Category Archives: Eigensinnige Frauen

Eat Drink Man Woman

Neben dem Kino des sogenannten Mainland China und den Filmen aus Hong Kong gibt es noch einen weiteren Zweig Filmindustrie chinesischer Sprache mit langer Tradition: das Kino Taiwans.

Großen Zulauf erhielt dieses, ebenso wie Hong Kong, vor allem in der Frühphase der Volksrepublik China, als man im Zuge der angestrebten Volkserziehung auch beim Kino alles zu unterbinden suchte, das nicht ins offizielle Bild passte. In Hong Kong und Taiwan ließ es sich in solchen Zeiten einfach entspannter und unkontrollierter arbeiten und auch Geldgeber fanden sich dort leichter. Und so ist es kein Zufall, dass auch King Hu zum Beispiel, nachdem er diesen Film in Hong Kong gedreht hatte, weiter zog, um seine nachfolgenden, für das Wuxia-Genre stilbildenden Filme in Taiwan zu drehen.

In späteren Zeiten sollte sich dieser – für Taiwan ausgesprochen lukrative Trend für eine Weile umkehren, denn Schauspielerinnen wie zum Beispiel Brigitte Lin (hier und hier) und Joey Wong (hier und hier) oder der Schauspieler Takeshi Kaneshiro (ebenfalls hier zu sehen), stammen gebürtig aus Taiwan, wurden aber hauptsächlich durch Hong Kong Produktionen bekannt.

Auch den zur Zeit international wohl bekanntesten Filmschaffenden aus Taiwan zog es nach drei Filmen, die er in seinem Geburtsland drehte, in eine völlig andere Arbeitsumgebung, anders als die zuvor Genannten wechselte er aber auch gleich den Kontinent, indem er zunächst nach Großbritannien und dann nach Hollywood ging. Was wohl ebenfalls kein Zufall ist, denn wenn man sich die ambitionierte Liste der aus Taiwan als Anwärter für den Academy Award eingereichten Filme ansieht, dann fällt dort neben den vielen „Not Nominated“ nur zweimal „Nominee“ und nur ein einziges Mal „Won Academy Award“ auf, wobei in allen drei Fällen der Name des Regisseurs Ang Lee lautet.

Von eben diesen drei Filmen wurde Eat Drink Man Woman zwar ‚nur‘ nominiert und nicht mit dem Academy Award ausgezeichnet, war aber der letzte Film von Ang Lee, den er ausschließlich in Taiwan drehte und bevor er in den USA lernte, wie Filme aussehen müssen, um tatsächlich für Oscar würdig befunden zu werden.

(Eat Drink Man Woman, Taiwan 1994; Regie: Ang Lee.)

 

The Missing Gun

Wie genau das sieben-jährige Arbeitsverbot als Regisseur definiert war und was im Falle der Zuwiederhandlung drohte, wurde nicht weiter offiziell verlautbart, aber tatsächlich brachte Jiang Wen nach diesem Film und den daraus resultierenden Schwierigkeiten mit der chinesischen Filmbehörde erst pünktlich nach Ablauf der gesetzten Frist wieder einen Beitrag als Regisseur heraus.

Der erste Film, an dem er mitwirkte, nachdem er in Ungnade gefallen war, erschien allerdings schon zwei Jahre später, Jian Wen spielte hier immerhin die Hauptrolle, wenn auch unter der Regie von Lou Chuan.

Die Geschichte könnte einem vage bekannt vorkommen, zumindest, wenn man diesen Film gesehen hat, allerdings sieht sie hier von Anfang an ganz anders aus und entwickelt sich auch rasch eine andere Richtung – aber einige Parallelen bleiben bis zum Schluss erkennbar, ausreichend jedenfalls, um deutlich zu machen, dass Regisseur und Drehbuchautor Lou Chuan hier tatsächlich auf Kurosawa verweist.

Im Hinblick auf Alter und Abschlussjahrgang ist Lu Chuan ebenfalls ein Mitglied der sogenannten 6. Generation der Beijing Film Akademie, was allerdings den Stil seiner Filme angeht, so unterscheidet er sich unübersehbar von seinen Generationsgenossen, was immerhin den angenehmen Nebeneffekt hat, dass seine Filme je nach Thema auch mal selbstironisch und unterhaltsam geraten können, ein Talent, dass er außer fürs große Kino auch recht erfolgreich in der Werbung einsetzt, sei es für Autos oder Reiseziele, aber stets gerne mit viel Landschaft.

Ein wenig davon ist auch in diesem, seinem ersten Film zu sehen, aber mehr noch sieht man von der Kleinstadt, in der er spielt, denn anders als in diesem oder auch in diesem Film, läuft und radelt unser Held weder durch die Hauptstadt Japans noch die der Volksrepublik China, sondern durch die chinesische Provinz, die allerdings, entsprechend dem oben erwähnten Talent seines Regisseurs, ausgesprochen schön anzusehen sehen ist, während die Bewohner für Verwirrung und Intrige sorgen.

(The Missing Gun, China 2002; Regie: Lou Chuan.)

 

The World

„See the world in one day without ever leaving Beijing!“

Manchmal ist Die Welt ein Themenpark. In diesem Falle kann man ihn per Bahn umrunden („Good day dear visitors, welcome onboard the monorail. It circles the park completely. The ride takes 15 minutes.“) oder auch zu Fuß besichtigen: ein japanisches Teehaus mit Garten zum Beispiel, den Eiffel-Turm, das Taj Mahal, den schiefen Turm von Pisa, den Petersplatz und die Pyramiden, die Tower Bridge, Big Ben und einige mehr, alles in miniatur nachgebaut versteht sich, aber dafür stehen hier auch solche Sehenswürdigkeiten, die es an ihrem eigentlichen Standort nicht mehr zu besichtigen gibt („These are the Twin Towers, they were bombed on 11th September, we still have them.“ – „Great!“).

Vorbild und Drehort waren der reale Beijing World Park und ein etwas älterer, aber ähnlicher Themenpark in Shenzhen, vor allem aber geht es hier um die Menschen, die dort arbeiten, bescheiden entlohnt und noch bescheidener untergebracht, als Wachpersonal, in der Gastronomie oder mit wechselnden Kostümen als Darsteller/innen an den Attraktionen des Parks oder in den dazugehörigen Shows.

Und angefangen hatte es ja schon mit diesem Film, aber irgendwann muss es zwischen den Kritikern und Jia Zhang-ke so richtig gefunkt haben, denn ab dann begannen ihn fast alle zu lieben, wobei ihm sein Ruf als chinesischer Underground- oder Independent-Filmemacher wohl ganz hilfreich gewesen sein dürfte.

Obwohl er dies genau genommen mit The World schon nicht mehr war. Denn zwar hatte Jia Zhang-ke mittlerweile eine eigene Produktionsfirma gegründet, und wurde weiterhin hauptsächlich von japanischen Filmstudios, allen voran Office Kitano, und mit Geld aus Frankreich finanziert, aber diesmal erhielt er auch Unterstützung aus Shanghai und vor allem: die offizielle Erlaubnis der chinesischen Filmaufsichtsbehörde in Beijing, diesen und bislang auch alle seine folgenden Filme ohne Änderungen im In- und Ausland zu zeigen und bei internationalen Wettbewerben einzureichen.

Letzteres mit Erfolg, denn auch wenn seine Filme weder in China noch im Rest der Welt das Publikum in Scharen in die Kinos zogen, Kritiker und Jurys internationaler Filmfestivals waren offensichtlich beeindruckt: auch für The World, der bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, gab es neben einigen anderen Auszeichnungen wieder eine Nominierung und zwei Jahre später, mit seinem nächsten Film, erhielt er dann schließlich auch seinen ersten Goldenen Löwen, ganz zu schweigen von all dem Kritiker-Lob, das er seitdem ebenfalls erhält

(The World, China 2004; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

Platform

Auf die fünfte Generation folgt die sechste, so ist es auch bei den Absolventen der Beijing Filmakademie und mit dem Generationswechsel kommt meist auch eine neue Art die Welt zu sehen, respektive zu filmen.

Hatten Mitglieder der fünften Generation, wie Chen Kaige und Zhang Yimou, es mitunter, wenn auch mit wechselndem Erfolg, geschafft, sich mit den Zensurbehörden zu arrangieren und teilweise erhebliche Budgets für die Umsetzung ihrer bisweilen monumental geratenen Filme aufzutreiben, die gerne historisch-mythische Themen behandelten, so sieht dies nun mit der jüngeren Generation chinesischer Regisseure in Beijing zunächst einmal ganz anders aus: das meist geringe Budget kommt oft von japanischen oder europäischen Produzenten, gerne wird zur Handkamera gegriffen und statt großer Schauspieler-Stars besetzt man die Hauptrollen mit Kollegen und Freundinnen und arbeitet mit Laien, die ganz einfach das darstellen, was sie auch in ihrem sonstigen Leben sind. Und damit haben sich auch die Themen geändert: nun geht es um das zeitgenössische China, dessen ebenso zeitgenössischen Probleme meist gänzlich unpittoresk behandelt werden.

Ein in dieser Hinsicht typischer Vertreter seiner Generation ist Jia Zhang-Ke. Auch bei ihm ist Schluss mit Heldentum, Wuxia und Lustig, vielmehr schlägt hier die Realität mit all ihrer Härte zu, manchmal allerdings auch nur mit Perspektivlosigkeit und frustrierender Eintönigkeit und so ist es auch bei Platform (Zhantai), seinem zweiten langen, sehr langen Film nach drei Kurzfilmen, die er während seines Studiums drehte.

Eine Plattform kann bekanntermaßen einerseits eine Bühne sein, andererseits aber auch ein Ort, an dem Menschen darauf warten, dass der Zug endlich kommt, „Lonely we can only wait..“, wie es im namengebenden Popsong heißt und vielleicht muss man auch diesen Film in voller Länge gesehen haben, um Platform wirklich würdigen zu können, aber auf alle Fälle zementierte er den Ruf seines Regisseurs als experimenteller Underground-Filmemacher, was sich schon daran zeigte, dass er überwiegend mit Geld aus Hong Kong, Frankreich und vor allem vom japanischen Produktionsstudio Takeshi Kitanos finanziert wurde.

Und es war der Film, mit dem Jia Zhang-ke international bekannt wurde und der, ein Jahr, nachdem sein Generationsvorgänger Zhang Yimou ihn bereits zum zweiten Mal erhalten hatte, es immerhin auch schon zu einer Nominierung für den Goldenen Löwen von Venedig brachte.

(Platform, China 2000; Regie: Jia Zhang-ke.)

 

The Story of Qiu Ju

Mittlerweile hat sich Zhang Yimou, der bei den Olympischen Spielen im Sommer 2008 sowohl bei der aufwendig gestalteten Eröffnungs-, als auch bei der ebenfalls groß angelegten Abschlussfeier in Beijing die Regie führen durfte, ganz offensichtlich mit Zensur und Politik in seinem Heimatland China arrangiert.

Dies war zu Beginn seiner Karriere noch anders, gleich nach Abschluss seines Studiums an der Filmakademie von Beijing hatte er sich gemeinsam mit seinem Kommilitonen Chen Kaige in die Provinz abgesetzt, um dort diesen Film zu drehen, und bei vielen seiner späteren Arbeiten, bei denen er dann nicht mehr nur die Kamera, sondern auch die Regie führte, kam es immer wieder zu Differenzen mit den chinesischen Behörden, die wiederum regelmäßig Aufführungsverbote für seine Filme in China nach sich zogen. Was ihn aber andererseits auf internationalen Festivals vielleicht umso mehr zum gerne gesehenen und gefeierten Gast machte.

Jedenfalls hatte er, als er sich Anfang der 1990er daran machte, die Geschichte einer Frau zu verfilmen, die sich auf einen langen Weg durch die behördlichen Instanzen in China macht, im Hinblick auf dieses Thema, bereits reichlich eigene Erfahrung gesammelt. Dennoch geriet Qui Ju Da Guansi (Die Geschichte der Qiu Ju) keineswegs zu einer Abrechnung oder Anklage. – Traf aber dafür ziemlich genau den Geschmack und die Erwartungen der westlichen (Festival-) Zuschauer, oder doch zumindest der Kritiker und Jury-Mitglieder, die vor allem jene Teile des Films lobend hervorhoben, die den mit einer Handkamera aufgenommenen Alltag auf den Straßen von Chinas Städten zeigten, was vielleicht auch ein wenig damit zu tun hatte, dass sie ähnliche Bilder bereits von Michelangelo Antonioni kannten.

Zhang Yimou aber war es dieses Mal anscheinend endlich gelungen, es allen recht zu machen: auf den internationalen Festivals wurde er gefeiert und ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Löwen in Venedig, und auch im Heimatland wurde sein Film mit wohlwollender Billigung der Behörden aufgeführt. Ein Konzept, dass er einige Jahre später, in einer etwas anderen Variante, diesmal nicht ganz unumstritten, aber mit dem selben Ergebnis, wieder erfolgreich anwenden sollte.

(The Story of Qiu Ju, China 1992; Regie: Zhang Yimou.)

Yellow Earth

Als dieser Film 1964 in China seine Uraufführung hatte, war Chen Kaige 12 Jahre alt und nur wenige Jahre später sollte er im Rahmen der damals in China üblichen Erziehungsmaßnahmen, die ganz besonders die Kinder von ehemals Kulturschaffenden und Akademikern betrafen, seine Schulzeit beenden, um in einem von seinem Zuhause und der Familie weit entfernt gelegenen Teil des Landes zum Arbeitseinsatz geschickt zu werden.

Ebenfalls 12 Jahre alt war damals auch Zhang Yimou, dessen Kindheit in dieser Hinsicht ganz ähnlich verlief. Aber als die Zeit, die in China von offizieller Seite als Kulturrevolution bezeichnet wurde, vorbei war und 1978 in Beijing die Filmakademie wieder eröffnet wurde, gehörten beide zum ersten Jahrgang und erhielten vier Jahre später dort ihren Abschluss. Nur kurze Zeit danach war es dann wohl Zhang Yimou, der es Chen Kaige nahelegte, Beijing zu verlassen und es in einem kleineren Filmstudio, dem Guangxi, zu versuchen, wo sie gemeinsam den Film huáng tǔdì (Gelbe Erde) drehten, mit Chen Kaige als Drehbuchautor und Regisseur, während Zhang Yimou die Kameraarbeit übernahm.

Und die Idee, weit weg von der Hauptstadt und damit auch vom Fokus der Zensurbehörde, vielleicht etwas ungestörter arbeiten zu können, bewährte sich: denn auch wenn er sein Publikum in China teilweise erst mit etwas Verspätung fand, so war er doch der erste chinesische Film seit Beginn der Mao-Zeit, der auch in anderen Teilen der Welt aufgeführt wurde und dort viel Lob fand. Zudem zeigte er 20 Jahre nach eben diesem Film, dass man von nun an, auch international, mit einer neuen Art Filme aus der Volksrepublik China rechnen durfte. Was wiederum 21 Jahre später in Hong Kong dadurch honoriert wurde, dass Yellow Earth auf der bereits mehrfach erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures auf den vierten Platz gewählt wurde, hinter zwei Filmen aus Hong Kong und mit diesem Film auf Platz Eins.

(Yellow Earth, China 1984; Regie: Chen Kaige.)

 

Chungking Express

Irgendwann bin ich ein vorsichtiger Mensch geworden, wenn ich einen Regenmantel trage, trage ich auch eine Sonnenbrille – wer weiß schon, ob es regnet oder die Sonne scheinen wird?“

Die Dame, die dies sagt, trägt darüber hinaus auch eine etwas sperrige blonde Perücke, die sie gemeinsam mit Trenchcoat und Sonnenbrille bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, was in diesem Falle aber nicht weiter schlimm ist, da von der Schauspielerin Brigitte Lin, die in eben dieser Aufmachung steckt, Mitte der 1990er zumindest in China ohnehin so ziemlich jeder Kinobesucher wusste, wie sie aussieht.

Nur wenige Tage vorher hatte sie noch, ebenfalls unter der Regie von Wong Kar-wei, in einer völlig anderen Art von Kostümierung gesteckt, da es aber mit diesem Film gerade absolut nicht voran gehen wollte, wurden zwei Monate Drehpause ausgerufen und irgendwie schaffte es Wong Kar-wei tatsächlich, einen großen Teil seiner Crew dazu zu überreden, mit ihm nach Hong Kong zu gehen und in dieser Zeit einen anderen Film zu drehen. An Hauptdarstellern war neben Brigitte Lin auch Tony Leung mit von der Partie, während Takeshi Kaneshiro und die Sängerin Faye Wong neu hinzu kamen.

Der Film wurde in 23 Tagen gedreht. Ein fertiges Drehbuch existierte nicht, vielmehr schrieb Wong Kar-wei die meisten Szenen jeweils in der Nacht oder am Morgen bevor sie gedreht wurden – immerhin war er darin so fleißig, dass aus dem Überhang, der eigentlich als dritte Episode vorgesehen war, ein eigener, weiterer Film wurde.

Das Ungeregelte und der Zeitdruck, der Wechsel von der Wüste nach Hong Kong und von Wuxia in die Gegenwart, wirkten sich offensichtlich inspirierend aus. Inhaltlich wie methodisch wurde fröhlich alles durcheinander gemischt: wackelige Handkamera, Zeitraffer und Zeitlupe, Krimi im Drogenmilieu, Polizisten mit Liebeskummer, zu laut aufgedrehte Musik und emotionale Handtücher, nicht zu vergessen die beiden realen, namengebenden Schauplätze, Chungking Mansions und der Fast Food Imbiss Midnight Express.

Aber während es bei Ashes of Time noch mehr als 15 Jahre dauern sollte, bis Wong Kar-wei ihn offiziell fertig stellte, feierte Chungking Express schon 1994 in Hong Kong Premiere, war der erste Wong Kar-wei Film, der auch in amerikanischen und europäischen Kinos gezeigt wurde und gehört bis heute zum festen Programm von Filmhochschulen in aller Welt: „Where do you want to go?“ – „Wherever you want to take me.“

(Chungking Express, Hong Kong 1994, Regie: Wong Kar-wei.)

 

Green Snake

Alle Dinge können wachsen und sich verändern: Ein Stein kann eine Pflanze werden, eine Pflanze kann ein Tier werden, ein Tier kann zum Menschen werden und Menschen können zu Göttern werden.“

Derlei gravierende Veränderungen finden allerdings auch in den buddhistisch geprägten Geschichten des alten China nicht einfach so über Nacht statt – es gehören vielmehr ausreichend Training, Selbstdisziplin und Fortbildung dazu, nicht zu vergessen Meditation und vor allem: viele gute Taten. Wechselt man die Richtung seines Tuns von gut nach böse, kann die eigene Entwicklung aber auch umgekehrt verlaufen und so kann es passieren, dass sich ein Mönch und erfolgreicher Dämonenjäger als Magen einer Krabbe wiederfindet und allein dessen orangene Farbe erinnert noch an seine vorherige Inkarnations-Stufe.

Hier allerdings geht es nicht um Krabben, sondern um Schlangen, eine weiße und eine grüne, denen es Jahrhunderte langes Training ermöglicht, die Gestalt von Frauen anzunehmen. Aber die Form zu erlangen, egal wie gut ihnen dies auch gelungen sein mag, war nicht das eigentliche Ziel, sondern der Inhalt, weshalb sich die Damen nun daran machen, die menschliche Gefühlswelt zu erkunden. Mönche, die ihnen das Leben schwer machen gibt es zwar auch hier in ausreichender Menge, aber anders, als in einer der älteren Versionen der Geschichte wird im Film keiner davon zu einem Magen, egal welchen Lebewesens.

Denn ebenso wie bei diesem und diesem Wuxia-Film gibt es auch hier eine literarische Vorlage, genau genommen sogar einige, die ihrerseits wiederum auf eine wesentlich ältere Legende zurückgehen, deren erste überlieferte schriftliche Version aus der Zeit der Ming Dynastie stammt. Im Verlaufe der Jahrhunderte entstanden viele Varianten des Themas, auch wurde aus der ursprünglichen Horrorgeschichte eine Romanze, die Version aber, die dem Film letztlich als Grundlage diente, wurde von der zeitgenössischen Schriftstellerin Lilian Lee verfasst, deren Bücher schon häufiger verfilmt wurden, unter anderem von Chen Kaige (Farewell my Concubine) und Fruit Chan (Dumplings).

Ähnlich vielfältig wie ihre schriftliche Niederlegung sind auch ihre diversen Umsetzungen: in der chinesischen Oper war die Geschichte schon lange beliebt, 1956 brachte das hier bereits mehrfach gewürdigte japanische Toho Studio den Stoff in Zusammenarbeit mit dem Hong Konger Studio der Shaw Brothers als seinen ersten Farbfilm in die Kinos und bis heute folgten zahlreiche weitere Verfilmungen, für Kino wie TV, ebenso wie weitere Aufführungen als Oper, Theaterstück oder Musical.

Was Tsui Hark aber daraus gemacht hat, der nach der für alle Beteiligten wenig erfreulichen Teamarbeit dieses Films, bei Green Snake lieber gleich als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor fungierte, noch dazu unterstützt von Maggie Cheung und Joey Wang als Hauptdarstellerinnen, ist schon sehr eigen geraten: bunt, schräg und anarchisch, quer durch die Geschlechter-Klischees gepflügt und mit einigen durchaus überzeugenden, handfesten Argumenten gegen Selbstgerechtigkeit und Zölibat: „Du hast verloren!“

(Green Snake, Hong Kong 1993, Regie: Tsui Hark.)

 

The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Come Drink with Me

„Ich sagte es Dir schon einmal: Du solltest mehr beobachten und weniger kämpfen – aber Du musst ja unbedingt immer zeigen, wie gut Du in Martial Arts bist…“

Ein Vorwurf, der der hier angesprochenen jungen Dame gegenüber vielleicht ein klein wenig unfair ist, denn genau darum geht es ja schließlich in Martial Arts-Filmen. Wobei wir es hier mit einer besonderen Kategorie zu tun haben, dem Wuxia-Film, der sich von anderen Martial Arts- bzw. Kung Fu-Filmen in mancher Hinsicht unterscheidet: durch seine historisierenden und manchmal auch fantastischen Elemente zum Beispiel, denn ob die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Helden und Heldinnen noch mit Jahre langem diszipliniertem Training und Meditation zu erreichen sind, oder ob hier Übernatürliches mitspielt, bleibt meist offen und auch dadurch, dass die kämpfenden Herren es hier regelmäßig mit ihnen ebenbürtigen oder auch überlegenen, ebenfalls bewaffneten Damen zu tun kriegen.

Zudem hatte Wuxia, bevor es auf Film und Comic übertragen wurde, bereits eine lange Tradition in der Literatur und damit ausreichend Zeit, über die Jahrhunderte einen ganz eigenen Kosmos zu entwickeln. Einen wahren Kern haben die Geschichten ebenfalls, denn auch, wenn im China früherer Jahrhunderte fliegende Schwertkämpfer und -kämpferinnen wohl eher rar waren, so gab es doch ausreichend Kampf und Krieg und entsprechend viele daran Beteiligte, von denen manche wiederum den Umgang mit Waffen so weit professionalisierten, dass sie ihn hauptberuflich ausüben und mit viel Glück lange genug überleben konnten, um den Nährboden für Heldensagen zu liefern.

Doch anders als zum Beispiel in Japan, wo der Held dieses Films anfangs vielleicht ein wenig herunter gekommen wirkt, von dem wir aber dennoch annehmen dürfen, dass er als Samurai der Aristokratie angehört, entstammten ihre chinesischen Berufskollegen keineswegs nur der Oberschicht, sondern kamen aus allen Teilen der Bevölkerung.

Die historische Korrektheit darf an dieser Stelle bezweifelt werden, aber zumindest in den Wuxia-Geschichten folgen sie dabei stets ihrer eigenen, sehr individuellen Ethik und kämpfen selbstverständlich nur für das Gute – oder zumindest das, was sie dafür halten (auch Wuxia-Helden können irren), was gelegentlich miteinschließt, dass die Bevölkerung gegen eine ausbeuterische und korrupte Oberschicht verteidigt werden muss. Eine Haltung, die zwar beim Publikum immer gut ankommt, von Regierungen mit Hang zur Zensur aber meist weniger gerne gesehen wird, und dazu führte, dass Wuxia-Filme wegen ihres anscheinend subversiven Charakters in den Anfängen der chinesischen Republik zunächst einmal verboten wurden – was wiederum der in Hong Kong und Taiwan ansässigen Filmindustrie eine gerne genutzte Einnahmequelle bescherte.

Einer, der von eben dort aus das Genre mit seinen Filmen erfolgreich weiterentwickelte, war der Regisseur King Hu. Er sagte von sich, dass ihn die Bewegungen der Tänzer und Artisten der Peking Oper fasziniert hatten, er aber meinte, ihre Kunst würde durch die Bühne zu sehr begrenzt und könne im Film viel besser zur Entfaltung kommen. Folgerichtig engagierte er mit Cheng Pei-pei eine Tänzerin für die Hauptrolle seines zweiten Films Come drink with me. Ein Konzept, das aufging, denn dieser, ebenso wie seine nachfolgenden Filme, Dragon Gate Inn und besonders A Touch of Zen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und gelten heute ebenso als Klassiker des Genres, wie seine Hauptdarstellerin geradezu als Königin des Wuxia-Films.

Und wem nun die Szene, in der eine junge Dame sich gegen eine Reihe von Angreifern zur Wehr setzt und dabei eine renovierungsbedürftige Herberge hinterlässt, ebenso bekannt vor kommt, wie die Hauptdarstellerin selbst, der hat vermutlich diesen Film gesehen und liegt damit völlig richtig.

(Come Drink with Me, Hong Kong 1966; Regie: King Hu.)