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Monsoon Wedding

Tropisches Wetter in Neu-Delhi, Temperaturen um die 43°C im Schatten und nur 30 Drehtage sind nicht unbedingt die optimalen Bedingungen um einen Spielfilm von knapp 2 Stunden Dauer zu drehen. Schon gar nicht, wenn es sich um einen Film mit zahlreichen Darstellern in Haupt- wie Nebenrollen, vielen verschiedenen Drehorten und noch dazu Gesang- und Tanzeinlagen handelt. Wenn dann auch noch wesentliche der frisch gedrehten Szenen den Röntgen-Strahlen der Flughafen-Kontrolle zum Opfer fallen, wird die Situation auch nicht gerade entspannter.

Dabei war die Idee einen Film zu drehen, der einerseits typische Bollywood-Elemente enthält, aber andererseits Hand-Kameras einzusetzen und ihn so in weiten Teilen eher wie eine Dokumentation wirken zu lassen, tatsächlich gut.

Also wird einer von sechs Handlungssträngen gestrichen, es muss wieder Geld aufgetrieben werden (was Monate dauert), um die verlorenen Szenen nachdrehen zu können (in zehn Drehtagen, für mehr reicht das Geld nicht), und… die gesamte Familie wird eingespannt. Gut, wenn diese dann auch zahlreich zur Verfügung steht und ebenso willig wie einsetzbar ist und so ist es dann in jeder Hinsicht ein Familienunternehmen geworden: inhaltlich, wie in der Umsetzung, und ein erfolgreiches zudem, denn 44 Jahre nach Aparajito von Satyajit Ray war Monsoon Wedding erst der zweite indische Film, der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde und darüber hinaus war die Regisseurin Mira Nair im Jahr 2001 die erste Frau überhaupt, die den Goldenen Löwen erhielt.

(Monsoon Wedding, Indien 2001; Regie: Mira Nair.)

Hana Bi

Angeblich wollte Takeshi Kitano diesem Film den Namen „Kitano Opus Nr. 7“ geben, als unübersehbaren Hinweis darauf, dass es sich hier bereits um seinen siebten Film handelt – er hatte wohl den Eindruck, die sechs davor seien in Japan nicht ausreichend gewürdigt worden. Da aber außer ihm niemand diesen Titel mochte, wurde er schließlich „Hana Bi“ genannt, so wie die Feuerwerk-Festivals, die im Sommer in vielen Städten Japans stattfinden. Zusammengesetzt aus den Schriftzeichen für Blume und Feuer, welche, so schreibt es Takeshi Kitano im Presseheft zu Hana Bi, die beiden Leitmotive des Films symbolisieren sollen: „flower for life and fire for death“. Immerhin ein Zeichen, dass er sich mit dem Titel wohl doch noch anfreunden konnte und auch ganz zutreffend, denn gelebt, und vor allem gestorben wird hier ausgiebig. Aber, auch wenn wir lernen, dass man mit Ess-Stäbchen hässliche Dinge tun kann, ist es doch eigentlich weniger die Gewalt selbst, die gezeigt wird, sondern vielmehr die Konsequenzen, die diese nach sich zieht.

Vielleicht war das mit dem ursprünglichen Opus-Titel auch nur ein Scherz von Kitano Takeshi, wie er in der japanischen Reihenfolge der Namen heißt, was man bei ihm nicht so genau wissen kann, denn auch wenn seine Filme in Japan vielleicht nicht so gefeiert wurden, wie z. B. in Europa, so ist er dort aber unter dem Namen Beat Takeshi seit mittlerweile Jahrzehnten ein sehr beliebter Comedian. Eine seiner Fernseh-Serien, Takeshis Castle, wurde in mindestens 25 Ländern ausgestrahlt, auch in Deutschland, aber das ist noch immer kein Vergleich zum japanischen Fernsehen, wo über viele Jahre hinweg kaum etwas ohne ihn lief, und als er 1994 infolge eines schweren Motorradunfalls einige Wochen im Krankenhaus lag, brach gleich bei mehreren japanischen Fernsehsendern Panik aus, wie man die nun entstandenen Lücken füllen solle. Aus dem Unfall resultierte die Beschränkung auf etwas weniger wöchentliche Fernsehauftritte sowie ein teilweise gelähmtes Gesicht, das er allerdings ebenso gekonnt einsetzt, wie sein damals neu entdecktes Hobby, das Malen seltsamer Bilder, die auch im Film zu sehen sind.

Über mangelnde Aufmerksamkeit für seinen Film konnte sich Kitano jedenfalls nicht beschweren, auch nicht in Japan, wo Hana Bi im Jahr 1999 in fast allen existierenden Kategorien des Japanese Awards immerhin nominiert, wenn auch nur in einer davon ausgezeichnet wurde. – Massenhaft Preise gab es zum Ausgleich dann eben wieder im Rest der Welt.

(Hana Bi, Japan 1997; Regie: Takeshi Kitano.)

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs

Der Bechdel-Test, auch Bechdel/Wallace-Test genannt, geht auf die us-amerikanische Comic-Autorin und -Zeichnerin Alison Bechdel zurück, genauer gesagt, auf eine Folge ihrer Comic-Serie „DTWOF – Dykes To Watch Out For“, mit dem Titel „The Rule“. Dort sagt eine der Frauen, sie schaue sich nur Filme an, die drei grundsätzliche Anforderungen erfüllen:

1. Es müssen mindestens zwei Frau mitspielen, die

2. (auch) miteinander sprechen, und zwar

3. (auch) über etwas anderes als einen Mann.

Wohlgemerkt, es geht keineswegs darum, die grundsätzliche Qualität eines Filmes auf diese Weise zu bewerten, auch nicht um die Frage, ob der Film politisch bzw. gesellschaftlich korrekt ist, es geht lediglich darum, ob Frauen überhaupt als handelnde Personen vorkommen und ob ihre Anwesenheit zumindest in Ansätzen über bloße Dekoration hinausgeht. Und es ist schon erstaunlich, bei wie vielen Filmen dies nicht der Fall ist.

Hier gibt es das Prinzip nochmal in Wort und Bild erklärt. Und hier geht es zur Bechtel Test Movie List mit zahlreichen Positiv- und Negativ-Beispielen in chronologischer Reihenfolge.

Der Film von Pedro Almodovar aus dem Jahr 1988, der den schönen Titel „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ trägt, hat den Bechdel-Test übrigens lässig bestanden.

(Mujeres al borde de un ataque de nervios, Spanien 1988; Regie: Pedro Almodóvar.)

Les Vacances de Monsieur Hulot

… ist ein Film von Jacques Tati, und Jacques Tati ist Monsieur Hulot: ein gutmütiger, höflicher Herr, stets hilfsbereit, mit etwas altmodischen Manieren und einer charakteristischen Silhuette, der, meist unbeabsichtigt, aber sehr wirkungsvoll, Chaos in geordnete Verhältnisse bringt.

In diesem, dem zweiten Spielfilm von Jacques Tati und dem ersten von Monsieur Hulot, bringt er einen beschaulichen kleinen französischen Urlaubsort und seine zahlreich dort angereisten Gäste durcheinander, denn während er mit Kindern und Hunden prächtig auskommt, gestaltet sich sein Umgang sowohl mit Erwachsenen als auch mit unbelebten Gegenständen bisweilen eher kompliziert, obwohl er eigentlich immer freundlich und gut aufgelegt sein Bestes gibt.

Eher ungewöhnlich für einen Urlaubsfilm, brachte Tati ihn in Schwarzweiß in die Kinos, obwohl er in Farbe gedreht wurde. Auch gibt es kaum Dialoge, es wird zwar gelegentlich gesprochen, die Worte selbst bleiben aber meist im Hintergrund, während die entspannte Musik von Alain Romans und akustische Effekte dem Film seine Atmosphäre geben.

Gedreht wurde im bretonischen Saint-Marc-sur-Mer, Saint-Nazaire, an der französischen Atlantikküste, wo der Strand in Anerkennung seiner Verdienste heute „Plage de Monsieur Hulot“ heißt und man ihn selbst in Bronze gegossen findet: charakteristisch mit Hut und langer Pfeife, steht er da auf langen Beinen, den Oberkörper nach vorne gelehnt, die Hände in den Rücken gestützt, blickt er auf das Meer, und kein Zweifel, gleich wird er losgehen, ständig den Hut anhebend, um gewissenhaft nach rechts und links Feriengäste, Strandmöwen und leere Boote zu grüßen und dann wird irgendetwas schief gehen. Nichts wirklich Schlimmes, aber es wird wohl ein wenig Aufregung geben.

(Les Vacances de Monsieur Hulot, Frankreich 1953; Regie: Jaques Tati.)

Silentium

Eine kleine, böse Würdigung der Salzburger Festspiele. Und die zweite von drei Verfilmungen der gleichnamigen Krimis von Wolf Haas. Der erste Teil aus dem Jahr 2000, Komm süßer Tod, und der bislang letzte Teil von 2009, Der Knochenmann, sind auch schön anzuschauen. Alle sind mit Josef Hader, aber nur dieser ist mit Christoph Schlingensief.

(Silentium, Österreich 2004; Regie: Wolfgang Murnberger.)

Leben!

Als Mao Zedong 1966 mit der Kampagne begann, die als chinesische Kulturrevolution in die Geschichte eingehen sollte, war sie angeblich nur für einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr geplant gewesen. Als sie nach seinem Tod im Jahre 1976 langsam ihr Ende fand, war in der chinesischen Gesellschaft nichts mehr wie vorher.

Zu den von der Kulturrevolution direkt Betroffenen gehörte auch die Familie von Zhang Yimou. Sein Vater war Dermatologe, aus der Perspektive der regierenden Kommunistischen Partei ein Angehöriger der falschen gesellschaftlichen Klasse und hatte, ebenso wie einer seiner Brüder und einer seiner Söhne schon im chinesischen Bürgerkrieg auf der falschen Seite gestanden. So wurde Zhang Yimou, wie viele andere, statt die Schule zu beenden, zur Arbeit aufs Land und in eine Fabrik geschickt. Später sagte er über diese Zeit:

„The Cultural Revolution was a very special period of Chinese history, unique in the world. It was part of my youth. It happened between when I was 16 and when I was 26. During those 10 years, I witnessed so many terrible and tragic things. For many years, I have wanted to make movies about that period – to discuss the suffering and to talk about fate and human relationships in a world which people couldn’t control and which was very hostile. I would like to make not just one but many movies, both autobiographical and drawing on other people’s stories. I’ll just have to wait.“ ( IMDb, Yimou Zhang, Personal Quotes)

Und tatsächlich schaffte er es nach dem Ende der Kulturrevolution, seinem familiären Hintergrund zum Trotz, und obwohl er das Zulassungsalter schon überschritten hatte und ihm überdies auch die nötige akademische Qualifikation fehlte, 1978 an der gerade erst wieder eröffneten Bejing Film Akademie angenommen zu werden. Dort machte er 1982 seinen Abschluss, gleichzeitig mit Tian Zhuangzhuang, Chen Kaige, Zhang Junzhao und anderen, die gemeinsam als sogenannte Fünfte Generation das Kino in China grundlegend verändern und darüber hinaus auch internationale Anerkennung erringen sollten. Schon der erste Film von Zhang Yimou (Rotes Kornfeld) wurde auf der Berlinale von 1988 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Seine nächsten Filme waren für den Oscar nominiert (Ju Dou und Rote Laterne), oder erhielten den Goldenen Löwen von Venedig (Die Geschichte der Qiu Ju). Überhaupt ist er seit Beginn seiner Arbeit als Filmemacher ständig auf internationalen Film-Festivals vertreten, gerne auch mal als Mitglied der Jury.

Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb, hatte Zhang Yimou, ebenso wie die anderen Filmemacher seiner Generation, mit der chinesischen Staatsbehörde für Radio, Film und Fernsehen zu kämpfen. Und auch, wenn sich sein Verhältnis zu Regierung und Zensurbehörde in China anscheinend mittlerweile deutlich entspannt hat – immerhin war Zhang Yimou 2008 hochoffiziell mit der Regie der Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Bejing betraut – war dies nicht immer so, denn während z.B. sein Film Leben! unter anderen internationalen Auszeichnungen im Jahr 1994 den Großen Preis der Jury in Cannes und 1995 den British Academy Award erhielt, durfte er in China nicht öffentlich gezeigt werden.

(Huozhe, Volksrepublik China & Hong Kong 1992; Regie: Zhang Yimou.)

Der Mann mit der Kamera

Es beginnt mit viel Text in russischen Buchstaben (und im Falle der hier besprochenen Version, auch mit der Übersetzung ins Englische, die da lautet):

„Man with a Movie Camera/A6 reel record on film/Produced by VUFKU in 1929/ATTENTION VIEWER:/This film is an experiment/in cinematic communication of real events/Without the help of Intertitels/Without the help of a story/Without the help of theatre/This experimental work aims at creating a truly international language/of cinema based on its absolute separation/from the language of theatre and literature“

Man sieht, der Regisseur Dziga Vertov meint es ernst, mit dem Film und dem Kino. Was dann aber kommt, ist eine schnelle und abwechslungsreiche Abfolge von durchaus unterhaltsamen Bildern und Szenen, eingefangen mit nahezu allen damals zur Verfügung stehenden Aufnahmetechniken plus noch ein paar mehr, die der Filmemacher bei dieser Gelegenheit einführte. Nicht nur deshalb gilt er bis heute als wegweisend, darüber hinaus ist er ein schönes Dokument seiner Zeit, nichts wurde von Schauspielern gestellt, versicherte der Regisseur, alle sind echt und stellen nur sich selbst und ihre tatsächliche jeweilige Tätigkeit dar.

Das alles ist zudem so gut gelungen, dass es über die Jahre hinweg zahlreiche Musiker veranlasst hat, eine Filmmusik zu komponieren. Wie damals üblich, wurde der Stummfilm bei seiner Premiere 1929 ebenso, wie bei den späteren Aufführungen im Kino, zunächst von einem Klavierspieler begleitet. Die Anweisungen, die Dziga Vertov dazu geschrieben hatte, nahm z. B. der norwegische Ambient-Musiker Geir Jenssen, Künstlername Biosphere, als Grundlage seiner Version, die 1996 beim norwegischen Tromsö International Festival uraufgeführt wurde und als Musik-CD erschienen ist. Ein paar Jahre später erhielt die britische Jazz/Electronica Band The Cinematic Orchestra den Auftrag, zum Festival der Kulturhauptstadt Porto 2000 ebenfalls eine Filmmusik zu komponieren, die sowohl als Musik-CD, aber auch als DVD mit Film erschien, und im Jahr 2002 gab das British Film Institute eine DVD des Films mit Musik von Michael Nyman heraus. Und dies sind nur drei von vielen weiteren Filmmusiken.

Man kann sich Man with a Movie Camera aber auch ohne musikalische Untermalung bei archive.org ansehen und herunterladen. Vielleicht findet man ja eine passende Musik von entsprechender Länge in der eigenen Sammlung, oder man macht sich eben selbst ans Komponieren.

(Chelovek s kino-apparatom, UdSSR 1929; Regie: Dziga Vertov.)

Lawrence of Arabia

„…denn ich möchte mal wissen, welcher Film auf dieser Welt, einen Oscar erhält, in dem die weibliche Hauptrolle fehlt.“

Marlon Brando hatte ihn spielen sollen, Anthony Perkins oder Montgomery Clift, auch Alec Guiness war im Gespräch für die Hauptrolle, ebenso wie Horst Buchholz und Alain Delon für die wichtigste Nebenrolle – am Ende wurden es aber die damals noch unbekannten Peter O‘Toole und Omar Sharif.

Die Geschichte um die Rolle des Briten beim Aufstand der arabischen Stämme gegen das Osmanische Reich darf man, spätestens nach zahlreichen Wiederholungen im Fernsehen, wohl als bekannt voraussetzen, weniger bekannt ist vielleicht, dass der historische Thomas E. Lawrence als Archäologe in Syrien und Palästina unterwegs war, bevor er zum britischen Geheimdienst ging, wobei sich beide Tätigkeiten schon früh gegenseitig ergänzten.

Berühmt und zum „Lawrence of Arabia“ wurde er aber erst durch den amerikanischen Kriegsberichterstatter, Lowell Thomas der zahlreiche Berichte über ihn in die amerikanischen Zeitungen brachte und nach dem Krieg mit seinen Fotos und Filmmaterial, ergänzt um tanzende Frauen in bunten Kostümen, Räucherwerk und was eben sonst gerade an Exotismen en vogue war, in einer großen Show durch die englischsprachige Welt tourte. Mit spektakulären Reiseberichten ließ sich damals viel Geld verdienen.

Noch mehr Geld ließ sich ca. 40 Jahre später mit Kinofilmen verdienen, vor allem, wenn sich Männer wie der Produzent Sam Spiegel und der Regisseur David Lean des Themas annahmen: Der Film Lawrence of Arabia wurde ein Welterfolg und ist es bis heute, auch wenn der echte Thomas E. Lawrence durch die Darstellung von Peter O‘Toole dermaßen gut weg kam, dass selbst sein eigener Bruder ihn im Film nirgendwo wieder erkennen konnte. Überhaupt war Arnold W. Lawrence, der selbst Klassische Archäologie in Cambridge lehrte, der Ansicht, der ganze Film, der immerhin auf der Autobiographie seines Bruders beruhte, sei von vorne bis hinten reine Fiktion.

Dass es Regisseur David Lean tatsächlich mehr um die Darstellung großer Gefühle, am liebsten vor eindrucksvoller Landschaft, als um wissenschaftliche oder politische Korrektheit bei der Darstellung von historischem Geschehen ging, zeigte sich auch drei Jahre später wieder, als 1965 sein nächstes Großprojekt in die Kinos kam: aber Dr. Schiwago stand immerhin eine weibliche Hauptrolle zur Seite. Genau genommen sogar zwei, von diversen weiblichen Nebenrollen einmal abgesehen, während in Lawrence of Arabia, auf über 3 ½ Stunden Filmlänge Frauen in so gut wie keiner Szene auch nur zu sehen sind und schon gar nicht zu Wort kommen, was ihn bis heute zum vermutlich längsten und erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten macht, in dem Frauen nichts zu sagen haben und die eingangs zitierte Frage der Fantastischen Vier mit ‚nicht nur einen, sondern sieben‘ beantwortet.

(Lawrence of Arabia, Großbritannien 1962; Regie: David Lean.)

Mahanagar

Im Hinblick auf die schiere Menge an produzierten Filmen, ebenso wie auf die Anzahl der verkauften Tickets, hat Indien die größte Filmindustrie der Welt. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass Indien mit über 1,2 Milliarden Einwohnern nach der Volksrepublik China (mit über 1,3 Milliarden Einwohnern) das bevölkerungsreichste Land der Erde ist und aus 28 Bundesstaaten sowie sieben weiteren sogenannten bundesunmittelbaren Gebieten besteht, in denen über 100 verschiedene Sprachen gesprochen werden, mit Hindi und Englisch als überregionalen und 21 weiteren regionalen Amtssprachen.

Dementsprechend vielfältig ist das Kino Indiens: Während die als Bollywood bekannte Filmproduktion mit ihrem Hauptsitz in der Hauptstadt Mumbai ihre Filme meist in Hindi produziert und für ihre aufwendigen Unterhaltungsfilme mit Gesangs- und Tanzeinlagen bekannt ist, gelten die im Bundesstaat Westbengalen in der Landessprache Bengali produzierten Filme als eher intellektuell und anspruchsvoll. Einer der bekanntesten und international erfolgreichsten Vertreter des indischen bzw. bengalischen Autorenfilms war Satyajit Ray, der in Indien ungefähr zur gleichen Zeit begann Filme zu drehen, als dies in Europa Ingmar Bergman und Federico Fellini und in Japan Akira Kurosawa auch gerade taten. Und während Ingmar Bergman einmal einen seiner eigenen Filme als lausige Imitation eines Kuroswa-Films bezeichnete, und Fellini Kurosawa das größte lebende Beispiel all dessen, was ein Film-Autor sein solle, nannte, sagte Akira Kurosawa seinerseits über seinen Freund und Kollegen Satyajit Ray seine Filme nicht zu kennen, sei wie in der Welt zu existieren, ohne die Sonne und den Mond zu sehen.

Überdies war Ray ausgesprochen produktiv: zwischen 1955 und 1991 drehte er 29 Spielfilme plus sieben Dokumentationen, und schrieb nebenbei nicht nur Drehbücher, sondern auch in Indien sehr populäre Kurzgeschichten, vorzugsweise Science Fiction und Krimis.

Aber während ihm bereits sein Debüt-Film aus dem Jahr 1955, Pather Panchali, den er später zu einer Trilogie ausbaute, internationale Anerkennung und zahlreiche Auszeichnungen, unter anderen 1956 die Goldene Palme in Cannes einbrachte, wurde er in Deutschland erst viele Jahre später und auch dann zunächst nur einem sehr begrenzten Publikum zugänglich gemacht, nämlich als er 1964 mit seinem Film Mahanagar (zu deutsch: Die Großstadt) zur Berlinale eingeladen wurde, wo er dann auch den Silbernen Bären für die beste Regie erhielt. Drei Jahre später, am 11. 3. 1967, war Mahanagar einer der ersten indischen Filme überhaupt, die im deutschen Fernsehen, genauer gesagt dem WDR, gesendet wurden.

Als er 1982 in einem Interview gefragt wurde, ob es ihn denn überrascht habe, dass seine Filme auch außerhalb von Indien so gut aufgenommen wurden, antwortete Ray: „Ich hätte nie gedacht, dass irgendeiner meiner Filme, schon gar nicht Pather Panchali, in einem anderen Land gesehen würde. Die Tatsache, dass es so war, ist ein Hinweis darauf, dass, wenn es einem gelingt, allgemeingültige Empfindungen, Gefühle und Charaktere zu zeichnen, man gewisse Schranken überwinden und andere erreichen kann, auch Nicht-Bengalen.“

Und gerade Mahanagar ist ein schönes Beispiel dafür, wie recht er damit hatte, denn auch fast 50 Jahre nach seiner Entstehung wirkt dieser Film intensiv, seine Charaktere sind authentisch und aufrichtig, und selbst sein Thema ist noch immer aktuell, fast überall auf der Welt.

(Mahanagar, Indien 1963; Regie: Satyajit Ray.)

Wilde Erdbeeren

Es gibt zahlreiche internationale Filmfestivals, die meisten davon finden jährlich statt und fast alle vergeben Preise, wobei Kategorien wie „Bester Film“ und „Bester Regisseur“ selbstverständlich immer vertreten sind. Folglich ist im Laufe der Zeit so Einiges zusammengekommen, an ‚ausgezeichneten‘ Filmen, wie auch an ebensolchen Filmemachern. Wenn aber eine Jury aus ihrerseits preisgekrönten Filmregisseuren einen „Besten Filmregisseur aller Zeiten“ kürt, so wie 1997, anlässlich des 50. Jubiläums der Filmfestspiele von Cannes geschehen, dann liegt es wohl in der Natur der Sache, dass dieser Preis nicht gerade dazu geeignet ist, inflationär zu werden.

Selbst für Ingmar Bergman, der damals fast 80 Jahre alt war und in seinem Leben viele Auszeichnungen, nicht nur in Cannes, erhalten hatte, dürfte dies wohl eine besondere Art der Ehrung gewesen sein. Trotzdem machte er sich nicht die Mühe, selbst nach Cannes zu reisen, um sich dort feiern zu lassen, lieber schickte er einen Fernsehfilm als Beitrag („Lamar och gör sig till“/ „Dabei: ein Clown“) und seine Tochter Linn Ulmann um die „Palme der Palmen“ unter dem Applaus von 28 Filmregisseuren, jeder davon ebenfalls im Besitz mindestens einer Goldenen Palme, entgegen zu nehmen.

Er selbst hingegen zog es vor, daheim zu bleiben, in seinem Haus auf der Insel Farö, das nach seinen Vorstellungen gestaltet war und wo er, wie er ein paar Jahre später in einem Interview erzählte, zwar manchmal tagelang mit niemandem ein Wort wechselte, sich aber dennoch nicht als einsam empfand (Zitat ab 4:25 min).

Ein zurückgezogenes Leben in einem schönen Haus, Jemand, der sich um den Haushalt kümmert, ansonsten nicht allzu viel menschlicher Kontakt, so lernen wir auch Professor Isaak Borg kennen, den Protagonisten aus Wilde Erdbeeren – allerdings wurde dieser Film bereits 40 Jahre vor besagter Preisverleihung in Cannes gedreht und Bergman war damals erst Ende Dreißig. Sein Hauptdarsteller, Victor Sjöström, hingegen, ehemals selbst ein gefeierter Hollywood-Regisseur der Stummfilmzeit, brachte mit knapp 80 Jahren durchaus das erforderliche Alter und die nötige Reife für diese, seine letzte Rolle, mit. Was die Zusammenarbeit der beiden aber wohl auch nicht immer vereinfachte, zumindest erzählte Bergman später gerne, dass Sjöström während der Dreharbeiten hauptsächlich an seinem frühen Feierabend sowie dem dazugehörigen, pünktlich servierten Glas Whisky gelegen war.

Der schwedische Originaltitel des so im Jahre 1957 entstandenen Films lautet Smultronstället, was nicht nur, wie der deutsche Titel, Wilde Erdbeeren bedeutet, sondern auch einen vielleicht unscheinbaren, aber besonderen Ort meinen kann, an dem persönliche Erinnerungen hängen. Auch der Vorname des Helden, Isaak, hat seine spezielle Bedeutung, aus dem Hebräischen übersetzt heißt er „Gott möge lächeln“, was man bei Ingmar Bergman, Sohn eines lutherischen Pastors, der in vielen seiner Filme seine Bibelfestigkeit unter Beweis stellte, wohl als gewusst und beabsichtigt voraussetzen darf.

Und, ja, selbstverständlich wurde auch dieser Film mehrfach ausgezeichnet, wenn auch nicht in Cannes, aber 1958 mit dem Goldenen Bären in Berlin, 1959 mit dem Astor de Oro als „Bester Film“ und Victor Sjöström als „Bester Darsteller“ beim Mar del Plata in Argentinien und im Jahr 1960 in Los Angeles bei der Verleihung der Golden Globes mit dem Samuel Goldwyn International Award.

(Smultronstället, Schweden 1957; Regie: Ingmar Bergman.)