in der persönlichen Verantwortung? – Themen, die so schon schwierig genug sind, wenn es nicht auch noch so unerträglich heiß wäre.

Und Themen, die fast fünfzig Jahre später in derselben Stadt von einem anderen japanischen Regisseur ganz anders behandelt werden.

(Nora Inu, Japan 1949; Regie: Akira Kurosawa.)

I comme Icare

„Diese Geschichte ist vollkommen wahr, weil ich sie von Anfang bis Ende erfunden habe.“ (Boris Vian, L‘Ecume des Jours)

Und da wahr, weil erfunden, spielt die Geschichte in einem fiktiven Staat, dessen Name ungenannt bleibt, auch wenn seine Fahne gewisse Parallelen zur us-amerikanischen aufweist, seine Währung der Dollar ist, und einem die Bilder der ersten Minuten überhaupt sehr bekannt vorkommen. Denn „ohne die Wahrheit gibt es keine Spannung“, wie es bei 1h, 46 min heißt, und so ist es natürlich auch kein Zufall, dass der Name Daslow ein Anagramm auf Oswald ist. Dennoch wird hier auf Doku-Material verzichtet, die Bilder werden nur ungefähr nachgestellt, nur so, dass die Parallele klar wird, aber zu eng soll es nicht werden, denn es handelt sich hier eben nicht um einen ganz speziellen Fall, der nur einmal, in der Vergangenheit stattgefunden hat und damit erledigt ist, sondern um Vorgänge, die so, oder so ähnlich immer wieder vorkommen konnten oder können.

Ganz anders als zum Beispiel bei diesem Film: Gleich zu Beginn werden Original-Szenen der damaligen Nachrichten gezeigt, bis zum Zeitpunkt der Filmpremiere viele Male gesendet und mittlerweile jedem bekannt. Worum es hier geht, ist von Anfang an klar, das Land, die Zeit, die Ereignisse, die Namen des Präsidenten und der handelnden Personen werden genannt, es gibt keine Anspielungen und keine Anagramme. Aber dann verlässt der Film sehr schnell die politische Ebene, um sich Tun und Charakter der Hauptfiguren zu widmen, während die tatsächlichen Geschehnisse völlig in den Hintergrund rücken.

I comme Icare hingegen ist zwar fiktiv, bleibt aber immer an den Ereignissen, wobei auf ein scharf abgegrenztes Gegenüber von Gut (Ermittler) und Böse (Verschwörer) verzichtet wird. Auch wird die Rolle der Medien immer wieder reflektiert, vor allem im Hinblick darauf, welche Bilder gezeigt und was weggelassen wird, zum Beispiel wenn wir das aufgebrachte Publikum der Live-Sendung im Hintergrund aufspringen sehen, während der Monitor im Vordergrund das gesendete Bild zeigt: einen vergleichsweise kontrollierten Moderator, der das Geschehen auf recht distanzierte Weise kommentiert.

Und wenn hier die allgemeine politische Ebene verlassen wird, um die Rolle der Einzelnen zu zeigen, dann nicht mit der beruhigenden Aussage, dass auch kleine Lichter ausreichend Helligkeit gegen große dunkle Verschwörungen erzeugen können, sondern mit eher gegenteiligem Ergebnis, denn der Teil des Films, der ausdrücklich nicht fiktiv ist, bezieht sich auf die Experimente von Stanley Milgram, die sich mit Autoritätshörigkeit und der Bereitschaft zum Gehorsam bei ganz normalen Bürgern in demokratischen Staaten befassten.

(I… comme Icare, Frankreich 1979; Regie: Henri Verneuil.)

Wittgenstein

„A dog cannot lie. Neither can he be sincere. A dog may be expecting his master to come, but: why can‘t he be expecting him to come next Wednesday?“

Ludwig Wittgenstein hatte ein abwechslungsreiches Leben: 1889 geboren als Sohn einer reichen und angesehenen Industriellen-Familie in Wien, studierte er Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester, war Inhaber eines Patentes zur Verbesserung von Flugzeugpropellern, verschenkte sein gesamtes umfangreiches, ererbtes Vermögen an seine Geschwister, meldete sich freiwillig um im 1. Weltkrieg zu kämpfen, geriet in Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Volksschullehrer, später als Klostergärtner – Mönch zu werden ließ er sich gerade noch von einem Abt wieder ausreden – zog sich in der Einsamkeit Norwegens in ein Holzhaus zurück, entwarf für eine seiner Schwestern ein repräsentatives Haus in Wien, studierte, arbeitete und lehrte zwischendurch immer mal wieder in Cambridge, wo er schon zu Lebzeiten als Genie gehandelt wurde und gilt heute als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – obwohl, oder vielleicht auch gerade weil er die Philosophie auch schon mal als Geisteskrankheit bezeichnete, die erst durch das Philosophieren hervorgebracht würde.

Er selbst war letztendlich wohl durchaus zufrieden mit seiner Biographie: kurz vor seinem Tod ließ er seinen Freunden ausrichten, er habe ein wundervolles Leben gehabt.

Auch Derek Jarman war ein vielseitig interessierter Mann: Maler, Bühnenbildner, Regisseur von Filmen und Musikvideos, Autor und Gärtner, und auch, wenn er 1993, als er seinen Film Wittgenstein drehte, bereits schwer an AIDS erkrankt war, änderte dies nichts daran, dass er mit der Unterstützung seiner Schauspiel-Compagnie, bestehend u.a. aus Karl Johnson, Michael Gough und Tilda Swinton sowie Terry Eagleton als Drehbuchautor, einen lebensfrohen, klugen und witzigen Film drehte. Wobei er allerdings die einzelnen Episoden aus dem Leben Wittgensteins weniger mit filmischen Mitteln inszenierte, sondern eher als knallbuntes Theaterstück auf die Bühne brachte, was im Ergebnis so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, wie man sich zur Zeit ein sogenanntes Biopic vorstellt.

Natürlich sieht man hier Jarmans sehr spezielle Sicht auf Wittgenstein, zudem in seinem sehr eigenen Stil gedreht und sollte man noch nie von Ludwig Wittgenstein gehört oder gelesen haben, könnte das Ganze auch ein wenig verwirrend ausfallen, aber das wäre dann nicht Jarman anzulasten, sondern, um es mit Ludwig Wittgenstein in Jarmans Film zu sagen: „We imagine the meaning of what we say as something queer, mysterious, hidden from the view, but nothing is hidden! Everything is open to the view! It is just the philosophers, who muddy the waters.“

(Wittgenstein, Großbritannien 1993; Regie: Derek Jarman.)

Hero

„Wenn man sich nach einigen Jahren an Hero erinnert, dann wird man sich an die Farben erinnern. Man wird sich an zwei Frauen in einem Meer von goldenen Blättern erinnern, die in roter Kleidung durch die Luft tanzen. Man wird sich an zwei Männer erinnern, die auf einem spiegelglatten See ihre Schwerter nutzen, um ihre Traurigkeit auszudrücken.“

Vielleicht sollte man diesen Worten des Regisseurs Zhang Yimou der besseren Anschaulichkeit halber noch hinzufügen, dass allein die erwähnte See-Szene fast drei Wochen in Anspruch nahm, weil er darauf bestand, nur bei absolut ruhiger Wasseroberfläche zu drehen, was bei diesem speziellen See nur an zwei Stunden pro Tag der Fall war, und dass für die andere erwähnte Szene der goldenen Blätter, zunächst abgewartet werden musste, bis die tatsächlichen, in der Natur vorhandenen, nicht etwa am Computer digital eingefärbten, Blätter sich gelb färbten. Als es soweit war, wurden eigens Blattsammler angeheuert, deren alleinige Aufgabe darin bestand, ausreichend Blätter der richtigen Farbe einzusammeln, die dann in vier Kategorien sortiert wurden, um entsprechend ihrer Farbe, Frische und Sauberkeit, zum Einsatz zu kommen.

Für die, ebenfalls in dieser Szene zu sehende, rote Kleidung musste wiederum ein spezieller roter Farbstoff aus England importiert werden, nachdem zahlreiche, von der Kostümbildnerin Emi Wada vorgeschlagene Proben vom Regisseur verworfen worden waren, da sie nicht exakt seiner Vorstellung entsprachen – Emi Wada durfte sich also zusätzlich zur Auswahl der Stoffe und dem Design der Kleider auch mit dem Einfärben derselben befassen. Und es blieb nicht nur bei Stoffen: mehr als 300 Pferde wurden ebenfalls schwarz eingefärbt, da sie so angeblich eher den ‚historischen Vorgaben‘ (will meinen: den farblichen Vorstellungen des Regisseurs) entsprachen, während wir von den ungefähr 18000 eingesetzten Statisten zwar annehmen dürfen, dass sie nur eingekleidet und nicht auch umgefärbt wurden, aber auch hier waltete Perfektionismus: zum Beispiel wurden alle der unüberschaubar vielen Soldaten der Qin-Armee von tatsächlichen Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee dargestellt.

Man könnte immer so weitermachen: Mit Jet Li und Donnie Yen wurden zwei Martial-Arts-Legenden angeheuert, wobei nicht nur deren Action-Szenen vom eigens dafür hinzu geholten Martial-Arts-Action-Szenen-Guru Siu-Tung Ching choreographiert wurden, der von „A Chinese Ghost Story“ über diverse Jet Li-Filme bis zu „House of the Flying Daggers“ mittlerweile so ziemlich alle Varianten des Wuxia durchgespielt hat. Die bereits erwähnte japanische Kostümbildnerin Emi Wada hatte schon die Kostüme für Akira Kurosawas Ran entworfen und neben vielen anderen Auszeichnungen hierfür den Oscar erhalten, während sich Zhang Yimou von Wong Kar-Wai nicht nur den ebenfalls zigfach ausgezeichneten Kameramann Christopher Doyle auslieh, sondern auch Maggie Cheung Man-Yuk und Tony Leung Chiu-Wai, die zu den ganz großen Stars, nicht nur des chinesischen Kinos, zählen und hier auch nicht zum ersten Mal ein Liebespaar geben.

Kein Wunder also, dass Hero diesen Film hier als teuersten chinesischen Film aller Zeiten ablöste und den Titel bis heute verteidigen konnte. Nur, dass es eben bei aller Schönheit der Bilder in beiden Filmen, dem Regisseur Chen Kaige gelungen ist, seinem Film eine eindeutige politische Aussage mitzugeben, während die von Zhang Yimou gedrehte, deutlich abstraktere Behandlung desselben Themas zu vollkommen unterschiedlichen Interpretationen hinsichtlich der politischen Aussage führte.

(Hero, China 2002; Regie: Zhang Yimou.)

Jing Ke ci Qin Wang

„It is a country that has no past. Political regimes systematically robbed us of history and it’s only now that we are beginning to get it back.“ Der Regisseur Chen Kaige, der dies über sein Heimatland China sagt, hat ebenso wie Zhang Yimou, die sogenannte Kulturrevolution in China als Teenager erlebt. Beide gehörten später zum ersten Jahrgang der 1978 wieder eröffneten Pekinger Filmakademie. Wobei es Chen Kaige war, der als Regisseur gleich mit seinem ersten Film „Gelbe Erde“ internationalen Erfolg hatte, während Zhang Yimou hier den Kameramann machte.

In einem anderen Interview sagte Kaige, dass historische Themen bei den Filmemachern in China auch deshalb sehr beliebt seien, weil man es bei zeitgenössischen Themen immer mit der Politik zu tun kriege. Ganz besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei die Geschichte des ersten Kaisers von China, dem es nach Jahrhunderten mit ständigen Kriegen gelang, die vormals sieben Königreiche zu unterwerfen und zu einem einzigen, großen Kaiserreich zusammenzufügen. Dass er dabei weniger auf gutes Zureden und Diplomatie setzte, sondern auf Waffen und Gewalt, ist wohl naheliegend, allerdings wird seine Geschichte so erzählt, dass er dabei auch weit über das notwendige Maß hinaus zerstörerisch und brutal bis hin zur Grausamkeit sein konnte. Das perfekte Thema also, um sich mit so zeitlos aktuellen Fragen wie Menschenwürde, Machtstreben und Verantwortung, Allgemeinwohl contra Freiheit des Individuums und der Rechtfertigung von Gewalt auseinanderzusetzen.

Sollte Chen Kaige aber tatsächlich angenommen haben, dass er hier einen guten Weg gefunden hatte, seinem Land einerseits mit den Mitteln des Films einen Teil seiner Geschichte zurückzugeben, und gleichzeitig weitgehend unbehelligt von der chinesischen Zensurbehörde zu bleiben, so lag er falsch: es gab eine ganze Menge an Hindernissen zu überwinden, wobei die wirkungsvollste Methode, einen Monumentalfilm zu verhindern natürlich immer darin besteht, ihm das Geld zu streichen, was wiederum dazu führte, dass „Jing Ke ci Qin Wang“ (The Emperor and the Assassin) zwar für einige Jahre der teuerste Film war, der in China von einem chinesischen Regisseur gedreht worden war – allerdings überwiegend finanziert mit Geld aus Japan und Frankreich.

Als aktuell teuerster und aufwendigster chinesischer Film gilt laut IMDB zur Zeit übrigens der Film von Kaiges oben schon erwähnten Kollegen Zhang Yimou, den dieser vier Jahre später zu genau demselben Thema drehte, allerdings sieht hier das Ergebnis vollkommen anders aus

(Jing Ke ci Qin Wang, China 1998; Regie: Chen Kaige.)

All About Eve

„Fasten your seatbelts. It’s going to be a bumpy night.“ belegt auf der Liste des American Film Institute der 100 besten Sprüche in us-amerikanischen Filmen den 9. Platz (nach diesem und vor diesem Satz) und ist, ebenso wie der Filmtitel, in zahlreichen Filmen zitiert, variiert und veralbert worden. Dass es mit Bette Davis als Hauptdarstellerin auf alle Fälle ‚bumpy‘ Dreharbeiten werden würden, davon waren jedenfalls eine ganze Reihe der Leute überzeugt, die bereits vorher mit ihr zusammen gearbeitet hatten, unter ihnen der Regisseur Edmund Goulding, der seinen Kollegen Joseph L. Mankiewicz anrief um ihn zu warnen: Bette Davis würde ihn zermahlen, bis nur noch ein Häufchen feiner Staub von ihm übrig bliebe.

Mankiewicz, der nicht nur Regie führte, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, hatte die Rolle ursprünglich für Clodette Colbert geschrieben, die aber nun infolge eines Unfalles nicht einsatzfähig war, und als dann noch noch eine nach der anderen der Frage kommenden Schauspielerinnen ausfielen, weil sie entweder zu jung oder zu deutsch waren, seltsame Forderungen hatten oder schlicht nicht verfügbar waren, fiel die Wahl auf Bette Davis, die als eigensinnig und schwierig galt, aber auch dafür bekannt war, viel Einsatz zu zeigen. (Und dabei für eine Hollywood-Schauspielerin ungewöhnlich wenig Eitelkeit an den Tag legte, wenn sie hier zum Beispiel zum ersten Mal zu sehen ist, hat sie eine dicke Fettschicht im Gesicht.)

Tatsächlich hatte Bette Davis keineswegs vor, Mankiewicz das Leben schwer zu machen, denn nach Jahren voll mit Streitigkeiten und einem Prozess gegen ihr Studio Warner Brothers sowie unglücklich ausgewählten Rollen in wenig erfolgreichen Filmen, war dies, so erzählte sie noch viele Jahre später in einem Interview, ihre „Auferstehung von den Toten“. Und auch Mankiewicz sagte über sie, sie sei eine der professionellsten und umgänglichsten Schauspielerinnen gewesen, mit denen er je gearbeitet habe.

Gelohnt hat es sich für Mankiewicz auf alle Fälle, denn bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1951 machte All About Eve Joseph L. Mankiewicz nach John Ford (1940 und 1941) zum bislang einzigen Titelverteidiger beim Academy Award für die beste Regie (nach A letter to three Wives von 1949). Überhaupt kam der Film bei Publikum wie Kritikern gut an, und das, obwohl fast alle Charaktere ständig rauchen und gelegentlich zu viel trinken, vor allem aber hemmungslos ihren Narzissmus ausleben und trotzdem sämtlich wie intelligente und erwachsene Menschen erscheinen. Sogar Marilyn Monroe hat hier nicht nur einen frühen, aber für sie typischen Auftritt, sondern auch Momente der Erkenntnis.

Dementsprechend war er bei der Oscar-Verleihung des Jahres 1951 nicht nur im Hinblick auf Mankiewicz als Regisseur erfolgreich. Zum ersten Mal in der Geschichte der Academy Awards wurden zwei Schauspielerinnen aus demselben Film als beste Hauptdarstellerinnen nominiert, was aber vielleicht gar keine so gute Idee war, denn schließlich ging der Oscar an keine von beiden, sondern an Judy Holliday für Born Yesterday.

Trotzdem erhielt All About Eve insgesamt sechs Oscars: für den besten Film, Regie, Drehbuch, männliche Nebenrolle (George Sanders), Kostüme und den besten Ton. Bei den Nominierungen erzielte er mit 14 zudem einen Rekord, der 46 Jahre lang nicht wiederholt wurde, bis im Jahr 1997 ausgerechnet dieser Film gleichzog. Den Rekord der meisten Oscar-Nominierungen für weibliche Rollen (neben Bette Davis und Anne Baxter für die Hauptrolle waren auch Celeste Holm und Thelma Ritter für die beste weibliche Nebenrolle nominiert), hält er allerdings bis heute.

(All About Eve, USA 1950; Regie: Joseph L. Mankiewicz.)

Charade

„How do you shave in there?“ Es war der letzte Film, in dem Cary Grant den romantischen Helden gab, und eigentlich hatte er diese Rolle wohl auch schon gar nicht mehr übernehmen wollen, er selbst Ende fünfzig, Audrey Hepburn erst 33 Jahre alt und damit 26 Jahre jünger als er…

Aber Peter Stone, der Drehbuchautor, fand eine pragmatische Lösung: er strich einfach alle Dialogzeilen aus Grants Rolle, in denen dieser sein Interesse an Hepburns Charakter allzu eindeutig erkennen lässt und schrieb sie Audrey Hepburns Rolle zu. Somit war es nicht mehr der ältere Herr, der sich an die deutlich jüngere Frau heranmacht, sondern umgekehrt, wobei Cary Grant in der Duschszene auch noch den Anzug anlassen durfte und der Rolle von Audrey Hepburn unter anderem durch das Alter ihres verstorbenen Ehemannes, eine generelle Vorliebe für ältere Männer ins Drehbuch geschrieben wurde. – Immerhin ein Fortschritt, denn als für Audrey Hepburn neun Jahre vorher mit dem Film Sabrina und dem dreißig Jahre älteren Humphrey Bogart eine ganze Serie von Filmen begann, in denen sie – selbst erst Anfang zwanzig – jeweils die eine Hälfte von Liebespaaren spielte, deren männliche Partner locker ihre Väter hätten sein können, schien man das in Hollywood noch völlig in Ordnung zu finden und niemand machte sich die Mühe, die Drehbücher hin zu mehr weiblicher Selbstbestimmung umzuschreiben.

Es waren wohl auch nicht zuletzt die selbstbewusst angelegte Rolle Hepburns und die eher zurückhaltende Cary Grants, die Charade zu einem Erfolg machten – wobei in der Freude darüber anscheinend vergessen wurde, das Copyright korrekt zu beantragen, weshalb der Film, nicht aber die Musik von Henry Mancini und das Originalmanuskript von Peter Stone, schon kurz nach seiner Premiere in die Public Domain übergingen (mehr dazu hier) und heute bei Archive.org zum Download zur Verfügung steht.

(Charade, USA 1963; Regie: Stanley Donen.)

Blow Up

Bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards, die ja nun auch schon bald wieder ansteht, gibt es die schöne Tradition der Dankesrede, die, je nach mentaler Verfassung des oder der Geehrten, gerührt, verheult oder zudringlich ausfallen, manchmal Ansätze von Hysterie, Größenwahn oder auch Erkenntnis zeigen und gelegentlich mit intimen Outings, Liebesschwüren oder politischen Statements angereichert werden. Als Michelangelo Antonio 1995 seinen Ehren-Oscar entgegen nahm, machte er es kurz: „Grazie.“

Um einiges ausführlicher konnte Antonioni hingegen werden, wenn er über seine Filme sprach:

„I always try to follow a certain pattern and work without thinking of the audience. It is not that I dislike my audience; I am not an intellectual, but I believe that films should not be made to entertain the audience, earn money or achieve popularity. I think that films should be made to be as good as possible. And it seems to me that this is the best way to work and to be trustworthy in the world of cinema.“

Oder:

„What happens to the characters in my films is not important. I could have them do one thing, or another thing. People think that the events in a film are what the film is about. Not true. A film is about the characters, about changes going on inside them. The experiences they have during the course of the film are simply things that ‘happen to happen’ to characters who do not begin and end when the film does. In Blowup (1966), a lot of energy was wasted by people trying to decide if there was a murder, or wasn’t a murder, when in fact the film was not about a murder but about a photographer. Those pictures he took were simply one of the things that happened to him, but anything could have happened to him: he was a person living in that world, possessing that personality.“

Und:

„By developing with enlargers things emerge that we probably don’t see with the naked eye. The photographer in Blowup (1966), who is not a philosopher, wants to see things closer up. But it so happens that by enlarging too far, the object itself decomposes and disappears. Hence there’s a moment in which we grasp reality, but then the moment passes. This was in part the meaning of Blowup.“

Noch sehr viel wortreicher kann es bisweilen werden, wenn andere über Antonionis Filme reden oder schreiben, weshalb hier nur noch rasch erwähnt sei, dass die Musik von Herbie Hancock stammt, David Hemmings, Vanessa Redgrave und Jane Birkin hier ihre ersten nennenswerten Rollen spielen, während die damals schon recht bekannte Veruschka von Lehndorff sich einfach selbst darstellt, dass die Yardbirds einen Auftritt mit Jimmy Page und Jeff Beck vor lethargisch-unbewegtem Publikum haben und dass der Film bei professionellen wie Amateurfotografen einen Nikon F-Hype auslöste.

(Blow Up, Großbritannien 1966; Regie: Michelangelo Antonioni.)

Genius Party

„Taken from the fact that water is at its densest at that temperature, 4°C represents STUDIO 4°C‘s creative manifesto to ‚create only works that are dense with substance and extreme quality‘.“ So ist es zu lesen auf der website des japanischen Anime-Studios 4°C und ein schönes Beispiel für die angestrebte ‚Dichte an Substanz‘ ist die Produktion des Studios mit dem auch nicht eben bescheidenen Titel „Genius Party“: insgesamt zwölf Anime-Kurzfilme von zwölf verschiedenen Regisseuren.

Einige der Beteiligten waren schon vorher als Anime-Regisseure erfolgreich, zum Beispiel Mahiro Maeda, der vorher für das Studio Ghibli tätig war und Koji Morimoto, der vorher ebenfalls für einen der ganz Großen des japanischen Animes, Katsuhiro Otomo, gearbeitet hatte und zudem u.a. für das Video zu „Extra“ von Ken Ishii verantwortlich war; auch hatten beide Segmente zum 2003 erschienenen Film „The Animatrix“ von Studio 4°C beigesteuert. Oder Masaaki Yuasa, der beim – ebenfalls von Studio 4°C produzierten – abendfüllenden Anime „Mind Game“ von 2004 die Regie führte und Kazuto Nakazawa, der für die Animation des auf MTV im Jahr 2004 ausgesprochen beliebten Musikvideos „Breaking the Habit“ von Linkin Park verantwortlich war. Andere, wie Shinji Kimura und Yoji Fukuyama hatten sich bereits als Zeichner oder künstlerische Leiter bei anderen Projekten einen guten Ruf erworben, gaben hier aber ihr Debüt als eigenverantwortliche Anime-Regisseure.

Ihnen allen – dies betonte man im Studio 4°C – ließ man, soweit wie möglich, freie Hand für ihre Ideen, es gab lediglich als Vorgabe das Thema „Energie“, aber wie dies zeichnerisch oder erzählerisch umzusetzen war, blieb den Künstlern überlassen. Und so sind zwölf in jeder Hinsicht sehr unterschiedliche Anime-Kurzfilme entstanden, von denen die ersten sieben im Jahr 2007 unter dem Titel „Genius Party“ erschienen und die nächsten fünf 2008 als „Genius Party Beyond“ folgten.

Welche von diesen nun auch das Prädikat „genial“ verdient haben, mag man beim Zuschauen für jeden einzeln entscheiden, aber sehenswert sind sie sicherlich alle.

(Genius Party, Japan 2007; Regie: Atsuko Fukushima, Shoji Kawamori, Shinji Kimura, Yoji Fukuyama, Hideki Futamura, Masaaki Yuasa, Shin’ichiro Watanabe und Genius Party Beyond, Japan 2008; Regie: Mahiro Maeda, Koji Morimoto, Kazuto Nakazawa, Shin’ya Ohira, Tatsuyuki Tanaka.)