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The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Come Drink with Me

„Ich sagte es Dir schon einmal: Du solltest mehr beobachten und weniger kämpfen – aber Du musst ja unbedingt immer zeigen, wie gut Du in Martial Arts bist…“

Ein Vorwurf, der der hier angesprochenen jungen Dame gegenüber vielleicht ein klein wenig unfair ist, denn genau darum geht es ja schließlich in Martial Arts-Filmen. Wobei wir es hier mit einer besonderen Kategorie zu tun haben, dem Wuxia-Film, der sich von anderen Martial Arts- bzw. Kung Fu-Filmen in mancher Hinsicht unterscheidet: durch seine historisierenden und manchmal auch fantastischen Elemente zum Beispiel, denn ob die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Helden und Heldinnen noch mit Jahre langem diszipliniertem Training und Meditation zu erreichen sind, oder ob hier Übernatürliches mitspielt, bleibt meist offen und auch dadurch, dass die kämpfenden Herren es hier regelmäßig mit ihnen ebenbürtigen oder auch überlegenen, ebenfalls bewaffneten Damen zu tun kriegen.

Zudem hatte Wuxia, bevor es auf Film und Comic übertragen wurde, bereits eine lange Tradition in der Literatur und damit ausreichend Zeit, über die Jahrhunderte einen ganz eigenen Kosmos zu entwickeln. Einen wahren Kern haben die Geschichten ebenfalls, denn auch, wenn im China früherer Jahrhunderte fliegende Schwertkämpfer und -kämpferinnen wohl eher rar waren, so gab es doch ausreichend Kampf und Krieg und entsprechend viele daran Beteiligte, von denen manche wiederum den Umgang mit Waffen so weit professionalisierten, dass sie ihn hauptberuflich ausüben und mit viel Glück lange genug überleben konnten, um den Nährboden für Heldensagen zu liefern.

Doch anders als zum Beispiel in Japan, wo der Held dieses Films anfangs vielleicht ein wenig herunter gekommen wirkt, von dem wir aber dennoch annehmen dürfen, dass er als Samurai der Aristokratie angehört, entstammten ihre chinesischen Berufskollegen keineswegs nur der Oberschicht, sondern kamen aus allen Teilen der Bevölkerung.

Die historische Korrektheit darf an dieser Stelle bezweifelt werden, aber zumindest in den Wuxia-Geschichten folgen sie dabei stets ihrer eigenen, sehr individuellen Ethik und kämpfen selbstverständlich nur für das Gute – oder zumindest das, was sie dafür halten (auch Wuxia-Helden können irren), was gelegentlich miteinschließt, dass die Bevölkerung gegen eine ausbeuterische und korrupte Oberschicht verteidigt werden muss. Eine Haltung, die zwar beim Publikum immer gut ankommt, von Regierungen mit Hang zur Zensur aber meist weniger gerne gesehen wird, und dazu führte, dass Wuxia-Filme wegen ihres anscheinend subversiven Charakters in den Anfängen der chinesischen Republik zunächst einmal verboten wurden – was wiederum der in Hong Kong und Taiwan ansässigen Filmindustrie eine gerne genutzte Einnahmequelle bescherte.

Einer, der von eben dort aus das Genre mit seinen Filmen erfolgreich weiterentwickelte, war der Regisseur King Hu. Er sagte von sich, dass ihn die Bewegungen der Tänzer und Artisten der Peking Oper fasziniert hatten, er aber meinte, ihre Kunst würde durch die Bühne zu sehr begrenzt und könne im Film viel besser zur Entfaltung kommen. Folgerichtig engagierte er mit Cheng Pei-pei eine Tänzerin für die Hauptrolle seines zweiten Films Come drink with me. Ein Konzept, das aufging, denn dieser, ebenso wie seine nachfolgenden Filme, Dragon Gate Inn und besonders A Touch of Zen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und gelten heute ebenso als Klassiker des Genres, wie seine Hauptdarstellerin geradezu als Königin des Wuxia-Films.

Und wem nun die Szene, in der eine junge Dame sich gegen eine Reihe von Angreifern zur Wehr setzt und dabei eine renovierungsbedürftige Herberge hinterlässt, ebenso bekannt vor kommt, wie die Hauptdarstellerin selbst, der hat vermutlich diesen Film gesehen und liegt damit völlig richtig.

(Come Drink with Me, Hong Kong 1966; Regie: King Hu.)

Summer Snow

Einer der drei Gründe, weshalb aus der bereits erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures, tatsächlich eine Liste der 103 besten chinesischen Filme wurde, ist Summer Snow von Ann Hui. Überhaupt ist Frau Hui auf dieser Liste mehrfach vertreten, insgesamt vier mal, von denen einer ihrer Filme es mit Platz 8 sogar unter die ersten zehn schaffte, eingerahmt auf den Plätzen 7 und 9 übrigens von Filmen von King Hu, als dessen Regie-Assistentin sie zu Beginn ihrer Karriere gearbeitet hatte.

Auch bei den Hong Kong Film Awards sind ihre Filme regelmäßig vertreten, so ist zum Beispiel der aktuelle Best Film, aus der diesjährigen Verleihung, ihr Film A simple Life, eine Auszeichnung, die sie schon bei der überhaupt erst zweiten Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1983 für Boat People erhielt, des weiteren 1996 für Summer Snow und 2000 für Ordinary Heroes.

Vor allem aber kann man wohl feststellen, dass es sich beim besten Regisseur Hong Kongs um eine Frau handelt, zumindest ist Ann Hui diejenige, die den Hong Kong Award als Best Director bislang am häufigsten erhalten hat: ebenfalls vier Mal, damit kann keiner der wesentlich bekannteren Martial-Arts-, Wuxia- und Action-Filmregisseure mithalten (nur zum Vergleich: der nicht nur von Quentin Tarantino hoch geschätzte Regisseur Johnnie To war bislang zwar schon 16 mal in dieser Kategorie nominiert, erhielt die Auszeichnung aber erst dreimal).

Und selbst, wenn man berücksichtigt, dass sie eine sehr fleißige Filmemacherin ist, und ihre Werke regelmäßig auch auf internationalen Festivals laufen, werden die vielen Auszeichnungen für ihre Arbeit umso bemerkenswerter, wenn man sich die Themen der Mehrzahl ihrer Filme anschaut: denn obwohl sie 1982 mit Boat People einen politischen Film machte, so ist der Titel ihres aktuellen Films, A simple Life, keineswegs ironisch gemeint, und auch bei Summer Snow von 1995, dessen chinesischer Titel soviel wie ‚Eine Frau mit 40‘ bedeutet, handelt es sich um eine ganz alltägliche Geschichte. Vielleicht hätte er ebenso zutreffend auch ‚Ein Schwiegervater um die 70‘ heißen können, aber eigentlich drängt sich keine der Figuren, von denen hier sehr liebevoll erzählt wird, in den Vordergrund.

Und obwohl kämpferische Frauen im Kino Hong Kongs auf eine lange Tradition zurückblicken können, wird auf den Einsatz von Dolchen und Schwertern verzichtet. Um mit dem richtigen Leben klar zu kommen, sind andere Methoden einfach besser geeignet.

(Summer Snow, Hong Kong 1995; Regie: Ann Hui.)

 

Spring in a Small Town

Im Jahr 2005 feierte man in Hong Kong das 100jährige Bestehen des chinesischen Films. Aus diesem Anlass wurde bei der 24. Verleihung der Hong Kong Film Awards eine Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures vorgestellt, wobei es sich genauer gesagt um die 103 besten chinesischen Filme handelt, da diese drei Filme wohl unbedingt noch mit auf die Liste sollten: The Puppetmaster von Hou Hsiao-Hsien (101), Summer Snow von Ann Hui (102) und Not one Less von Zhang Yimou (103).

Die Filme wurden fein säuberlich getrennt nach Produktionsort Hong Kong, China oder Taiwan aufgeführt, und angesichts der Tatsache, dass sie von einer Jury aus 101 Filmemachern und Kritikern, überwiegend der Hong Konger Filmindustrie, gewählt wurden, ist es wohl nicht weiter überraschend, dass der bei weitem größte Teil der Chinese Motion Pictures dieser Auswahl aus Hong Kong stammt: 61 Filme, während es aus China nur 24 Filme, und nur 16 aus Taiwan (sowie 2 Co-Produktionen) auf die Liste schafften.

Ebenfalls wenig überraschend ist, dass auch von den ersten drei der Besten-Liste zwei Filme in Hong Kong produziert wurden, aber während selbst dieser Film, der bei der Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1997 noch mit einer bis heute nicht übertroffenen Anzahl von Preisen ausgezeichnet wurde, auf der Liste von 2005 schon ‚nur‘ noch auf Platz 28 landete, wurde der erste Platz an einen Film vergeben, als dessen Produktionsort China genannt wird und der in Mandarin gedreht gedreht wurde. Wobei mit China in diesem Falle Shanghai gemeint ist und der Film aus dem Jahr 1948 stammt, einer Zeit, als die Filmindustrie in Hong Kong noch in ihren Anfängen steckte, während sich Shanghai gerade im zweiten Goldenen Zeitalter seines Films befand.

Von Shanghai ist bei Spring in a Small Town auch gelegentlich die Rede, davon dort hinzugehen um dort zu leben und zu studieren und damit auch gleich ein wenig von der großen Welt zu sehen, die in der kleinen Stadt, in der die Geschichte spielt, sehr weit weg zu sein scheint. Es ist die Zeit kurz nach dem großen Krieg und vor der Kommunistischen Revolution, aber Politik kommt hier nur am Rande zur Sprache, was den Film kurze Zeit nach seinem Erscheinen, im mittlerweile kommunistischen China, von der Bildfläche verschwinden ließ: zu unpolitisch, möglicherweise gar reaktionär und nicht geeignet zur damals angestrebten Volkserziehung beizutragen.

Erst Jahrzehnte später, als Anfang der 1980er das China Film Archive in Beijing öffentlich zugänglich wurde, erschien eine Kopie des heute verlorenen Originals von Spring in a Small Town, die in den folgenden Jahren, sowohl in China als auch weltweit, ein wachsendes Publikum und viel Lob fand. Und wer sich nun ebenfalls sein eigenes Urteil bilden möchte, kann diese Kopie im Internet Archive finden, wo sie zu eben diesem Zweck bereit gestellt ist.

(Spring in a Small Town, China 1948; Regie: Fei Mu.)


 

Comrades – Almost a Love story

Nach den Eindrücken eines italienischen Filmemachers Anfang der 1970er von China, dem Spielfilm eines weiteren italienischen Filmemachers aus den 1980ern und der Doku über das Bild, das Hollywood Jahrzehnte lang von China und seinen Einwohnern verbreitete, wird es nun Zeit, einen Blick auf die Selbstdarstellung der chinesischen Filmindustrie zu werfen. So werden in Hong Kong zum Beispiel seit 1982 die Hong Kong Film Awards verliehen. Die Regeln sind relativ einfach, der Film sollte im Vorjahr in Hong Kong in den Verleih gegangen sein, er darf nicht weniger als eine Stunde dauern und wenn dann noch mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass entweder der Regisseur bzw. die Regisseurin in Hong Kong ansässig ist, oder eine der Film-Gesellschaften oder doch wenigstens sechs Mitglieder der Crew, steht der Nominierung grundsätzlich nichts mehr im Wege. Und falls es mit der Ansässigkeit in Hong Kong so gar nicht klappen sollte, gibt es seit 2002 noch die Best Asian Film Kategorie. Ansonsten heißen die Kategorien Bester Film, Beste Regie, Beste Haupt- und Nebendarsteller und -darstellerinnen, weitere Auszeichnungen gibt es unter anderem auch für die Beste Filmproduktion, den Besten Nachwuchs, Drehbuch, Schnitt, Art Direction, Kostüm & Make Up Design, Filmmusik sowie Filmsong und Choreographie, Visual Effects und Sound Design.

Ähnlich wie bei den Academy Awards in Hollywood handelt es sich hier nicht um einen Publikumspreis, sondern professionelle Filmschaffende bestimmen sowohl die Nominierungen, als auch die Gewinner. In dem Jahr, in welchem zum Beispiel Bertolucci gerade an Originalschauplätzen seinen Last Emperor drehte, wurde in Hong Kong dieser Film gefeiert, der zwar in einer ganz anderen Epoche spielt, aber auch davon abgesehen ein völlig anderes Bild von China, wenn auch in diesem Falle speziell Hong Kongs, vermittelt.

Bislang führend in der Kategorie „Häufigste Nominierung ohne Gewinn“ ist übrigens der auch außerhalb von Hong Kong recht bekannte Jackie Chan, der zwischen 1985 und 2005 allein 10 mal als Bester Hauptdarsteller nominiert war, aber diese Auszeichnung kein einziges Mal erhielt (in anderen Kategorien wurden seine Filme aber durchaus in Hong Kong für preiswürdig befunden).

Andere waren da zwar erfolgreicher, aber in dem Maße, wie Bertolucci, der im Jahr 1988 neun Academy Awards in Hollywood abräumte, gelang dies bei den Hong Kong Awards bisher nur ein einziges Mal, als im Jahr 1997 Comrades – Almost a Lovestory ebenfalls mit neun Auszeichnungen bedacht wurde, unter anderen die für den Besten Film, die Beste Regie, das Beste Drehbuch und die Beste Hauptdarstellerin, wobei Letztere in Person von Maggie Cheung ohnehin sowohl die meisten Nominierungen als auch die meisten Auszeichnungen als Beste Hauptdarstellerin bei den Hong Kong Film Awards vorzuweisen hat.

Selbstverständlich vermittelt auch dieser Film ein sehr spezielles Bild von China, beziehungsweise von Hong Kong und seinen Zugezogenen, aber man darf wohl angesichts der vielen Preise annehmen, dass es weitgehend dem entspricht, das sich die in Hong Kong ansässigen Filmemacher in den 1990ern von ihrer Stadt und dem Leben darin machen, oder doch zumindest dem, wie sie im Kino gesehen werden wollten.

(Comrades – Amost a Love Story, Hong Kong 1996; Regie: Peter Chan.)

 

Hollywood Chinese

… wie gut Bernardo Bertolucci mit seinem Film den Geschmack Hollywoods getroffen hatte, zeigte sich bei der Verleihung der Academy Awards im Jahr 1988, wo er mit neun Oscars ausgezeichnet wurde – inklusive als „Best Picture“ und „Best Director“.

Wobei Hollywood zu diesem Zeitpunkt bereits eine recht klar definierte Vorstellung von China und seinen Einwohnern hatte, waren diese doch schon seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der dortigen Produktionen, sei es als Erzbösewicht, als Detektiv, als devote Ehefrau oder als Prostituierte, die allerdings anfangs eher selten von Schauspielern chinesischer Herkunft dargestellt wurden, und falls doch, so sah man es ihnen bisweilen nicht allzu sehr an. Stattdessen wurden fröhlich die Klischees verbreitet: Hollywoods Chinesinnen waren von exotischer Schönheit und unterwürfig den weißen Männern ergeben, ihre männlichen Pendants hingegen sprachen gerne eine alberne Sprache, mit der sie pseudo-asiatische Weisheiten verbreiteten.

Diese Stereotypen waren derart hartnäckig, dass auch später, als man in Hollywood immerhin schon soweit war, Rollen, die für Asiaten vorgesehen waren, auch mit Asiaten zu besetzen, diese wiederum vor dem Problem standen, möglichst exakt den Erwartungen der Produzenten entsprechen zu müssen, was in den meisten Fällen bedeutete, das Klischee wieder zu kopieren. Dies ging schließlich so weit, dass Schauspielerinnen wie Joan Chen für ihre Rollen mit Sprechtrainern das spezielle Pidgin einüben mussten, das zwar außerhalb von Hollywood-Filmen niemand sprach, hier aber Pflicht war.

Diese und andere Geschichten erzählen Schauspielerinnen und Schauspieler, Drehbuchautoren, Schriftstellerinnen und viele andere, in der Dokumentation von Arthur Dong Hollywood Chinese – The Chinese in American Feature Film von 2007. Zu Wort kommt hier zum Beispiel auch Lisa Liu, die immerhin den Mut besaß, gelegentlich ihre Regisseure darauf hinzuweisen, wenn sie sich ihrer Ansicht nach allzu weit von den China üblichen Gepflogenheiten entfernten, worüber die jeweiligen Regisseure stets höflich aber konsequent hinweg sahen. Und auch, wenn Bernardo Bertolucci sich die Mühe gemacht hatte, Drehgenehmigungen für Originalschauplätze zu erhalten, so bildete er in dieser Hinsicht keine Ausnahme, denn über ihre Rolle als Kaiserinwitwe Cixi erzählt sie: „Just like when I was working with Mr. Bertolucci. He wanted the Eunuchen to move the bed and I said ‚you know, the empress dowagers bed should be very stable‘. That the Stability is a symbol for her health and if you move the bed, it‘s an hurt of – in China you cannot do that. So he said: ‚Oh I understand what you are saying, but you know I‘m making an artistic film.“ Oder, wie Joan Chen es zusammenfasst: „Bernardo Bertolucci is just a fantastic filmmaker and he is so in love with this China, that‘s in his fantasy.“

Aber dass Filme bisweilen mehr über die Menschen aussagen, die sie gemacht haben, als über die Themen, die sie behandeln, ist ja nichts Neues und darum, wie sehr oder wenig sich einzelne Regisseure um realistische Darstellung bemühten, geht es in dieser Dokumentation eigentlich auch gar nicht, sondern darum, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen: sowohl jene, die die Klischees verkörperten, als auch die, die damit aufwuchsen und zurechtkommen mussten, denn, so sagt es Regisseur Arthur Dong: „Through their stories, we learn about history, and through what they went through, what happened in Hollywood.” Und Hollywood war weit verbreitet.

(Hollywood Chinese, USA 2007; Regie: Arthur Dong.)

Chung Kuo

„…und China ist Chung Kuo, das Reich der Mitte, eine der antiken Wiegen der Weltzivilisation. (…) und es sind sie, die Chinesen, die die Protagonisten unseres Filmes sind. Wir behaupten nicht, dass wir China verstehen. Alles was wir beabsichtigen ist, eine große Sammlung zu präsentieren, an Gesichtern, Gesten und Gewohnheiten. Als wir aus Europa ankamen, erwarteten wir, Berge und Wüsten zu erkunden, aber tatsächlich ist der größte Teil von China noch immer unerreichbar und der Zutritt verboten. Dennoch, in einer Art politischem Ping-Pong, haben die Chinesen einige Türen geöffnet, wenn auch stets begleitet von unseren Führern, die uns mit unnachgiebiger Beharrlichkeit davon abhielten, einen Schritt vom vorgeschriebenen Wege abzugehen.“

Im Jahr 1972, während in China die „Proletarische Kulturrevolution“ tobte, erhielt der italienische Filmemacher Michelangelo Antonioni, der sich selbst als marxistischen Intellektuellen bezeichnete, eine offizielle Einladung nach China, um dort eine Dokumentation über die Volksrepublik zu drehen. Die politischen Ereignisse in China waren in Europa – entsprechend der jeweils eigenen politischen Ausrichtung – mit Zustimmung oder Ablehnung aufgenommen worden, tatsächlich aber wusste man nicht viel darüber, da China selbst sich seit Jahren verschlossen gab und nur wenig nach außen dringen ließ.

Umso größer also das Interesse an authentischem Material, aber auch die Verantwortung, China im rechten Licht zu zeigen, nicht zu beschönigen, aber ebenso wenig zu verurteilen. Antonioni, der sich in seinen bisherigen Filmen meist zurückhaltend, aber durchaus kritisch mit dem ‚westlichen‘ Lebensstil auseinander gesetzt hatte und in Interviews von sich sagte, er sehe seine Stärke darin, ohne vorgefasste Erwartungen zunächst einmal aufzunehmen was vorhanden ist und erst bei der Sichtung des fertigen Materials einen Film daraus zu machen, schien für diese Aufgabe der Richtige zu sein.

Allerdings stellte sich bald heraus, dass er und sein Team nicht frei entscheiden konnten, worauf sie die Kamera überhaupt richten durften. Die Reiseroute, die sie mitbrachten, entsprach nicht der Vorstellung ihrer chinesischen Gastgeber, die ihrer Gastgeber nicht der eigenen, und so einigte man sich nach zähen Verhandlungen schließlich auf eine mehr-wöchige Reise mit den Stationen Beijing, Nanjing, Suzhou, Henan und Shanghai.

Da weder Antonioni noch ein anderes Mitglied seines Teams Chinesisch sprach und sie bei ihren Nachfragen auf ihre offiziellen Begleiter angewiesen waren, blieb ihnen nicht viel übrig, als die Kamera auf die Orte und vor allem Menschen zu richten und zu zeigen, was sie sahen. Was in manchen Situationen vollkommen ausreichend war, um beeindruckendes Material zu erhalten – so waren Antonioni und sein Team die ersten westlichen Filmemacher, die die Erlaubnis erhielten, in der „Verbotenen Stadt“ zu filmen, oder bei der vielleicht etwas drastischen Szene eines Kaiserschnitts mit Akupunktur-Anästhesie – aber an anderen Stellen eher hilflos wirkt.

Das Ergebnis waren viele Stunden Filmmaterial, die auf 220 Minuten zusammengeschnitten und unter dem Titel „Chung Kuo – Cina“ in drei Teilen im italienischen Fernsehen gezeigt wurden sowie eine zweistündige Fassung mit dem Titel „Antonionis China“, die 1973 in Frankreich in die Kinos kam und im europäischen und amerikanischen Fernsehen gezeigt wurde, unter anderem auch 1974 vom WDR.

In China allerdings wurde Antonionis Dokumentation zunächst nicht gut aufgenommen – Mao und seiner damals noch sehr einflussreichen letzten Ehefrau, Jiang Qing, hatte er dermaßen missfallen, dass sie nicht nur seine Ausstrahlung verboten, sondern Antonioni darüber hinaus eine anti-chinesische Haltung vorwarfen und ihn als Konterrevolutionär bezeichneten, zudem erschien 1974 in einer Beijinger Zeitung ein Artikel, der ausführlich gegen Antonionis Film Stellung bezog.

Erst 30 Jahre nach seiner Entstehung, im Jahr 2002 wurde er zum ersten Mal offiziell in China vor Publikum gezeigt: im Rahmen einer Veranstaltung, die in der Beijing Film Akademie stattfand, um Michelangelo Antonioni zu ehren.

(Chung Kuo, Italien 1972; Regie: Michelangelo Antonioni.)

On the Beat

Polizeialltag zum Zweiten: diesmal ist es kein heißer Sommer in Tokyo, sondern wir schreiben das Jahr des Hundes in Beijing und es ist ein kalter, meist grauer Winter, voll mit Routine und Langweile. Aber anders als die japanischen Ermittler im Jahr 1949, die sich noch zu Fuß die Hacken ablaufen müssen, erledigen die chinesischen Polizisten Mitte der 1990er ihren uniformierten Streifendienst immerhin schon per Fahrrad.

Der chinesische Titel dieses Films, 民警故事, bedeutet übersetzt so viel wie ‚Volkspolizei Geschichte(n)‘, was ebenso wie sein englischer Titel, ‚On the Beat‘, unter dem er auf internationalen Festivals lief, und den man ins Deutsche mit ‚Auf Streife‘ übersetzen kann, den Inhalt des Films ganz zutreffend wieder gibt. Entsprechend werden wir gleich zu Beginn ausführlich mit den vielfältigen Pflichten eines Streifen-Polizisten in Beijing vertraut gemacht und natürlich erfüllen diese Staatsbeamten nicht nur gewissenhaft ihre Aufgaben, sondern haben darüber hinaus auch ganz konkrete Vorstellungen, was in China alles so schief läuft und ebenso praktische wie leicht umsetzbare Vorschläge, es besser zu machen („…hier ist ein ehemaliger Fürstenhof, wo sich während der Kulturrevolution eine Tischlerei breit machte. Jetzt steht er unter Denkmalschutz und verwahrlost.“ – „Abreißen und ein Hochhaus hin bauen.“).

Wobei diejenigen, die uns dies vermitteln, sich in der Sache auskennen, denn zwar sind alle Darsteller als Schauspieler Amateure, aber im richtigen Leben echte Polizisten bzw. Bewohner des Bezirks. Was wohl damit zu tun hat, dass Regisseurin Ning Ying zwar gemeinsam mit Zhang Yimou, Chen Kaige und den anderen Filmemachern der sogenannten 5. Generation die Beijing Film Akademie besucht hatte, danach aber nach Italien ging, um am Centro Sperimentale di Cinematografia zu studieren, wo sie den Italienischen Neorealismus und Bernardo Bertolucci kennen lernte. Beiden konnte sie offensichtlich einiges abgewinnen: Letzteren unterstützte sie 1987 als Regieassistentin in China bei den Dreharbeiten zu The Last Emperor, aber während dieser wohl den Monumentalfilmen zugerechnet werden darf, entsprechen ihren eigenen Arbeiten als Regisseurin tatsächlich eher dem Neorealismus.

In diesem Sinne geht es hier nicht um die große Tragödie und es ist auch nichts auf Hochglanz poliert, keine hochbezahlten Star-Schauspieler geben harte Kerle, die sich durch Geschichten von Verrat und Gewalt ballern. Dementsprechend steht auch nicht zu befürchten, dass On the Beat, anders als zum Beispiel dieser Film hier, jemals von Hollywood nachverfilmt und mit Oscars überhäuft wird.

Aber viele kleine Dramen gibt es auch hier – und ausgesprochen einsatzfreudige Verfolgungsjagden.

(On the Beat, China 1995; Regie: Ning Ying.)

Nora Inu

Es ist heiß in Tokyo, im Sommer 1949. Der Polizeialltag ist ohnehin mühsam genug und wird durch die Hitze nicht leichter. Der Tag war lang, der Weg nach Hause ist es auch, der Bus ist völlig überfüllt mit schwitzenden Menschen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, jemand nutzt seine Chance und die Dienstwaffe ist gestohlen – eine gerade in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt besonders seltene und wertvolle Ware. Für den jungen Polizisten kann es das Ende seiner Karriere bedeuten, aber nicht nur dies, auch das Gefühl, dass es in seiner Verantwortung liegt, was nun mit der Pistole geschieht, treibt ihn an, sich auf die Suche nach Dieb und Waffe zu machen.

Fünf Jahre bevor Regisseur Ishiro Honda diesen Zeitgenossen auf Tokyo los ließ, war er noch hoch geschätzter Erster Regie-Assistent von Akira Kurosawa. Und als solcher lieferte er für Kurosawas Film Nora Inu (Stray Dog), ganz wesentliche Szenen: Gemeinsam mit Kameramann Kazuo Yamada war Honda in jene Viertel von Tokyo gegangen, die damals als gefährlich und teilweise von Yakuza beherrscht galten, um dort zu filmen. Größere Gruppen, womöglich noch mit Schauspielern wären hier nur unangenehm aufgefallen und so kam es, dass in jenen Szenen, die den Hauptcharakter Murakami, eigentlich dargestellt von Toshiro Mifune, von der Taille abwärts zeigen, tatsächlich meist Honda zu sehen ist.

Ebenfalls zu sehen ist das Tokyo der Nachkriegszeit, vor allem aber die Menschen, die dort leben und weiterhin versuchen klar zu kommen – die einen, indem sie erfüllen, was sie für ihre Pflicht halten, die anderen auf anderen Wegen. Bei seinen Ermittlungen wird unser Held von seinem älteren und erfahrenen Kollegen Sato begleitet und schon diese beiden, obwohl sie gut miteinander auskommen, haben völlig verschiedene Perspektiven auf das Geschehen und seine Ursachen – sind es in erster Linie die Umstände, die das Handeln der Menschen bestimmen, oder liegt eben doch das meiste in der persönlichen Verantwortung? – Themen, die so schon schwierig genug sind, wenn es nicht auch noch so unerträglich heiß wäre.

Und Themen, die fast fünfzig Jahre später in derselben Stadt von einem anderen japanischen Regisseur ganz anders behandelt werden.

(Nora Inu, Japan 1949; Regie: Akira Kurosawa.)

Mimic

„Can I eat it or will it eat me?“ diese Frage stand nicht nur im Drehbuch zu Mimic, sondern sie stellte sich Regisseur Guillermo del Toro bei den Dreharbeiten möglicherweise auch selbst, denn einer der Produzenten, Bob Weinstein, tauchte angeblich regelmäßig am Set auf, um zusätzliche Szenen einzufordern, seine vielfältigen kreativen Ideen einzubringen und überhaupt allen Beteiligten so gut wie möglich auf die Nerven zu fallen. Da Bob Weinstein der Bruder von Harvey ist (die andere Hälfte der Produktionsfirma Miramax), dem es ungefähr zur gleichen Zeit sogar gelang, Hayao Miyazaki so weit zu treiben, dass er zur Waffe griff, kann man sich gut vorstellen, was del Toro zu leiden hatte.

Ob er dann ebenfalls zu drastischen Maßnahmen griff, um sich die Weinsteins vom Leibe zu halten, ist zwar nicht überliefert, wohl aber, dass er es später ablehnte, noch einmal mit den Brüdern zusammenzuarbeiten und schließlich sogar so weit ging, sich vom ganzen Projekt zu distanzieren. Als allerdings sein eigener, Jahre lang angekündigter, Directors Cut 2011 endlich erschien, kam so mancher nach eingehendem Vergleich beider Fassungen durchaus zu dem Ergebnis, dass er den Film damit nun auch nicht wirklich aufgewertet hatte.

Das alles ist sehr schade, denn Mimic, zumindest in der Fassung von 1997, ist eigentlich ein gelungener Beitrag zum Genre, mit Anspielungen und Verweisen, aber auch neuen Ideen, die stilvoll in Szene gesetzt wurden. Zwischen ihm und dem ersten Big Bug-Film liegen 43 Jahre und eine ganze Menge Filme, die das Kino mit Krabbel-Getier aller möglichen Spezies belebten, und eine lange Zeit, in der natürlich auch die Special Effects, Animations- und Pyrotechnik, zum Beispiel, weiterentwickelt wurden.

Aber auch die Bugs hatten ausreichend Zeit, ihre Fähigkeiten auszubauen. Und auch, wenn sie es an Eleganz und Behändigkeit mit diesem Einzelgänger, aber Spitzenreiter ihrer Zunft nicht wirklich aufnehmen können, setzen sie hier sehr effektiv auf Zusammenarbeit und Strategie. Denn längst geben sie ihre Absichten nicht mehr gleich zu erkennen und tragen ihre Kämpfe auch nicht offen und draußen aus, sondern es geht gleich hinein und hinunter, ins Dunkle, wo sie gelernt haben, sich anzupassen und den richtigen Moment abzuwarten, denn auch sie scheinen zu wissen: „Evolution has a way of keeping things alive.“

(Mimic, USA 1997; Regie: Guillermo del Toro.)