Category Archives: Therapeutische Maßnahme

Jing Ke ci Qin Wang

„It is a country that has no past. Political regimes systematically robbed us of history and it’s only now that we are beginning to get it back.“ Der Regisseur Chen Kaige, der dies über sein Heimatland China sagt, hat ebenso wie Zhang Yimou, die sogenannte Kulturrevolution in China als Teenager erlebt. Beide gehörten später zum ersten Jahrgang der 1978 wieder eröffneten Pekinger Filmakademie. Wobei es Chen Kaige war, der als Regisseur gleich mit seinem ersten Film „Gelbe Erde“ internationalen Erfolg hatte, während Zhang Yimou hier den Kameramann machte.

In einem anderen Interview sagte Kaige, dass historische Themen bei den Filmemachern in China auch deshalb sehr beliebt seien, weil man es bei zeitgenössischen Themen immer mit der Politik zu tun kriege. Ganz besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei die Geschichte des ersten Kaisers von China, dem es nach Jahrhunderten mit ständigen Kriegen gelang, die vormals sieben Königreiche zu unterwerfen und zu einem einzigen, großen Kaiserreich zusammenzufügen. Dass er dabei weniger auf gutes Zureden und Diplomatie setzte, sondern auf Waffen und Gewalt, ist wohl naheliegend, allerdings wird seine Geschichte so erzählt, dass er dabei auch weit über das notwendige Maß hinaus zerstörerisch und brutal bis hin zur Grausamkeit sein konnte. Das perfekte Thema also, um sich mit so zeitlos aktuellen Fragen wie Menschenwürde, Machtstreben und Verantwortung, Allgemeinwohl contra Freiheit des Individuums und der Rechtfertigung von Gewalt auseinanderzusetzen.

Sollte Chen Kaige aber tatsächlich angenommen haben, dass er hier einen guten Weg gefunden hatte, seinem Land einerseits mit den Mitteln des Films einen Teil seiner Geschichte zurückzugeben, und gleichzeitig weitgehend unbehelligt von der chinesischen Zensurbehörde zu bleiben, so lag er falsch: es gab eine ganze Menge an Hindernissen zu überwinden, wobei die wirkungsvollste Methode, einen Monumentalfilm zu verhindern natürlich immer darin besteht, ihm das Geld zu streichen, was wiederum dazu führte, dass „Jing Ke ci Qin Wang“ (The Emperor and the Assassin) zwar für einige Jahre der teuerste Film war, der in China von einem chinesischen Regisseur gedreht worden war – allerdings überwiegend finanziert mit Geld aus Japan und Frankreich.

Als aktuell teuerster und aufwendigster chinesischer Film gilt laut IMDB zur Zeit übrigens der Film von Kaiges oben schon erwähnten Kollegen Zhang Yimou, den dieser vier Jahre später zu genau demselben Thema drehte, allerdings sieht hier das Ergebnis vollkommen anders aus

(Jing Ke ci Qin Wang, China 1998; Regie: Chen Kaige.)

The Fountain

Als das Kronos Quartet im Jahr 1973 von David Harrington in Seattle gegründet wurde, war Darren Aronofsky gerade einmal 4 Jahre alt. Und während die Musiker des Streichquartetts in den vergangenen fast 40 Jahren in teilweise wechselnder Zusammensetzung weltweit tausende von Konzerten gegeben haben, mehr als 45 Platten einspielten und dafür mit zahlreichen Preisen bedacht wurden, hat es Aronofsky als Filmregisseur bisher auf gerade einmal drei kurze und fünf lange Filme gebracht, für die er allerdings auch schon eine ganze Reihe von Auszeichnungen erhalten hat. Von Anfang an widmete sich das Kronos Quartet hauptsächlich der zeitgenössischen Musik und hier besonders gerne den Komponisten der Minimal Music, wie Terry Riley, Steve Reich und Philipp Glass, was sie auch schon früh in den Bereich Filmmusik führte: 1985 und 1999 spielten sie für Philipp Glass die Soundtracks zu „Mishima“ und „Dracula“ ein, worauf in den Jahren 2000 und 2006 die Zusammenarbeit mit Clint Mansell folgte, der für seinen Freund Aronofsky die Musik zu den Filmen „Requiem for a Dream“ und „The Fountain“ komponiert hatte. Bei der Musik zu The Fountain stieß dann auch noch die schottische Postrock Band Mogwai hinzu und alles in allem konnte bei derart eingespielten Profis praktisch nichts mehr schief gehen.

Allerdings war die Filmmusik auch so ziemlich das Einzige, was an The Fountain auf Anhieb und reibungslos funktionierte. Denn ansonsten musste Aronofsky das Skript mehrfach umschreiben und kürzen und die ursprünglich vorgesehenen Hauptdarsteller sprangen kurz vor dem geplanten Drehbeginn ab, um sich anderen Projekten zu widmen, was wiederum zur Folge hatte, dass der Film von der Produktionsfirma Warner Brothers zunächst auf Eis gelegt und erst nach weiteren zwei Jahren und nur mit einem um die Hälfte reduzierten Budget realisiert wurde.

Während dies alles Aronofsky wahrscheinlich einiges an Kraft und Nerven gekostet hat, tat es dem Film selbst aber in mancher Hinsicht gut: das ursprüngliche Skript war nicht verloren, sondern wurde vom Zeichner Kent Williams in ein Comic umgesetzt und man mag sich auch lieber nicht vorstellen, was es für ein Film geworden wäre, hätten tatsächlich Brad Pitt und Cate Blanchet statt Hugh Jackman und Rachel Weisz die Hauptrollen gespielt. Nicht zuletzt die Budget-Kürzung trug aber auch dazu bei, dass Aronofsky statt teure CGI-Technik bei den Spezialeffekten einzusetzen, auf solides Handwerk, zum Beispiel die Petrischalen des Peter Parks, zurückgriff. Dieser hatte sich nämlich darauf spezialisiert, von ihm herbeigeführte chemische Reaktionen abzufilmen, die, auf das Großformat einer Kinoleinwand projiziert, überwältigend schöne Bilder schaffen – die perfekte Ergänzung zu einem Film, in dem ansonsten Krankenhäuser aussehen, wie Raumschiffe und Raumschiffe wie fliegende Gärten. Wem also die Handlung zu pathetisch erscheinen sollte, dem bleibt noch immer die Möglichkeit, ganz einfach Bilder und Musik auf sich wirken zu lassen, was in diesem Falle auch schon völlig ausreichend ist, für großes Kino.

(The Fountain, USA 2006; Regie: Darren Aronofsky.)

Mind Game

Vom japanischen Anime Studio 4°C war hier schon im Zusammenhang mit Genius Party die Rede. Einer der schönsten Beiträge dieser Kurzfilm-Anthologie ist „Happy Machine“, dessen Regisseur Masaaki Yuasa vier Jahre vorher ebenfalls für das Studio 4°C beim abendfüllenden Animefilm „Mind Game“ Regie geführt hatte. Unterstützt wurde er dabei von Koji Morimoto und Shinchiro Watanabe, die mit „Dimension Bomb“ und „Baby Blue“ später ebenfalls Beiträge zu Genius Party bzw. Genius Party Beyond lieferten.

Auch bei Mind Game sind, wie bei den zwei Genius Party Filmen, verschiedene Animations- und Zeichenstile in einem Film versammelt, allerdings nicht in mehreren in sich geschlossenen Episoden verschiedener Autoren, sondern um nur eine einzige, fortlaufende, in sich verschachtelte Geschichte zu erzählen, die auf der gleichnamigen Manga-Serie von Robin Nishi beruht. Zusätzlich kamen Schauspieler zum Einsatz, die teilweise überzeichnet oder mit Animationen kombiniert wurden. Überhaupt sind die verschiedenen Stile hier nicht fein säuberlich von einander getrennt, sondern wechseln sich in rascher Folge ab, fließen ineinander, überlagern und ergänzen sich, was ebenso bunt, einfallsreich und skurril ist, wie die Geschichte, die sie erzählen, und das, obwohl es doch eigentlich um sehr ernste Themen geht: um das Überwinden von Ängsten und Hindernissen, um Liebe, das Leben und den ganzen Rest. Und Gott kommt auch zu Wort.

(Mind Game, Japan 2004; Regie: Masaaki Yuasa.)

Sita sings the Blues

Wenn man auch am Beispiel dieses Films sehen kann, dass es zur Zeit ganz hilfreich ist, englisch zu verstehen, um deutsche Klassiker im Internet anzuschauen, so soll dies natürlich keineswegs bedeuten, dass die in den USA geltenden Copyright-Regelungen es den Filmschaffenden einfacher machen würden. Denn auch, wenn man den Film komplett selbst macht, die Musik bei Freunden in Auftrag gibt und sich versichert, dass auf die Lieder, die man zusätzlich verwenden möchte, kein Copyright mehr besteht, so heißt das noch lange nicht, dass niemand in den USA Forderungen stellen kann, von der deutschen GEMA mal ganz zu schweigen…

Aber fangen wir von vorne an: Das Ramayana ist eine der großen epischen Erzählungen der indischen Mythologie. Es handelt von den Prüfungen und Erlebnissen des Prinzen Rama und seiner Frau Sita und wurde, nachdem es Jahrhunderte lang überwiegend mündlich überliefert worden war, vor etwa 2000 Jahren in seiner heute bekannten Fassung schriftlich niedergelegt, was es ausgesprochen schwierig macht, darauf ein wie auch immer geartetes Copyright anzumelden. Wenn nun die Amerikanerin Nina Paley dieses mit sehr zeitgemäßen eigenen Erlebnissen verknüpft und in fünf Jahre langer Arbeit am heimischen Computer daraus einen Animations-Film macht, dann sollte man eigentlich davon ausgehen, dass alle daraus resultierenden Rechte ausschließlich bei ihr liegen.

Auch dann noch, wenn sie ihren Film mit Liedern der in den 1920ern und frühen 30er Jahre populären Jazz-Sängerin Annette Hanshaw unterlegt, da sie sich vorher versichert hatte, dass auf diese kein Copyright besteht. Was Annette Hanshaw anging, so lag Nina Paley damit auch richtig, allerdings gibt es in den USA noch eine ganze Reihe darüber hinaus gehender Copyrights, zum Beispiel Rechte auf die Aufnahmen, auf die Komposition und den Liedtext sowie das Recht, die Aufnahmen mit Bildern zu unterlegen (mehr dazu hier), welche sie nicht eingeholt hatte, was dazu führte, dass mit der Publikation ihres Filmes Forderungen von annähernd 220.000 Dollar auf sie zukamen. Nach langen Verhandlung einigte man sich darauf, die Rechte gegen eine Gebühr von immer noch 50.000 Dollar an Nina Paley zu vermieten und ‚Sita sings the Blues‘ konnte seine Premiere im Jahr 2008 auf der Berlinale feiern.

Da die Künstlerin selbst eine engagierte Vertreterin der Free Culture Idee ist, hat sie ihren Film zudem unter eine Creative Commons Lizenz gestellt, weshalb er legal und kostenlos sowohl auf ihrer eigenen Website, als auch bei Archive.org angeschaut und heruntergeladen werden kann. Und weil es ein wirklich schöner und origineller Film ist, wurde er verdientermaßen in den letzten Jahren mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht.

Soweit hätten nun also eigentlich alle Beteiligten zufrieden sein können, hätte nicht eines Tages die GEMA ‚Sita sings the Blues‘ bei Youtube entdeckt, einen Urheberrechtsverstoß gewähnt und den Film für Deutschland kurzerhand und ohne bei der Urheberin nachzufragen, bei Youtube sperren lassen. Was wiederum dazu führte, dass Nina Paley selbst einen Film bei Youtube einstellte, in welchem sie die ganze Rechtelage erneut erklärte und zusätzlich den Lizenzvertrag in die Kamera hielt: „…it does say: ‚Licensed Territory: The world‘ – it does not say, the world except Germany, where GEMA can block whatever they want.“

Es scheint gewirkt zu haben, denn auch, wenn die GEMA ihrerseits weder einen Film bei Youtube einstellen ließ, in welchem sie ihr Vorgehen erklärt, noch einen, in dem sie sich offiziell für den Fehler entschuldigt, so ist ‚Sita sings the Blues‘ – zumindest bis auf Weiteres – auch dort wieder abrufbar. Den Download und weitere Hinweise sowie Links auf andere Websites und Formate findet man aber übersichtlicher zusammengestellt auf der von Nina Paley selbst eingerichteten Website: sitasingstheblues.com.

(Sita sings the Blues, USA 2008; Regie: Nina Paley.)

Vargtimmen

Davon, dass Ingmar Bergman in seinem Leben oft mit Ehrungen und Auszeichnungen bedacht wurde, und wie er darauf reagierte, war hier schon an anderer Stelle die Rede. Als einer seiner bekanntesten, nicht nur preiswürdigen, sondern auch einflussreichsten Filme gilt bis heute Persona. Wesentlich weniger bekannt ist hingegen Vargtimmen, obwohl er gewissermaßen die andere Hälfte von Persona darstellt, denn beide Filme gehen auf das gleiche Manuskript mit dem Arbeitstitel „Die Menschenfresser“ zurück, das Bergman 1964 während eines langen Krankenhausaufenthalts schrieb. Wieder genesen erschien ihm das Skript zunächst als zu aufwendig und teuer zu verfilmen, weshalb er es in reduzierter und damit auch konzentrierterer Version drehte. Nach Abschluss der Dreharbeiten zu Persona scheinen ihm aber doch einige Ideen und Motive aus dem ursprünglichen Manuskript zu wichtig gewesen zu sein, um sie einfach fallen zu lassen und so kam es zu Vargtimmen, zu deutsch: Die Stunde des Wolfes.

Dass dieser Film, gemessen an seinem Vorgänger, ein weniger großer Erfolg wurde, dürfte wohl damit zusammenhängen, dass er, selbst für einen Bergman, sehr düster geraten ist. Zudem verabschiedet er sich hier von herkömmlichen Erzählformen: die Geschichte ist ineinander verschachtelt und damit ähnlich verwirrt wie der nervliche Zustand des Protagonisten. Aber auch Vargtimmen hat, wie viele Filme von Bergman, autobiographische Züge: so lässt er Max von Sydow als Johan Borg einiges Erhellendes zum Thema Künstlerdasein sagen und eine kurze, aber sehr intensive Szene, in der es um Schränke, elterliche Bestrafung und daraus resultierende Kindheitstraumata geht, könnte ziemlich genau so, wie sie im Film geschildert wird, auf Bergmans eigene Erinnerungen zurück gehen, wobei sie den erst vor kurzem ebenfalls gefeierten und mit zahlreichen Auszeichnungen versehenen Film von Michael Haneke, Das weiße Band, geradezu vorweg nimmt. Allerdings, während Haneke seine Geschichte in 144 Minuten erzählt, reichen bei Bergman nur wenige Sätze.

(Vargtimmen, Schweden 1968; Regie: Ingmar Bergman.)

Tokyo Godfathers

Und noch ein Weihnachtsfilm: Es ist Heiligabend, man singt „Stille Nacht“ auf Japanisch und in den Straßen Tokyos ist eine heilige Familie der besonderen Art unterwegs. Natürlich mit Kind.

(Es gab da wohl auch im Jahre 1948 mal einen Western von John Ford, mit dem Titel „Three Godfathers“, der hier irgendwie als Vorlage diente, aber dessen Geschichte ist eigentlich eine ganz andere, und er spielte natürlich auch nicht in Tokyo und war kein Anime, sondern mit John Wayne, weshalb er hier nicht weiter von Interesse ist.)

Die drei Paten in „Tokyo Godfathers“, hingegen wurden vom früh verstorbenen Satoshi Kon kreiert, der nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch für die Regie verantwortlich war und der von sich selbst sagte, er sei die üblichen Klischees der japanischen Animes in Massenproduktion – „robots and beautiful little girls“ – einfach leid, weshalb es hier konsequenterweise weder das eine noch das andere zu sehen gibt, denn Roboter sind in diesem Teil Tokyos ferne Luxusprodukte und kleine Mädchen kratzbürstig bis aggressiv.

Überhaupt sind die Heldinnen und Helden dieser Geschichte, ebenso wie ihre näheren Lebensumstände, eher ungewöhnlich, nicht nur für einen japanischen Zeichentrickfilm, den man übrigens, wie ja eigentlich alle Filme, unbedingt in der Originalfassung schauen sollte, denn die japanischen Sprecher machen ihre Sache unübertreffbar gut. Fürs Verständnis gibt es ja Untertitel und man kann auch gleich ein paar interessante japanische Redewendungen und Schimpfwörter mitnehmen. Von Letzteren einmal abgesehen: ja, dieser Film ist kitschig, aber das ist Weihnachten schließlich auch. Und wer das nicht aushalten kann, schaut sich zur Erholung einfach nochmal diesen Film hier an.

(Tokyo Godfathers, Japan 2003; Regie: Satoshi Kon.)

The Ice Harvest

Weihnachten: „what a wonderful season – so full of mutual understanding!“ Und welche Zeit könnte auch besser geeignet sein für das perfekte Verbrechen, als diese? Während die Einen das Fest der Liebe im trauten Kreise der Familie begehen, und die Anderen zu diesem Zweck Strip-Bars oder Bordelle aufsuchen, haben die Dritten freie Bahn um große Mengen Geldes an sich zu bringen.

Als „The Ice Harvest“ im November 2005 in die amerikanischen Kinos kam, war sein Einspiel-Ergebnis schon am ersten Wochenende dermaßen miserabel, dass er nach nur drei Wochen wieder aus selbigen verschwand; außerhalb der USA war er überhaupt fast nur im Rahmen von Film Festivals im Kino zu sehen und selbst die DVD findet sich – wenn überhaupt – dann oft nur sehr weit hinten und tief unten im Regal der Videotheken. Die bei weitem meisten Kritiker mochten den Film nicht, in der IMDB kommt er aktuell auf gerade einmal 6.2 Punkte und bei Rotten Tomatoes nur auf vernichtende 46%. Und das bei einem Film, der nicht nur mit John Cusack, Billy Bob Thornton und Oliver Platt in den Hauptrollen, sondern auch in nahezu jeder noch so kleinen Nebenrolle mehr als überzeugend besetzt ist, bei dem Harold Ramis Regie geführt hat (Ghostbusters: Schauspieler und Drehbuch; Groundhog Day: Regie und Drehbuch), und in dem man nebenbei auch noch allerlei Wissenswertes über die Vorzüge deutscher Autos gegenüber jenen amerikanischer Bauweise erfahren kann.

Vielleicht weckte die Vorweihnachtszeit als Starttermin aber auch die falschen Erwartungen, denn ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie ist The Iceharvest wohl eher nicht. Oder, um es ausführlicher zu sagen, nämlich mit der amerikanischen Website, deren vielsagender Titel „commonsensemedia“ lautet und die Eltern Empfehlungen für kindgerechten Medienkonsum gibt („We are the nation’s leading independent non-profit advocating for kids“):

„Parents need to know that this movie isn’t for kids. (…) it shows repeated arguments among friends and family members: one man argues with his wife; a young boy yells at his father; another man shoots his wife (off screen); two best friends eventually bond over their mutual hatred of the woman they have both married, one after the other. Characters lie, cheat, fight, and vomit. They drink to drunkenness (one from a flask while driving), smoke cigarettes, and hang out in strip clubs. Acts of violence involve handguns, shotguns, knives, and cars.

Eben. Nicht geeignet also, um Besinnlichkeit an den Festtagen herbeizuführen, aber pure Therapie für alle, die genau das vermeiden möchten. Ho, ho, fucking ho!

(The Ice Harvest, USA 2005; Regie: Harold Ramis.)

The Innocents

„Horror-Movies come in two styles, visually: One of them in your face and the other at the corner of the retina.“

Novelle, Theaterstück, Oper und Film: „The Turn of the Screw“ von Henry James erschien im Jahr 1898 zunächst als Fortsetzungsgeschichte in einem amerikanischen Magazin, bevor sie 1908 als Novelle publiziert wurde. Ungefähr ein halbes Jahrhundert später machte William Archibald daraus ein Theaterstück, das seine Premiere 1950 am Broadway feierte, und 1954 hatte Benjamin Brittens gleichnamige Oper in zwei Akten in Venedig ihre Uraufführung. – Reichlich Vorlagen, also mit denen sich Regisseur Jack Clayton auseinander zu setzen hatte, als er wenige Jahre später daran ging, auch noch einen Film aus der Geschichte zu machen. Gleich mehrere professionelle Drehbuchschreiber wurden herangezogen, wobei Clayton später betonte, dass 90% der im Film enthaltenen Ideen auf Truman Capote zurückgehen, der nicht nur Untertöne á la Freud in die Handlung einbrachte, sondern in zahlreichen Bildern auch eines seiner Lieblingsthemen – die Dekadenz, den Zerfall hinter der Schönheit – unterbringen konnte.

Eine größere Schwierigkeit ergab sich daraus, dass – wie damals bei allen Filmen des Studio Fox – in Cinemascope gedreht werden musste, in eben jenem Format, von dem Fritz Lang bei Godard sagt, es sei nur für Schlangen und Beerdigungen geeignet. Hier aber war es der Kameramann Freddy Francis, der Mittel fand, um das ungeliebte Format in den Griff zu kriegen: z. B. indem er viel Licht einsetzte, um entweder ganze Szenen durchgehend strahlend hell zu erleuchten, oder andererseits einen Tunnel-Effekt erzielte, indem er das Licht auf die handelnden Personen in der Mitte konzentrierte, während die Ränder dunkel blieben. Darüber hinaus fügte er zahlreiche vertikale Linien ein, die den weiten Cinemascope-Rahmen unterteilten: z. B. Bettpfosten, Säulen und Statuen.

Beides konnte allerdings auch missverstanden werden, denn wenn des nächtens Frauen in langen weißen Nachthemden mit tropfenden Kandelabern in der Hand durch die dunklen Flure großer, düsterer Schlösser laufen, erwartet man heute wie damals unwillkürlich, dass Dracula oder einer seiner Genossen auftaucht, da dieses Klischee, ebenso wie wehende Vorhänge, tickende Großvateruhren und grimmig blickende pseudo-antike Statuen, zum Stil-Katalog der damals sehr populären Hammer Film Productions gehörte, die auch heute noch, nicht zuletzt dank zahlreicher Fernseh-Wiederholungen, fest im Bewusstsein der Zuschauer verankert sind.

Dies war allerdings eine Parallele, die Clayton gar nicht recht war, denn anders als Freddie Francis, der nach „The Innocents“ einige Jahre als Regisseur für die Hammer Film Productions arbeitete, wollte Clayton seinen Film keineswegs in dieser Ecke angesiedelt wissen, sondern suchte vielmehr die Nähe zu den deutlich subtileren Horrorfilmen der 30er und 40er Jahre, was sich unter anderem auch darin äußerte, dass er auf Technicolor verzichtete und seinen Film in schwarz-weiß drehte. Was wiederum bei Kritikern wie Publikum oft nicht richtig ankam: während die Anhänger der Hammer-Filme sich langweilten und die Schockeffekte vermissten, sahen die Vertreter der anderen Richtung wiederum für ihren Geschmack entschieden zu viel Hammer-Style. (Wobei es natürlich auch andere Meinungen gab – Francois Truffaut z. B., soll Jack Clayton, als sie sich zufällig in einem Restaurant begegneten, die seine schriftlich auf einer Serviette überreicht haben: dies sei der beste britische Film, seit Alfred Hitchcocks Übersiedlung in die USA – was vermutlich das höchste Lob war, das Truffaut überhaupt zu vergeben hatte.)

Den bleibenden Eindruck, den „The Innocents“ im Genre der Horror-Filme hinterlassen hat, sieht man aber vor allem daran, dass er über die Jahrzehnte immer wieder von anderen zitiert wurde. Stanley Kubricks „Shining“ z. B. zeigt einige Parallelen: das große Haus mit den vielen Zimmern im Kontrast zum labyrinthisch angelegten Garten, die Geistererscheinung und vor allem bei der Schluss-Szene. Alejandro Amenábar hingegen scheint hier nicht nur reichlich Anregung, sondern auch den Titel für seinen Film gefunden zu haben: „We‘ve got the whole house to ourselves. – More or less. There are still… the others.“ Und in der amerikanischen Verfilmung von „Ring“ ist sogar eine kleine Hommage versteckt, denn das singende Kind, dass auf dem Video zu hören ist, stammt ebenfalls aus „The Innocents“ .

Überhaupt kann man Ideen und Motive aus „The Innocents“ in vielen späteren Filmen entdecken, möglicherweise in sehr vielen Filmen, wobei natürlich nicht ganz auszuschließen ist, dass man hier Verbindungen sieht, die gar nicht da sind, denn: „Sometimes you can‘t help imagining things…“

(The Innocents, Großbritannien 1961; Regie: Jack Clayton.)

Ring

„You know what, Mum? – Yes? – Tomo-chan watched the cursed video!“

Diesen Film sollte man sich eigentlich auf Video ansehen, vielleicht sollte man sein Telefon vorher ausschalten und vermutlich wird man seinen Fernseher anschließend mit anderen Augen sehen, aber eine DVD ist hier eigentlich nicht das passende Medium.

Der japanische Film Ring oder Ringu aus dem Jahr 1998 gilt noch immer als erfolgreichster japanischer Horrorfilm, sowohl in Japan selbst, als auch international. Und auch wenn Kouji Suzuki, der Autor der zugrunde liegenden Geschichte, durchaus schon einmal erzählt, er habe sich von Poltergeist (1982) inspirieren lassen, so hat der Film doch in erster Linie seinen ganz eigenen, unverkennbaren und mittlerweile oft kopierten Stil, der nicht nur zwei Sequels, ein Prequel und eine koreanische Neuverfilmung nach sich zog, sondern eigentlich, ebenso wie dieser Film hier, gleich ein ganzes Genre begründet hat, woran auch die Tatsache, dass das Medium, auf das er sich bezieht, schon lange nicht mehr allgemein gebräuchlich ist, bis heute nichts geändert hat.

Selbstverständlich gibt es auch ein Hollywood-Remake, das in diesem, aber auch nur in diesem Falle, sogar sehenswert ist, denn die amerikanische Fassung The Ring von 2002 von wurde nicht nur mit allerlei Zitaten und Metaphern ausgestattet – was Letztere angeht, regnet es zum Beispiel viel in diesem Film, so wie Wasser hier überhaupt allgegenwärtig ist, und auch Ringe als Motiv, egal ob als Zahlen auf Türen oder als Muster auf Hemden, wurden geradezu obsessiv verteilt – darüber hinaus erfährt aber auch die Geschichte selbst einige Abwandlungen und was beide Filme im Vergleich gesehen, über die Gesellschaften aussagen, in denen sie sich abspielen, ist ebenfalls sehr aufschlussreich.

Wobei letzten Endes natürlich für beide Filme sowie sämtliche Sequels, Remakes und Nachahmungen, dasselbe gilt, was für Horrorfilme, ebenso wie für Gespenstergeschichten, schon immer galt: „This kind of thing… it doesn’t start by one person telling a story. It’s more like everyone’s fear just takes on a life of its own Fear… – Or maybe it isn’t our fear, maybe it’s what we secretly hope is true.“

(Ring, Japan 1998; Regie: Hideo Nakata & The Ring, USA 2002; Regie: Gore Verbinski.)

Una pura Formalità

Wenn in einem Film Roman Polanski und Gerard Depardieu als Schauspieler aufeinandertreffen, kann eigentlich nicht viel schief gehen. Am besten, man gibt ihnen eine ganze Menge Text und viele Großaufnahmen, hält die Nebenrollen winzig, damit niemand von ihnen ablenken kann, räumt selbst die Filmkulisse von möglicherweise störenden Elementen frei und vermeidet lästige Unterbrechungen, wie z. B. durch allzuviele Szenenwechsel oder Special Effects.

Um auch bei der Filmmusik auf Nummer sicher zu gehen, gibt man diese dann noch bei Ennio Morricone in Auftrag, und dann… ja, dann bleibt eigentlich nur noch, sich zurückzulehnen und „Action“ zu sagen, während der Rest sich ganz von alleine abspielt.

So ist es wahrscheinlich nicht gewesen, vermutlich hat Regisseur und Drehbuchautor Giuseppe Tornatore, ebenso wie die vielen anderen Beteiligten, sehr viel Arbeit in „Una pura Formalità“ (Eine reine Formalität) gesteckt, aber dem Ergebnis merkt man das nicht an. Es macht viel mehr den Eindruck, als hätten Polanski und Depardieu dieses Kammerspiel gemeinsam für sich entwickelt und als hätte die Kunst des Filmemachens in diesem Fall ganz einfach nur darin bestanden, das richtige Umfeld zu schaffen und die beiden Hauptdarsteller dann nicht mehr weiter zu stören.

(Una pura Formalità, Italien 1994; Regie: Guiseppe Tornatore.)