Category Archives: Therapeutische Maßnahme

The Swordsman

Zum wahren Heldentum, so könnte man meinen, gehört in erster Linie die Unfähigkeit, sich vorab über die möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns klar zu werden und auch von den Helden dieses Films kann man sagen, dass sie zumindest eine gewissen Sorglosigkeit auszeichnet: heiter und unbeschwert gehen sie ihrer Wege und wollen eigentlich niemandem etwas Böses. Es ist vielmehr die Gegenseite, die hier strategisch geplant und mit durchdachter Intrige vorgeht. Die Guten, so scheint es, gehen unbekümmert durch eine Welt voller Streit und Krieg, verlassen sich auf das, was sie können und gelernt haben und darauf, dass sie, wenn es doch einmal zu viele Gegner werden, Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten.

Nicht ganz so unbeschwert hingegen verliefen wohl die Dreharbeiten. Denn auch, wenn die Idee des Produzenten Tsui Hark, der an den Erfolg dieses ebenfalls von ihm produzierten Films anknüpfen wollte, den ‚Altmeister‘ des Wuxia-Films, King Hu, zu reaktivieren, durchaus ihren Charme hatte – sie funktionierte leider nicht.

Seit Mitte der 1970er hatte sich ein Großteil der Filmindustrie Hong Kongs zunehmend auf einfacher und billiger zu produzierende Kung Fu-Filme konzentriert, die (trotz seines frühen Todes) durch Bruce Lee und Jackie Chan auch in den USA populär wurden und damit ein größeres Publikum und mehr Einnahmen versprachen, während in Hong Kong der Regisseur Chang Cheh unermüdlich beide Genres bediente und im Verlauf seiner vielen, oft mit wenig Zeit und noch weniger Budget realisierten Produktionen, einen sehr eigenen Stil entwickelte, der ein eher spezielles Publikum fand. King Hu hingegen hatte seine Arbeit Ende der 70er weitgehend eingestellt und bereits viele Jahre an keiner größeren Produktion mehr teilgenommen, als Tsui Hark auf ihn zu kam.

Woran auch immer es gelegen haben mag, es gab Streit, man wurde sich nicht einig und King Hu verließ das halbfertige Projekt. Infolgedessen zogen sich die Dreharbeiten in die Länge, der Drehort, der ursprünglich für den gesamten Film ein Berg in Taiwan sein sollte, wurde nach Hong Kong verlegt, Mitarbeiter und Darsteller wurden ausgetauscht, das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und entsprechend viele Szenen nachgedreht und wenn nicht ein ganzes Team aus Regisseuren eingesprungen wäre, unter anderen Ching Siu-Tung als Choreograph für die Action-Szenen, Tsui Hark selbst, vor allem aber Ann Hui, so wäre aus der ganzen Sache wohl nichts mehr geworden. Das aber kann man vom Ergebnis nun nicht behaupten, denn auch wenn die Handlung vielleicht hin und wieder etwas abrupt den Schauplatz wechselt und an manchen Stellen nicht allzu hartnäckig hinterfragt werden sollte, so werden die verschiedenen Stile doch recht gelungen vereint: Kämpfe werden im hohen Gras wie in Wäldern ausgetragen und Herbergen nach allen Regeln der Kunst zerlegt, was bisweilen kunterbunt und ein wenig überdreht wirkt, aber mit jener Selbstironie inszeniert wurde, die eben beiden, King Hu und Tsui Hark, nicht fremd war.

Und da passt es doch ganz gut, dass es im Film hauptsächlich um zwei Schriftrollen geht, von denen die eine ihrem Besitzer zu großer Macht verhelfen kann, während die andere ein Lied enthält, das die Läuterung von derart schädlichem Streben besingt: „The blue seas laugh, surging against both shores, we are carried by the waves, only concerned with the here and now. The azure skies laugh, at the disorders in the world. Only the heavens know, who will win and who will lose… The green earth laughs. Solitude is no more. Noble sentiments still make us laugh like we don‘t care.“

(The Swordsman, Hong Kong 1990; Regie: King Hu, Tsui Hark, Ching Siu-Tung, Raymond Lee, Andrew Kam und Ann Hui.)

 

Come Drink with Me

„Ich sagte es Dir schon einmal: Du solltest mehr beobachten und weniger kämpfen – aber Du musst ja unbedingt immer zeigen, wie gut Du in Martial Arts bist…“

Ein Vorwurf, der der hier angesprochenen jungen Dame gegenüber vielleicht ein klein wenig unfair ist, denn genau darum geht es ja schließlich in Martial Arts-Filmen. Wobei wir es hier mit einer besonderen Kategorie zu tun haben, dem Wuxia-Film, der sich von anderen Martial Arts- bzw. Kung Fu-Filmen in mancher Hinsicht unterscheidet: durch seine historisierenden und manchmal auch fantastischen Elemente zum Beispiel, denn ob die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Helden und Heldinnen noch mit Jahre langem diszipliniertem Training und Meditation zu erreichen sind, oder ob hier Übernatürliches mitspielt, bleibt meist offen und auch dadurch, dass die kämpfenden Herren es hier regelmäßig mit ihnen ebenbürtigen oder auch überlegenen, ebenfalls bewaffneten Damen zu tun kriegen.

Zudem hatte Wuxia, bevor es auf Film und Comic übertragen wurde, bereits eine lange Tradition in der Literatur und damit ausreichend Zeit, über die Jahrhunderte einen ganz eigenen Kosmos zu entwickeln. Einen wahren Kern haben die Geschichten ebenfalls, denn auch, wenn im China früherer Jahrhunderte fliegende Schwertkämpfer und -kämpferinnen wohl eher rar waren, so gab es doch ausreichend Kampf und Krieg und entsprechend viele daran Beteiligte, von denen manche wiederum den Umgang mit Waffen so weit professionalisierten, dass sie ihn hauptberuflich ausüben und mit viel Glück lange genug überleben konnten, um den Nährboden für Heldensagen zu liefern.

Doch anders als zum Beispiel in Japan, wo der Held dieses Films anfangs vielleicht ein wenig herunter gekommen wirkt, von dem wir aber dennoch annehmen dürfen, dass er als Samurai der Aristokratie angehört, entstammten ihre chinesischen Berufskollegen keineswegs nur der Oberschicht, sondern kamen aus allen Teilen der Bevölkerung.

Die historische Korrektheit darf an dieser Stelle bezweifelt werden, aber zumindest in den Wuxia-Geschichten folgen sie dabei stets ihrer eigenen, sehr individuellen Ethik und kämpfen selbstverständlich nur für das Gute – oder zumindest das, was sie dafür halten (auch Wuxia-Helden können irren), was gelegentlich miteinschließt, dass die Bevölkerung gegen eine ausbeuterische und korrupte Oberschicht verteidigt werden muss. Eine Haltung, die zwar beim Publikum immer gut ankommt, von Regierungen mit Hang zur Zensur aber meist weniger gerne gesehen wird, und dazu führte, dass Wuxia-Filme wegen ihres anscheinend subversiven Charakters in den Anfängen der chinesischen Republik zunächst einmal verboten wurden – was wiederum der in Hong Kong und Taiwan ansässigen Filmindustrie eine gerne genutzte Einnahmequelle bescherte.

Einer, der von eben dort aus das Genre mit seinen Filmen erfolgreich weiterentwickelte, war der Regisseur King Hu. Er sagte von sich, dass ihn die Bewegungen der Tänzer und Artisten der Peking Oper fasziniert hatten, er aber meinte, ihre Kunst würde durch die Bühne zu sehr begrenzt und könne im Film viel besser zur Entfaltung kommen. Folgerichtig engagierte er mit Cheng Pei-pei eine Tänzerin für die Hauptrolle seines zweiten Films Come drink with me. Ein Konzept, das aufging, denn dieser, ebenso wie seine nachfolgenden Filme, Dragon Gate Inn und besonders A Touch of Zen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und gelten heute ebenso als Klassiker des Genres, wie seine Hauptdarstellerin geradezu als Königin des Wuxia-Films.

Und wem nun die Szene, in der eine junge Dame sich gegen eine Reihe von Angreifern zur Wehr setzt und dabei eine renovierungsbedürftige Herberge hinterlässt, ebenso bekannt vor kommt, wie die Hauptdarstellerin selbst, der hat vermutlich diesen Film gesehen und liegt damit völlig richtig.

(Come Drink with Me, Hong Kong 1966; Regie: King Hu.)

Summer Snow

Einer der drei Gründe, weshalb aus der bereits erwähnten Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures, tatsächlich eine Liste der 103 besten chinesischen Filme wurde, ist Summer Snow von Ann Hui. Überhaupt ist Frau Hui auf dieser Liste mehrfach vertreten, insgesamt vier mal, von denen einer ihrer Filme es mit Platz 8 sogar unter die ersten zehn schaffte, eingerahmt auf den Plätzen 7 und 9 übrigens von Filmen von King Hu, als dessen Regie-Assistentin sie zu Beginn ihrer Karriere gearbeitet hatte.

Auch bei den Hong Kong Film Awards sind ihre Filme regelmäßig vertreten, so ist zum Beispiel der aktuelle Best Film, aus der diesjährigen Verleihung, ihr Film A simple Life, eine Auszeichnung, die sie schon bei der überhaupt erst zweiten Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1983 für Boat People erhielt, des weiteren 1996 für Summer Snow und 2000 für Ordinary Heroes.

Vor allem aber kann man wohl feststellen, dass es sich beim besten Regisseur Hong Kongs um eine Frau handelt, zumindest ist Ann Hui diejenige, die den Hong Kong Award als Best Director bislang am häufigsten erhalten hat: ebenfalls vier Mal, damit kann keiner der wesentlich bekannteren Martial-Arts-, Wuxia- und Action-Filmregisseure mithalten (nur zum Vergleich: der nicht nur von Quentin Tarantino hoch geschätzte Regisseur Johnnie To war bislang zwar schon 16 mal in dieser Kategorie nominiert, erhielt die Auszeichnung aber erst dreimal).

Und selbst, wenn man berücksichtigt, dass sie eine sehr fleißige Filmemacherin ist, und ihre Werke regelmäßig auch auf internationalen Festivals laufen, werden die vielen Auszeichnungen für ihre Arbeit umso bemerkenswerter, wenn man sich die Themen der Mehrzahl ihrer Filme anschaut: denn obwohl sie 1982 mit Boat People einen politischen Film machte, so ist der Titel ihres aktuellen Films, A simple Life, keineswegs ironisch gemeint, und auch bei Summer Snow von 1995, dessen chinesischer Titel soviel wie ‚Eine Frau mit 40‘ bedeutet, handelt es sich um eine ganz alltägliche Geschichte. Vielleicht hätte er ebenso zutreffend auch ‚Ein Schwiegervater um die 70‘ heißen können, aber eigentlich drängt sich keine der Figuren, von denen hier sehr liebevoll erzählt wird, in den Vordergrund.

Und obwohl kämpferische Frauen im Kino Hong Kongs auf eine lange Tradition zurückblicken können, wird auf den Einsatz von Dolchen und Schwertern verzichtet. Um mit dem richtigen Leben klar zu kommen, sind andere Methoden einfach besser geeignet.

(Summer Snow, Hong Kong 1995; Regie: Ann Hui.)

 

Spring in a Small Town

Im Jahr 2005 feierte man in Hong Kong das 100jährige Bestehen des chinesischen Films. Aus diesem Anlass wurde bei der 24. Verleihung der Hong Kong Film Awards eine Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures vorgestellt, wobei es sich genauer gesagt um die 103 besten chinesischen Filme handelt, da diese drei Filme wohl unbedingt noch mit auf die Liste sollten: The Puppetmaster von Hou Hsiao-Hsien (101), Summer Snow von Ann Hui (102) und Not one Less von Zhang Yimou (103).

Die Filme wurden fein säuberlich getrennt nach Produktionsort Hong Kong, China oder Taiwan aufgeführt, und angesichts der Tatsache, dass sie von einer Jury aus 101 Filmemachern und Kritikern, überwiegend der Hong Konger Filmindustrie, gewählt wurden, ist es wohl nicht weiter überraschend, dass der bei weitem größte Teil der Chinese Motion Pictures dieser Auswahl aus Hong Kong stammt: 61 Filme, während es aus China nur 24 Filme, und nur 16 aus Taiwan (sowie 2 Co-Produktionen) auf die Liste schafften.

Ebenfalls wenig überraschend ist, dass auch von den ersten drei der Besten-Liste zwei Filme in Hong Kong produziert wurden, aber während selbst dieser Film, der bei der Verleihung der Hong Kong Film Awards im Jahr 1997 noch mit einer bis heute nicht übertroffenen Anzahl von Preisen ausgezeichnet wurde, auf der Liste von 2005 schon ‚nur‘ noch auf Platz 28 landete, wurde der erste Platz an einen Film vergeben, als dessen Produktionsort China genannt wird und der in Mandarin gedreht gedreht wurde. Wobei mit China in diesem Falle Shanghai gemeint ist und der Film aus dem Jahr 1948 stammt, einer Zeit, als die Filmindustrie in Hong Kong noch in ihren Anfängen steckte, während sich Shanghai gerade im zweiten Goldenen Zeitalter seines Films befand.

Von Shanghai ist bei Spring in a Small Town auch gelegentlich die Rede, davon dort hinzugehen um dort zu leben und zu studieren und damit auch gleich ein wenig von der großen Welt zu sehen, die in der kleinen Stadt, in der die Geschichte spielt, sehr weit weg zu sein scheint. Es ist die Zeit kurz nach dem großen Krieg und vor der Kommunistischen Revolution, aber Politik kommt hier nur am Rande zur Sprache, was den Film kurze Zeit nach seinem Erscheinen, im mittlerweile kommunistischen China, von der Bildfläche verschwinden ließ: zu unpolitisch, möglicherweise gar reaktionär und nicht geeignet zur damals angestrebten Volkserziehung beizutragen.

Erst Jahrzehnte später, als Anfang der 1980er das China Film Archive in Beijing öffentlich zugänglich wurde, erschien eine Kopie des heute verlorenen Originals von Spring in a Small Town, die in den folgenden Jahren, sowohl in China als auch weltweit, ein wachsendes Publikum und viel Lob fand. Und wer sich nun ebenfalls sein eigenes Urteil bilden möchte, kann diese Kopie im Internet Archive finden, wo sie zu eben diesem Zweck bereit gestellt ist.

(Spring in a Small Town, China 1948; Regie: Fei Mu.)


 

Hollywood Chinese

… wie gut Bernardo Bertolucci mit seinem Film den Geschmack Hollywoods getroffen hatte, zeigte sich bei der Verleihung der Academy Awards im Jahr 1988, wo er mit neun Oscars ausgezeichnet wurde – inklusive als „Best Picture“ und „Best Director“.

Wobei Hollywood zu diesem Zeitpunkt bereits eine recht klar definierte Vorstellung von China und seinen Einwohnern hatte, waren diese doch schon seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der dortigen Produktionen, sei es als Erzbösewicht, als Detektiv, als devote Ehefrau oder als Prostituierte, die allerdings anfangs eher selten von Schauspielern chinesischer Herkunft dargestellt wurden, und falls doch, so sah man es ihnen bisweilen nicht allzu sehr an. Stattdessen wurden fröhlich die Klischees verbreitet: Hollywoods Chinesinnen waren von exotischer Schönheit und unterwürfig den weißen Männern ergeben, ihre männlichen Pendants hingegen sprachen gerne eine alberne Sprache, mit der sie pseudo-asiatische Weisheiten verbreiteten.

Diese Stereotypen waren derart hartnäckig, dass auch später, als man in Hollywood immerhin schon soweit war, Rollen, die für Asiaten vorgesehen waren, auch mit Asiaten zu besetzen, diese wiederum vor dem Problem standen, möglichst exakt den Erwartungen der Produzenten entsprechen zu müssen, was in den meisten Fällen bedeutete, das Klischee wieder zu kopieren. Dies ging schließlich so weit, dass Schauspielerinnen wie Joan Chen für ihre Rollen mit Sprechtrainern das spezielle Pidgin einüben mussten, das zwar außerhalb von Hollywood-Filmen niemand sprach, hier aber Pflicht war.

Diese und andere Geschichten erzählen Schauspielerinnen und Schauspieler, Drehbuchautoren, Schriftstellerinnen und viele andere, in der Dokumentation von Arthur Dong Hollywood Chinese – The Chinese in American Feature Film von 2007. Zu Wort kommt hier zum Beispiel auch Lisa Liu, die immerhin den Mut besaß, gelegentlich ihre Regisseure darauf hinzuweisen, wenn sie sich ihrer Ansicht nach allzu weit von den China üblichen Gepflogenheiten entfernten, worüber die jeweiligen Regisseure stets höflich aber konsequent hinweg sahen. Und auch, wenn Bernardo Bertolucci sich die Mühe gemacht hatte, Drehgenehmigungen für Originalschauplätze zu erhalten, so bildete er in dieser Hinsicht keine Ausnahme, denn über ihre Rolle als Kaiserinwitwe Cixi erzählt sie: „Just like when I was working with Mr. Bertolucci. He wanted the Eunuchen to move the bed and I said ‚you know, the empress dowagers bed should be very stable‘. That the Stability is a symbol for her health and if you move the bed, it‘s an hurt of – in China you cannot do that. So he said: ‚Oh I understand what you are saying, but you know I‘m making an artistic film.“ Oder, wie Joan Chen es zusammenfasst: „Bernardo Bertolucci is just a fantastic filmmaker and he is so in love with this China, that‘s in his fantasy.“

Aber dass Filme bisweilen mehr über die Menschen aussagen, die sie gemacht haben, als über die Themen, die sie behandeln, ist ja nichts Neues und darum, wie sehr oder wenig sich einzelne Regisseure um realistische Darstellung bemühten, geht es in dieser Dokumentation eigentlich auch gar nicht, sondern darum, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen: sowohl jene, die die Klischees verkörperten, als auch die, die damit aufwuchsen und zurechtkommen mussten, denn, so sagt es Regisseur Arthur Dong: „Through their stories, we learn about history, and through what they went through, what happened in Hollywood.” Und Hollywood war weit verbreitet.

(Hollywood Chinese, USA 2007; Regie: Arthur Dong.)

Mimic

„Can I eat it or will it eat me?“ diese Frage stand nicht nur im Drehbuch zu Mimic, sondern sie stellte sich Regisseur Guillermo del Toro bei den Dreharbeiten möglicherweise auch selbst, denn einer der Produzenten, Bob Weinstein, tauchte angeblich regelmäßig am Set auf, um zusätzliche Szenen einzufordern, seine vielfältigen kreativen Ideen einzubringen und überhaupt allen Beteiligten so gut wie möglich auf die Nerven zu fallen. Da Bob Weinstein der Bruder von Harvey ist (die andere Hälfte der Produktionsfirma Miramax), dem es ungefähr zur gleichen Zeit sogar gelang, Hayao Miyazaki so weit zu treiben, dass er zur Waffe griff, kann man sich gut vorstellen, was del Toro zu leiden hatte.

Ob er dann ebenfalls zu drastischen Maßnahmen griff, um sich die Weinsteins vom Leibe zu halten, ist zwar nicht überliefert, wohl aber, dass er es später ablehnte, noch einmal mit den Brüdern zusammenzuarbeiten und schließlich sogar so weit ging, sich vom ganzen Projekt zu distanzieren. Als allerdings sein eigener, Jahre lang angekündigter, Directors Cut 2011 endlich erschien, kam so mancher nach eingehendem Vergleich beider Fassungen durchaus zu dem Ergebnis, dass er den Film damit nun auch nicht wirklich aufgewertet hatte.

Das alles ist sehr schade, denn Mimic, zumindest in der Fassung von 1997, ist eigentlich ein gelungener Beitrag zum Genre, mit Anspielungen und Verweisen, aber auch neuen Ideen, die stilvoll in Szene gesetzt wurden. Zwischen ihm und dem ersten Big Bug-Film liegen 43 Jahre und eine ganze Menge Filme, die das Kino mit Krabbel-Getier aller möglichen Spezies belebten, und eine lange Zeit, in der natürlich auch die Special Effects, Animations- und Pyrotechnik, zum Beispiel, weiterentwickelt wurden.

Aber auch die Bugs hatten ausreichend Zeit, ihre Fähigkeiten auszubauen. Und auch, wenn sie es an Eleganz und Behändigkeit mit diesem Einzelgänger, aber Spitzenreiter ihrer Zunft nicht wirklich aufnehmen können, setzen sie hier sehr effektiv auf Zusammenarbeit und Strategie. Denn längst geben sie ihre Absichten nicht mehr gleich zu erkennen und tragen ihre Kämpfe auch nicht offen und draußen aus, sondern es geht gleich hinein und hinunter, ins Dunkle, wo sie gelernt haben, sich anzupassen und den richtigen Moment abzuwarten, denn auch sie scheinen zu wissen: „Evolution has a way of keeping things alive.“

(Mimic, USA 1997; Regie: Guillermo del Toro.)

Tarantula

Hatten wir es in diesem Film noch mit recht groß gewachsenen Ameisen zu tun, so handelt Tarantula, wie der Name schon andeutet, von einer anderen Gattung achtbeiniger Krabbler, allerdings wurde im vorliegenden Fall die Bescherung nicht durch Nuklear-Waffen-Tests verursacht, sondern ist vielmehr auf beste Absichten, nicht zur Vernichtung, sondern zur Rettung der Menschheit zurückzuführen.

Allein, gut gemeint ist, wie so oft, auch hier wieder das Gegenteil von gut gemacht, denn es stimmt zwar, dass anders als die Wüste, die wieder Schauplatz des Geschehens ist, manche Bereiche unseres schönen Planeten bekanntlich nicht so weitgehend menschenleer vor sich hin existieren dürfen, sondern, um es mit den Worten von Professor Gerald Deemer zu sagen: „There are 2 billion people in the world today. In 1975 there’ll be 3 billion. In the year 2000, there’ll be 3,625,000,000!“

Und auch, wenn sich der Professor im Hinblick auf das Jahr 2000 etwas verrechnet hat, denn tatsächlich waren es damals schon fast doppelt so viele Menschen, als in seiner Hochrechnung, Tendenz weiter steigend, so ist die Frage, die sich daraus ergibt – Wie sollen die alle ernährt werden? – natürlich durchaus berechtigt, und der Ansatz: Warum machen wir nicht einfach die vorhandenen Nahrungsmittel etwas größer? – vielleicht grundsätzlich auch gar nicht so falsch. Dumm nur, wenn eben andere Dinge ebenfalls größer werden, zum Beispiel solche, die, wie ja bereits an anderer Stelle anschaulich vorgeführt wurde, schon in relativ kleinem Zustand auf die meisten Menschen ausgesprochen beunruhigend wirken.

Damit dieser Effekt nicht etwa mit zunehmender Größe verloren ging, setzte man hier nicht auf Stop-Motion-Tricktechnik oder steckte Menschen in Monster-Anzüge, und baute auch keine großen, flauschigen, ferngesteuerten Tiere, sondern ließ für die meisten Szenen eine echte Spinne über eine Miniatur-Landschaft krabbeln, womit sicher gestellt war, dass alles, was diese Tiere im richtigen Leben so vielen Menschen extrem unsympathisch macht, auch auf der Leinwand in vollem Umfang erhalten blieb.

Verantwortlich für Idee und Umsetzung des Ganzen war Jack Arnold, der vollkommen zu Unrecht, immer noch gelegentlich als Trash-Filmemacher diffamiert wird, und dass, obwohl selbst in der IMDb über ihn zu lesen ist: „Jack Arnold reigns supreme as one of the great directors of 50s science fiction features. His films are distinguished by moody black and white cinematography, solid acting, smart, thoughtful scripts, snappy pacing, a genuine heartfelt enthusiasm for the genre, and plenty of eerie atmosphere.“

Oder, wie es Dr. Matt Hastings ausdrücken würde: „Well, not many of us look that far in the future, Sir.“

(Tarantula, USA 1955; Regie: Jack Arnold.)

Dersu Uzala

„Verehrter Wladimir Klawdijewitsch, Ihr Buch las ich mit großem Genuss. Abgesehen von seinem wissenschaftlichen Wert, der, selbstverständlich, ohne Zweifel auch wichtig ist, war ich begeistert und hingerissen von seiner Darstellungskraft. Ihnen ist es gelungen, Brehm mit Fenimore Cooper zu vereinen – das ist, glauben Sie mir, kein geringes Lob. Der Golde wurde von Ihnen ausgezeichnet geschildert, für mich ist er eine lebendigere ‚künstlerisch vollendetere‘ Gestalt als der ‚Pfadfinder‘. Ich gratuliere Ihnen aufrichtig.“

So schrieb es Maxim Gorki in einem Brief am 24.1.1928 an Wladimir Arsenjew, Geograph und Offizier der zaristischen Armee Russlands. Arsenjew (1872–1930) hatte zwischen 1902 und 1930 zwölf Expeditionen in das damals noch unerforschte Gebiet des Ussuri geleitet und mehr als sechzig Publikationen über seine Forschungen und Vermessungsarbeit verfasst, aber das Buch, das ihn bekannt machte und von dem Maxim Gorki in seinem Brief schrieb, waren Arsenjews autobiographische Erinnerungen an seine gemeinsamen Expeditionen und seine Freundschaft mit dem Taigajäger Dersu Uzala.

Ebenfalls beeindruckt von Arsenjews Schilderungen war wohl auch Akira Kurosawa, der seinerseits zwar bereits 1957 ein Theaterstück von Maxim Gorki verfilmt hatte, aber in Europa und den USA lange Zeit in erster Linie für seine Samurai-Filme bekannt war. Filme wie zum Beispiel Rashomon, für den er 1950 den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, und die unter Einsatz von zahlreichen Statisten oft zu Monumentalfilmen gerieten, oder Yojimbo, der, ebenso wie einige andere seiner Filme dem westlichen Publikum zunächst dadurch bekannt wurde, dass er europäischen oder amerikanischen Filmemachern als Vorbild diente, bzw. detailgenau kopiert wurde.

Ende der 1960er Jahre machte Kurosawa aber trotz aller bisherigen Erfolge eine schlimme Phase durch. Mit seinem letzten Film, Dodesukaden, der sein erster Farbfilm war, hatte er eine ganz neue Richtung eingeschlagen, was aber in Japan nicht gut ankam und zu einem finanziellen Misserfolg führte. Kurosawa fühlte sich wohl nicht nur missverstanden, sondern sah auch wenig Chancen, ausreichend Geld für einen neuen Film zusammenzubringen, was besonders bitter sein musste für einen Menschen, der von sich sagte: „I believe that what pertains only to myself is not interesting enough to record and leave behind me. More important is my conviction that if I were to write anything at all, it would turn out to be nothing but talk about movies. In other words, take ‘myself’, subtract ‘movies’, and the result is zero.“

Seine Krise erreichte ihren Tiefpunkt mit einem Selbstmordversuch im Dezember 1971. Kurosawa überlebte und erholte sich, schien aber lange Zeit keine Filme mehr drehen zu wollen oder zu können, auch nicht, als Dodesukaden 1972 in den USA bei den Academy Awards für den besten fremdsprachigen Film nominiert wurde. Selbst, als ihm Anfang 1973 das Studio Mosfilm ein Angebot zur Zusammenarbeit machte, eben jenes Moskauer Filmstudio, das nicht nur schon 1925 Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, sondern auch Andrej Tarkovskys Filme produzierte, die beide von Kurosawa hoch geschätzt wurden, dauerte es noch viele Monate, bis Kurosawa im Dezember desselben Jahres mit seinen vier engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die Sowjetunion ging, um dort Arsenjews Buch zu verfilmen.

Die Dreharbeiten waren lang und anstrengend, nicht zuletzt wegen der monatelangen Außenaufnahmen in der sibirischen Taiga und als Kurosawa nach anderthalb Jahren im Juni 1975 nach Hause zurückkehrte, soll er einigermaßen erschöpft gewesen sein. Aber die Strapazen war es wohl wert: Als japanisch-russische Koproduktion feierte Dersu Uzala am 2. August 1975 seine offizielle Weltpremiere in Japan, nachdem er bereits im July 1975 auf dem Moskauer Internationalen Filmfestival mit dem Goldenen Preis ausgezeichnet worden war. Die Kritiken in Japan waren zwar erneut verhalten, aber finanziell wurde der Film ein Erfolg und während es bei Dodesukaden im Jahr 1970 noch bei der Nominierung geblieben war, wurde Dersu Uzala 1976 in den USA mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet. Wobei es sich bei der „Fremdsprache“, auch wenn es ein ‚Kurosawa-Film‘ war, natürlich um Russisch handelte.

(Dersu Uzala, Russland und Japan 1975; Regie: Akira Kurosawa.)

Wittgenstein

„A dog cannot lie. Neither can he be sincere. A dog may be expecting his master to come, but: why can‘t he be expecting him to come next Wednesday?“

Ludwig Wittgenstein hatte ein abwechslungsreiches Leben: 1889 geboren als Sohn einer reichen und angesehenen Industriellen-Familie in Wien, studierte er Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester, war Inhaber eines Patentes zur Verbesserung von Flugzeugpropellern, verschenkte sein gesamtes umfangreiches, ererbtes Vermögen an seine Geschwister, meldete sich freiwillig um im 1. Weltkrieg zu kämpfen, geriet in Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Volksschullehrer, später als Klostergärtner – Mönch zu werden ließ er sich gerade noch von einem Abt wieder ausreden – zog sich in der Einsamkeit Norwegens in ein Holzhaus zurück, entwarf für eine seiner Schwestern ein repräsentatives Haus in Wien, studierte, arbeitete und lehrte zwischendurch immer mal wieder in Cambridge, wo er schon zu Lebzeiten als Genie gehandelt wurde und gilt heute als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts – obwohl, oder vielleicht auch gerade weil er die Philosophie auch schon mal als Geisteskrankheit bezeichnete, die erst durch das Philosophieren hervorgebracht würde.

Er selbst war letztendlich wohl durchaus zufrieden mit seiner Biographie: kurz vor seinem Tod ließ er seinen Freunden ausrichten, er habe ein wundervolles Leben gehabt.

Auch Derek Jarman war ein vielseitig interessierter Mann: Maler, Bühnenbildner, Regisseur von Filmen und Musikvideos, Autor und Gärtner, und auch, wenn er 1993, als er seinen Film Wittgenstein drehte, bereits schwer an AIDS erkrankt war, änderte dies nichts daran, dass er mit der Unterstützung seiner Schauspiel-Compagnie, bestehend u.a. aus Karl Johnson, Michael Gough und Tilda Swinton sowie Terry Eagleton als Drehbuchautor, einen lebensfrohen, klugen und witzigen Film drehte. Wobei er allerdings die einzelnen Episoden aus dem Leben Wittgensteins weniger mit filmischen Mitteln inszenierte, sondern eher als knallbuntes Theaterstück auf die Bühne brachte, was im Ergebnis so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, wie man sich zur Zeit ein sogenanntes Biopic vorstellt.

Natürlich sieht man hier Jarmans sehr spezielle Sicht auf Wittgenstein, zudem in seinem sehr eigenen Stil gedreht und sollte man noch nie von Ludwig Wittgenstein gehört oder gelesen haben, könnte das Ganze auch ein wenig verwirrend ausfallen, aber das wäre dann nicht Jarman anzulasten, sondern, um es mit Ludwig Wittgenstein in Jarmans Film zu sagen: „We imagine the meaning of what we say as something queer, mysterious, hidden from the view, but nothing is hidden! Everything is open to the view! It is just the philosophers, who muddy the waters.“

(Wittgenstein, Großbritannien 1993; Regie: Derek Jarman.)

The Elefant Man

Mit Mel Brooks verbindet man im Allgemeinen Filme, für deren uneingeschränkte Würdigung man mit einem eher speziellen Humor ausgestattet sein sollte. An seinem Ruf als Regisseur und Autor eigenwilliger Komödien hat er hart gearbeitet und ist vermutlich auch völlig zurecht stolz darauf, aber als „The Elefant Man“ 1980 in die Kinos kam, verzichtete er darauf, als Produzent genannt zu werden, weil er nicht wollte, dass sein Name beim Publikum falsche Erwartungen weckte.

Dennoch wäre der Film ohne Mel Brooks nicht verwirklicht worden, denn das Drehbuch war bereits von allen Studios, bei denen die Autoren es eingereicht hatten, abgelehnt worden und David Lynch hatte erst einen Film vorzuweisen, „Eraserhead“, eine mit überwiegend von ihm selbst zusammengeliehenem Geld finanzierte Produktion mit entsprechend geringem Budget, für den man – wenn auch nicht unbedingt Humor – ebenfalls ein eher spezielles Filmverständnis braucht.

Offensichtlich war dieses Verständnis bei Mel Brooks vorhanden, und so begab man sich gemeinsam an die Arbeit: Freddie Francis, der später noch häufiger mit Lynch zusammenarbeiten sollte, wurde als Kameramann angeheuert, John Hurt wurde in stundenlanger Arbeit unter Bergen von Maske vergraben, Anthony Hopkins spielte hier so ziemlich das Gegenteil seiner wesentlich bekannteren Rolle von 1991, und Anne Bancroft, nebenbei mit Mel Brooks verheiratet, spielte das, was sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war: eine Theaterschauspielerin. Währenddessen beschränkte sich David Lynch zwar als Darsteller auf einen kurzen Cameo-Auftritt, versuchte ansonsten aber alles selbst zu machen: die Idee und weitgehend auch das Drehbuch stammten von ihm, er führte Regie und Musikregie und übernahm auch das Sound Design. Immerhin scheiterte er daran, auch noch die aufwendige Maske von John Hurt selbst zu gestalten und anzulegen.

Die Geschichte beruhte auf einem authentischen Fall im viktorianischen England, der vom behandelnden Arzt Frederick Treves in seinem Buch „The Elephant Man and Other Reminiscences“ geschildert wurde. Was die Erzählung angeht, hielt Lynch sich nicht unbedingt immer an die Überlieferung, aber gleichzeitig legte er sowohl bei der Darstellung des historischen Joseph Merrick, als auch bei der Inszenierung des Zeitalters in dem dieser lebte, großen Wert auf ausgiebige vorherige Recherche und Detailgenauigkeit.

Über Sinn und Zweck mindestens der Eröffnungsszene kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein, wie über den Gehalt an Sentimentalität, aber davon einmal abgesehen ist die Handlung klar, geradlinig und nachvollziehbar und dafür, dass man gerade einen Lynch-Film gesehen hat, ist die Chance auf eine alptraumfreie Nacht relativ hoch.

(The Elefant Man, Großbritannien 1980; Regie: David Lynch.)