Tag Archives: Amos Vogel

Der Mann mit der Kamera

Es beginnt mit viel Text in russischen Buchstaben (und im Falle der hier besprochenen Version, auch mit der Übersetzung ins Englische, die da lautet):

„Man with a Movie Camera/A6 reel record on film/Produced by VUFKU in 1929/ATTENTION VIEWER:/This film is an experiment/in cinematic communication of real events/Without the help of Intertitels/Without the help of a story/Without the help of theatre/This experimental work aims at creating a truly international language/of cinema based on its absolute separation/from the language of theatre and literature“

Man sieht, der Regisseur Dziga Vertov meint es ernst, mit dem Film und dem Kino. Was dann aber kommt, ist eine schnelle und abwechslungsreiche Abfolge von durchaus unterhaltsamen Bildern und Szenen, eingefangen mit nahezu allen damals zur Verfügung stehenden Aufnahmetechniken plus noch ein paar mehr, die der Filmemacher bei dieser Gelegenheit einführte. Nicht nur deshalb gilt er bis heute als wegweisend, darüber hinaus ist er ein schönes Dokument seiner Zeit, nichts wurde von Schauspielern gestellt, versicherte der Regisseur, alle sind echt und stellen nur sich selbst und ihre tatsächliche jeweilige Tätigkeit dar.

Das alles ist zudem so gut gelungen, dass es über die Jahre hinweg zahlreiche Musiker veranlasst hat, eine Filmmusik zu komponieren. Wie damals üblich, wurde der Stummfilm bei seiner Premiere 1929 ebenso, wie bei den späteren Aufführungen im Kino, zunächst von einem Klavierspieler begleitet. Die Anweisungen, die Dziga Vertov dazu geschrieben hatte, nahm z. B. der norwegische Ambient-Musiker Geir Jenssen, Künstlername Biosphere, als Grundlage seiner Version, die 1996 beim norwegischen Tromsö International Festival uraufgeführt wurde und als Musik-CD erschienen ist. Ein paar Jahre später erhielt die britische Jazz/Electronica Band The Cinematic Orchestra den Auftrag, zum Festival der Kulturhauptstadt Porto 2000 ebenfalls eine Filmmusik zu komponieren, die sowohl als Musik-CD, aber auch als DVD mit Film erschien, und im Jahr 2002 gab das British Film Institute eine DVD des Films mit Musik von Michael Nyman heraus. Und dies sind nur drei von vielen weiteren Filmmusiken.

Man kann sich Man with a Movie Camera aber auch ohne musikalische Untermalung bei archive.org ansehen und herunterladen. Vielleicht findet man ja eine passende Musik von entsprechender Länge in der eigenen Sammlung, oder man macht sich eben selbst ans Komponieren.

(Chelovek s kino-apparatom, UdSSR 1929; Regie: Dziga Vertov.)

Les Diaboliques

Nur um wenige Stunden war Georges-Henry Clouzot angeblich schneller als Alfred Hitchcock gewesen, aber diese reichten aus, um ihm die Filmrechte am Roman „Celle qui n’était plus“ (übersetzt: Sie, die nicht mehr war; deutscher Titel des Buches: Tote sollen schweigen, bzw. wie der deutsche Titel des Films: Die Teuflischen), zu sichern. Dass die Autoren Pierre Boileau und Thomas Narcejac hier die perfekte Vorlage für einen Thriller geschrieben hatten, war demnach nicht nur einem bedeutenden Regisseur aufgefallen und so wurde der Film, der 1955 in die Kinos kam, eben kein Hitchcock, sondern ein Clouzot, keine Hollywood-Produktion, sondern ein französischer Film (das us-amerikanische Remake mit dem Titel „Diabolique“ von 1996 können wir hier vernachlässigen) und die Hauptrollen gingen an Simone Signoret und Vera Clouzot, statt… wer auch immer es bei Alfred Hitchcock wohl gewesen wäre?

Hitchcock ging aber ebenfalls nicht leer aus, denn zum einen machten sich die Autoren des so begehrten Werkes gleich wieder an die Arbeit und schrieben eine neue Vorlage exklusiv für ihn, womit sie die Grundlage schufen, auf der Hitchcock 1957 einen seiner besten Filme, Vertigo, drehte. Zum anderen war das, was Georges-Henry Clouzot aus den von ihm gekauften Filmrechten machte, so überzeugend, dass Hitchcock das Ergebnis nicht nur für sehr gelungen hielt, sondern sich, wie man an seinen eigenen späteren Werken sehen kann, von ihm auch inspirieren ließ.

Mehr sollte man zu Les Diaboliques wohl auch nicht sagen. Am besten, man sieht ihn selbst.

(Les Diaboliques, Frankreich 1955; Regie: Henri-Georges Clouzot.)

Ensayo de un crimen

… zu deutsch: Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz

Lange bevor es in Hollywood Mode wurde, einen wahnsinnigen Serienkiller nach dem anderen auf das Kino-Publikum loszulassen, jeder natürlich noch brutaler, noch grausamer und noch perverser, als seine Vorgänger, gab es in Mexiko, nun ja, Archibaldo de la Cruz. Ehemals verwöhntes Einzelkind reicher Eltern, nun ein freundlicher, wohlhabender, kreativ tätiger Erwachsener, der, ob in der Bar oder im Spielcasino, stets ein Glas Milch dem Alkohol vorzieht, nie aus der Rolle fällt, immer höflich und charmant bleibt, ein geachtetes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zudem, mit gutem Geschmack und besten Manieren, wenn man von seiner ungesunden Vorliebe für Frauenmord, am liebsten in Serie, einmal absieht.

Luis Bunuel wurde im Jahr 1900 in Calanda, Spanien geboren und freundete sich als Student der Universität Madrid mit dem Maler Salvador Dali und dem Schriftsteller Federico Garcia Lorca an. Irgendwann um das Jahr 1923 herum tauschte er die Bibel seiner katholischen Erziehung gegen die Schriften Sigmund Freuds, 1925 ging er nach Paris, wo er mit den französischen Surrealisten in Kontakt kam und 1929 gemeinsam mit Dali Un chien andalou, drehte, in seiner Zeit ein ebenso großer Skandal wie Erfolg und bis heute einer der bekanntesten surrealistischen Filme. Ein Jahr später, 1930, folgte L‘age d‘or, einer der ersten französischen Tonfilme überhaupt, und ebenfalls von den Einen gefeiert und von den Anderen mit Farbbeuteln beworfen.

In den folgenden Jahren ging Bunuel in die USA, wo er Charlie Chaplin kennen lernte, kehrte aber bald wieder nach Spanien zurück und blieb dort bis zum Ausbruch des Spanischen Bügerkrieges im Jahr 1936. Die Jahre des Bürgerkrieges verbrachte er in Frankreich, ab 1939 zog es ihn wieder in die USA. Insgesamt wurde Bunuels Schaffen in dieser Zeit, so er denn überhaupt Filme drehen konnte, wenig von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Erst ab 1946, mit dem Beginn seiner Arbeit im Mexico drehte er wieder Filme, die ein großes Publikum fanden. Allein hier entstanden 20 seiner Werke, denn, auch wenn Bunuel Zeit seines Lebens mit seinem mangelnden Ehrgeiz kokettierte, tatsächlich war er ein sehr fleißiger Filmemacher.

Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz entstand im Jahr 1955, fünf Jahre bevor er nach Spanien zurückkehrte, als einer seiner letzten in Mexico gedrehten Filme und ist ein typischer Bunuel: in freundlichem, leichtem Tonfall, witzig und mit Charme erzählt, aber auch hintergründig, surrealistisch, mit psychoanalytischen Verweisen und verschachtelten Traumsequenzen. Und mit dem Thema ‚Filme über Serienmörder‘ kann man danach getrost abschließen.

(Ensayo de un Crimen, Mexico 1955; Regie: Luis Bunuel.)