Category Archives: Destruktive Energie

Genius Party

„Taken from the fact that water is at its densest at that temperature, 4°C represents STUDIO 4°C‘s creative manifesto to ‚create only works that are dense with substance and extreme quality‘.“ So ist es zu lesen auf der website des japanischen Anime-Studios 4°C und ein schönes Beispiel für die angestrebte ‚Dichte an Substanz‘ ist die Produktion des Studios mit dem auch nicht eben bescheidenen Titel „Genius Party“: insgesamt zwölf Anime-Kurzfilme von zwölf verschiedenen Regisseuren.

Einige der Beteiligten waren schon vorher als Anime-Regisseure erfolgreich, zum Beispiel Mahiro Maeda, der vorher für das Studio Ghibli tätig war und Koji Morimoto, der vorher ebenfalls für einen der ganz Großen des japanischen Animes, Katsuhiro Otomo, gearbeitet hatte und zudem u.a. für das Video zu „Extra“ von Ken Ishii verantwortlich war; auch hatten beide Segmente zum 2003 erschienenen Film „The Animatrix“ von Studio 4°C beigesteuert. Oder Masaaki Yuasa, der beim – ebenfalls von Studio 4°C produzierten – abendfüllenden Anime „Mind Game“ von 2004 die Regie führte und Kazuto Nakazawa, der für die Animation des auf MTV im Jahr 2004 ausgesprochen beliebten Musikvideos „Breaking the Habit“ von Linkin Park verantwortlich war. Andere, wie Shinji Kimura und Yoji Fukuyama hatten sich bereits als Zeichner oder künstlerische Leiter bei anderen Projekten einen guten Ruf erworben, gaben hier aber ihr Debüt als eigenverantwortliche Anime-Regisseure.

Ihnen allen – dies betonte man im Studio 4°C – ließ man, soweit wie möglich, freie Hand für ihre Ideen, es gab lediglich als Vorgabe das Thema „Energie“, aber wie dies zeichnerisch oder erzählerisch umzusetzen war, blieb den Künstlern überlassen. Und so sind zwölf in jeder Hinsicht sehr unterschiedliche Anime-Kurzfilme entstanden, von denen die ersten sieben im Jahr 2007 unter dem Titel „Genius Party“ erschienen und die nächsten fünf 2008 als „Genius Party Beyond“ folgten.

Welche von diesen nun auch das Prädikat „genial“ verdient haben, mag man beim Zuschauen für jeden einzeln entscheiden, aber sehenswert sind sie sicherlich alle.

(Genius Party, Japan 2007; Regie: Atsuko Fukushima, Shoji Kawamori, Shinji Kimura, Yoji Fukuyama, Hideki Futamura, Masaaki Yuasa, Shin’ichiro Watanabe und Genius Party Beyond, Japan 2008; Regie: Mahiro Maeda, Koji Morimoto, Kazuto Nakazawa, Shin’ya Ohira, Tatsuyuki Tanaka.)

The 39 Steps

Ein MacGuffin kann ein Koffer sein, eine Aktentasche oder ein Päckchen. In Agentenfilmen sehr beliebt sind auch Mikrofilme mit geheimen Informationen oder gleich der ‚Weltenformel‘, es kann sich aber auch um außerirdische Steine handeln, den Inhalt einer Flasche, einen Schlitten, einen Teppich oder den Heiligen Gral – eigentlich kann es alles sein, denn ein McGuffin ist nach Alfred Hitchcock ein Objekt, das die Handlung eines Films zwar auslöst und entwickelt, selbst dabei aber völlig bedeutungslos bleiben kann.

Stets aber ist es ein Objekt der Begierde, das die handelnden Personen veranlasst, ihm hinterher- oder es sich gegenseitig abzujagen, was zu kriminellen Handlungen, Flucht, Verfolgung und Verrat führt und wobei – je nach Drehbuch und/oder Budget – eine unterschiedliche Menge an Material, Autos und Protagonisten auf der Strecke bleiben.

In diesem Fall verbirgt sich der MacGuffin gleich im Titel und was es damit auf sich hat, kann oder auch nicht am Ende aufgeklärt werden, ist aber auf alle Fälle sehenswert, da es sich hier um einen frühen, aber typischen Hitchcock handelt, inklusive dem unschuldig verfolgten Helden und der eigenwilligen Blondine, die ihn mehr oder weniger unfreiwillig auf seiner Flucht begleitet sowie einem Cameo-Auftritt des Meisters bei Minute 7. Und das alles gibt es zum Download bei Archive.org.

(The 39 Steps, Großbritannien 1935; Regie: Alfred Hitchcock.)

The Fifth Element

„Sind Sie… von der Erde?“ versus „Are you Germans?“ – Nein, es sind die Mondoshawan.

Die Geschichte ist weder neu, noch besonders originell: die Erde ist mal wieder in Gefahr, von bösen Mächten zerstört zu werden, und nun wird dringend ein Held gebraucht, der den Planeten rettet. Dass der nun ausgerechnet von Bruce Willis (erster Vorname Walter, Geburtsort Ida-Oberstein) dargestellt wird, ist ebenfalls nicht wirklich ausgefallen und dass hinter kapitalistischem Großunternehmertum auf der Basis von Waffenhandel (und in diesem Falle: einer Taxi-Firma) nur das ultimative Erzböse stecken kann, hatten wir sowieso schon immer geahnt.

Gut und Böse sind hier jedenfalls klar aufgeteilt, der Angreifer ist selbstverständlich übermächtig, und eine sexy Heldin in knapper Bekleidung gibt es auch. Es ist also absolut glaubhaft, wenn Regisseur Luc Besson erzählt, er habe sich die Handlung zumindest in groben Zügen schon als Teenager in der High School ausgedacht. Was derselbe Teenager aber auch tat, war fleißig Comics (pardon: Graphic Novels) zu lesen und das ist es, was den Film wirklich zu etwas Besonderem macht, denn Besson heuerte seine persönlichen Favoriten, zwei der berühmtesten französischen Comic-Autoren an, um den visuellen Stil des Films zu erschaffen: Jean Giraud, alias Moebius und Jean-Claude Mézières. Moebius hatte schon vorher an Filmen mitgewirkt und beide hatten zahlreiche Filme inspiriert, wobei Letzteres aber keineswegs immer honoriert worden war. Die beiden Zeichner kannten sich vom Studium an der Académie des Beaux-Arts in Paris, hatten aber noch nie zusammen gearbeitet und machten sich nun gemeinsam daran, in zahlreichen detaillierten Zeichnungen und Storyboards die Optik der Zukunft zu entwerfen: von Straßenschluchten mit fliegenden Taxis und China-Imbissen über Raumschiffe und Vergnügungsplaneten bis zum Aussehen von Aliens und Menschen, der Apartments in denen sie leben und der Form der Zigaretten, die sie rauchen.

Und da es im Comic ja möglich ist, mit wenigen Strichen, Settings und Ereignisse zu schaffen, deren Umsetzung im Film (zumindest im Jahre 1996 noch), eine sehr teure Angelegenheit werden können, uferte das Ganze bisweilen ein wenig aus: eine der Szenen zeigt z. B. die größte „Indoor-Explosion“, die jemals gefilmt wurde und zudem beinahe außer Kontrolle geraten wäre. Überhaupt war er mit 80 Millionen Dollar allein für die Special-Effects, zu seiner Zeit der teuerste Film, der bis dahin in Europa produziert worden war. Aber auch dort, wo das Medium Comic an seine Grenzen stößt, und der Film seine Möglichkeiten entfaltet, waren Spezialisten am Werk: Mit Thierry Arbogast war jener Kameramann dabei, der bislang am häufigsten für den französischen Filmpreis César nominiert wurde, Jean Paul Gaultier höchstselbst entwarf 954 Kostüme und der Soundtrack stammt von Éric Serra, einem nicht nur von Luc Besson gerne gebuchten Filmkomponisten.

Bei dieser geballten Ansammlung französischer Kreativität konnte es natürlich nicht anders sein, dass „The Fifth Element“ 1997 als Eröffnungsfilm bei den Festspielen in Cannes lief, wo er überwiegend positiv aufgenommen wurde, während nämlich einige wenige Kritiker nach tieferem Sinn und Logik suchten, ließen die anderen sich schlichtweg unterhalten, denn das Ganze ist laut, hektisch, bunt und knallig, und macht einfach Spaß anzuschauen, vor allem Gary Oldman als Nietzsche zitierender („Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“) Ausbeuter-Kapitalist, der selbstgefällige Monologe über Zerstörung als Triebfeder der Ökonomie hält, was im Übrigen eine zwar immer noch beliebte, aber dennoch falsche Argumentation ist, wie schon Frédéric Bastiat wusste.

(The Fifth Element, Frankreich 1997; Regie: Luc Besson.)

The Ice Harvest

Weihnachten: „what a wonderful season – so full of mutual understanding!“ Und welche Zeit könnte auch besser geeignet sein für das perfekte Verbrechen, als diese? Während die Einen das Fest der Liebe im trauten Kreise der Familie begehen, und die Anderen zu diesem Zweck Strip-Bars oder Bordelle aufsuchen, haben die Dritten freie Bahn um große Mengen Geldes an sich zu bringen.

Als „The Ice Harvest“ im November 2005 in die amerikanischen Kinos kam, war sein Einspiel-Ergebnis schon am ersten Wochenende dermaßen miserabel, dass er nach nur drei Wochen wieder aus selbigen verschwand; außerhalb der USA war er überhaupt fast nur im Rahmen von Film Festivals im Kino zu sehen und selbst die DVD findet sich – wenn überhaupt – dann oft nur sehr weit hinten und tief unten im Regal der Videotheken. Die bei weitem meisten Kritiker mochten den Film nicht, in der IMDB kommt er aktuell auf gerade einmal 6.2 Punkte und bei Rotten Tomatoes nur auf vernichtende 46%. Und das bei einem Film, der nicht nur mit John Cusack, Billy Bob Thornton und Oliver Platt in den Hauptrollen, sondern auch in nahezu jeder noch so kleinen Nebenrolle mehr als überzeugend besetzt ist, bei dem Harold Ramis Regie geführt hat (Ghostbusters: Schauspieler und Drehbuch; Groundhog Day: Regie und Drehbuch), und in dem man nebenbei auch noch allerlei Wissenswertes über die Vorzüge deutscher Autos gegenüber jenen amerikanischer Bauweise erfahren kann.

Vielleicht weckte die Vorweihnachtszeit als Starttermin aber auch die falschen Erwartungen, denn ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie ist The Iceharvest wohl eher nicht. Oder, um es ausführlicher zu sagen, nämlich mit der amerikanischen Website, deren vielsagender Titel „commonsensemedia“ lautet und die Eltern Empfehlungen für kindgerechten Medienkonsum gibt („We are the nation’s leading independent non-profit advocating for kids“):

„Parents need to know that this movie isn’t for kids. (…) it shows repeated arguments among friends and family members: one man argues with his wife; a young boy yells at his father; another man shoots his wife (off screen); two best friends eventually bond over their mutual hatred of the woman they have both married, one after the other. Characters lie, cheat, fight, and vomit. They drink to drunkenness (one from a flask while driving), smoke cigarettes, and hang out in strip clubs. Acts of violence involve handguns, shotguns, knives, and cars.

Eben. Nicht geeignet also, um Besinnlichkeit an den Festtagen herbeizuführen, aber pure Therapie für alle, die genau das vermeiden möchten. Ho, ho, fucking ho!

(The Ice Harvest, USA 2005; Regie: Harold Ramis.)

A Chinese Ghost Story

Selbstverständlich haben weder Japan noch Großbritannien das Geisterfilmwesen in Serie alleine gepachtet – auch das Hong Kong Kino hat hier seinen Beitrag geleistet: A Chinese Ghost Story z. B. bringt es bisher auf zwei Fortsetzungen, ein Remake und eine Fernsehserie, wobei einige der hier wiederholt eingesetzten Motive auch in europäischen und amerikanischen Horrorfilmen sehr beliebt sind: allerdings wehen hier nicht nur Vorhänge, sondern große Mengen von Stoff durch die Nacht, ebenso wie bleiche Fräuleins mit Untertemperatur in langen weißen Gewändern. Es gibt verräterische Blutflecken und natürlich Kerzen, die im falschen Moment verlöschen, was wiederum außer Wölfen auch Zombie-Mumien und Geister in bester Stop-Motion Animation auf den Plan ruft, wie sie selbst von Ray Harryhausen kaum ansprechender hätten gestaltet werden können.

Auch die Figur des etwas naiven, aber anständigen jungen Mannes, der sich all dem beherzt entgegen stellt, fehlt ebenso wenig wie der erfahrene und mit allen notwendigen Mitteln und Techniken vertraute Geisterjäger, der ihm dabei zur Seite steht. Allerdings ist Letzterer hier ein mit allen Wassern gewaschener Tao-Priester, der nicht nur als Schwertkämpfer ein Virtuose ist, sondern auch durch Bäume hüpfen kann und sogar Feuerkugeln aus seinen Handinnenflächen schießt: das konnte Dr. van Helsing nie, egal in welcher Verfilmung.

Wir haben es hier also mit einem wilden Genremix zu tun, einer Fantasy-Horror-Liebes-Komödie mit reichlich Wuxia-Einlagen, deren Geschichte kurzzeitig auch schon mal etwas ins Wirre abgleitet, was aber bei dem Tempo, den der Film vorlegt, eigentlich nicht weiter auffällt. In China, Südkorea und Japan kam das Ende der 1980er Jahre beim Publikum gut an, wurde zudem beim Hong Kong Film Award mehrfach ausgezeichnet und machte den Regisseur und Martial Arts Choreographen Ching Siu-Tung bis heute zu einem vielbeschäftigten Mann.

(A Chinese Ghost Story, Hong Kong 1987; Regie: Ching Siu-Tung.)

The Mystery of the Marie Celeste

Von der Schauspielerin Paula Maxa heißt es, sie sei im Verlaufe ihrer Karriere von 1917 bis in die 1930er Jahre auf mehr als 60 verschiedene Arten und über 10.000 mal auf der Bühne ermordet worden. Diese jahrelange intensive Ausübung des Opferrollenfachs ergab sich zwangsläufig daraus, dass sie die berühmteste Darstellerin des Grand Guignol war, einem kleinen, aber sehr beliebten Theater in Paris, dass sich von 1897 bis 1962 in einer ehemaligen Kapelle im Vergnügungsviertel Pigalle auf drastische Horror- und Gruselstücke spezialisiert hatte. Bis weit über die Grenzen Frankreichs hinaus wurden sie damit derart bekannt, dass das Théâtre du Grand Guignol heute als Vorläufer und Inspirationsquelle zahlreicher späterer Horror- und Splatterfilme gilt. Allen voran jenen der legendären Hammer Productions, denen wir die schaurig-blutigen Film-Serien über Dracula und Frankenstein mit Christopher Lee und Peter Cushing sowie nahezu unzählige weitere Horrorfilme mit Mumien, Werwölfen und Zombies verdanken. Diese erfreuten sich nicht nur beim Publikum über viele Jahre andauernder Begeisterung, sondern wurden von jenen Kritikern, die schon früh etwas mit dem Wort Kultfilm anfangen konnten, auch für ihren einzigartigen visuellen Stil gelobt.

Einer der ersten Hammer Filme überhaupt, The Mystery of the Marie Celeste aus dem Jahr 1936, steht bei Archive.org zum Download bereit: Es ist die auf Tatsachen beruhende Geschichte des amerikanischen Segelschiffs Marie Celeste, das am 4. Dezember 1872 im Atlantischen Ozean, nahe der Meerenge von Gibraltar, führerlos treibend aufgefunden wurde. Trotz guten Wetters – die Segel waren aufgezogen und kein Notsignal gehisst – fehlte vom Kapitän Benjamin Briggs, seiner Ehefrau Sarah und seiner zweijährigen Tochter Sophia, die sich als Passagiere an Bord befunden hatten, ebenso wie von den sieben Mitgliedern der Besatzung, jede Spur. Einen knappen Monat zuvor hatte das Handelsschiff mit einer Fracht von 1701 Fässern Industriealkohol, den Hafen von New York City in Richtung Genua verlassen. Der Kapitän und seine Mannschaft waren erfahrene Seeleute, es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt, vielmehr wurde das Schiff in segeltauglichem Zustand mit ausreichend Proviant für die nächsten sechs Monate an Bord angetroffen und auch im Logbuch fanden sich keine Hinweise auf die Vorkommnisse, die zum spurlosen Verschwinden der Besatzung geführt hatten.

Auch in den folgenden Jahren tauchte keiner der Vermissten wieder auf und so wurde das Rätsel trotz zahlreicher ausgefeilter Theorien, von Piraten über Tsunamis bis zur Entführung durch Außerirdische, nie befriedigend gelöst, was die Marie Celeste bis heute zu einem der berühmtesten Geisterschiffe der Geschichte macht. Ein idealer Plot also, für eine Verfilmung durch die Hammer Productions: hier fließt das Blut zwar noch in schwarzweiß und ohne Vampire und Monster, dafür aber spielt Bela Lugosi eine der Hauptrollen. Gut, der Film erhielt seinerzeit miserable Kritiken, aber jene Kritiker und Filmemacher, die sich und ihre Arbeit vielleicht manchmal ein bisschen zu ernst nehmen, konnten mit den Hammer Filmen ja noch nie etwas anfangen.

(The Mystery of the Marie Celeste, Großbritannien 1936; Regie: Denison Clift.)

The Innocents

„Horror-Movies come in two styles, visually: One of them in your face and the other at the corner of the retina.“

Novelle, Theaterstück, Oper und Film: „The Turn of the Screw“ von Henry James erschien im Jahr 1898 zunächst als Fortsetzungsgeschichte in einem amerikanischen Magazin, bevor sie 1908 als Novelle publiziert wurde. Ungefähr ein halbes Jahrhundert später machte William Archibald daraus ein Theaterstück, das seine Premiere 1950 am Broadway feierte, und 1954 hatte Benjamin Brittens gleichnamige Oper in zwei Akten in Venedig ihre Uraufführung. – Reichlich Vorlagen, also mit denen sich Regisseur Jack Clayton auseinander zu setzen hatte, als er wenige Jahre später daran ging, auch noch einen Film aus der Geschichte zu machen. Gleich mehrere professionelle Drehbuchschreiber wurden herangezogen, wobei Clayton später betonte, dass 90% der im Film enthaltenen Ideen auf Truman Capote zurückgehen, der nicht nur Untertöne á la Freud in die Handlung einbrachte, sondern in zahlreichen Bildern auch eines seiner Lieblingsthemen – die Dekadenz, den Zerfall hinter der Schönheit – unterbringen konnte.

Eine größere Schwierigkeit ergab sich daraus, dass – wie damals bei allen Filmen des Studio Fox – in Cinemascope gedreht werden musste, in eben jenem Format, von dem Fritz Lang bei Godard sagt, es sei nur für Schlangen und Beerdigungen geeignet. Hier aber war es der Kameramann Freddy Francis, der Mittel fand, um das ungeliebte Format in den Griff zu kriegen: z. B. indem er viel Licht einsetzte, um entweder ganze Szenen durchgehend strahlend hell zu erleuchten, oder andererseits einen Tunnel-Effekt erzielte, indem er das Licht auf die handelnden Personen in der Mitte konzentrierte, während die Ränder dunkel blieben. Darüber hinaus fügte er zahlreiche vertikale Linien ein, die den weiten Cinemascope-Rahmen unterteilten: z. B. Bettpfosten, Säulen und Statuen.

Beides konnte allerdings auch missverstanden werden, denn wenn des nächtens Frauen in langen weißen Nachthemden mit tropfenden Kandelabern in der Hand durch die dunklen Flure großer, düsterer Schlösser laufen, erwartet man heute wie damals unwillkürlich, dass Dracula oder einer seiner Genossen auftaucht, da dieses Klischee, ebenso wie wehende Vorhänge, tickende Großvateruhren und grimmig blickende pseudo-antike Statuen, zum Stil-Katalog der damals sehr populären Hammer Film Productions gehörte, die auch heute noch, nicht zuletzt dank zahlreicher Fernseh-Wiederholungen, fest im Bewusstsein der Zuschauer verankert sind.

Dies war allerdings eine Parallele, die Clayton gar nicht recht war, denn anders als Freddie Francis, der nach „The Innocents“ einige Jahre als Regisseur für die Hammer Film Productions arbeitete, wollte Clayton seinen Film keineswegs in dieser Ecke angesiedelt wissen, sondern suchte vielmehr die Nähe zu den deutlich subtileren Horrorfilmen der 30er und 40er Jahre, was sich unter anderem auch darin äußerte, dass er auf Technicolor verzichtete und seinen Film in schwarz-weiß drehte. Was wiederum bei Kritikern wie Publikum oft nicht richtig ankam: während die Anhänger der Hammer-Filme sich langweilten und die Schockeffekte vermissten, sahen die Vertreter der anderen Richtung wiederum für ihren Geschmack entschieden zu viel Hammer-Style. (Wobei es natürlich auch andere Meinungen gab – Francois Truffaut z. B., soll Jack Clayton, als sie sich zufällig in einem Restaurant begegneten, die seine schriftlich auf einer Serviette überreicht haben: dies sei der beste britische Film, seit Alfred Hitchcocks Übersiedlung in die USA – was vermutlich das höchste Lob war, das Truffaut überhaupt zu vergeben hatte.)

Den bleibenden Eindruck, den „The Innocents“ im Genre der Horror-Filme hinterlassen hat, sieht man aber vor allem daran, dass er über die Jahrzehnte immer wieder von anderen zitiert wurde. Stanley Kubricks „Shining“ z. B. zeigt einige Parallelen: das große Haus mit den vielen Zimmern im Kontrast zum labyrinthisch angelegten Garten, die Geistererscheinung und vor allem bei der Schluss-Szene. Alejandro Amenábar hingegen scheint hier nicht nur reichlich Anregung, sondern auch den Titel für seinen Film gefunden zu haben: „We‘ve got the whole house to ourselves. – More or less. There are still… the others.“ Und in der amerikanischen Verfilmung von „Ring“ ist sogar eine kleine Hommage versteckt, denn das singende Kind, dass auf dem Video zu hören ist, stammt ebenfalls aus „The Innocents“ .

Überhaupt kann man Ideen und Motive aus „The Innocents“ in vielen späteren Filmen entdecken, möglicherweise in sehr vielen Filmen, wobei natürlich nicht ganz auszuschließen ist, dass man hier Verbindungen sieht, die gar nicht da sind, denn: „Sometimes you can‘t help imagining things…“

(The Innocents, Großbritannien 1961; Regie: Jack Clayton.)

Ring

„You know what, Mum? – Yes? – Tomo-chan watched the cursed video!“

Diesen Film sollte man sich eigentlich auf Video ansehen, vielleicht sollte man sein Telefon vorher ausschalten und vermutlich wird man seinen Fernseher anschließend mit anderen Augen sehen, aber eine DVD ist hier eigentlich nicht das passende Medium.

Der japanische Film Ring oder Ringu aus dem Jahr 1998 gilt noch immer als erfolgreichster japanischer Horrorfilm, sowohl in Japan selbst, als auch international. Und auch wenn Kouji Suzuki, der Autor der zugrunde liegenden Geschichte, durchaus schon einmal erzählt, er habe sich von Poltergeist (1982) inspirieren lassen, so hat der Film doch in erster Linie seinen ganz eigenen, unverkennbaren und mittlerweile oft kopierten Stil, der nicht nur zwei Sequels, ein Prequel und eine koreanische Neuverfilmung nach sich zog, sondern eigentlich, ebenso wie dieser Film hier, gleich ein ganzes Genre begründet hat, woran auch die Tatsache, dass das Medium, auf das er sich bezieht, schon lange nicht mehr allgemein gebräuchlich ist, bis heute nichts geändert hat.

Selbstverständlich gibt es auch ein Hollywood-Remake, das in diesem, aber auch nur in diesem Falle, sogar sehenswert ist, denn die amerikanische Fassung The Ring von 2002 von wurde nicht nur mit allerlei Zitaten und Metaphern ausgestattet – was Letztere angeht, regnet es zum Beispiel viel in diesem Film, so wie Wasser hier überhaupt allgegenwärtig ist, und auch Ringe als Motiv, egal ob als Zahlen auf Türen oder als Muster auf Hemden, wurden geradezu obsessiv verteilt – darüber hinaus erfährt aber auch die Geschichte selbst einige Abwandlungen und was beide Filme im Vergleich gesehen, über die Gesellschaften aussagen, in denen sie sich abspielen, ist ebenfalls sehr aufschlussreich.

Wobei letzten Endes natürlich für beide Filme sowie sämtliche Sequels, Remakes und Nachahmungen, dasselbe gilt, was für Horrorfilme, ebenso wie für Gespenstergeschichten, schon immer galt: „This kind of thing… it doesn’t start by one person telling a story. It’s more like everyone’s fear just takes on a life of its own Fear… – Or maybe it isn’t our fear, maybe it’s what we secretly hope is true.“

(Ring, Japan 1998; Regie: Hideo Nakata & The Ring, USA 2002; Regie: Gore Verbinski.)

Una pura Formalità

Wenn in einem Film Roman Polanski und Gerard Depardieu als Schauspieler aufeinandertreffen, kann eigentlich nicht viel schief gehen. Am besten, man gibt ihnen eine ganze Menge Text und viele Großaufnahmen, hält die Nebenrollen winzig, damit niemand von ihnen ablenken kann, räumt selbst die Filmkulisse von möglicherweise störenden Elementen frei und vermeidet lästige Unterbrechungen, wie z. B. durch allzuviele Szenenwechsel oder Special Effects.

Um auch bei der Filmmusik auf Nummer sicher zu gehen, gibt man diese dann noch bei Ennio Morricone in Auftrag, und dann… ja, dann bleibt eigentlich nur noch, sich zurückzulehnen und „Action“ zu sagen, während der Rest sich ganz von alleine abspielt.

So ist es wahrscheinlich nicht gewesen, vermutlich hat Regisseur und Drehbuchautor Giuseppe Tornatore, ebenso wie die vielen anderen Beteiligten, sehr viel Arbeit in „Una pura Formalità“ (Eine reine Formalität) gesteckt, aber dem Ergebnis merkt man das nicht an. Es macht viel mehr den Eindruck, als hätten Polanski und Depardieu dieses Kammerspiel gemeinsam für sich entwickelt und als hätte die Kunst des Filmemachens in diesem Fall ganz einfach nur darin bestanden, das richtige Umfeld zu schaffen und die beiden Hauptdarsteller dann nicht mehr weiter zu stören.

(Una pura Formalità, Italien 1994; Regie: Guiseppe Tornatore.)

Night of the Living Dead

„..the unburied dead rise to find human victims, eating their flesh..“

Das Genre der klassischen Zombiefilme beginnt stilecht auf einem Friedhof. Zwar gab es schon früher Filme mit dem Wort „Zombie“ im Titel, während in diesem hier das Wort nicht nur im Titel fehlt, sondern im ganzen Film kein einziges Mal fällt, aber vor Night of the Living Dead hatte man unter einem Zombie das willenlose Opfer eines Vodoo-Priesters zu verstehen, während magische Praktiken, egal welcher Art, hier keinerlei Rolle spielen. Vielmehr handelt es sich nun um Widergänger, Tote, die zurückkommen um die Lebenden zu meucheln, und erst hier werden die wesentlichen Merkmale des Zombie-Genres etabliert: von nun an werden wir sie am – teilweise erheblich fortgeschrittenen – Verwesungszustand ihres Äußeren erkennen, wir werden wissen, dass sie auch dann wiederkommen, wenn wir meinen, sie nun wirklich getötet zu haben, dass sie ansteckend sind, dass sie das Fleisch der Lebenden essen und dass man ihr Gehirn zerstören muss, um sie endgültig außer Gefecht zu setzen. Und wir werden uns fragen, sind wir drinnen und sie draußen, oder umgekehrt?

Unklar hingegen bleibt hier, wie in den meisten folgenden Zombiefilmen auch, woran sie ihre Artgenossen erkennen, denn gegenseitig greifen sie sich nicht an, was die Frage aufwirft, ob es wohl reichen würde, einen schleppenden Gang zum hängendem Kopf zu simulieren und man käme davon?

Warum man, einmal angegriffen und überwältigt, zu Ihresgleichen wird, bleibt hier ebenfalls offen, in späteren Zombie-Filmen wird der Auslöser vorzugsweise ein Virus sein, in diesem Film kommen Radio und Fernsehen offiziell mit einer anderen Erklärung daher, aber die Medien präsentieren uns ja bekanntermaßen ständig irgendwelche obskuren Erklärungen für Dinge, die ihre Journalisten selbst nicht verstanden haben und so vertrauen wir lieber auf die Aussage von Regisseur und Drehbuchautor Romero, dass die tatsächliche Ursache hier nicht enthüllt wird.

Während jedenfalls die wiederauferstandenen Toten auf Menschenjagd gehen, gehen diese wiederum auf Zombiejagd: Bürgerwehren werden organisiert, die sich mit unverhohlener Begeisterung daran machen, dem dysfunktionalen Teil der Bevölkerung zu zeigen, wo sein Platz ist: nämlich tot, verbrannt und begraben unter der Erde. Wozu allerdings auch nicht allzuviel Mut nötig ist, da sich die reichlich derangierten und entsprechend langsamen Gestalten nicht unbedingt als gefährliche Gegner erweisen (Field Reporter: Are they slow-moving, chief? – Sheriff McClelland: Yeah, they’re dead. They’re all messed up.)

Es sei denn natürlich, sie sind in der Überzahl.

(Night of the Living Dead, USA 1968; Regie: George A. Romero.)