Category Archives: Musik & Film

The Fifth Element

„Sind Sie… von der Erde?“ versus „Are you Germans?“ – Nein, es sind die Mondoshawan.

Die Geschichte ist weder neu, noch besonders originell: die Erde ist mal wieder in Gefahr, von bösen Mächten zerstört zu werden, und nun wird dringend ein Held gebraucht, der den Planeten rettet. Dass der nun ausgerechnet von Bruce Willis (erster Vorname Walter, Geburtsort Ida-Oberstein) dargestellt wird, ist ebenfalls nicht wirklich ausgefallen und dass hinter kapitalistischem Großunternehmertum auf der Basis von Waffenhandel (und in diesem Falle: einer Taxi-Firma) nur das ultimative Erzböse stecken kann, hatten wir sowieso schon immer geahnt.

Gut und Böse sind hier jedenfalls klar aufgeteilt, der Angreifer ist selbstverständlich übermächtig, und eine sexy Heldin in knapper Bekleidung gibt es auch. Es ist also absolut glaubhaft, wenn Regisseur Luc Besson erzählt, er habe sich die Handlung zumindest in groben Zügen schon als Teenager in der High School ausgedacht. Was derselbe Teenager aber auch tat, war fleißig Comics (pardon: Graphic Novels) zu lesen und das ist es, was den Film wirklich zu etwas Besonderem macht, denn Besson heuerte seine persönlichen Favoriten, zwei der berühmtesten französischen Comic-Autoren an, um den visuellen Stil des Films zu erschaffen: Jean Giraud, alias Moebius und Jean-Claude Mézières. Moebius hatte schon vorher an Filmen mitgewirkt und beide hatten zahlreiche Filme inspiriert, wobei Letzteres aber keineswegs immer honoriert worden war. Die beiden Zeichner kannten sich vom Studium an der Académie des Beaux-Arts in Paris, hatten aber noch nie zusammen gearbeitet und machten sich nun gemeinsam daran, in zahlreichen detaillierten Zeichnungen und Storyboards die Optik der Zukunft zu entwerfen: von Straßenschluchten mit fliegenden Taxis und China-Imbissen über Raumschiffe und Vergnügungsplaneten bis zum Aussehen von Aliens und Menschen, der Apartments in denen sie leben und der Form der Zigaretten, die sie rauchen.

Und da es im Comic ja möglich ist, mit wenigen Strichen, Settings und Ereignisse zu schaffen, deren Umsetzung im Film (zumindest im Jahre 1996 noch), eine sehr teure Angelegenheit werden können, uferte das Ganze bisweilen ein wenig aus: eine der Szenen zeigt z. B. die größte „Indoor-Explosion“, die jemals gefilmt wurde und zudem beinahe außer Kontrolle geraten wäre. Überhaupt war er mit 80 Millionen Dollar allein für die Special-Effects, zu seiner Zeit der teuerste Film, der bis dahin in Europa produziert worden war. Aber auch dort, wo das Medium Comic an seine Grenzen stößt, und der Film seine Möglichkeiten entfaltet, waren Spezialisten am Werk: Mit Thierry Arbogast war jener Kameramann dabei, der bislang am häufigsten für den französischen Filmpreis César nominiert wurde, Jean Paul Gaultier höchstselbst entwarf 954 Kostüme und der Soundtrack stammt von Éric Serra, einem nicht nur von Luc Besson gerne gebuchten Filmkomponisten.

Bei dieser geballten Ansammlung französischer Kreativität konnte es natürlich nicht anders sein, dass „The Fifth Element“ 1997 als Eröffnungsfilm bei den Festspielen in Cannes lief, wo er überwiegend positiv aufgenommen wurde, während nämlich einige wenige Kritiker nach tieferem Sinn und Logik suchten, ließen die anderen sich schlichtweg unterhalten, denn das Ganze ist laut, hektisch, bunt und knallig, und macht einfach Spaß anzuschauen, vor allem Gary Oldman als Nietzsche zitierender („Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“) Ausbeuter-Kapitalist, der selbstgefällige Monologe über Zerstörung als Triebfeder der Ökonomie hält, was im Übrigen eine zwar immer noch beliebte, aber dennoch falsche Argumentation ist, wie schon Frédéric Bastiat wusste.

(The Fifth Element, Frankreich 1997; Regie: Luc Besson.)

Interstella 5555

„We are delighted to be able to share with you one of our childhood dreams, which has now become a reality.“

Vom Toei Animations-Studio in Tokyo war hier bereits in anderem Zusammenhang die Rede. Auch davon, welche Bereicherungen das deutsche Fernsehen ihm in den 70er Jahren zu verdanken hatte. Zwei, die ihre Kindheit anscheinend auch mit Heidi und Captain Future, wenn auch in diesem Falle vor Fernsehern in Frankreich verbracht haben, sind Guy-Manuel de Homem Christo und Thomas Bangalter.

Welche Spuren dies bei den beiden hinterlassen hatte, zeigte sich viele Jahre später, als sie bereits die Mitglieder des Electronic Music Duos Daft Punk waren. Schon für die Single-Auskopplungen ihres Debütalbums Homework von 1997 waren Musikvideos von Michel Gondry (Around the World), Spike Jones (Da Funk) und Roman Coppola (Revolution 909) gedreht worden, was allen drei Stücken einen dauerhaften Platz in der MTV-Rotation sicherte.

Um dies mit ihrem zweiten Album zu toppen, mussten sie sich etwas einfallen lassen: „It was during the early sessions for our second album Discovery that we came up with the notion of an animated musical, mixing science-fiction with the decadent world of show business, limousines with spaceships. So we began, alongside the music, to write the story with our friend and collaborator Cédric-Hervet. As all three of us grew up with the enigmatic, poetic universe of „Albator“, we dreamt of a possible collaboration with Leiji Matsumoto, and in the summer of 2000, we flew to meet him, taking our album and the completed synopsis. In Tokyo, Leiji welcomed us warmly. Enthused when he heard the music, he joined the team right away. At last we are ready to blast off into his baroque intergalactic universe.“

Matsumoto machte aus Discovery einen waschechten japanischen Manga: Interstella 5555. Die Optik erinnert stark an die auch in Europa bekannten Fernsehserien von Toei Animation, die Musik von Daft Punk passt dazu ganz hervorragend und ein dauerhafter Platz für die dem Film entnommenen Musikvideos in der MTV-Rotation war selbstverständlich auch wieder gesichert.

(Interstella 5555, Japan und Frankreich 2003; Regie: Leiji Matsumoto.)

The Good, the Bad and the Ugly

Gäbe es eine offizielle Liste der schlechtesten Übertragungen von Filmtiteln ins Deutsche, so wären dort „Der irre Flic mit dem heißen Blick“ und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ gut aufgehoben. Wie aus „Revenge of the Pink Panther“ erstere Fehlbetitelung werden konnte, möchte man lieber nicht wissen, während es sich beim zweiten Beispiel zwar um die wörtliche Übersetzung des englischen Romantitels von James M. Cain handelt, der als Drehbuch-Vorlage diente („The Postman always rings twice“), dieser aber als Sprichwort zu verstehen ist, im Sinne von „man sieht sich immer zweimal im Leben“ oder auch „es gibt immer eine zweite Chance“, wohingegen weder im Roman noch in einer der bisher fünf Verfilmungen, der Oper, oder dem Theaterstück, jemals ein Postbote eine Rolle spielte, geschweige denn, dass er zweimal klingelt.

Ob wiederum die Bezeichnungen „glorreich“ und „Halunken“ auf die Hauptrollen des Films mit dem deutschen Titel „Zwei glorreiche Halunken“ wirklich zutreffend sind, mag noch dahingestellt bleiben, ganz entschieden aber handelt es sich nicht um zwei, sondern um drei Personen, die mit durchaus unterschiedlichen Motiven und Charakteristika ausgestattet sind, weshalb der italienische Originaltitel auch deutlich differenzierter „Il buono, il brutto, il cattivo“ lautet – zu deutsch: der Gute, der Hässliche und der Böse. Wobei Hässlichkeit, ebenso wie Schönheit natürlich immer im Auge des Betrachters liegt, und darüber, wer hier eigentlich wie gut oder böse ist, kann man vielleicht auch geteilter Meinung sein.

Auf alle Fälle handelt es sich aber um den dritten Teil der sogenannten Dollar-Trilogie von Sergio Leone, mit der er den patriotischen US-Western der John-Wayne-Kategorie mal so richtig zeigte, mit wie wenig Budget man so was in Europa drehen kann und anschließend sieht es auch noch besser aus. Wobei die richtigen Vorbilder durchaus hilfreich sein können und mitunter aus Japan kommen, aber anders, als beim ersten Teil hatte Leone es hier nicht mehr nötig, Kurosawa nachzustellen. Einige Elemente ziehen sich durch alle drei Filme, die Kameraeinstellungen z. B., die gerne in langen Nahaufnahmen die Gesichter, manchmal nur die Augen zeigen, Clint Eastwood als einer der Hauptdarsteller und nicht zuletzt die unverwechselbar stilbildende Musik von Ennio Morricone, die nicht nur die Handlung, sondern auch gleich die Dialoge trägt und weiterführt. Und auch hier ist Leone nicht zimperlich, manche Szenen sind brutal, und wir sind trotzdem in Großaufnahme dabei, aber etwas ist hier anders als in seinen früheren Filmen: denn egal was die handvoll Männer, an deren keineswegs lauteren Absichten kein Zweifel bestehen kann, einander antun, und egal, wer von ihnen schließlich gewinnt oder verliert – vor dem Hintergrund des Krieges, in den sie hier immer wieder geraten, ist es geradezu harmlos.

(Il buono, il brutto, il cattivo, Italien 1966; Regie: Sergio Leone.)

Monsoon Wedding

Tropisches Wetter in Neu-Delhi, Temperaturen um die 43°C im Schatten und nur 30 Drehtage sind nicht unbedingt die optimalen Bedingungen um einen Spielfilm von knapp 2 Stunden Dauer zu drehen. Schon gar nicht, wenn es sich um einen Film mit zahlreichen Darstellern in Haupt- wie Nebenrollen, vielen verschiedenen Drehorten und noch dazu Gesang- und Tanzeinlagen handelt. Wenn dann auch noch wesentliche der frisch gedrehten Szenen den Röntgen-Strahlen der Flughafen-Kontrolle zum Opfer fallen, wird die Situation auch nicht gerade entspannter.

Dabei war die Idee einen Film zu drehen, der einerseits typische Bollywood-Elemente enthält, aber andererseits Hand-Kameras einzusetzen und ihn so in weiten Teilen eher wie eine Dokumentation wirken zu lassen, tatsächlich gut.

Also wird einer von sechs Handlungssträngen gestrichen, es muss wieder Geld aufgetrieben werden (was Monate dauert), um die verlorenen Szenen nachdrehen zu können (in zehn Drehtagen, für mehr reicht das Geld nicht), und… die gesamte Familie wird eingespannt. Gut, wenn diese dann auch zahlreich zur Verfügung steht und ebenso willig wie einsetzbar ist und so ist es dann in jeder Hinsicht ein Familienunternehmen geworden: inhaltlich, wie in der Umsetzung, und ein erfolgreiches zudem, denn 44 Jahre nach Aparajito von Satyajit Ray war Monsoon Wedding erst der zweite indische Film, der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde und darüber hinaus war die Regisseurin Mira Nair im Jahr 2001 die erste Frau überhaupt, die den Goldenen Löwen erhielt.

(Monsoon Wedding, Indien 2001; Regie: Mira Nair.)

Les Vacances de Monsieur Hulot

… ist ein Film von Jacques Tati, und Jacques Tati ist Monsieur Hulot: ein gutmütiger, höflicher Herr, stets hilfsbereit, mit etwas altmodischen Manieren und einer charakteristischen Silhuette, der, meist unbeabsichtigt, aber sehr wirkungsvoll, Chaos in geordnete Verhältnisse bringt.

In diesem, dem zweiten Spielfilm von Jacques Tati und dem ersten von Monsieur Hulot, bringt er einen beschaulichen kleinen französischen Urlaubsort und seine zahlreich dort angereisten Gäste durcheinander, denn während er mit Kindern und Hunden prächtig auskommt, gestaltet sich sein Umgang sowohl mit Erwachsenen als auch mit unbelebten Gegenständen bisweilen eher kompliziert, obwohl er eigentlich immer freundlich und gut aufgelegt sein Bestes gibt.

Eher ungewöhnlich für einen Urlaubsfilm, brachte Tati ihn in Schwarzweiß in die Kinos, obwohl er in Farbe gedreht wurde. Auch gibt es kaum Dialoge, es wird zwar gelegentlich gesprochen, die Worte selbst bleiben aber meist im Hintergrund, während die entspannte Musik von Alain Romans und akustische Effekte dem Film seine Atmosphäre geben.

Gedreht wurde im bretonischen Saint-Marc-sur-Mer, Saint-Nazaire, an der französischen Atlantikküste, wo der Strand in Anerkennung seiner Verdienste heute „Plage de Monsieur Hulot“ heißt und man ihn selbst in Bronze gegossen findet: charakteristisch mit Hut und langer Pfeife, steht er da auf langen Beinen, den Oberkörper nach vorne gelehnt, die Hände in den Rücken gestützt, blickt er auf das Meer, und kein Zweifel, gleich wird er losgehen, ständig den Hut anhebend, um gewissenhaft nach rechts und links Feriengäste, Strandmöwen und leere Boote zu grüßen und dann wird irgendetwas schief gehen. Nichts wirklich Schlimmes, aber es wird wohl ein wenig Aufregung geben.

(Les Vacances de Monsieur Hulot, Frankreich 1953; Regie: Jaques Tati.)

Der Mann mit der Kamera

Es beginnt mit viel Text in russischen Buchstaben (und im Falle der hier besprochenen Version, auch mit der Übersetzung ins Englische, die da lautet):

„Man with a Movie Camera/A6 reel record on film/Produced by VUFKU in 1929/ATTENTION VIEWER:/This film is an experiment/in cinematic communication of real events/Without the help of Intertitels/Without the help of a story/Without the help of theatre/This experimental work aims at creating a truly international language/of cinema based on its absolute separation/from the language of theatre and literature“

Man sieht, der Regisseur Dziga Vertov meint es ernst, mit dem Film und dem Kino. Was dann aber kommt, ist eine schnelle und abwechslungsreiche Abfolge von durchaus unterhaltsamen Bildern und Szenen, eingefangen mit nahezu allen damals zur Verfügung stehenden Aufnahmetechniken plus noch ein paar mehr, die der Filmemacher bei dieser Gelegenheit einführte. Nicht nur deshalb gilt er bis heute als wegweisend, darüber hinaus ist er ein schönes Dokument seiner Zeit, nichts wurde von Schauspielern gestellt, versicherte der Regisseur, alle sind echt und stellen nur sich selbst und ihre tatsächliche jeweilige Tätigkeit dar.

Das alles ist zudem so gut gelungen, dass es über die Jahre hinweg zahlreiche Musiker veranlasst hat, eine Filmmusik zu komponieren. Wie damals üblich, wurde der Stummfilm bei seiner Premiere 1929 ebenso, wie bei den späteren Aufführungen im Kino, zunächst von einem Klavierspieler begleitet. Die Anweisungen, die Dziga Vertov dazu geschrieben hatte, nahm z. B. der norwegische Ambient-Musiker Geir Jenssen, Künstlername Biosphere, als Grundlage seiner Version, die 1996 beim norwegischen Tromsö International Festival uraufgeführt wurde und als Musik-CD erschienen ist. Ein paar Jahre später erhielt die britische Jazz/Electronica Band The Cinematic Orchestra den Auftrag, zum Festival der Kulturhauptstadt Porto 2000 ebenfalls eine Filmmusik zu komponieren, die sowohl als Musik-CD, aber auch als DVD mit Film erschien, und im Jahr 2002 gab das British Film Institute eine DVD des Films mit Musik von Michael Nyman heraus. Und dies sind nur drei von vielen weiteren Filmmusiken.

Man kann sich Man with a Movie Camera aber auch ohne musikalische Untermalung bei archive.org ansehen und herunterladen. Vielleicht findet man ja eine passende Musik von entsprechender Länge in der eigenen Sammlung, oder man macht sich eben selbst ans Komponieren.

(Chelovek s kino-apparatom, UdSSR 1929; Regie: Dziga Vertov.)

Schwarze Katze, Weißer Kater

Emir Kusturica ist ein eigenwilliger Mann. Der 1954 in Sarajevo geborene Filmregisseur hat die serbische und französische Staatsbürgerschaft, eine eigene Band (The No Smoking Orchestra), und gründete nebenher ein seltsames Dorf inklusive eigenem Filmfestival. Seine politische Haltung ist äußerst umstritten und auch sein Umgang mit Kritik ist in dieser Hinsicht nicht eben entspannt.

Dennoch wird er als Filmemacher in Europa viel geehrt: Schon sein erster Film Sjecaš li se Dolly Bell? (Erinnerst Du Dich an Dolly Bell?) erhielt 1981 in Venedig den Goldenen Löwen für das gelungenste Filmdebüt. Gleich sein nächster Film, Otac na službenom putu (Papa ist auf Dienstreise), wurde 1985 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ebenso wie sein Film Podzemlje, Bila jednom jedna zemlja (Underground) im Jahr 1995. Wiederum 10 Jahre später, 2005, war er Präsident der Jury in Cannes und bei den gerade angelaufenen diesjährigen Filmfestspielen von Cannes leitet er die Sektion ‚Un Certain Regard‘.

Für Crna Macka Beli Makor (Schwarze Katze, Weißer Kater) erhielt Emir Kusturica 1998 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig den Silbernen Löwen als bester Regisseur und mindestens dieser ist auf alle Fälle verdient, schon weil es nur schwer vorstellbar ist, wie er bei diesem Spektakel den Überblick behalten konnte: die meisten Bilder sind bis zum Rand vollgestopft mit allem möglichen Plunder und Seltsamem, Buntem und Schrägem, ständig ist irgendetwas in Bewegung und fährt, schwimmt, stolpert, fällt oder fliegt durch die Szene.

Musikalisch unterlegt ist das Ganze zudem mit ausgelassenen Balkan Beats, und so lärmt es hier nur so vor Lebensfreude und Energie vor sich hin, was über weite Strecken den Eindruck einer einzigen wilden Party vermittelt: mit viel schräger Musik, ziemlich üblen Witzen, noch gruseligeren Geschenken und ebenso sehenswerten, wenn auch keineswegs ungefährlichen Gästen!

(Crna Macka Beli Makor, Deutschland, Frankreich, Jugoslawien 1998; Regie: Emir Kusturica.)

8 1/2

„Ich wollte einen ehrlichen Film machen. Ohne jede Lüge. Ich glaubte, ich hätte etwas so Einfaches zu sagen. Ein Film, der für alle irgendwie von Nutzen sein könnte, der helfen könnte, für immer alles zu begraben, was wir an Totem in uns tragen. Dabei bin vor allem ich es, dem der Mut fehlt, irgendetwas zu begraben. Und jetzt weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht und hab diesen Turm am Hals. Wer weiß, wieso das alles so gekommen ist. Wann genau habe ich den falschen Weg eingeschlagen? Ich hab halt einfach nichts zu sagen. Und trotzdem möchte ich etwas sagen.“

Ja, Guido Anselmi (Marcello Mastroianni), der bekannte und bislang erfolgreiche Regisseur, steckt in einer Krise. Sein aktueller Film ist eigentlich schon in der Produktion, die Finanzierung steht jedenfalls und auch ein Teil der Kulisse wurde bereits mit großem Aufwand und Kosten errichtet. Nun wollen die Schauspieler ihre Rollen und Anweisungen, wie sie zu spielen sind, der Produzent den raschen Drehbeginn und -Fortschritt, und die Presse Informationen über Inhalt und Bedeutung des Films, ebenso, wie über die politischen und religiösen Ansichten des Regisseurs. Kurz, alle haben Erwartungen, Fragen und Wünsche an ihn, aber: ihm fällt nichts mehr ein. Gut, vielleicht wäre sein Leben etwas einfacher, wenn er ein bisschen weniger egozentrisch und narzisstisch wäre, und wenn er nicht immer alles auf einmal haben wollte, auch im Privatleben, die Ehefrau, die Geliebte, ja eigentlich alle Frauen, oder auch wieder gar keine, weil sie ja doch alle so anstrengend und fordernd sind. Aber er ist nun mal, wie er ist und auf diese Weise kann er weder seinen Film, noch alles andere in den Griff kriegen.

„Nicht vergessen: dies ist eine Komödie“ soll Federico Fellini sich beim Dreh zur Erinnerung an die Kamera gepinnt haben und ganz offensichtlich hat er darauf gehört, denn immer dann, wenn unser Held, der natürlich auch irgendwie Fellini selbst ist, all zu sehr in seiner Schwermut aufgeht, korrumpiert er ihn mit Szenen von skurriler Komik.

Nach seiner eigenen Zählung (sechs Spielfilme, zwei Kurzfilme und einmal Co-Regie) war dies Fellinis Film Nummer otto e mezzo (achteinhalb), daher der Titel, obwohl der Arbeitstitel „La Bella Confusione“ (Die schöne Verwirrung) auch sehr passend gewesen wäre. Fellini führte aber nicht nur die Regie, sondern er schrieb auch das Drehbuch, und legte dabei auch gleich die denkbar härteste Kritik dem Drehbuchautor selbst in den Mund: „Eins ist mir bei der Lektüre des Drehbuches sofort aufgefallen, der Mangel an jeglicher Problematik, oder, wenn Sie so wollen, an einer philosophischen Grundlage. Das macht den Film zu einer Folge von unzusammenhängenden Episoden. Ich will durchaus nicht bestreiten, dass sie sehr unterhaltsam sein können, in ihrem zweideutigen Realismus, aber, man fragt sich, was wollen sie eigentlich, die Autoren? Wollen sie uns zum Nachdenken anregen, oder wollen sie uns Angst einjagen? Die Story enthüllt von Anfang bis Ende eine solche Armut an dichterischen Einfällen, entschuldigen Sie, aber für mich ist sie einer der eklatantesten und erschütterndsten Beweise dafür, dass der Film im Vergleich zu den anderen Kunstformen um 50 Jahre im Rückstand ist. Das Sujet hat nicht einmal den Wert, der manchmal einen avantgardistischen Film auszeichnet, auch wenn es alle seine sonstigen Schwächen aufweist.“

Dies wäre, wollte man es tatsächlich auf 8 ½ beziehen, natürlich unerhört tiefgestapelt, und könnte nur als reine Koketterie verstanden werden. Noch dazu für einen Film, in den Fellini einfach alles hineingepackt hat, sogar eine Rumba tanzende Saraghina und einen steppenden Matrosen!

(8 ½, Italien 1963; Regie: Federico Fellini.)

In the Mood for Love

„Y así pasan los días, y yo desesperando, y tú, tú, contestando, quizás, quizás, quizás?“

Hong Kong im Jahr 1962. Die nach dem Einmarsch der Kommunisten 1949 aus Shanghai geflüchteten Bewohner der Stadt bilden eine eigene, abgeschottete Gemeinschaft, weitgehend ohne Kontakt zur kantonesischen Bevölkerung Hong Kongs, deren Sprache die meisten von ihnen nicht einmal verstehen. Sie wohnen in eigenen Vierteln, wo sie nach ihren mitgebrachten Regeln und Ritualen leben, ihre Lebensmittel in speziellen Läden kaufen, mit denen sie die Speisen der Küche Shanghais zubereiten, ja, sie haben sogar ihre eigenen Kinos, in denen die Filme in ihrer Sprache, Mandarin gezeigt werden. Der Regisseur Wong Kar-Wei stammt selbst aus diesem Milieu, er war 5 Jahre alt, als seine Eltern seine Geburtsstadt Shanghai verließen und nach Hong Kong gingen und es ist diese Zeit und diese spezielle Gesellschaft, die er in seinem Film detailgetreu wiedererstehen lässt.

Nicht alles ist dabei für europäische Zuschauer verständlich, wie er in einem Interview erzählt, manches habe eben bei der Übersetzung gelitten, andere Details würden spezielle Kenntnisse voraussetzen, so z.B. dass die Küche Shanghais sich immer genau nach den Jahreszeiten richte, und man so im Film an den Speisen erkennen könne, ob es März oder Juni ist. Überhaupt: Speisen. Ganz am Anfang sei es eine Geschichte über Essen in drei Kapiteln, von ca. 30 Minuten Länge gewesen, konzentriert auf ein Restaurant und einen Nudel-Shop. Denn auch, wenn Sprache nicht immer einfach zu übersetzen ist, Speisen und Essgewohnheiten, in die richtigen Bilder gefasst, erschließen sich da schon leichter. Ebenso wie Musik, die auch eine wichtige Rolle spielt. Latino-Musik z.B., sei in den 1960ern in Hong Kong sehr populär gewesen und überall in den Restaurants gespielt worden. Aber auch chinesische Oper und Mandarin-Popsongs hört man im Film, eben alles, was damals beliebt war.

Allein die Dreharbeiten dauerten 15 Monate. Zu lang für Christopher Doyle, den bevorzugten Kameramann von Wong Kar-Wei, der nur an einem Drittel des Films beteiligt war. Die beiden Hauptdarsteller hingegen, Maggie Cheung und Tony Leung Chiu Wai, zur Entstehungszeit des Films eigentlich beide schon vielbeschäftigte Stars, blieben die ganze Zeit dabei. Ungewöhnlich, dass Schauspieler sich soviel Zeit für ein Projekt nehmen und verschiedene Dinge ausprobieren, sagt Wong Kar-Wei. Und ausprobiert wurde wohl viel, denn wie immer gab es bei ihm kein Drehbuch, Geschehen und Stimmung wurden vielmehr gemeinsam entwickelt. Zudem gab es nur wenige Dialoge, die Schauspieler waren also weitgehend auf ihre Körpersprache und Mimik angewiesen. Farben, Formen und Musik, Architektur und Mode, alles sorgfältig ausgewählt und zusammengestellt, tun dabei ihr Übriges.

Auch die Zeit, die sich die Beteiligten für den Film genommen haben, ist spürbar: Das Tempo ist langsam, alles sehr ruhig, sagt Wong Kar-Wei, so wie das musikalische Hauptthema, ein langsamer Walzer, der den ganzen Film bestimmt, und wie die beiden Hauptpersonen, die gewissermaßen auch einen langsamen Walzer miteinander tanzen, immer wieder vor und zurück. Vielleicht seien ihm manche Details schöner geraten, als es die Wirklichkeit war, sagt er. Und wahrscheinlich hat er da recht, denn schön ist dieser Film in jeder Hinsicht, aber das hat Kino ja noch nie geschadet.

(In the Mood for Love, Hong Kong 2000; Regie: Wong Kar-Wei.)