Category Archives: Eigensinnige Frauen

The Elefant Man

Mit Mel Brooks verbindet man im Allgemeinen Filme, für deren uneingeschränkte Würdigung man mit einem eher speziellen Humor ausgestattet sein sollte. An seinem Ruf als Regisseur und Autor eigenwilliger Komödien hat er hart gearbeitet und ist vermutlich auch völlig zurecht stolz darauf, aber als „The Elefant Man“ 1980 in die Kinos kam, verzichtete er darauf, als Produzent genannt zu werden, weil er nicht wollte, dass sein Name beim Publikum falsche Erwartungen weckte.

Dennoch wäre der Film ohne Mel Brooks nicht verwirklicht worden, denn das Drehbuch war bereits von allen Studios, bei denen die Autoren es eingereicht hatten, abgelehnt worden und David Lynch hatte erst einen Film vorzuweisen, „Eraserhead“, eine mit überwiegend von ihm selbst zusammengeliehenem Geld finanzierte Produktion mit entsprechend geringem Budget, für den man – wenn auch nicht unbedingt Humor – ebenfalls ein eher spezielles Filmverständnis braucht.

Offensichtlich war dieses Verständnis bei Mel Brooks vorhanden, und so begab man sich gemeinsam an die Arbeit: Freddie Francis, der später noch häufiger mit Lynch zusammenarbeiten sollte, wurde als Kameramann angeheuert, John Hurt wurde in stundenlanger Arbeit unter Bergen von Maske vergraben, Anthony Hopkins spielte hier so ziemlich das Gegenteil seiner wesentlich bekannteren Rolle von 1991, und Anne Bancroft, nebenbei mit Mel Brooks verheiratet, spielte das, was sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war: eine Theaterschauspielerin. Währenddessen beschränkte sich David Lynch zwar als Darsteller auf einen kurzen Cameo-Auftritt, versuchte ansonsten aber alles selbst zu machen: die Idee und weitgehend auch das Drehbuch stammten von ihm, er führte Regie und Musikregie und übernahm auch das Sound Design. Immerhin scheiterte er daran, auch noch die aufwendige Maske von John Hurt selbst zu gestalten und anzulegen.

Die Geschichte beruhte auf einem authentischen Fall im viktorianischen England, der vom behandelnden Arzt Frederick Treves in seinem Buch „The Elephant Man and Other Reminiscences“ geschildert wurde. Was die Erzählung angeht, hielt Lynch sich nicht unbedingt immer an die Überlieferung, aber gleichzeitig legte er sowohl bei der Darstellung des historischen Joseph Merrick, als auch bei der Inszenierung des Zeitalters in dem dieser lebte, großen Wert auf ausgiebige vorherige Recherche und Detailgenauigkeit.

Über Sinn und Zweck mindestens der Eröffnungsszene kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein, wie über den Gehalt an Sentimentalität, aber davon einmal abgesehen ist die Handlung klar, geradlinig und nachvollziehbar und dafür, dass man gerade einen Lynch-Film gesehen hat, ist die Chance auf eine alptraumfreie Nacht relativ hoch.

(The Elefant Man, Großbritannien 1980; Regie: David Lynch.)

A Night to Remember

„Too many people from this shipyard lost their lives that night and too many others as well. Why should we help to make an entertainment out of it.“

Auch wenn man wohl annehmen darf, dass es nicht alleine Pietät war, die große Schiffsreedereien wie Harland and Wolff und Shaw Savill Shipping davon abhielt, die Dreharbeiten zu „A Night to Remember“ zu unterstützen, denn auch in wirtschaftlicher Hinsicht lag es kaum in ihrem Interesse, dass die Geschichte der RMS Titanic Jahrzehnte nach ihrem Untergang durch eine erneute Verfilmung wieder ins Bewusstsein der Menschen gebracht wurde, so ist diese Haltung angesichts von nur etwas über 700 Überlebenden und um die 1500 Toten wohl durchaus nachvollziehbar.

Der Verdacht, dass es bei diesem Film in erster Linie um Spannung und Unterhaltung gehen würde, lag auch schon deshalb nahe, weil das britische Produktionsstudio Rank mit Roy Ward Baker einen ehemaligen Regieassistenten von Alfred Hitchock als Regisseur verpflichtet hatte (der im Anschluss an dieses Projekt eine ganze Reihe von Horrorfilmen für das Hammer Studio drehen sollte), und mit dem Drehbuch Eric Ambler beauftragt wurde, der damals bereits als Schriftsteller und Filmproduzent von Thrillern und Krimis bekannt war. Beide, Ambler und Ward, hatten in diesem Genre auch schon gemeinsame Filme vorzuweisen.

Andererseits basierte das Skript zu „A Night to Remember“ auf dem gleichnamigen Sachbuch von Walter Lord, der im Zuge seiner Recherche 64 Überlebende zu den Ereignissen befragt hatte. Darüber hinaus war es dem Filmstudio gelungen, noch eine ganze Reihe weiterer Augenzeugen zu finden und zur Mitarbeit zu bewegen. Dennoch, zwischen dem historischen Ereignis und dem Erscheinen des Buches, bzw. dem Drehbeginn des Films lagen immerhin 43 bzw. 46 Jahre.

Entsprechend Vieles im Film stimmte dann auch nachweislich nicht mit den historischen Gegebenheiten überein. So wird zum Beispiel in einer der frühen Szenen des Films die Schiffstaufe der Titanic gezeigt: ganz klassisch mit Ansprache und Sektflasche, die so aber nie stattgefunden hat. Auch werden im letzten Drittel des Films Szenen von Chaos und Panik während des Untergangs mit einem verlassenen Kinderspielzimmer gegengeschnitten, das es ebenfalls nicht an Bord gegeben hatte. Überhaupt sind in der IMDb im Kapitel „Goofs“ eine ganze Reihe von sachlichen Irrtümern und Anachronismen aufgelistet, während man andere Details zur Entstehungszeit des Films noch gar nicht kennen konnte, da sich manche der Vorgänge beim Versinken des Schiffes erst nach der Entdeckung und Untersuchung des Wracks im Jahre 1985 rekonstruieren ließen.

Dennoch gilt „A Night to Remember“ bis heute von allen Titanic-Verfilmungen als jene, bei der man sich am erfolgreichsten um Realitätsnähe bemühte und dabei vergleichsweise wenig auf inszeniertes Drama und emotionsgeladene Szenen setzte. Ganz anders, als der bis heute beim Publikum und finanziell erfolgreichste Film zum selben Thema, auch wenn dessen Regisseur betonte, dass „A Night to Remember“ als Vorbild für seinen eigenen Film diente, wobei seine Fehlerliste in der IMDb allerdings zehnmal so viele Einträge aufweist.

Sollten sich aber in Zukunft tatsächlich noch einmal Filmemacher an dieses Thema begeben, so ist – egal ob es sich um eine möglichst exakte Darstellung des Geschehens, oder hemmungsloses Schwelgen im Kitsch handelt – nicht mehr mit allzu viel Erkenntniszuwachs zu rechnen, denn heute, 100 Jahre nach den Ereignissen, ist mit Sicherheit keiner der Augenzeugen mehr am Leben.

(A Night to Remember, Großbritannien 1958; Regie: Roy Ward Baker.)

Hero

„Wenn man sich nach einigen Jahren an Hero erinnert, dann wird man sich an die Farben erinnern. Man wird sich an zwei Frauen in einem Meer von goldenen Blättern erinnern, die in roter Kleidung durch die Luft tanzen. Man wird sich an zwei Männer erinnern, die auf einem spiegelglatten See ihre Schwerter nutzen, um ihre Traurigkeit auszudrücken.“

Vielleicht sollte man diesen Worten des Regisseurs Zhang Yimou der besseren Anschaulichkeit halber noch hinzufügen, dass allein die erwähnte See-Szene fast drei Wochen in Anspruch nahm, weil er darauf bestand, nur bei absolut ruhiger Wasseroberfläche zu drehen, was bei diesem speziellen See nur an zwei Stunden pro Tag der Fall war, und dass für die andere erwähnte Szene der goldenen Blätter, zunächst abgewartet werden musste, bis die tatsächlichen, in der Natur vorhandenen, nicht etwa am Computer digital eingefärbten, Blätter sich gelb färbten. Als es soweit war, wurden eigens Blattsammler angeheuert, deren alleinige Aufgabe darin bestand, ausreichend Blätter der richtigen Farbe einzusammeln, die dann in vier Kategorien sortiert wurden, um entsprechend ihrer Farbe, Frische und Sauberkeit, zum Einsatz zu kommen.

Für die, ebenfalls in dieser Szene zu sehende, rote Kleidung musste wiederum ein spezieller roter Farbstoff aus England importiert werden, nachdem zahlreiche, von der Kostümbildnerin Emi Wada vorgeschlagene Proben vom Regisseur verworfen worden waren, da sie nicht exakt seiner Vorstellung entsprachen – Emi Wada durfte sich also zusätzlich zur Auswahl der Stoffe und dem Design der Kleider auch mit dem Einfärben derselben befassen. Und es blieb nicht nur bei Stoffen: mehr als 300 Pferde wurden ebenfalls schwarz eingefärbt, da sie so angeblich eher den ‚historischen Vorgaben‘ (will meinen: den farblichen Vorstellungen des Regisseurs) entsprachen, während wir von den ungefähr 18000 eingesetzten Statisten zwar annehmen dürfen, dass sie nur eingekleidet und nicht auch umgefärbt wurden, aber auch hier waltete Perfektionismus: zum Beispiel wurden alle der unüberschaubar vielen Soldaten der Qin-Armee von tatsächlichen Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee dargestellt.

Man könnte immer so weitermachen: Mit Jet Li und Donnie Yen wurden zwei Martial-Arts-Legenden angeheuert, wobei nicht nur deren Action-Szenen vom eigens dafür hinzu geholten Martial-Arts-Action-Szenen-Guru Siu-Tung Ching choreographiert wurden, der von „A Chinese Ghost Story“ über diverse Jet Li-Filme bis zu „House of the Flying Daggers“ mittlerweile so ziemlich alle Varianten des Wuxia durchgespielt hat. Die bereits erwähnte japanische Kostümbildnerin Emi Wada hatte schon die Kostüme für Akira Kurosawas Ran entworfen und neben vielen anderen Auszeichnungen hierfür den Oscar erhalten, während sich Zhang Yimou von Wong Kar-Wai nicht nur den ebenfalls zigfach ausgezeichneten Kameramann Christopher Doyle auslieh, sondern auch Maggie Cheung Man-Yuk und Tony Leung Chiu-Wai, die zu den ganz großen Stars, nicht nur des chinesischen Kinos, zählen und hier auch nicht zum ersten Mal ein Liebespaar geben.

Kein Wunder also, dass Hero diesen Film hier als teuersten chinesischen Film aller Zeiten ablöste und den Titel bis heute verteidigen konnte. Nur, dass es eben bei aller Schönheit der Bilder in beiden Filmen, dem Regisseur Chen Kaige gelungen ist, seinem Film eine eindeutige politische Aussage mitzugeben, während die von Zhang Yimou gedrehte, deutlich abstraktere Behandlung desselben Themas zu vollkommen unterschiedlichen Interpretationen hinsichtlich der politischen Aussage führte.

(Hero, China 2002; Regie: Zhang Yimou.)

Jing Ke ci Qin Wang

„It is a country that has no past. Political regimes systematically robbed us of history and it’s only now that we are beginning to get it back.“ Der Regisseur Chen Kaige, der dies über sein Heimatland China sagt, hat ebenso wie Zhang Yimou, die sogenannte Kulturrevolution in China als Teenager erlebt. Beide gehörten später zum ersten Jahrgang der 1978 wieder eröffneten Pekinger Filmakademie. Wobei es Chen Kaige war, der als Regisseur gleich mit seinem ersten Film „Gelbe Erde“ internationalen Erfolg hatte, während Zhang Yimou hier den Kameramann machte.

In einem anderen Interview sagte Kaige, dass historische Themen bei den Filmemachern in China auch deshalb sehr beliebt seien, weil man es bei zeitgenössischen Themen immer mit der Politik zu tun kriege. Ganz besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei die Geschichte des ersten Kaisers von China, dem es nach Jahrhunderten mit ständigen Kriegen gelang, die vormals sieben Königreiche zu unterwerfen und zu einem einzigen, großen Kaiserreich zusammenzufügen. Dass er dabei weniger auf gutes Zureden und Diplomatie setzte, sondern auf Waffen und Gewalt, ist wohl naheliegend, allerdings wird seine Geschichte so erzählt, dass er dabei auch weit über das notwendige Maß hinaus zerstörerisch und brutal bis hin zur Grausamkeit sein konnte. Das perfekte Thema also, um sich mit so zeitlos aktuellen Fragen wie Menschenwürde, Machtstreben und Verantwortung, Allgemeinwohl contra Freiheit des Individuums und der Rechtfertigung von Gewalt auseinanderzusetzen.

Sollte Chen Kaige aber tatsächlich angenommen haben, dass er hier einen guten Weg gefunden hatte, seinem Land einerseits mit den Mitteln des Films einen Teil seiner Geschichte zurückzugeben, und gleichzeitig weitgehend unbehelligt von der chinesischen Zensurbehörde zu bleiben, so lag er falsch: es gab eine ganze Menge an Hindernissen zu überwinden, wobei die wirkungsvollste Methode, einen Monumentalfilm zu verhindern natürlich immer darin besteht, ihm das Geld zu streichen, was wiederum dazu führte, dass „Jing Ke ci Qin Wang“ (The Emperor and the Assassin) zwar für einige Jahre der teuerste Film war, der in China von einem chinesischen Regisseur gedreht worden war – allerdings überwiegend finanziert mit Geld aus Japan und Frankreich.

Als aktuell teuerster und aufwendigster chinesischer Film gilt laut IMDB zur Zeit übrigens der Film von Kaiges oben schon erwähnten Kollegen Zhang Yimou, den dieser vier Jahre später zu genau demselben Thema drehte, allerdings sieht hier das Ergebnis vollkommen anders aus

(Jing Ke ci Qin Wang, China 1998; Regie: Chen Kaige.)

The Fountain

Als das Kronos Quartet im Jahr 1973 von David Harrington in Seattle gegründet wurde, war Darren Aronofsky gerade einmal 4 Jahre alt. Und während die Musiker des Streichquartetts in den vergangenen fast 40 Jahren in teilweise wechselnder Zusammensetzung weltweit tausende von Konzerten gegeben haben, mehr als 45 Platten einspielten und dafür mit zahlreichen Preisen bedacht wurden, hat es Aronofsky als Filmregisseur bisher auf gerade einmal drei kurze und fünf lange Filme gebracht, für die er allerdings auch schon eine ganze Reihe von Auszeichnungen erhalten hat. Von Anfang an widmete sich das Kronos Quartet hauptsächlich der zeitgenössischen Musik und hier besonders gerne den Komponisten der Minimal Music, wie Terry Riley, Steve Reich und Philipp Glass, was sie auch schon früh in den Bereich Filmmusik führte: 1985 und 1999 spielten sie für Philipp Glass die Soundtracks zu „Mishima“ und „Dracula“ ein, worauf in den Jahren 2000 und 2006 die Zusammenarbeit mit Clint Mansell folgte, der für seinen Freund Aronofsky die Musik zu den Filmen „Requiem for a Dream“ und „The Fountain“ komponiert hatte. Bei der Musik zu The Fountain stieß dann auch noch die schottische Postrock Band Mogwai hinzu und alles in allem konnte bei derart eingespielten Profis praktisch nichts mehr schief gehen.

Allerdings war die Filmmusik auch so ziemlich das Einzige, was an The Fountain auf Anhieb und reibungslos funktionierte. Denn ansonsten musste Aronofsky das Skript mehrfach umschreiben und kürzen und die ursprünglich vorgesehenen Hauptdarsteller sprangen kurz vor dem geplanten Drehbeginn ab, um sich anderen Projekten zu widmen, was wiederum zur Folge hatte, dass der Film von der Produktionsfirma Warner Brothers zunächst auf Eis gelegt und erst nach weiteren zwei Jahren und nur mit einem um die Hälfte reduzierten Budget realisiert wurde.

Während dies alles Aronofsky wahrscheinlich einiges an Kraft und Nerven gekostet hat, tat es dem Film selbst aber in mancher Hinsicht gut: das ursprüngliche Skript war nicht verloren, sondern wurde vom Zeichner Kent Williams in ein Comic umgesetzt und man mag sich auch lieber nicht vorstellen, was es für ein Film geworden wäre, hätten tatsächlich Brad Pitt und Cate Blanchet statt Hugh Jackman und Rachel Weisz die Hauptrollen gespielt. Nicht zuletzt die Budget-Kürzung trug aber auch dazu bei, dass Aronofsky statt teure CGI-Technik bei den Spezialeffekten einzusetzen, auf solides Handwerk, zum Beispiel die Petrischalen des Peter Parks, zurückgriff. Dieser hatte sich nämlich darauf spezialisiert, von ihm herbeigeführte chemische Reaktionen abzufilmen, die, auf das Großformat einer Kinoleinwand projiziert, überwältigend schöne Bilder schaffen – die perfekte Ergänzung zu einem Film, in dem ansonsten Krankenhäuser aussehen, wie Raumschiffe und Raumschiffe wie fliegende Gärten. Wem also die Handlung zu pathetisch erscheinen sollte, dem bleibt noch immer die Möglichkeit, ganz einfach Bilder und Musik auf sich wirken zu lassen, was in diesem Falle auch schon völlig ausreichend ist, für großes Kino.

(The Fountain, USA 2006; Regie: Darren Aronofsky.)

Lady Windermere‘s Fan

Nachdem Oscar Wilde bereits einige Jahre lang erfolgreich die viktorianische feine Gesellschaft seiner Zeit durch seine Texte, Reden und sein gesamtes öffentliches Auftreten, inklusive seiner Art sich zu kleiden, provoziert hatte, entdeckte er mit dem Theater eine ganz neue Möglichkeit, für Aufregung zu sorgen. Seine ersten Stücke, melodramatische Tragödien, zeigten zwar noch nicht den rechten Erfolg, aber dies änderte sich, als er einen anderen, subtileren Weg fand, indem er zu vorgeblich leichteren, aber ebenso gesellschaftskritischen Stücken wechselte. Romantische Salonkomödie nannte man so etwas und es war für Wilde genau die richtige Spielwiese, um die Eigenarten der Upper Class treffend zu karikieren und vorzuführen. Das erste Stück dieser Art und auch gleich eines seiner erfolgreichsten, hieß „Lady Windermere‘ s Fan – A play about a good woman“ und feierte 1892 in London seine Premiere. Wobei die Entscheidung darüber, wer, und nach welchem Maßstab, die gute, oder besser: anständige Frau in diesem Stück ist, dem Publikum überlassen blieb, das zugleich die Möglichkeit erhielt, sich über die moralischen Zustände ein wenig zu entrüsten.

Wildes Komödien sind durch Schlagfertigkeit und temporeiche Dialoge gekennzeichnet, ebenso wie die Filme von Ernst Lubitsch mit dem speziellen ‚Lubitsch-Touch‘, vom dem hier bereits an anderer Stelle die Rede war. Umso eigenwilliger war also eigentlich die Idee, ein Stück von Oscar Wilde ausgerechnet in einen Stummfilm zu verwandeln. (Wobei Ernst Lubitsch damit noch nicht einmal der erste war, schon 1916 hatte es eine britische Stummfilmfassung unter der Regie von Fred Paul gegeben.) Aber Lubitsch versuchte gar nicht erst, die Dialoge aus Wildes Theaterstück in Zwischentiteln unterzubringen, sondern wählte einen ganz anderen Ansatz, indem er auf Mimik und Gestik ebenso wie spezielle Bildkompositionen setzte: mal eingerahmt durch ein Labyrinth, mal aus verschiedenen Perspektiven, sieht das Publikum oft mehr als die handelnden Personen und kann die daraus resultierenden Missverständnisse und Verwicklungen so auch ohne ausführliche Erklärung nachvollziehen.

Wer aber nun die später oft persiflierte, übertriebene Stummfilm-Mimik und -Gestik mit rollenden Augen und ohnmächtig zu Boden sinkenden Damen vor sich sieht, irrt, denn nicht nur das Treffsichere, sondern auch das Subtile, das sowohl für Wilde als auch für Lubitsch typisch ist, blieb hier in vollem Umfang erhalten.

Lady Windermere‘s Fan steht bei Archive.org zum freien und kostenlosen Download zur Verfügung. Nur Musik muss man sich selbst dazu auflegen.

(Lady Windermere‘s Fan, USA 1925; Regie: Ernst Lubitsch.)

Mind Game

Vom japanischen Anime Studio 4°C war hier schon im Zusammenhang mit Genius Party die Rede. Einer der schönsten Beiträge dieser Kurzfilm-Anthologie ist „Happy Machine“, dessen Regisseur Masaaki Yuasa vier Jahre vorher ebenfalls für das Studio 4°C beim abendfüllenden Animefilm „Mind Game“ Regie geführt hatte. Unterstützt wurde er dabei von Koji Morimoto und Shinchiro Watanabe, die mit „Dimension Bomb“ und „Baby Blue“ später ebenfalls Beiträge zu Genius Party bzw. Genius Party Beyond lieferten.

Auch bei Mind Game sind, wie bei den zwei Genius Party Filmen, verschiedene Animations- und Zeichenstile in einem Film versammelt, allerdings nicht in mehreren in sich geschlossenen Episoden verschiedener Autoren, sondern um nur eine einzige, fortlaufende, in sich verschachtelte Geschichte zu erzählen, die auf der gleichnamigen Manga-Serie von Robin Nishi beruht. Zusätzlich kamen Schauspieler zum Einsatz, die teilweise überzeichnet oder mit Animationen kombiniert wurden. Überhaupt sind die verschiedenen Stile hier nicht fein säuberlich von einander getrennt, sondern wechseln sich in rascher Folge ab, fließen ineinander, überlagern und ergänzen sich, was ebenso bunt, einfallsreich und skurril ist, wie die Geschichte, die sie erzählen, und das, obwohl es doch eigentlich um sehr ernste Themen geht: um das Überwinden von Ängsten und Hindernissen, um Liebe, das Leben und den ganzen Rest. Und Gott kommt auch zu Wort.

(Mind Game, Japan 2004; Regie: Masaaki Yuasa.)

All About Eve

„Fasten your seatbelts. It’s going to be a bumpy night.“ belegt auf der Liste des American Film Institute der 100 besten Sprüche in us-amerikanischen Filmen den 9. Platz (nach diesem und vor diesem Satz) und ist, ebenso wie der Filmtitel, in zahlreichen Filmen zitiert, variiert und veralbert worden. Dass es mit Bette Davis als Hauptdarstellerin auf alle Fälle ‚bumpy‘ Dreharbeiten werden würden, davon waren jedenfalls eine ganze Reihe der Leute überzeugt, die bereits vorher mit ihr zusammen gearbeitet hatten, unter ihnen der Regisseur Edmund Goulding, der seinen Kollegen Joseph L. Mankiewicz anrief um ihn zu warnen: Bette Davis würde ihn zermahlen, bis nur noch ein Häufchen feiner Staub von ihm übrig bliebe.

Mankiewicz, der nicht nur Regie führte, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, hatte die Rolle ursprünglich für Clodette Colbert geschrieben, die aber nun infolge eines Unfalles nicht einsatzfähig war, und als dann noch noch eine nach der anderen der Frage kommenden Schauspielerinnen ausfielen, weil sie entweder zu jung oder zu deutsch waren, seltsame Forderungen hatten oder schlicht nicht verfügbar waren, fiel die Wahl auf Bette Davis, die als eigensinnig und schwierig galt, aber auch dafür bekannt war, viel Einsatz zu zeigen. (Und dabei für eine Hollywood-Schauspielerin ungewöhnlich wenig Eitelkeit an den Tag legte, wenn sie hier zum Beispiel zum ersten Mal zu sehen ist, hat sie eine dicke Fettschicht im Gesicht.)

Tatsächlich hatte Bette Davis keineswegs vor, Mankiewicz das Leben schwer zu machen, denn nach Jahren voll mit Streitigkeiten und einem Prozess gegen ihr Studio Warner Brothers sowie unglücklich ausgewählten Rollen in wenig erfolgreichen Filmen, war dies, so erzählte sie noch viele Jahre später in einem Interview, ihre „Auferstehung von den Toten“. Und auch Mankiewicz sagte über sie, sie sei eine der professionellsten und umgänglichsten Schauspielerinnen gewesen, mit denen er je gearbeitet habe.

Gelohnt hat es sich für Mankiewicz auf alle Fälle, denn bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1951 machte All About Eve Joseph L. Mankiewicz nach John Ford (1940 und 1941) zum bislang einzigen Titelverteidiger beim Academy Award für die beste Regie (nach A letter to three Wives von 1949). Überhaupt kam der Film bei Publikum wie Kritikern gut an, und das, obwohl fast alle Charaktere ständig rauchen und gelegentlich zu viel trinken, vor allem aber hemmungslos ihren Narzissmus ausleben und trotzdem sämtlich wie intelligente und erwachsene Menschen erscheinen. Sogar Marilyn Monroe hat hier nicht nur einen frühen, aber für sie typischen Auftritt, sondern auch Momente der Erkenntnis.

Dementsprechend war er bei der Oscar-Verleihung des Jahres 1951 nicht nur im Hinblick auf Mankiewicz als Regisseur erfolgreich. Zum ersten Mal in der Geschichte der Academy Awards wurden zwei Schauspielerinnen aus demselben Film als beste Hauptdarstellerinnen nominiert, was aber vielleicht gar keine so gute Idee war, denn schließlich ging der Oscar an keine von beiden, sondern an Judy Holliday für Born Yesterday.

Trotzdem erhielt All About Eve insgesamt sechs Oscars: für den besten Film, Regie, Drehbuch, männliche Nebenrolle (George Sanders), Kostüme und den besten Ton. Bei den Nominierungen erzielte er mit 14 zudem einen Rekord, der 46 Jahre lang nicht wiederholt wurde, bis im Jahr 1997 ausgerechnet dieser Film gleichzog. Den Rekord der meisten Oscar-Nominierungen für weibliche Rollen (neben Bette Davis und Anne Baxter für die Hauptrolle waren auch Celeste Holm und Thelma Ritter für die beste weibliche Nebenrolle nominiert), hält er allerdings bis heute.

(All About Eve, USA 1950; Regie: Joseph L. Mankiewicz.)

Sita sings the Blues

Wenn man auch am Beispiel dieses Films sehen kann, dass es zur Zeit ganz hilfreich ist, englisch zu verstehen, um deutsche Klassiker im Internet anzuschauen, so soll dies natürlich keineswegs bedeuten, dass die in den USA geltenden Copyright-Regelungen es den Filmschaffenden einfacher machen würden. Denn auch, wenn man den Film komplett selbst macht, die Musik bei Freunden in Auftrag gibt und sich versichert, dass auf die Lieder, die man zusätzlich verwenden möchte, kein Copyright mehr besteht, so heißt das noch lange nicht, dass niemand in den USA Forderungen stellen kann, von der deutschen GEMA mal ganz zu schweigen…

Aber fangen wir von vorne an: Das Ramayana ist eine der großen epischen Erzählungen der indischen Mythologie. Es handelt von den Prüfungen und Erlebnissen des Prinzen Rama und seiner Frau Sita und wurde, nachdem es Jahrhunderte lang überwiegend mündlich überliefert worden war, vor etwa 2000 Jahren in seiner heute bekannten Fassung schriftlich niedergelegt, was es ausgesprochen schwierig macht, darauf ein wie auch immer geartetes Copyright anzumelden. Wenn nun die Amerikanerin Nina Paley dieses mit sehr zeitgemäßen eigenen Erlebnissen verknüpft und in fünf Jahre langer Arbeit am heimischen Computer daraus einen Animations-Film macht, dann sollte man eigentlich davon ausgehen, dass alle daraus resultierenden Rechte ausschließlich bei ihr liegen.

Auch dann noch, wenn sie ihren Film mit Liedern der in den 1920ern und frühen 30er Jahre populären Jazz-Sängerin Annette Hanshaw unterlegt, da sie sich vorher versichert hatte, dass auf diese kein Copyright besteht. Was Annette Hanshaw anging, so lag Nina Paley damit auch richtig, allerdings gibt es in den USA noch eine ganze Reihe darüber hinaus gehender Copyrights, zum Beispiel Rechte auf die Aufnahmen, auf die Komposition und den Liedtext sowie das Recht, die Aufnahmen mit Bildern zu unterlegen (mehr dazu hier), welche sie nicht eingeholt hatte, was dazu führte, dass mit der Publikation ihres Filmes Forderungen von annähernd 220.000 Dollar auf sie zukamen. Nach langen Verhandlung einigte man sich darauf, die Rechte gegen eine Gebühr von immer noch 50.000 Dollar an Nina Paley zu vermieten und ‚Sita sings the Blues‘ konnte seine Premiere im Jahr 2008 auf der Berlinale feiern.

Da die Künstlerin selbst eine engagierte Vertreterin der Free Culture Idee ist, hat sie ihren Film zudem unter eine Creative Commons Lizenz gestellt, weshalb er legal und kostenlos sowohl auf ihrer eigenen Website, als auch bei Archive.org angeschaut und heruntergeladen werden kann. Und weil es ein wirklich schöner und origineller Film ist, wurde er verdientermaßen in den letzten Jahren mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht.

Soweit hätten nun also eigentlich alle Beteiligten zufrieden sein können, hätte nicht eines Tages die GEMA ‚Sita sings the Blues‘ bei Youtube entdeckt, einen Urheberrechtsverstoß gewähnt und den Film für Deutschland kurzerhand und ohne bei der Urheberin nachzufragen, bei Youtube sperren lassen. Was wiederum dazu führte, dass Nina Paley selbst einen Film bei Youtube einstellte, in welchem sie die ganze Rechtelage erneut erklärte und zusätzlich den Lizenzvertrag in die Kamera hielt: „…it does say: ‚Licensed Territory: The world‘ – it does not say, the world except Germany, where GEMA can block whatever they want.“

Es scheint gewirkt zu haben, denn auch, wenn die GEMA ihrerseits weder einen Film bei Youtube einstellen ließ, in welchem sie ihr Vorgehen erklärt, noch einen, in dem sie sich offiziell für den Fehler entschuldigt, so ist ‚Sita sings the Blues‘ – zumindest bis auf Weiteres – auch dort wieder abrufbar. Den Download und weitere Hinweise sowie Links auf andere Websites und Formate findet man aber übersichtlicher zusammengestellt auf der von Nina Paley selbst eingerichteten Website: sitasingstheblues.com.

(Sita sings the Blues, USA 2008; Regie: Nina Paley.)

Charade

„How do you shave in there?“ Es war der letzte Film, in dem Cary Grant den romantischen Helden gab, und eigentlich hatte er diese Rolle wohl auch schon gar nicht mehr übernehmen wollen, er selbst Ende fünfzig, Audrey Hepburn erst 33 Jahre alt und damit 26 Jahre jünger als er…

Aber Peter Stone, der Drehbuchautor, fand eine pragmatische Lösung: er strich einfach alle Dialogzeilen aus Grants Rolle, in denen dieser sein Interesse an Hepburns Charakter allzu eindeutig erkennen lässt und schrieb sie Audrey Hepburns Rolle zu. Somit war es nicht mehr der ältere Herr, der sich an die deutlich jüngere Frau heranmacht, sondern umgekehrt, wobei Cary Grant in der Duschszene auch noch den Anzug anlassen durfte und der Rolle von Audrey Hepburn unter anderem durch das Alter ihres verstorbenen Ehemannes, eine generelle Vorliebe für ältere Männer ins Drehbuch geschrieben wurde. – Immerhin ein Fortschritt, denn als für Audrey Hepburn neun Jahre vorher mit dem Film Sabrina und dem dreißig Jahre älteren Humphrey Bogart eine ganze Serie von Filmen begann, in denen sie – selbst erst Anfang zwanzig – jeweils die eine Hälfte von Liebespaaren spielte, deren männliche Partner locker ihre Väter hätten sein können, schien man das in Hollywood noch völlig in Ordnung zu finden und niemand machte sich die Mühe, die Drehbücher hin zu mehr weiblicher Selbstbestimmung umzuschreiben.

Es waren wohl auch nicht zuletzt die selbstbewusst angelegte Rolle Hepburns und die eher zurückhaltende Cary Grants, die Charade zu einem Erfolg machten – wobei in der Freude darüber anscheinend vergessen wurde, das Copyright korrekt zu beantragen, weshalb der Film, nicht aber die Musik von Henry Mancini und das Originalmanuskript von Peter Stone, schon kurz nach seiner Premiere in die Public Domain übergingen (mehr dazu hier) und heute bei Archive.org zum Download zur Verfügung steht.

(Charade, USA 1963; Regie: Stanley Donen.)