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City of Sadness

Mit dem Neuen Taiwanesischen Kino Anfang der 1980er kamen auch neue Themen. Während in The Time to Live, The Time to Die noch die private Geschichte von Hou Hsiao-hsiens Familie im Vordergrund stand, und die Taiwans eher im Hintergrund ablief, so handelt es sich bei City of Sadness zwar ebenfalls hauptsächlich um die Geschichte einer Familie, aber hier gibt es keinen Rückzug ins Private mehr, jedes Familienmitglied wird auf seine Art und Weise in die politischen Ereignisse verwickelt.

Es beginnt mit der Kapitulationsrede des japanischen Kaisers Hirohito. Der Zweite Weltkrieg ist verloren und damit endet nach 51 Jahren auch die Besatzungszeit der Japaner in Taiwan. Nun soll der Inselstaat wieder zu China gehören, aber zu welchem, einem von der chinesischen Nationalpartei Kuomintang unter General Chian Kai-shek, oder einem kommunistischen unter Mao Zedong ist noch nicht entschieden, denn noch tobt der Bürgerkrieg und Taiwan wird von einem Krieg gleich in den nächsten mit hinein gezogen. Entsprechend ist es im Film, während die Ansprache Hirohitos im Radio läuft, und man hören kann, wie irgendwo eine Geburt stattfindet, ist es zunächst einmal: dunkel.

Ebenfalls Teil einer Trilogie, in deren zweiten Teil, The Puppetmaster, Li Tian-lu, der hier den alten Familienpatriarchen gibt, noch eine wesentliche Rolle spielen wird, und deren dritter Teil, Good Men, Good Women, das Thema des ersten aus einer anderen Perspektive zeigt, geht es hier aber nicht nur allgemein darum, wie schwierig es ist, durch solche Zeiten einigermaßen mit Anstand zukommen, sondern auch um den sogenannten Zwischenfall vom 28. Februar 1947, jenem Aufstand in Taiwan, der durch chinesisches Militär niedergeschlagen wurde, wobei zwischen 10 000 und 30 000 Zivilisten getötet wurden.

Ein Thema, das lange Zeit in Taiwan tabu war, weshalb das Drehbuch auch von den beiden Personen gemeinsam verfasst wurde, auf die – einzeln oder in Zusammenarbeit – der weitaus größte Teil der Drehbücher des Neuen Taiwanesischen Kinos zurückging: der Schriftstellerin Chu Tien-wen und dem Drehbuchautor und Schauspieler Wu Nien-jen. Dennoch, allem Fingerspitzengefühl zum Trotz, erhielt City of Sadness laut Regisseur Hou Hsiao-hsien zunächst keine Aufführungserlaubnis für Taiwan und wurde erst freigegeben, nachdem er auf internationalen Festivals gelaufen und ausgezeichnet worden war.

Auf diesen aber wurde er gefeiert, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa, wo er als erster chinesisch-sprachiger Film den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, was schon deshalb ganz passend ist, weil hier gleich mehrere chinesische Sprachen und Dialekte zu hören sind: neben Taiwanesisch auch Mandarin, Kantonesisch und das für Shanghai typische Chinesisch (plus das Japanisch der ehemaligen Besatzungsmacht).

Und auch auf der hier schon das eine oder andere Mal erwähnten Hong Kong Film Award Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures brachte City of Sadness es auf Platz 5, was ihn zum höchstplatzierten taiwanesischen Film dieser Liste macht und wohl auch damit zu tun haben könnte, dass Tony Leung hier eine seiner frühen Hauptrollen hat, wenn auch eine stumme, da das für diese Rolle erforderliche Taiwanesisch aufgrund seiner Herkunft aus Hong Kong für Hou Hsiao-hsien einfach nicht überzeugend genug klang…

(City of Sadness, Taiwan 1989; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

The Terrorizers

Vierzehn Jahre vor seinem letzten Film erschien The Terrorizers von Edward Yang. Es war sein dritter in eigener Regie und nach selbst verfasstem Drehbuch realisierter Film und zu diesem Zeitpunkt steckte er schon mitten in jener Bewegung, die unter dem selbstbewussten und programmatischen Namen ‚Taiwan‘s New Cinema‘ stattfand.

Denn gemeinsam mit Edward Yang waren Anfang der 1980er eine ganze Reihe von hoffnungsvollen jungen Filmemachern und Drehbuchautoren in Taipeh angetreten, um ihre Vorstellung eines neuen Kinos zu verwirklichen: die Regisseure und Schauspieler Hou Hsiao-hsien und Wu Nien-jen zum Beispiel gehörten zu diesem Kreis, aber auch die Schriftstellerin Chu Tien-wen, deren Romanvorlagen und Drehbücher oft verfilmbares Material lieferten.

Neu daran waren zunächst einmal ihre Art zu erzählen und der angestrebte Realismus ihrer Filme. Ein wenig zeigte man sich hier wohl, wie später auch an anderer Stelle im chinesischsprachigen Kino, vom italienischen Neorealismus beeinflusst. Jedenfalls ging es nicht um Pathos und großes Drama und populäre Stars, sondern die Filmemacher versuchten so nah wie möglich an das Leben der Menschen in Taiwan, sei es in den Großstädten oder auf dem Land, heran zu kommen.

Ein in diesem Umfeld entstandener Film ist The Terrorizers. Anfangs erinnert er noch an Blow up von Michelangelo Antonioni, was ganz sicher kein Zufall, sondern Absicht ist, doch bald entwickelt er sich in eine andere, ganz eigene Richtung, so, wie die verschiedenen Erzählstränge der Geschichte, die anfangs nur parallel nebeneinander herlaufen, schließlich aber doch ein komplexes Gefüge ergeben. Angereichert wird die Handlung zudem durch viele kleine originelle Ideen und bisweilen selbstironische Hinweise, seien es mündliche auf japanische Horrorfilme oder optische, wie zum Beispiel Vergrößerungen, die aus vielen Einzelteilen bestehen und durch Windzug in Bewegung geraten.

Hinzu kommt ein Bildaufbau, der oft durch sich wie von selbst ergebende Rahmen strukturiert wird sowie eigenwillige Kameraschwenks, Bildausschnitte und -Übergänge, die dem Film einen ganz eigenen Stil geben, der, auch wenn man an den Frisuren und der Kleidung einiger Personen die 80er Jahre ablesen kann, ansonsten zeitlos wirkt.

(The Terrorizers, Taiwan 1986; Regie: Edward Yang.)

 

Eat Drink Man Woman

Neben dem Kino des sogenannten Mainland China und den Filmen aus Hong Kong gibt es noch einen weiteren Zweig Filmindustrie chinesischer Sprache mit langer Tradition: das Kino Taiwans.

Großen Zulauf erhielt dieses, ebenso wie Hong Kong, vor allem in der Frühphase der Volksrepublik China, als man im Zuge der angestrebten Volkserziehung auch beim Kino alles zu unterbinden suchte, das nicht ins offizielle Bild passte. In Hong Kong und Taiwan ließ es sich in solchen Zeiten einfach entspannter und unkontrollierter arbeiten und auch Geldgeber fanden sich dort leichter. Und so ist es kein Zufall, dass auch King Hu zum Beispiel, nachdem er diesen Film in Hong Kong gedreht hatte, weiter zog, um seine nachfolgenden, für das Wuxia-Genre stilbildenden Filme in Taiwan zu drehen.

In späteren Zeiten sollte sich dieser – für Taiwan ausgesprochen lukrative Trend für eine Weile umkehren, denn Schauspielerinnen wie zum Beispiel Brigitte Lin (hier und hier) und Joey Wong (hier und hier) oder der Schauspieler Takeshi Kaneshiro (ebenfalls hier zu sehen), stammen gebürtig aus Taiwan, wurden aber hauptsächlich durch Hong Kong Produktionen bekannt.

Auch den zur Zeit international wohl bekanntesten Filmschaffenden aus Taiwan zog es nach drei Filmen, die er in seinem Geburtsland drehte, in eine völlig andere Arbeitsumgebung, anders als die zuvor Genannten wechselte er aber auch gleich den Kontinent, indem er zunächst nach Großbritannien und dann nach Hollywood ging. Was wohl ebenfalls kein Zufall ist, denn wenn man sich die ambitionierte Liste der aus Taiwan als Anwärter für den Academy Award eingereichten Filme ansieht, dann fällt dort neben den vielen „Not Nominated“ nur zweimal „Nominee“ und nur ein einziges Mal „Won Academy Award“ auf, wobei in allen drei Fällen der Name des Regisseurs Ang Lee lautet.

Von eben diesen drei Filmen wurde Eat Drink Man Woman zwar ‚nur‘ nominiert und nicht mit dem Academy Award ausgezeichnet, war aber der letzte Film von Ang Lee, den er ausschließlich in Taiwan drehte und bevor er in den USA lernte, wie Filme aussehen müssen, um tatsächlich für Oscar würdig befunden zu werden.

(Eat Drink Man Woman, Taiwan 1994; Regie: Ang Lee.)

 

The World

„See the world in one day without ever leaving Beijing!“

Manchmal ist Die Welt ein Themenpark. In diesem Falle kann man ihn per Bahn umrunden („Good day dear visitors, welcome onboard the monorail. It circles the park completely. The ride takes 15 minutes.“) oder auch zu Fuß besichtigen: ein japanisches Teehaus mit Garten zum Beispiel, den Eiffel-Turm, das Taj Mahal, den schiefen Turm von Pisa, den Petersplatz und die Pyramiden, die Tower Bridge, Big Ben und einige mehr, alles in miniatur nachgebaut versteht sich, aber dafür stehen hier auch solche Sehenswürdigkeiten, die es an ihrem eigentlichen Standort nicht mehr zu besichtigen gibt („These are the Twin Towers, they were bombed on 11th September, we still have them.“ – „Great!“).

Vorbild und Drehort waren der reale Beijing World Park und ein etwas älterer, aber ähnlicher Themenpark in Shenzhen, vor allem aber geht es hier um die Menschen, die dort arbeiten, bescheiden entlohnt und noch bescheidener untergebracht, als Wachpersonal, in der Gastronomie oder mit wechselnden Kostümen als Darsteller/innen an den Attraktionen des Parks oder in den dazugehörigen Shows.

Und angefangen hatte es ja schon mit diesem Film, aber irgendwann muss es zwischen den Kritikern und Jia Zhang-ke so richtig gefunkt haben, denn ab dann begannen ihn fast alle zu lieben, wobei ihm sein Ruf als chinesischer Underground- oder Independent-Filmemacher wohl ganz hilfreich gewesen sein dürfte.

Obwohl er dies genau genommen mit The World schon nicht mehr war. Denn zwar hatte Jia Zhang-ke mittlerweile eine eigene Produktionsfirma gegründet, und wurde weiterhin hauptsächlich von japanischen Filmstudios, allen voran Office Kitano, und mit Geld aus Frankreich finanziert, aber diesmal erhielt er auch Unterstützung aus Shanghai und vor allem: die offizielle Erlaubnis der chinesischen Filmaufsichtsbehörde in Beijing, diesen und bislang auch alle seine folgenden Filme ohne Änderungen im In- und Ausland zu zeigen und bei internationalen Wettbewerben einzureichen.

Letzteres mit Erfolg, denn auch wenn seine Filme weder in China noch im Rest der Welt das Publikum in Scharen in die Kinos zogen, Kritiker und Jurys internationaler Filmfestivals waren offensichtlich beeindruckt: auch für The World, der bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, gab es neben einigen anderen Auszeichnungen wieder eine Nominierung und zwei Jahre später, mit seinem nächsten Film, erhielt er dann schließlich auch seinen ersten Goldenen Löwen, ganz zu schweigen von all dem Kritiker-Lob, das er seitdem ebenfalls erhält

(The World, China 2004; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Yellow Earth

Als dieser Film 1964 in China seine Uraufführung hatte, war Chen Kaige 12 Jahre alt und nur wenige Jahre später sollte er im Rahmen der damals in China üblichen Erziehungsmaßnahmen, die ganz besonders die Kinder von ehemals Kulturschaffenden und Akademikern betrafen, seine Schulzeit beenden, um in einem von seinem Zuhause und der Familie weit entfernt gelegenen Teil des Landes zum Arbeitseinsatz geschickt zu werden.

Ebenfalls 12 Jahre alt war damals auch Zhang Yimou, dessen Kindheit in dieser Hinsicht ganz ähnlich verlief. Aber als die Zeit, die in China von offizieller Seite als Kulturrevolution bezeichnet wurde, vorbei war und 1978 in Beijing die Filmakademie wieder eröffnet wurde, gehörten beide zum ersten Jahrgang und erhielten vier Jahre später dort ihren Abschluss. Nur kurze Zeit danach war es dann wohl Zhang Yimou, der es Chen Kaige nahelegte, Beijing zu verlassen und es in einem kleineren Filmstudio, dem Guangxi, zu versuchen, wo sie gemeinsam den Film huáng tǔdì (Gelbe Erde) drehten, mit Chen Kaige als Drehbuchautor und Regisseur, während Zhang Yimou die Kameraarbeit übernahm.

Und die Idee, weit weg von der Hauptstadt und damit auch vom Fokus der Zensurbehörde, vielleicht etwas ungestörter arbeiten zu können, bewährte sich: denn auch wenn er sein Publikum in China teilweise erst mit etwas Verspätung fand, so war er doch der erste chinesische Film seit Beginn der Mao-Zeit, der auch in anderen Teilen der Welt aufgeführt wurde und dort viel Lob fand. Zudem zeigte er 20 Jahre nach eben diesem Film, dass man von nun an, auch international, mit einer neuen Art Filme aus der Volksrepublik China rechnen durfte. Was wiederum 21 Jahre später in Hong Kong dadurch honoriert wurde, dass Yellow Earth auf der bereits mehrfach erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures auf den vierten Platz gewählt wurde, hinter zwei Filmen aus Hong Kong und mit diesem Film auf Platz Eins.

(Yellow Earth, China 1984; Regie: Chen Kaige.)

 

Dōngfāng hóng

Der erste Farbfilm in chinesischer Sprache erschien im Jahr 1965 in Beijing, nur ein Jahr bevor in Hong Kong dieser Film, ebenfalls in Farbe, anlief. Seine Uraufführung hatte er bereits im Jahr zuvor, am 2. Oktober 1964, zur Feier des 15. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China in der Großen Halle des Volkes am historisch bedeutsamen Tian’anmen-Platz und beides, Entstehungszeit wie Anlass, sind dem Film auch unschwer anzusehen.

Wie sehr sich die Zeiten und damit, ganz unabhängig von Farbe oder Schwarz/Weiß, auch die Filme geändert hatten, wird ganz besonders deutlich, wenn man ihn zum Beispiel mit einem Film vergleicht, der in Shanghai mehr als 15 Jahre früher, also kurz vor der Gründung der Volksrepublik China gedreht und dann für lange Zeit nicht mehr aufgeführt wurde.

Aber da sich seither die Zeiten weiter geändert haben, stehen heute beide Filme, sowohl Spring in a Small Town, als auch Dōngfāng hóng, bzw. The East is Red bei Archive.org zur Ansicht und zum Download zur Verfügung.

(Dōngfāng hóng, China 1965; Regie: Ping Wang.)

 

Green Snake

Alle Dinge können wachsen und sich verändern: Ein Stein kann eine Pflanze werden, eine Pflanze kann ein Tier werden, ein Tier kann zum Menschen werden und Menschen können zu Göttern werden.“

Derlei gravierende Veränderungen finden allerdings auch in den buddhistisch geprägten Geschichten des alten China nicht einfach so über Nacht statt – es gehören vielmehr ausreichend Training, Selbstdisziplin und Fortbildung dazu, nicht zu vergessen Meditation und vor allem: viele gute Taten. Wechselt man die Richtung seines Tuns von gut nach böse, kann die eigene Entwicklung aber auch umgekehrt verlaufen und so kann es passieren, dass sich ein Mönch und erfolgreicher Dämonenjäger als Magen einer Krabbe wiederfindet und allein dessen orangene Farbe erinnert noch an seine vorherige Inkarnations-Stufe.

Hier allerdings geht es nicht um Krabben, sondern um Schlangen, eine weiße und eine grüne, denen es Jahrhunderte langes Training ermöglicht, die Gestalt von Frauen anzunehmen. Aber die Form zu erlangen, egal wie gut ihnen dies auch gelungen sein mag, war nicht das eigentliche Ziel, sondern der Inhalt, weshalb sich die Damen nun daran machen, die menschliche Gefühlswelt zu erkunden. Mönche, die ihnen das Leben schwer machen gibt es zwar auch hier in ausreichender Menge, aber anders, als in einer der älteren Versionen der Geschichte wird im Film keiner davon zu einem Magen, egal welchen Lebewesens.

Denn ebenso wie bei diesem und diesem Wuxia-Film gibt es auch hier eine literarische Vorlage, genau genommen sogar einige, die ihrerseits wiederum auf eine wesentlich ältere Legende zurückgehen, deren erste überlieferte schriftliche Version aus der Zeit der Ming Dynastie stammt. Im Verlaufe der Jahrhunderte entstanden viele Varianten des Themas, auch wurde aus der ursprünglichen Horrorgeschichte eine Romanze, die Version aber, die dem Film letztlich als Grundlage diente, wurde von der zeitgenössischen Schriftstellerin Lilian Lee verfasst, deren Bücher schon häufiger verfilmt wurden, unter anderem von Chen Kaige (Farewell my Concubine) und Fruit Chan (Dumplings).

Ähnlich vielfältig wie ihre schriftliche Niederlegung sind auch ihre diversen Umsetzungen: in der chinesischen Oper war die Geschichte schon lange beliebt, 1956 brachte das hier bereits mehrfach gewürdigte japanische Toho Studio den Stoff in Zusammenarbeit mit dem Hong Konger Studio der Shaw Brothers als seinen ersten Farbfilm in die Kinos und bis heute folgten zahlreiche weitere Verfilmungen, für Kino wie TV, ebenso wie weitere Aufführungen als Oper, Theaterstück oder Musical.

Was Tsui Hark aber daraus gemacht hat, der nach der für alle Beteiligten wenig erfreulichen Teamarbeit dieses Films, bei Green Snake lieber gleich als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor fungierte, noch dazu unterstützt von Maggie Cheung und Joey Wang als Hauptdarstellerinnen, ist schon sehr eigen geraten: bunt, schräg und anarchisch, quer durch die Geschlechter-Klischees gepflügt und mit einigen durchaus überzeugenden, handfesten Argumenten gegen Selbstgerechtigkeit und Zölibat: „Du hast verloren!“

(Green Snake, Hong Kong 1993, Regie: Tsui Hark.)

 

The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Come Drink with Me

„Ich sagte es Dir schon einmal: Du solltest mehr beobachten und weniger kämpfen – aber Du musst ja unbedingt immer zeigen, wie gut Du in Martial Arts bist…“

Ein Vorwurf, der der hier angesprochenen jungen Dame gegenüber vielleicht ein klein wenig unfair ist, denn genau darum geht es ja schließlich in Martial Arts-Filmen. Wobei wir es hier mit einer besonderen Kategorie zu tun haben, dem Wuxia-Film, der sich von anderen Martial Arts- bzw. Kung Fu-Filmen in mancher Hinsicht unterscheidet: durch seine historisierenden und manchmal auch fantastischen Elemente zum Beispiel, denn ob die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Helden und Heldinnen noch mit Jahre langem diszipliniertem Training und Meditation zu erreichen sind, oder ob hier Übernatürliches mitspielt, bleibt meist offen und auch dadurch, dass die kämpfenden Herren es hier regelmäßig mit ihnen ebenbürtigen oder auch überlegenen, ebenfalls bewaffneten Damen zu tun kriegen.

Zudem hatte Wuxia, bevor es auf Film und Comic übertragen wurde, bereits eine lange Tradition in der Literatur und damit ausreichend Zeit, über die Jahrhunderte einen ganz eigenen Kosmos zu entwickeln. Einen wahren Kern haben die Geschichten ebenfalls, denn auch, wenn im China früherer Jahrhunderte fliegende Schwertkämpfer und -kämpferinnen wohl eher rar waren, so gab es doch ausreichend Kampf und Krieg und entsprechend viele daran Beteiligte, von denen manche wiederum den Umgang mit Waffen so weit professionalisierten, dass sie ihn hauptberuflich ausüben und mit viel Glück lange genug überleben konnten, um den Nährboden für Heldensagen zu liefern.

Doch anders als zum Beispiel in Japan, wo der Held dieses Films anfangs vielleicht ein wenig herunter gekommen wirkt, von dem wir aber dennoch annehmen dürfen, dass er als Samurai der Aristokratie angehört, entstammten ihre chinesischen Berufskollegen keineswegs nur der Oberschicht, sondern kamen aus allen Teilen der Bevölkerung.

Die historische Korrektheit darf an dieser Stelle bezweifelt werden, aber zumindest in den Wuxia-Geschichten folgen sie dabei stets ihrer eigenen, sehr individuellen Ethik und kämpfen selbstverständlich nur für das Gute – oder zumindest das, was sie dafür halten (auch Wuxia-Helden können irren), was gelegentlich miteinschließt, dass die Bevölkerung gegen eine ausbeuterische und korrupte Oberschicht verteidigt werden muss. Eine Haltung, die zwar beim Publikum immer gut ankommt, von Regierungen mit Hang zur Zensur aber meist weniger gerne gesehen wird, und dazu führte, dass Wuxia-Filme wegen ihres anscheinend subversiven Charakters in den Anfängen der chinesischen Republik zunächst einmal verboten wurden – was wiederum der in Hong Kong und Taiwan ansässigen Filmindustrie eine gerne genutzte Einnahmequelle bescherte.

Einer, der von eben dort aus das Genre mit seinen Filmen erfolgreich weiterentwickelte, war der Regisseur King Hu. Er sagte von sich, dass ihn die Bewegungen der Tänzer und Artisten der Peking Oper fasziniert hatten, er aber meinte, ihre Kunst würde durch die Bühne zu sehr begrenzt und könne im Film viel besser zur Entfaltung kommen. Folgerichtig engagierte er mit Cheng Pei-pei eine Tänzerin für die Hauptrolle seines zweiten Films Come drink with me. Ein Konzept, das aufging, denn dieser, ebenso wie seine nachfolgenden Filme, Dragon Gate Inn und besonders A Touch of Zen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und gelten heute ebenso als Klassiker des Genres, wie seine Hauptdarstellerin geradezu als Königin des Wuxia-Films.

Und wem nun die Szene, in der eine junge Dame sich gegen eine Reihe von Angreifern zur Wehr setzt und dabei eine renovierungsbedürftige Herberge hinterlässt, ebenso bekannt vor kommt, wie die Hauptdarstellerin selbst, der hat vermutlich diesen Film gesehen und liegt damit völlig richtig.

(Come Drink with Me, Hong Kong 1966; Regie: King Hu.)