Category Archives: Eigensinnige Frauen

Summer Snow

Einer der drei Gründe, weshalb aus der bereits erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures, tatsächlich eine Liste der 103 besten chinesischen Filme wurde, ist Summer Snow von Ann Hui. Überhaupt ist Frau Hui auf dieser Liste mehrfach vertreten, insgesamt vier mal, von denen einer ihrer Filme es mit Platz 8 sogar unter die ersten zehn schaffte, eingerahmt auf den Plätzen 7 und 9 übrigens von Filmen von King Hu, als dessen Regie-Assistentin sie zu Beginn ihrer Karriere gearbeitet hatte.

Auch bei den Hong Kong Film Awards sind ihre Filme regelmäßig vertreten, so ist zum Beispiel der aktuelle Best Film, aus der diesjährigen Verleihung, ihr Film A simple Life, eine Auszeichnung, die sie schon bei der überhaupt erst zweiten Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1983 für Boat People erhielt, des weiteren 1996 für Summer Snow und 2000 für Ordinary Heroes.

Vor allem aber kann man wohl feststellen, dass es sich beim besten Regisseur Hong Kongs um eine Frau handelt, zumindest ist Ann Hui diejenige, die den Hong Kong Award als Best Director bislang am häufigsten erhalten hat: ebenfalls vier Mal, damit kann keiner der wesentlich bekannteren Martial-Arts-, Wuxia- und Action-Filmregisseure mithalten (nur zum Vergleich: der nicht nur von Quentin Tarantino hoch geschätzte Regisseur Johnnie To war bislang zwar schon 16 mal in dieser Kategorie nominiert, erhielt die Auszeichnung aber erst dreimal).

Und selbst, wenn man berücksichtigt, dass sie eine sehr fleißige Filmemacherin ist, und ihre Werke regelmäßig auch auf internationalen Festivals laufen, werden die vielen Auszeichnungen für ihre Arbeit umso bemerkenswerter, wenn man sich die Themen der Mehrzahl ihrer Filme anschaut: denn obwohl sie 1982 mit Boat People einen politischen Film machte, so ist der Titel ihres aktuellen Films, A simple Life, keineswegs ironisch gemeint, und auch bei Summer Snow von 1995, dessen chinesischer Titel soviel wie ‚Eine Frau mit 40‘ bedeutet, handelt es sich um eine ganz alltägliche Geschichte. Vielleicht hätte er ebenso zutreffend auch ‚Ein Schwiegervater um die 70‘ heißen können, aber eigentlich drängt sich keine der Figuren, von denen hier sehr liebevoll erzählt wird, in den Vordergrund.

Und obwohl kämpferische Frauen im Kino Hong Kongs auf eine lange Tradition zurückblicken können, wird auf den Einsatz von Dolchen und Schwertern verzichtet. Um mit dem richtigen Leben klar zu kommen, sind andere Methoden einfach besser geeignet.

(Summer Snow, Hong Kong 1995; Regie: Ann Hui.)

 

Spring in a Small Town

Im Jahr 2005 feierte man in Hong Kong das 100jährige Bestehen des chinesischen Films. Aus diesem Anlass wurde bei der 24. Verleihung der Hong Kong Film Awards eine Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures vorgestellt, wobei es sich genauer gesagt um die 103 besten chinesischen Filme handelt, da diese drei Filme wohl unbedingt noch mit auf die Liste sollten: The Puppetmaster von Hou Hsiao-Hsien (101), Summer Snow von Ann Hui (102) und Not one Less von Zhang Yimou (103).

Die Filme wurden fein säuberlich getrennt nach Produktionsort Hong Kong, China oder Taiwan aufgeführt, und angesichts der Tatsache, dass sie von einer Jury aus 101 Filmemachern und Kritikern, überwiegend der Hong Konger Filmindustrie, gewählt wurden, ist es wohl nicht weiter überraschend, dass der bei weitem größte Teil der Chinese Motion Pictures dieser Auswahl aus Hong Kong stammt: 61 Filme, während es aus China nur 24 Filme, und nur 16 aus Taiwan (sowie 2 Co-Produktionen) auf die Liste schafften.

Ebenfalls wenig überraschend ist, dass auch von den ersten drei der Besten-Liste zwei Filme in Hong Kong produziert wurden, aber während selbst dieser Film, der bei der Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1997 noch mit einer bis heute nicht übertroffenen Anzahl von Preisen ausgezeichnet wurde, auf der Liste von 2005 schon ‚nur‘ noch auf Platz 28 landete, wurde der erste Platz an einen Film vergeben, als dessen Produktionsort China genannt wird und der in Mandarin gedreht gedreht wurde. Wobei mit China in diesem Falle Shanghai gemeint ist und der Film aus dem Jahr 1948 stammt, einer Zeit, als die Filmindustrie in Hong Kong noch in ihren Anfängen steckte, während sich Shanghai gerade im zweiten Goldenen Zeitalter seines Films befand.

Von Shanghai ist bei Spring in a Small Town auch gelegentlich die Rede, davon dort hinzugehen um dort zu leben und zu studieren und damit auch gleich ein wenig von der großen Welt zu sehen, die in der kleinen Stadt, in der die Geschichte spielt, sehr weit weg zu sein scheint. Es ist die Zeit kurz nach dem großen Krieg und vor der Kommunistischen Revolution, aber Politik kommt hier nur am Rande zur Sprache, was den Film kurze Zeit nach seinem Erscheinen, im mittlerweile kommunistischen China, von der Bildfläche verschwinden ließ: zu unpolitisch, möglicherweise gar reaktionär und nicht geeignet zur damals angestrebten Volkserziehung beizutragen.

Erst Jahrzehnte später, als Anfang der 1980er das China Film Archive in Beijing öffentlich zugänglich wurde, erschien eine Kopie des heute verlorenen Originals von Spring in a Small Town, die in den folgenden Jahren, sowohl in China als auch weltweit, ein wachsendes Publikum und viel Lob fand. Und wer sich nun ebenfalls sein eigenes Urteil bilden möchte, kann diese Kopie im Internet Archive finden, wo sie zu eben diesem Zweck bereit gestellt ist.

(Spring in a Small Town, China 1948; Regie: Fei Mu.)


 

Comrades – Almost a Love story

Nach den Eindrücken eines italienischen Filmemachers Anfang der 1970er von China, dem Spielfilm eines weiteren italienischen Filmemachers aus den 1980ern und der Doku über das Bild, das Hollywood Jahrzehnte lang von China und seinen Einwohnern verbreitete, wird es nun Zeit, einen Blick auf die Selbstdarstellung der chinesischen Filmindustrie zu werfen. So werden in Hong Kong zum Beispiel seit 1982 die Hong Kong Film Awards verliehen. Die Regeln sind relativ einfach, der Film sollte im Vorjahr in Hong Kong in den Verleih gegangen sein, er darf nicht weniger als eine Stunde dauern und wenn dann noch mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass entweder der Regisseur bzw. die Regisseurin in Hong Kong ansässig ist, oder eine der Film-Gesellschaften oder doch wenigstens sechs Mitglieder der Crew, steht der Nominierung grundsätzlich nichts mehr im Wege. Und falls es mit der Ansässigkeit in Hong Kong so gar nicht klappen sollte, gibt es seit 2002 noch die Best Asian Film Kategorie. Ansonsten heißen die Kategorien Bester Film, Beste Regie, Beste Haupt- und Nebendarsteller und -darstellerinnen, weitere Auszeichnungen gibt es unter anderem auch für die Beste Filmproduktion, den Besten Nachwuchs, Drehbuch, Schnitt, Art Direction, Kostüm & Make Up Design, Filmmusik sowie Filmsong und Choreographie, Visual Effects und Sound Design.

Ähnlich wie bei den Academy Awards in Hollywood handelt es sich hier nicht um einen Publikumspreis, sondern professionelle Filmschaffende bestimmen sowohl die Nominierungen, als auch die Gewinner. In dem Jahr, in welchem zum Beispiel Bertolucci gerade an Originalschauplätzen seinen Last Emperor drehte, wurde in Hong Kong dieser Film gefeiert, der zwar in einer ganz anderen Epoche spielt, aber auch davon abgesehen ein völlig anderes Bild von China, wenn auch in diesem Falle speziell Hong Kongs, vermittelt.

Bislang führend in der Kategorie „Häufigste Nominierung ohne Gewinn“ ist übrigens der auch außerhalb von Hong Kong recht bekannte Jackie Chan, der zwischen 1985 und 2005 allein 10 mal als Bester Hauptdarsteller nominiert war, aber diese Auszeichnung kein einziges Mal erhielt (in anderen Kategorien wurden seine Filme aber durchaus in Hong Kong für preiswürdig befunden).

Andere waren da zwar erfolgreicher, aber in dem Maße, wie Bertolucci, der im Jahr 1988 neun Academy Awards in Hollywood abräumte, gelang dies bei den Hong Kong Awards bisher nur ein einziges Mal, als im Jahr 1997 Comrades – Almost a Lovestory ebenfalls mit neun Auszeichnungen bedacht wurde, unter anderen die für den Besten Film, die Beste Regie, das Beste Drehbuch und die Beste Hauptdarstellerin, wobei Letztere in Person von Maggie Cheung ohnehin sowohl die meisten Nominierungen als auch die meisten Auszeichnungen als Beste Hauptdarstellerin bei den Hong Kong Film Awards vorzuweisen hat.

Selbstverständlich vermittelt auch dieser Film ein sehr spezielles Bild von China, beziehungsweise von Hong Kong und seinen Zugezogenen, aber man darf wohl angesichts der vielen Preise annehmen, dass es weitgehend dem entspricht, das sich die in Hong Kong ansässigen Filmemacher in den 1990ern von ihrer Stadt und dem Leben darin machen, oder doch zumindest dem, wie sie im Kino gesehen werden wollten.

(Comrades – Amost a Love Story, Hong Kong 1996; Regie: Peter Chan.)

 

Hollywood Chinese

… wie gut Bernardo Bertolucci mit seinem Film den Geschmack Hollywoods getroffen hatte, zeigte sich bei der Verleihung der Academy Awards im Jahr 1988, wo er mit neun Oscars ausgezeichnet wurde – inklusive als „Best Picture“ und „Best Director“.

Wobei Hollywood zu diesem Zeitpunkt bereits eine recht klar definierte Vorstellung von China und seinen Einwohnern hatte, waren diese doch schon seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der dortigen Produktionen, sei es als Erzbösewicht, als Detektiv, als devote Ehefrau oder als Prostituierte, die allerdings anfangs eher selten von Schauspielern chinesischer Herkunft dargestellt wurden, und falls doch, so sah man es ihnen bisweilen nicht allzu sehr an. Stattdessen wurden fröhlich die Klischees verbreitet: Hollywoods Chinesinnen waren von exotischer Schönheit und unterwürfig den weißen Männern ergeben, ihre männlichen Pendants hingegen sprachen gerne eine alberne Sprache, mit der sie pseudo-asiatische Weisheiten verbreiteten.

Diese Stereotypen waren derart hartnäckig, dass auch später, als man in Hollywood immerhin schon soweit war, Rollen, die für Asiaten vorgesehen waren, auch mit Asiaten zu besetzen, diese wiederum vor dem Problem standen, möglichst exakt den Erwartungen der Produzenten entsprechen zu müssen, was in den meisten Fällen bedeutete, das Klischee wieder zu kopieren. Dies ging schließlich so weit, dass Schauspielerinnen wie Joan Chen für ihre Rollen mit Sprechtrainern das spezielle Pidgin einüben mussten, das zwar außerhalb von Hollywood-Filmen niemand sprach, hier aber Pflicht war.

Diese und andere Geschichten erzählen Schauspielerinnen und Schauspieler, Drehbuchautoren, Schriftstellerinnen und viele andere, in der Dokumentation von Arthur Dong Hollywood Chinese – The Chinese in American Feature Film von 2007. Zu Wort kommt hier zum Beispiel auch Lisa Liu, die immerhin den Mut besaß, gelegentlich ihre Regisseure darauf hinzuweisen, wenn sie sich ihrer Ansicht nach allzu weit von den China üblichen Gepflogenheiten entfernten, worüber die jeweiligen Regisseure stets höflich aber konsequent hinweg sahen. Und auch, wenn Bernardo Bertolucci sich die Mühe gemacht hatte, Drehgenehmigungen für Originalschauplätze zu erhalten, so bildete er in dieser Hinsicht keine Ausnahme, denn über ihre Rolle als Kaiserinwitwe Cixi erzählt sie: „Just like when I was working with Mr. Bertolucci. He wanted the Eunuchen to move the bed and I said ‚you know, the empress dowagers bed should be very stable‘. That the Stability is a symbol for her health and if you move the bed, it‘s an hurt of – in China you cannot do that. So he said: ‚Oh I understand what you are saying, but you know I‘m making an artistic film.“ Oder, wie Joan Chen es zusammenfasst: „Bernardo Bertolucci is just a fantastic filmmaker and he is so in love with this China, that‘s in his fantasy.“

Aber dass Filme bisweilen mehr über die Menschen aussagen, die sie gemacht haben, als über die Themen, die sie behandeln, ist ja nichts Neues und darum, wie sehr oder wenig sich einzelne Regisseure um realistische Darstellung bemühten, geht es in dieser Dokumentation eigentlich auch gar nicht, sondern darum, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen: sowohl jene, die die Klischees verkörperten, als auch die, die damit aufwuchsen und zurechtkommen mussten, denn, so sagt es Regisseur Arthur Dong: „Through their stories, we learn about history, and through what they went through, what happened in Hollywood.” Und Hollywood war weit verbreitet.

(Hollywood Chinese, USA 2007; Regie: Arthur Dong.)

On the Beat

Polizeialltag zum Zweiten: diesmal ist es kein heißer Sommer in Tokyo, sondern wir schreiben das Jahr des Hundes in Beijing und es ist ein kalter, meist grauer Winter, voll mit Routine und Langweile. Aber anders als die japanischen Ermittler im Jahr 1949, die sich noch zu Fuß die Hacken ablaufen müssen, erledigen die chinesischen Polizisten Mitte der 1990er ihren uniformierten Streifendienst immerhin schon per Fahrrad.

Der chinesische Titel dieses Films, 民警故事, bedeutet übersetzt so viel wie ‚Volkspolizei Geschichte(n)‘, was ebenso wie sein englischer Titel, ‚On the Beat‘, unter dem er auf internationalen Festivals lief, und den man ins Deutsche mit ‚Auf Streife‘ übersetzen kann, den Inhalt des Films ganz zutreffend wieder gibt. Entsprechend werden wir gleich zu Beginn ausführlich mit den vielfältigen Pflichten eines Streifen-Polizisten in Beijing vertraut gemacht und natürlich erfüllen diese Staatsbeamten nicht nur gewissenhaft ihre Aufgaben, sondern haben darüber hinaus auch ganz konkrete Vorstellungen, was in China alles so schief läuft und ebenso praktische wie leicht umsetzbare Vorschläge, es besser zu machen („…hier ist ein ehemaliger Fürstenhof, wo sich während der Kulturrevolution eine Tischlerei breit machte. Jetzt steht er unter Denkmalschutz und verwahrlost.“ – „Abreißen und ein Hochhaus hin bauen.“).

Wobei diejenigen, die uns dies vermitteln, sich in der Sache auskennen, denn zwar sind alle Darsteller als Schauspieler Amateure, aber im richtigen Leben echte Polizisten bzw. Bewohner des Bezirks. Was wohl damit zu tun hat, dass Regisseurin Ning Ying zwar gemeinsam mit Zhang Yimou, Chen Kaige und den anderen Filmemachern der sogenannten 5. Generation die Beijing Film Akademie besucht hatte, danach aber nach Italien ging, um am Centro Sperimentale di Cinematografia zu studieren, wo sie den Italienischen Neorealismus und Bernardo Bertolucci kennen lernte. Beiden konnte sie offensichtlich einiges abgewinnen: Letzteren unterstützte sie 1987 als Regieassistentin in China bei den Dreharbeiten zu The Last Emperor, aber während dieser wohl den Monumentalfilmen zugerechnet werden darf, entsprechen ihren eigenen Arbeiten als Regisseurin tatsächlich eher dem Neorealismus.

In diesem Sinne geht es hier nicht um die große Tragödie und es ist auch nichts auf Hochglanz poliert, keine hochbezahlten Star-Schauspieler geben harte Kerle, die sich durch Geschichten von Verrat und Gewalt ballern. Dementsprechend steht auch nicht zu befürchten, dass On the Beat, anders als zum Beispiel dieser Film hier, jemals von Hollywood nachverfilmt und mit Oscars überhäuft wird.

Aber viele kleine Dramen gibt es auch hier – und ausgesprochen einsatzfreudige Verfolgungsjagden.

(On the Beat, China 1995; Regie: Ning Ying.)

Nora Inu

Es ist heiß in Tokyo, im Sommer 1949. Der Polizeialltag ist ohnehin mühsam genug und wird durch die Hitze nicht leichter. Der Tag war lang, der Weg nach Hause ist es auch, der Bus ist völlig überfüllt mit schwitzenden Menschen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, jemand nutzt seine Chance und die Dienstwaffe ist gestohlen – eine gerade in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt besonders seltene und wertvolle Ware. Für den jungen Polizisten kann es das Ende seiner Karriere bedeuten, aber nicht nur dies, auch das Gefühl, dass es in seiner Verantwortung liegt, was nun mit der Pistole geschieht, treibt ihn an, sich auf die Suche nach Dieb und Waffe zu machen.

Fünf Jahre bevor Regisseur Ishiro Honda diesen Zeitgenossen auf Tokyo los ließ, war er noch hoch geschätzter Erster Regie-Assistent von Akira Kurosawa. Und als solcher lieferte er für Kurosawas Film Nora Inu (Stray Dog), ganz wesentliche Szenen: Gemeinsam mit Kameramann Kazuo Yamada war Honda in jene Viertel von Tokyo gegangen, die damals als gefährlich und teilweise von Yakuza beherrscht galten, um dort zu filmen. Größere Gruppen, womöglich noch mit Schauspielern wären hier nur unangenehm aufgefallen und so kam es, dass in jenen Szenen, die den Hauptcharakter Murakami, eigentlich dargestellt von Toshiro Mifune, von der Taille abwärts zeigen, tatsächlich meist Honda zu sehen ist.

Ebenfalls zu sehen ist das Tokyo der Nachkriegszeit, vor allem aber die Menschen, die dort leben und weiterhin versuchen klar zu kommen – die einen, indem sie erfüllen, was sie für ihre Pflicht halten, die anderen auf anderen Wegen. Bei seinen Ermittlungen wird unser Held von seinem älteren und erfahrenen Kollegen Sato begleitet und schon diese beiden, obwohl sie gut miteinander auskommen, haben völlig verschiedene Perspektiven auf das Geschehen und seine Ursachen – sind es in erster Linie die Umstände, die das Handeln der Menschen bestimmen, oder liegt eben doch das meiste in der persönlichen Verantwortung? – Themen, die so schon schwierig genug sind, wenn es nicht auch noch so unerträglich heiß wäre.

Und Themen, die fast fünfzig Jahre später in derselben Stadt von einem anderen japanischen Regisseur ganz anders behandelt werden.

(Nora Inu, Japan 1949; Regie: Akira Kurosawa.)

Mimic

„Can I eat it or will it eat me?“ diese Frage stand nicht nur im Drehbuch zu Mimic, sondern sie stellte sich Regisseur Guillermo del Toro bei den Dreharbeiten möglicherweise auch selbst, denn einer der Produzenten, Bob Weinstein, tauchte angeblich regelmäßig am Set auf, um zusätzliche Szenen einzufordern, seine vielfältigen kreativen Ideen einzubringen und überhaupt allen Beteiligten so gut wie möglich auf die Nerven zu fallen. Da Bob Weinstein der Bruder von Harvey ist (die andere Hälfte der Produktionsfirma Miramax), dem es ungefähr zur gleichen Zeit sogar gelang, Hayao Miyazaki so weit zu treiben, dass er zur Waffe griff, kann man sich gut vorstellen, was del Toro zu leiden hatte.

Ob er dann ebenfalls zu drastischen Maßnahmen griff, um sich die Weinsteins vom Leibe zu halten, ist zwar nicht überliefert, wohl aber, dass er es später ablehnte, noch einmal mit den Brüdern zusammenzuarbeiten und schließlich sogar so weit ging, sich vom ganzen Projekt zu distanzieren. Als allerdings sein eigener, Jahre lang angekündigter, Directors Cut 2011 endlich erschien, kam so mancher nach eingehendem Vergleich beider Fassungen durchaus zu dem Ergebnis, dass er den Film damit nun auch nicht wirklich aufgewertet hatte.

Das alles ist sehr schade, denn Mimic, zumindest in der Fassung von 1997, ist eigentlich ein gelungener Beitrag zum Genre, mit Anspielungen und Verweisen, aber auch neuen Ideen, die stilvoll in Szene gesetzt wurden. Zwischen ihm und dem ersten Big Bug-Film liegen 43 Jahre und eine ganze Menge Filme, die das Kino mit Krabbel-Getier aller möglichen Spezies belebten, und eine lange Zeit, in der natürlich auch die Special Effects, Animations- und Pyrotechnik, zum Beispiel, weiterentwickelt wurden.

Aber auch die Bugs hatten ausreichend Zeit, ihre Fähigkeiten auszubauen. Und auch, wenn sie es an Eleganz und Behändigkeit mit diesem Einzelgänger, aber Spitzenreiter ihrer Zunft nicht wirklich aufnehmen können, setzen sie hier sehr effektiv auf Zusammenarbeit und Strategie. Denn längst geben sie ihre Absichten nicht mehr gleich zu erkennen und tragen ihre Kämpfe auch nicht offen und draußen aus, sondern es geht gleich hinein und hinunter, ins Dunkle, wo sie gelernt haben, sich anzupassen und den richtigen Moment abzuwarten, denn auch sie scheinen zu wissen: „Evolution has a way of keeping things alive.“

(Mimic, USA 1997; Regie: Guillermo del Toro.)

Tarantula

Hatten wir es in diesem Film noch mit recht groß gewachsenen Ameisen zu tun, so handelt Tarantula, wie der Name schon andeutet, von einer anderen Gattung achtbeiniger Krabbler, allerdings wurde im vorliegenden Fall die Bescherung nicht durch Nuklear-Waffen-Tests verursacht, sondern ist vielmehr auf beste Absichten, nicht zur Vernichtung, sondern zur Rettung der Menschheit zurückzuführen.

Allein, gut gemeint ist, wie so oft, auch hier wieder das Gegenteil von gut gemacht, denn es stimmt zwar, dass anders als die Wüste, die wieder Schauplatz des Geschehens ist, manche Bereiche unseres schönen Planeten bekanntlich nicht so weitgehend menschenleer vor sich hin existieren dürfen, sondern, um es mit den Worten von Professor Gerald Deemer zu sagen: „There are 2 billion people in the world today. In 1975 there’ll be 3 billion. In the year 2000, there’ll be 3,625,000,000!“

Und auch, wenn sich der Professor im Hinblick auf das Jahr 2000 etwas verrechnet hat, denn tatsächlich waren es damals schon fast doppelt so viele Menschen, als in seiner Hochrechnung, Tendenz weiter steigend, so ist die Frage, die sich daraus ergibt – Wie sollen die alle ernährt werden? – natürlich durchaus berechtigt, und der Ansatz: Warum machen wir nicht einfach die vorhandenen Nahrungsmittel etwas größer? – vielleicht grundsätzlich auch gar nicht so falsch. Dumm nur, wenn eben andere Dinge ebenfalls größer werden, zum Beispiel solche, die, wie ja bereits an anderer Stelle anschaulich vorgeführt wurde, schon in relativ kleinem Zustand auf die meisten Menschen ausgesprochen beunruhigend wirken.

Damit dieser Effekt nicht etwa mit zunehmender Größe verloren ging, setzte man hier nicht auf Stop-Motion-Tricktechnik oder steckte Menschen in Monster-Anzüge, und baute auch keine großen, flauschigen, ferngesteuerten Tiere, sondern ließ für die meisten Szenen eine echte Spinne über eine Miniatur-Landschaft krabbeln, womit sicher gestellt war, dass alles, was diese Tiere im richtigen Leben so vielen Menschen extrem unsympathisch macht, auch auf der Leinwand in vollem Umfang erhalten blieb.

Verantwortlich für Idee und Umsetzung des Ganzen war Jack Arnold, der vollkommen zu Unrecht, immer noch gelegentlich als Trash-Filmemacher diffamiert wird, und dass, obwohl selbst in der IMDb über ihn zu lesen ist: „Jack Arnold reigns supreme as one of the great directors of 50s science fiction features. His films are distinguished by moody black and white cinematography, solid acting, smart, thoughtful scripts, snappy pacing, a genuine heartfelt enthusiasm for the genre, and plenty of eerie atmosphere.“

Oder, wie es Dr. Matt Hastings ausdrücken würde: „Well, not many of us look that far in the future, Sir.“

(Tarantula, USA 1955; Regie: Jack Arnold.)

Them!

„And I thought today was the end of them.“ – „No. We haven’t seen the end of them. We’ve only had a close view of the beginning of what may be the end of us…“

Der sogenannte „Wilhelm Scream“ ist ein vorgefertigter Sound-Effekt, der als Bestandteil einer Soundlibrary käuflich erworben und beliebig oft eingesetzt werden konnte. Zum ersten Mal war er 1951 in dem Film Distant Drums (Die Teufelsbrigade) zu hören, und dort auch gleich mehrfach, was auch andere Sounddesigner anscheinend ebenso überzeugend wie praktisch fanden, denn seitdem wurde er oft und gerne in zahlreichen Filmen eingesetzt (217 titles, and counting!). Dabei erfreute er sich auch einer gewissen Beliebtheit in Horrorfilmen, wo es naturgemäß einiges zu schreien gibt.

So auch hier, denn was als herkömmlicher Polizei-ermittelt-in-seltsamen-Todesfällen-Krimi beginnt, entwickelt sich schließlich weiter zum ersten aller „Big Bug“-Filme, womit das Genre bezeichnet wird, in dem es um kleine, achtbeinige Krabbeltiere geht, die normalerweise relativ harmlos sind, sich nun aber weiterentwickelt haben zu etwas, das zuerst einzelne Menschen, aber schließlich auch die Menschheit als Ganzes angreift und zu vernichten droht.

Wobei es manchmal ihre schiere Masse in Kombination mit einer beunruhigend entwickelten Intelligenz ist, die sie gefährlich macht, bisweilen legen sie aber auch in beeindruckender Weise an Umfang und Größe zu, was bei der einzigen Spezies außer den Menschen, die willens und in der Lage ist, einen organisierten Krieg zu führen (wie uns in Them! erklärt wird), ebenfalls eine schlechte Prognose für den Fortbestand der Menschheit als ‚Krone der Schöpfung‘ ergibt.

Insbesondere für letzteres Phänomen wird oft, so wie schon bei Großgetier anderer Gattungen, Mutation infolge atomarer Strahlung als Ursache ermittelt, was die Frage aufwirft: „…if these monsters got started as a result of the first atomic bomb in 1945, what about all the others that have been exploded since then?“, die hier auch gleich beantwortet wird: „Nobody knows. When Man entered the atomic age, he opened a door into a new world. What we’ll eventually find in that new world, nobody can predict.“

Grund genug also, neben einigen verbal artikulierten Schreien („AHHH! THEM! THEM! THEM!“) auch den beliebten Wilhelm Scream einzusetzen, und zwar gleich dreimal an verschiedenen Stellen (und wem das nicht reicht, der kann sich bei Youtube auch einen zwölfminütigen Zusammenschnitt von Wilhelm-Scream-Filmszenen ansehen, bzw. hören).

Gut, vielleicht sind die Monster hier ein klein wenig… plüschig geraten, aber ursprünglich sollte das Ganze ja auch in Farbe und 3-D gedreht werden, was sie wahrscheinlich viel Angst einflößender gemacht hätte, allerdings entschied sich das Studio kurz vor Drehbeginn, doch noch dagegen und so wurde es Schwarz-Weiß und zweidimensional. Dem Publikum, das 1954 in großer Menge in die Kinos strömte und den Film zu einem Erfolg machte, waren sie offensichtlich gruselig genug, selbst von den Kritikern wurde er gut aufgenommen, und in all den vielen, vielen, vielen Nachahmer-Filmen, die in den folgenden Jahren gedreht wurden, sind die Arthropoden oft deutlich weniger liebevoll in Szene gesetzt worden, wenn sie auch stets das selbe biblische Ziel verfolgten: „…and the beasts shall reign over the earth!“

(Them! USA 1954; Regie: Gordon Douglas.)

Wittgenstein

„A dog cannot lie. Neither can he be sincere. A dog may be expecting his master to come, but: why can‘t he be expecting him to come next Wednesday?“

Ludwig Wittgenstein hatte ein abwechslungsreiches Leben: 1889 geboren als Sohn einer reichen und angesehenen Industriellen-Familie in Wien, studierte er Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester, war Inhaber eines Patentes zur Verbesserung von Flugzeugpropellern, verschenkte sein gesamtes umfangreiches, ererbtes Vermögen an seine Geschwister, meldete sich freiwillig um im 1. Weltkrieg zu kämpfen, geriet in Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Volksschullehrer, später als Klostergärtner – Mönch zu werden ließ er sich gerade noch von einem Abt wieder ausreden – zog sich in der Einsamkeit Norwegens in ein Holzhaus zurück, entwarf für eine seiner Schwestern ein repräsentatives Haus in Wien, studierte, arbeitete und lehrte zwischendurch immer mal wieder in Cambridge, wo er schon zu Lebzeiten als Genie gehandelt wurde und gilt heute als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – obwohl, oder vielleicht auch gerade weil er die Philosophie auch schon mal als Geisteskrankheit bezeichnete, die erst durch das Philosophieren hervorgebracht würde.

Er selbst war letztendlich wohl durchaus zufrieden mit seiner Biographie: kurz vor seinem Tod ließ er seinen Freunden ausrichten, er habe ein wundervolles Leben gehabt.

Auch Derek Jarman war ein vielseitig interessierter Mann: Maler, Bühnenbildner, Regisseur von Filmen und Musikvideos, Autor und Gärtner, und auch, wenn er 1993, als er seinen Film Wittgenstein drehte, bereits schwer an AIDS erkrankt war, änderte dies nichts daran, dass er mit der Unterstützung seiner Schauspiel-Compagnie, bestehend u.a. aus Karl Johnson, Michael Gough und Tilda Swinton sowie Terry Eagleton als Drehbuchautor, einen lebensfrohen, klugen und witzigen Film drehte. Wobei er allerdings die einzelnen Episoden aus dem Leben Wittgensteins weniger mit filmischen Mitteln inszenierte, sondern eher als knallbuntes Theaterstück auf die Bühne brachte, was im Ergebnis so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, wie man sich zur Zeit ein sogenanntes Biopic vorstellt.

Natürlich sieht man hier Jarmans sehr spezielle Sicht auf Wittgenstein, zudem in seinem sehr eigenen Stil gedreht und sollte man noch nie von Ludwig Wittgenstein gehört oder gelesen haben, könnte das Ganze auch ein wenig verwirrend ausfallen, aber das wäre dann nicht Jarman anzulasten, sondern, um es mit Ludwig Wittgenstein in Jarmans Film zu sagen: „We imagine the meaning of what we say as something queer, mysterious, hidden from the view, but nothing is hidden! Everything is open to the view! It is just the philosophers, who muddy the waters.“

(Wittgenstein, Großbritannien 1993; Regie: Derek Jarman.)