Category Archives: Expertenwissen

Blow Up

Bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards, die ja nun auch schon bald wieder ansteht, gibt es die schöne Tradition der Dankesrede, die, je nach mentaler Verfassung des oder der Geehrten, gerührt, verheult oder zudringlich ausfallen, manchmal Ansätze von Hysterie, Größenwahn oder auch Erkenntnis zeigen und gelegentlich mit intimen Outings, Liebesschwüren oder politischen Statements angereichert werden. Als Michelangelo Antonio 1995 seinen Ehren-Oscar entgegen nahm, machte er es kurz: „Grazie.“

Um einiges ausführlicher konnte Antonioni hingegen werden, wenn er über seine Filme sprach:

„I always try to follow a certain pattern and work without thinking of the audience. It is not that I dislike my audience; I am not an intellectual, but I believe that films should not be made to entertain the audience, earn money or achieve popularity. I think that films should be made to be as good as possible. And it seems to me that this is the best way to work and to be trustworthy in the world of cinema.“

Oder:

„What happens to the characters in my films is not important. I could have them do one thing, or another thing. People think that the events in a film are what the film is about. Not true. A film is about the characters, about changes going on inside them. The experiences they have during the course of the film are simply things that ‘happen to happen’ to characters who do not begin and end when the film does. In Blowup (1966), a lot of energy was wasted by people trying to decide if there was a murder, or wasn’t a murder, when in fact the film was not about a murder but about a photographer. Those pictures he took were simply one of the things that happened to him, but anything could have happened to him: he was a person living in that world, possessing that personality.“

Und:

„By developing with enlargers things emerge that we probably don’t see with the naked eye. The photographer in Blowup (1966), who is not a philosopher, wants to see things closer up. But it so happens that by enlarging too far, the object itself decomposes and disappears. Hence there’s a moment in which we grasp reality, but then the moment passes. This was in part the meaning of Blowup.“

Noch sehr viel wortreicher kann es bisweilen werden, wenn andere über Antonionis Filme reden oder schreiben, weshalb hier nur noch rasch erwähnt sei, dass die Musik von Herbie Hancock stammt, David Hemmings, Vanessa Redgrave und Jane Birkin hier ihre ersten nennenswerten Rollen spielen, während die damals schon recht bekannte Veruschka von Lehndorff sich einfach selbst darstellt, dass die Yardbirds einen Auftritt mit Jimmy Page und Jeff Beck vor lethargisch-unbewegtem Publikum haben und dass der Film bei professionellen wie Amateurfotografen einen Nikon F-Hype auslöste.

(Blow Up, Großbritannien 1966; Regie: Michelangelo Antonioni.)

The 39 Steps

Ein MacGuffin kann ein Koffer sein, eine Aktentasche oder ein Päckchen. In Agentenfilmen sehr beliebt sind auch Mikrofilme mit geheimen Informationen oder gleich der ‚Weltenformel‘, es kann sich aber auch um außerirdische Steine handeln, den Inhalt einer Flasche, einen Schlitten, einen Teppich oder den Heiligen Gral – eigentlich kann es alles sein, denn ein McGuffin ist nach Alfred Hitchcock ein Objekt, das die Handlung eines Films zwar auslöst und entwickelt, selbst dabei aber völlig bedeutungslos bleiben kann.

Stets aber ist es ein Objekt der Begierde, das die handelnden Personen veranlasst, ihm hinterher- oder es sich gegenseitig abzujagen, was zu kriminellen Handlungen, Flucht, Verfolgung und Verrat führt und wobei – je nach Drehbuch und/oder Budget – eine unterschiedliche Menge an Material, Autos und Protagonisten auf der Strecke bleiben.

In diesem Fall verbirgt sich der MacGuffin gleich im Titel und was es damit auf sich hat, kann oder auch nicht am Ende aufgeklärt werden, ist aber auf alle Fälle sehenswert, da es sich hier um einen frühen, aber typischen Hitchcock handelt, inklusive dem unschuldig verfolgten Helden und der eigenwilligen Blondine, die ihn mehr oder weniger unfreiwillig auf seiner Flucht begleitet sowie einem Cameo-Auftritt des Meisters bei Minute 7. Und das alles gibt es zum Download bei Archive.org.

(The 39 Steps, Großbritannien 1935; Regie: Alfred Hitchcock.)

The Fifth Element

„Sind Sie… von der Erde?“ versus „Are you Germans?“ – Nein, es sind die Mondoshawan.

Die Geschichte ist weder neu, noch besonders originell: die Erde ist mal wieder in Gefahr, von bösen Mächten zerstört zu werden, und nun wird dringend ein Held gebraucht, der den Planeten rettet. Dass der nun ausgerechnet von Bruce Willis (erster Vorname Walter, Geburtsort Ida-Oberstein) dargestellt wird, ist ebenfalls nicht wirklich ausgefallen und dass hinter kapitalistischem Großunternehmertum auf der Basis von Waffenhandel (und in diesem Falle: einer Taxi-Firma) nur das ultimative Erzböse stecken kann, hatten wir sowieso schon immer geahnt.

Gut und Böse sind hier jedenfalls klar aufgeteilt, der Angreifer ist selbstverständlich übermächtig, und eine sexy Heldin in knapper Bekleidung gibt es auch. Es ist also absolut glaubhaft, wenn Regisseur Luc Besson erzählt, er habe sich die Handlung zumindest in groben Zügen schon als Teenager in der High School ausgedacht. Was derselbe Teenager aber auch tat, war fleißig Comics (pardon: Graphic Novels) zu lesen und das ist es, was den Film wirklich zu etwas Besonderem macht, denn Besson heuerte seine persönlichen Favoriten, zwei der berühmtesten französischen Comic-Autoren an, um den visuellen Stil des Films zu erschaffen: Jean Giraud, alias Moebius und Jean-Claude Mézières. Moebius hatte schon vorher an Filmen mitgewirkt und beide hatten zahlreiche Filme inspiriert, wobei Letzteres aber keineswegs immer honoriert worden war. Die beiden Zeichner kannten sich vom Studium an der Académie des Beaux-Arts in Paris, hatten aber noch nie zusammen gearbeitet und machten sich nun gemeinsam daran, in zahlreichen detaillierten Zeichnungen und Storyboards die Optik der Zukunft zu entwerfen: von Straßenschluchten mit fliegenden Taxis und China-Imbissen über Raumschiffe und Vergnügungsplaneten bis zum Aussehen von Aliens und Menschen, der Apartments in denen sie leben und der Form der Zigaretten, die sie rauchen.

Und da es im Comic ja möglich ist, mit wenigen Strichen, Settings und Ereignisse zu schaffen, deren Umsetzung im Film (zumindest im Jahre 1996 noch), eine sehr teure Angelegenheit werden können, uferte das Ganze bisweilen ein wenig aus: eine der Szenen zeigt z. B. die größte „Indoor-Explosion“, die jemals gefilmt wurde und zudem beinahe außer Kontrolle geraten wäre. Überhaupt war er mit 80 Millionen Dollar allein für die Special-Effects, zu seiner Zeit der teuerste Film, der bis dahin in Europa produziert worden war. Aber auch dort, wo das Medium Comic an seine Grenzen stößt, und der Film seine Möglichkeiten entfaltet, waren Spezialisten am Werk: Mit Thierry Arbogast war jener Kameramann dabei, der bislang am häufigsten für den französischen Filmpreis César nominiert wurde, Jean Paul Gaultier höchstselbst entwarf 954 Kostüme und der Soundtrack stammt von Éric Serra, einem nicht nur von Luc Besson gerne gebuchten Filmkomponisten.

Bei dieser geballten Ansammlung französischer Kreativität konnte es natürlich nicht anders sein, dass „The Fifth Element“ 1997 als Eröffnungsfilm bei den Festspielen in Cannes lief, wo er überwiegend positiv aufgenommen wurde, während nämlich einige wenige Kritiker nach tieferem Sinn und Logik suchten, ließen die anderen sich schlichtweg unterhalten, denn das Ganze ist laut, hektisch, bunt und knallig, und macht einfach Spaß anzuschauen, vor allem Gary Oldman als Nietzsche zitierender („Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“) Ausbeuter-Kapitalist, der selbstgefällige Monologe über Zerstörung als Triebfeder der Ökonomie hält, was im Übrigen eine zwar immer noch beliebte, aber dennoch falsche Argumentation ist, wie schon Frédéric Bastiat wusste.

(The Fifth Element, Frankreich 1997; Regie: Luc Besson.)

A Chinese Ghost Story

Selbstverständlich haben weder Japan noch Großbritannien das Geisterfilmwesen in Serie alleine gepachtet – auch das Hong Kong Kino hat hier seinen Beitrag geleistet: A Chinese Ghost Story z. B. bringt es bisher auf zwei Fortsetzungen, ein Remake und eine Fernsehserie, wobei einige der hier wiederholt eingesetzten Motive auch in europäischen und amerikanischen Horrorfilmen sehr beliebt sind: allerdings wehen hier nicht nur Vorhänge, sondern große Mengen von Stoff durch die Nacht, ebenso wie bleiche Fräuleins mit Untertemperatur in langen weißen Gewändern. Es gibt verräterische Blutflecken und natürlich Kerzen, die im falschen Moment verlöschen, was wiederum außer Wölfen auch Zombie-Mumien und Geister in bester Stop-Motion Animation auf den Plan ruft, wie sie selbst von Ray Harryhausen kaum ansprechender hätten gestaltet werden können.

Auch die Figur des etwas naiven, aber anständigen jungen Mannes, der sich all dem beherzt entgegen stellt, fehlt ebenso wenig wie der erfahrene und mit allen notwendigen Mitteln und Techniken vertraute Geisterjäger, der ihm dabei zur Seite steht. Allerdings ist Letzterer hier ein mit allen Wassern gewaschener Tao-Priester, der nicht nur als Schwertkämpfer ein Virtuose ist, sondern auch durch Bäume hüpfen kann und sogar Feuerkugeln aus seinen Handinnenflächen schießt: das konnte Dr. van Helsing nie, egal in welcher Verfilmung.

Wir haben es hier also mit einem wilden Genremix zu tun, einer Fantasy-Horror-Liebes-Komödie mit reichlich Wuxia-Einlagen, deren Geschichte kurzzeitig auch schon mal etwas ins Wirre abgleitet, was aber bei dem Tempo, den der Film vorlegt, eigentlich nicht weiter auffällt. In China, Südkorea und Japan kam das Ende der 1980er Jahre beim Publikum gut an, wurde zudem beim Hong Kong Film Award mehrfach ausgezeichnet und machte den Regisseur und Martial Arts Choreographen Ching Siu-Tung bis heute zu einem vielbeschäftigten Mann.

(A Chinese Ghost Story, Hong Kong 1987; Regie: Ching Siu-Tung.)

Ring

„You know what, Mum? – Yes? – Tomo-chan watched the cursed video!“

Diesen Film sollte man sich eigentlich auf Video ansehen, vielleicht sollte man sein Telefon vorher ausschalten und vermutlich wird man seinen Fernseher anschließend mit anderen Augen sehen, aber eine DVD ist hier eigentlich nicht das passende Medium.

Der japanische Film Ring oder Ringu aus dem Jahr 1998 gilt noch immer als erfolgreichster japanischer Horrorfilm, sowohl in Japan selbst, als auch international. Und auch wenn Kouji Suzuki, der Autor der zugrunde liegenden Geschichte, durchaus schon einmal erzählt, er habe sich von Poltergeist (1982) inspirieren lassen, so hat der Film doch in erster Linie seinen ganz eigenen, unverkennbaren und mittlerweile oft kopierten Stil, der nicht nur zwei Sequels, ein Prequel und eine koreanische Neuverfilmung nach sich zog, sondern eigentlich, ebenso wie dieser Film hier, gleich ein ganzes Genre begründet hat, woran auch die Tatsache, dass das Medium, auf das er sich bezieht, schon lange nicht mehr allgemein gebräuchlich ist, bis heute nichts geändert hat.

Selbstverständlich gibt es auch ein Hollywood-Remake, das in diesem, aber auch nur in diesem Falle, sogar sehenswert ist, denn die amerikanische Fassung The Ring von 2002 von wurde nicht nur mit allerlei Zitaten und Metaphern ausgestattet – was Letztere angeht, regnet es zum Beispiel viel in diesem Film, so wie Wasser hier überhaupt allgegenwärtig ist, und auch Ringe als Motiv, egal ob als Zahlen auf Türen oder als Muster auf Hemden, wurden geradezu obsessiv verteilt – darüber hinaus erfährt aber auch die Geschichte selbst einige Abwandlungen und was beide Filme im Vergleich gesehen, über die Gesellschaften aussagen, in denen sie sich abspielen, ist ebenfalls sehr aufschlussreich.

Wobei letzten Endes natürlich für beide Filme sowie sämtliche Sequels, Remakes und Nachahmungen, dasselbe gilt, was für Horrorfilme, ebenso wie für Gespenstergeschichten, schon immer galt: „This kind of thing… it doesn’t start by one person telling a story. It’s more like everyone’s fear just takes on a life of its own Fear… – Or maybe it isn’t our fear, maybe it’s what we secretly hope is true.“

(Ring, Japan 1998; Regie: Hideo Nakata & The Ring, USA 2002; Regie: Gore Verbinski.)

Three… (Nightmares & Extremes)

Vom südkoreanischen Regisseur Park Chan-wook wissen wir ja schon, dass er nicht viel davon hält, Filme zur Entspannung zu drehen oder auch nur anzuschauen, aber ganz offensichtlich teilen eine ganze Reihe seiner asiatischen Kollegen diese Einstellung: Kim Jee-Woon zum Beispiel, ebenfalls aus Südkorea, Nonsi Nimibut aus Thailand sowie Peter Chan und Fruit Chan aus Hong Kong und, nicht zu vergessen, der beim Thema Horrorfilme nahezu unvermeidliche Japaner Miike Takashi. Jeder der sechs Regisseure hat jeweils einen Film von um die 40 Minuten Länge zum Thema beigetragen, die inhaltlich nicht zusammenhängen und die alle in technischer wie erzählerischer Hinsicht sehr verschieden geraten sind, aber für einen erholsamen, besinnlichen Abend ist keiner von ihnen wirklich geeignet.

Die beiden Episodenfilme Three… Extremes I und II bzw. Saam gang (2002) und Saam gang yi (2004)  sind vielmehr Horrorgeschichten für Erwachsene: weitgehend frei von Masken und Sägen, werden hier keine Teenager gemeuchelt, zumindest nicht reihenweise, überhaupt gibt es vergleichsweise wenig Geschrei und auch das Filmblut fließt nicht unbedingt literweise, aber das macht sie nicht unbedingt harmloser, sondern eher noch beunruhigender.

(Saam gang, Südkorea, Thailand, Hong Kong 2002; Regie: Kim Jee-Woon, Nonsi Nimibut und Peter Chan & Saam gang yi, Hong Kong, Südkorea, Japan 2004; Regie: Fruit Chan, Park Chan-wook und Miike Takashi.)

Interstella 5555

„We are delighted to be able to share with you one of our childhood dreams, which has now become a reality.“

Vom Toei Animations-Studio in Tokyo war hier bereits in anderem Zusammenhang die Rede. Auch davon, welche Bereicherungen das deutsche Fernsehen ihm in den 70er Jahren zu verdanken hatte. Zwei, die ihre Kindheit anscheinend auch mit Heidi und Captain Future, wenn auch in diesem Falle vor Fernsehern in Frankreich verbracht haben, sind Guy-Manuel de Homem Christo und Thomas Bangalter.

Welche Spuren dies bei den beiden hinterlassen hatte, zeigte sich viele Jahre später, als sie bereits die Mitglieder des Electronic Music Duos Daft Punk waren. Schon für die Single-Auskopplungen ihres Debütalbums Homework von 1997 waren Musikvideos von Michel Gondry (Around the World), Spike Jones (Da Funk) und Roman Coppola (Revolution 909) gedreht worden, was allen drei Stücken einen dauerhaften Platz in der MTV-Rotation sicherte.

Um dies mit ihrem zweiten Album zu toppen, mussten sie sich etwas einfallen lassen: „It was during the early sessions for our second album Discovery that we came up with the notion of an animated musical, mixing science-fiction with the decadent world of show business, limousines with spaceships. So we began, alongside the music, to write the story with our friend and collaborator Cédric-Hervet. As all three of us grew up with the enigmatic, poetic universe of „Albator“, we dreamt of a possible collaboration with Leiji Matsumoto, and in the summer of 2000, we flew to meet him, taking our album and the completed synopsis. In Tokyo, Leiji welcomed us warmly. Enthused when he heard the music, he joined the team right away. At last we are ready to blast off into his baroque intergalactic universe.“

Matsumoto machte aus Discovery einen waschechten japanischen Manga: Interstella 5555. Die Optik erinnert stark an die auch in Europa bekannten Fernsehserien von Toei Animation, die Musik von Daft Punk passt dazu ganz hervorragend und ein dauerhafter Platz für die dem Film entnommenen Musikvideos in der MTV-Rotation war selbstverständlich auch wieder gesichert.

(Interstella 5555, Japan und Frankreich 2003; Regie: Leiji Matsumoto.)

Welt am Draht

Das muss man sich auch erst einmal leisten können: Während Rainer Werner Fassbinder international noch immer als einer der wichtigsten deutschen Filmemacher gilt, wurde und wird sein Werk in seinem Heimatland eher kontrovers aufgenommen: zwar erhielt er auch in Deutschland zahlreiche Auszeichnungen, aber bis zu einer Academy Award Nominierung kam es z. B. nie, was auch kaum möglich war, da von seinen vielen Filmen (44 in 13 Jahren) überhaupt nur ein einziger (Lili Marleen, 1981) für den Wettbewerb um den Besten Fremdsprachigen Film aus Deutschland eingereicht wurde.

Andere schafften es gar nicht erst in die Kinos, schon nicht in die deutschen, von Europa oder den USA ganz zu schweigen: Fassbinders von einem Goldmann Taschenbuch inspirierter, zweiteiliger Science-Fiction Film „Welt am Draht“ wurde beispielsweise 1973 für ca. 950.000 DM unter Einsatz von zahlreichen Schauspielern (sowohl des ‚Fassbinder-Ensembles‘, als auch von deutschen Schauspieler-Größen damals schon eher vergangener Tage…) und einiger ziemlich origineller Special Guests (z. B. Rainer Langhans, Eddie Constantine, Werner Schroeter, Christine Kaufmann) im Auftrag des WDR produziert. Die Uraufführung gab es dementsprechend am 14. und 16.10.1973 im Westdeutschen Rundfunk Köln, wo er trotz überwiegend positiver Kritiken auch weiterhin verblieb: im Fernsehen, wo er von sehr seltenen Wiederholungen einmal abgesehen, schlicht nicht zu sehen war. Und auch die Tatsache, dass Rainer Werner Fassbinder in den darauffolgenden Jahren im In- und Ausland mehr und mehr zu einem geachteten und geehrten Filmemacher wurde, änderte daran nichts. „Welt am Draht“ kam nicht in die Kinos, er war nicht auf VHS und auch später nicht auf DVD erhältlich.

Erst als sich Jahrzehnte später die Rainer Werner Fassbinder Foundation anlässlich des 65. Geburtstages von Fassbinder und des 75. Geburtstages von Michael Ballhaus, daran machte, eine restaurierte und digitalisierte Fassung zu erstellen, was immerhin auch das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) für förderungswürdig hielt, und die im Rahmen der Berlinale 2010 ihre Uraufführung hatte, kam eben diese Fassung auch als DVD auf den Markt und in den USA in die Kinos, wo er, auch viele Jahre nach seiner Entstehung, gleich wieder inspirierend wirkte.

(Welt am Draht, Deutschland 1973/2010; Regie: Rainer Werner Fassbinder.)

Arachnophobia

Die moderne Naturwissenschaft und ihre Wunder: Unerschrockene Menschen ziehen hinaus in entlegene Teile der Welt, um alles zu erforschen, das ihren Weg kreuzt. Verbreitungs-Karten werden angelegt, vertikale und räumliche Populationsdichten ermittelt, Statistiken erhoben, Proben entnommen – es wird seziert, gezeichnet und katalogisiert. Und an Bäumen geschüttelt… klik, klak, klik-klik-klik, klak, klak, KLONK.

Der Titel dieses Films umschreibt seinen Inhalt tatsächlich ganz zutreffend, falls man also selbst an einer ausgeprägten solchen leidet, ist es vielleicht ganz hilfreich, gelegentlich das Teppichmuster oder die Tapete zu studieren, obwohl es sich eigentlich um eine Art heiteren Familienfilm handelt.

Ob sich hier im günstigsten Falle vielleicht sogar eine heilende Wirkung infolge von Reizüberflutung erzielen lässt, ist zwar nicht mit Sicherheit zu sagen, möglicherweise aber betrachtet man die eigene, harmlos in der Zimmerecke sitzende Hausspinne anschließend mit anderen Augen, ja, man könnte sogar Freundschaft mit ihr schließen, denn es hätte entschieden schlimmer kommen können. Auf alle Fälle aber sollte man wohl jede Chance nutzen, zur… Therapie.

(Arachnophobia, USA 1990; Regie: Frank Marshall.)

Fahrenheit 451

Well, it’s a job just like any other. Good work with lots of variety. Monday, we burn Miller; Tuesday, Tolstoy; Wednesday, Walt Whitman; Friday, Faulkner; and Saturday and Sunday, Schopenhauer and Sartre. We burn them to ashes and then burn the ashes. That’s our official motto.“

Die Kritiker mochten ihn nicht, das Publikum wollte ihn nicht sehen und der Regisseur hätte ihn später auch lieber nicht gedreht haben wollen. Tatsächlich ist es nicht der beste Film von Francois Truffaut und dass, obwohl es sein erster Farbfilm war und Farben hier sehr bewusst eingesetzt werden, und ihn die Geschichte von Ray Bradbury immerhin so fasziniert hatte, dass er entgegen seiner früheren Aussagen, er werde niemals einen Science Fiction Film drehen, es hiermit eben doch tat und zudem noch sechs Jahre lang Zeit und Nerven investierte, um die dazu nötigen Finanzen aufzutreiben.

Das Ensemble war zumindest vielversprechend: Mit Oskar Werner hatte Truffaut wenige Jahre zuvor bei seinem Film Jules und Jim erfolgreich zusammen gearbeitet, Julie Christie hatte gerade erst einen Oscar erhalten (nein, nicht für Doktor Schiwago), die Kamera führte Nicolas Roeg, der wenig später auch als Regisseur erfolgreich werden sollte (Wenn die Gondeln Trauer tragen, ebenfalls mit Julie Christie) und die Musik schrieb Bernard Herrmann, der Komponist zahlreicher Filme (u.a. Vertigo, Psycho) des von Truffaut so überaus verehrten Meisters Alfred Hitchcock.

Allein, es haperte schon an der Sprache. Um das Projekt finanzieren zu können, ließ Truffaut sich mit Hollywood ein – zum ersten und letzten Mal. Gedreht wurde in England, in den Pinewood Studios, von denen er nicht viel hielt, mit englischen Schauspielern, für die eigentlich dasselbe galt. Des Englischen selbst nicht mächtig, wollte Truffaut aber doch Drehbuch und Dialoge weitgehend selbst schreiben und dass, obwohl er schon für die tägliche Zusammenarbeit mit einem Großteil seiner Crew auf eine Dolmetscherin zurückgreifen musste. Außerhalb der Dreharbeiten zog er sich soweit wie möglich zurück, ja, er soll nach seiner Rückkehr Freunden auf die Frage, wie London denn sei, geantwortet haben, dass wisse er nicht, er habe in seiner Freizeit das Hilton nicht verlassen und sich sogar seine Mahlzeiten auf das Zimmer bringen lassen.

Schlussendlich war es dann aber wohl Oskar Werner, mit dem Truffaut bis zu diesem Film befreundet gewesen war, der ihn nahezu zur Verzweiflung trieb. Truffaut, der eher dafür bekannt war, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen und sein Hauptdarsteller Werner waren völlig unterschiedlicher Auffassung wie die Rolle Werners zu interpretieren sei, Truffaut wollte einen devoten Anti-Helden, einen Mitläufer, Werner stellte sich das genaue Gegenteil vor. Das Ganze ging dann angeblich soweit, dass Werner Truffauts Anweisungen schlicht ignorierte und ganze Szenen sabotierte, inklusive der Tatsache, dass er absichtlich einen Continuity-Fehler herbei führte, in dem er sich die Haare schneiden ließ.

Und doch. Schon die gesprochenen Eingangstitel, zu denen Antennen auf Hausdächern gezeigt werden, geben uns einen Eindruck, womit wir es hier zu tun haben: die ganze Welt ist eine einzige Kleinstadt, und wer nicht arbeitet, hängt vor der Glotze. Bücher sind verboten, Zigaretten und alle Arten von Drogen, am liebsten in Form bunter Pillen dafür erlaubt. Narzissmus und Passivität sind gesellschaftlich erwünscht, Individualität und Zurückgezogenheit erwecken Argwohn. Dementsprechend schwierig gestaltet sich das Privatleben unseres Helden: mal kommt er nach Hause, um seine völlig apathische Frau vor dem riesigen Fernsehschirm im Wohnzimmer anzutreffen, die auf seine Nachricht, er werde wohl befördert nur den Wunsch nach einem weiteren wandgroßen Fernsehschirm, zärtlich „family wall“ genannt, äußert, während sie sich beim nächsten Mal mit den Pillen, die ihr Entspannung und Gleichgültigkeit garantieren, vergiftet hat. – Kein Problem allerdings, in dieser Gesellschaft ist Abhilfe in solchen Fällen reine Routine und am nächsten Tag ist die Gattin wie neu.

Auch wie Truffaut sich über das Fernsehen lustig macht und nebenbei zeigt, wie man ganz einfach und bequem auch vom heimischen Wohnzimmer aus einen Auftritt in der eigenen Lieblingsserie bewerkstelligen kann, ist sehenswert.

Und immerhin einer war hochzufrieden mit Fahrenheit 451: Ray Bradbury, der Autor der zugrunde liegenden Science Fiction-Geschichte, dessen Werke oft verfilmt wurden, teilweise mit weit mehr Aufwand und Budget, war überdies der Ansicht, der Film werde von Jahr zu Jahr besser. Und er musste es ja eigentlich wissen.

(Fahrenheit 451, Großbritannien 1966; Regie: Francois Truffaut.)