Category Archives: Heimatfilm

The Flower in Hell

Unter den drei Regisseuren, die auf dem vom Korean Film Archive eingerichteten youtube channel eine eigene Playlist erhalten haben, musste Shin Sang-ok schon deshalb vertreten sein, weil man an der schieren Menge an Filmen, die er als Regisseur und Produzent hinterlassen hat, einfach nicht vorbeikommt. Wobei der bei weitem größte Teil seiner Filme in Südkorea entstand, ein paar wenige allerdings auch in Nordkorea – wenn auch nicht ganz freiwillig.

Geboren wurde er 1926 in Chongjin, das heute zu Nordkorea gehört und sich damals, wie ganz Korea, unter japanischer Herrschaft befand. Sein Studium absolvierte er an der Hochschule der Künste in Tokyo und kehrte anschließend nach Korea zurück, diesmal in den südlichen Teil des Landes, wo er bei der Produktion von Viva Freedom! (1946) mitwirkte, dem ersten Film, der nach Abzug der Japaner in Korea gedreht wurde.

Bald danach eröffnete er ein eigenes Filmstudio und wurde für die nächsten 20 Jahre der fleißigste Filmemacher (Süd-)Koreas. Dabei bediente er nahezu alle Genres, von Historienfilmen, über Familienkomödien und Liebesdramen, bis zu Fantasy-Horror-Filmen, wobei Letztere zwar gerne vorführten, was an Tricktechnik damals in Südkorea möglich war, inhaltlich aber mitunter etwas wirr ausfielen. Überhaupt litt die Qualität der einzelnen Filme bisweilen unter der Menge an Produktionen, dennoch blieben Preise und Ehrungen nicht aus, denn als 1962 zum ersten Mal der koreanische Filmpreis Grand Bell Award verliehen wurde, erhielt Shin Sang-ok nicht nur als erster die Auszeichnung Bester Film für Prince Yeonsan (1961), sondern auch als Bester Regisseur für Mother and a Guest (1961).

Stets mit von der Partie war dabei Choi Eun-hee, eine in Südkorea gefeierte Filmschauspielerin, die bereits in diesem frühen koreanischen Film eine Hauptrolle hatte. Im Privatleben war sie mit Shin Sang-ok verheiratet, leitete gemeinsam mit ihm das Studio und spielte in den meisten seiner Filme eine führende Rolle, wobei sie meist sittsame, leidensfähige und durch und durch gute Frauen gab, ein Stereotyp, aus dem sie nur gelegentlich ausbrach.

Erst in den 1970er Jahren ließ der Erfolg des Studios nach, das Paar trennte sich und Shin Sang-ok bekam zunehmend Probleme mit der Zensurpolitik seines Landes, bis er sich schließlich 1978 mit dem damaligen Militärdiktator Südkoreas, Park Chung-hee, überwarf, was die Schließung seines Studios zur Folge hatte.

Im selben Jahr wurde Choi Eun-hee unter dem Vorwand eines Filmangebotes nach Hong Kong gelockt, wo sie im Auftrag von Kim Jong Il entführt wurde, der mit ihrer Hilfe und der ihres Ex-Gatten, den er wenige Monate später ebenfalls entführen ließ, eine ebenso prosperierende Filmindustrie in Nordkorea aufbauen wollte, wie die beiden sie viele Jahre in Südkorea betrieben hatten.

Ein Plan, der vermutlich besser aufgegangen wäre, hätte man Shin Sang-ok nicht nach einem gescheiterten Fluchtversuch für vier Jahre in ein nordkoreanisches Gefängnislager gesteckt. Nach seiner Freilassung drehte er zwar noch sechs Filme in Nordkorea, wieder mit Choi Eun-hee in den Hauptrollen, aber an der Premiere des letzten – Pulgasari (1985) , einer nordkoreanischen Variante dieses japanischen Films – nahmen sie schon nicht mehr teil, da ihnen vorher in Wien die Flucht gelungen war.

Auch Pulgasari findet sich auf youtube, wenn auch nicht beim Korean Film Archive, wo aber acht andere Filme von Shin Sang-ok zu sehen sind, unter ihnen The Flower in Hell (1958) und Mother and a Guest (1961), beide mit Choi Eun-hee in der Hauptrolle, die hier zwei sehr unterschiedliche Frauenbilder verkörpert.

(The Flower in Hell, Südkorea 1958; Regie: Shin Sang-ok.)

 

A Hometown in Heart

Von Filmen aus Korea war hier an der einen oder anderen Stelle bereits die Rede, wobei es sich bislang stets um Produktionen der Republik Korea, also Südkorea handelte, schon weil diese sich in Europa, nachdem sie einige Jahre als Geheimtipps auf Festivals gehandelt wurden, mittlerweile großer Beliebtheit erfreuen und sowohl in Videotheken als auch im Kino keine Seltenheit mehr darstellen. Die Filme der Demokratischen Volksrepublik Korea, aka Nordkorea, sind hingegen sowohl hierzulande, als auch im Internet generell eher schwer zu finden, vor allem, wenn man auf Fassungen mit englischen Untertiteln angewiesen ist.

Entsprechend wird sich die Zahl der hier aufgeführten südkoreanischen Filme sicher noch um einiges erhöhen, zudem vor einigen Monaten das in der Hauptstadt von Südkorea, Seoul, ansässige Korean Film Archive so freundlich war, bei youtube einen eigenen Kanal einzurichten, auf dem man zur Zeit über 70 koreanische Filme, sieben davon in HD Qualität, legal, kostenlos und bei Bedarf auch mit englischen Untertiteln anschauen kann, was zumindest im Augenblick für nordkoreanische Produktionen so wohl eher nicht abzusehen ist.

Wenn wir aber der Einfachheit halber beim chronologisch ältesten der dort zur Verfügung stehenden Filme beginnen, dann ist dies mit A Hometown in Heart ein Film aus dem Jahr 1949, also aus der Zeit vor dem Koreakrieg und damit der Teilung in eine Republik und eine Demokratische Volksrepublik Korea.

Wobei der Regisseur selbst in beiden Koreas tätig war, denn nicht allzu lange nach der Premiere von A Hometown in Heart, verließ Yoon Yong-Kyu, so steht es auf der diesem Film gewidmeten website des Korean Film Archive, den südlichen Teil des Landes, um nach Nordkorea zu gehen, wo er nach dem Krieg noch viele Jahre weiter Filme drehte, die allerdings, wie oben bereits angedeutet, nicht ganz so einfach zu erreichen sind, wie A Hometown in Heart.

(A Hometown in Heart, Korea 1949; Regie: Yoon Yong-Kyu.)

And Now for Something Completely Different

Wenn ist das Nurnstuck git und Slotermeyer? Ja! Feierhund das oder die Flipperwaldt gersput!“

Auch wenn das Lesen oder Hören dieser Zeilen gewisse Gesundheitsrisiken birgt, so ist es nun, spätestens nach dem an dieser Stelle bereits gewisse Parallelen zu erkennen waren, an der Zeit, auch Monty Pythons Schaffen zu würdigen.

Dies soll exemplarisch mit „And Now for Something Completely Different“ geschehen, ihrem ersten Kino-Film, der zwischen der ersten und zweiten Staffel ihrer TV-Serie Monty Pythons Flying Circus gedreht wurde, und der eigentlich dazu gedacht war, sie dem amerikanischen Publikum bekannt zu machen. Finanziert und produziert wurde das Ganze vom Playboy Magazin und der einen oder anderen Episode sieht man auch an, dass Monty Python sich der daraus resultierenden Verantwortung durchaus bewusst waren. Vor allem John Cleese scheute sich nicht, sich ganz im Geiste des damals populären Magazins zu präsentieren.

Dennoch war man in den USA zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht reif für diese spezielle Form von Humor, andererseits wurden Film und Fernsehserie in Großbritannien und Deutschland dafür umso freudiger aufgenommen, wo sie rasch zu eben jenen Klassikern avancierten, die sie bis heute sind. Bleibt nur noch, darauf hinzuweisen, dass einige der Sketche des Films ganz offiziell im Monty Python Channel auf youtube zu sehen sind, zum Beispiel hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier, oder hier… und natürlich auch andere, die ebenfalls (wieder-)sehenswert sind und bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

(And Now for Something Completely Different, Großbritannien 1971; Regie: Ian MacNaughton.)

 

The Falls

Über Alfred Hitchcocks The Birds ist schon so viel gesagt und geschrieben worden, dass es wohl kaum nötig ist, dem noch mehr hinzuzufügen. Was aber geschah danach? Hier liefert Peter Greenaways Film The Falls einige interessante Ideen.

Ein im Film als VUE (Violent Unknown Event) bezeichnetes Ereignis hat stattgefunden, das viele Tote, aber auch eine ganze Reihe an Überlebenden zurückgelassen hat, von denen letztere infolge dessen auffällige Symptome und Verhaltensweisen entwickeln. Um der Sache auf den Grund zu gehen, wird mit all der Akribie, zu der nur wirkliche Bürokraten fähig sind, ein Verzeichnis aller Überlebenden, ihrer Symptome, ihres Bezugs zum VUE und ihres späteren Werdegangs angelegt. Der Film selbst stellt – als Auszug – die 92 Biographien jener Überlebenden vor, deren Name mit den Buchstaben FALL beginnt…

Es handelt sich hier, nach einigen Kurzfilmen, von denen zwei auch eingebaut wurden, um Peter Greenaways ersten langen (und mit 3 ½ Stunden dann gleich ziemlich langen), Film, von dem er allerdings selbst sagte, es sei ja niemand gezwungen, ihn am Stück zu schauen, vielmehr möge man die Biographien ganz nach eigenem Belieben durchstöbern. Und natürlich ist nicht zu übersehen, dass es eben kein Film von Alfred Hitchcock, sondern einer von Peter Greenaway ist, der herzlich wenig auf Suspense, dafür aber viel auf jene Form von Satire und Humor setzt, die man sonst eher bei Monty Python findet.

Und wer nun wissen möchte, was The Falls mit Theodor W. Adorno, Wittgenstein und Foucault zu tun hat, erfährt dies auf der recht umfangreich angelegten Website zum Film, auf der man auch sämtliche 92 Biographien in Textform findet – allerdings ist der Film selbst mit der Musik von Michael Nyman (und ein wenig Brian Eno) unterlegt, die auf der Website nicht zu hören ist und das macht einen großen Unterschied. Einen sehr großen.

(The Falls, Großbritannien 1980; Regie: Peter Greenaway.)

 

Vredens Dag

Nichts ist so still, wie ein Herz, das aufgehört hat zu schlagen…“

Noch einmal Hexen in schwarz/weiß, aber diesmal völlig anders: Ungefähr 20 Jahre nachdem Benjamin Christensen das Thema ebenso einsatzfreudig wie skurril in Szene gesetzt hatte, drehte Carl Theodor Dreyer seinen Vredens Dag (Tag der Rache oder Day of Wrath).

Christensen und Dreyer stammten beide aus Dänemark, sie kannten sich und hatten bereits 1924 zusammengearbeitet, als Christensen in Dreyers Film Michael die Hauptrolle spielte, aber hier hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf, denn Carl Theodor Dreyers Filme unterscheiden sich im Allgemeinen, wie auch in diesem speziellen Fall, fundamental von denen Benjamin Christensens.

Und so werden in Dreyers Film weder Folterinstrumente noch schwarze Messen erschöpfend behandelt, niemand fliegt auf Besen zum Blocksberg und kein lüsterner Satan hüpft gut gelaunt durch die Kulissen. Stattdessen basiert das Drehbuch auf dem Theaterstück Anne Pedersdotter von Hans Wiers-Jenssen, der sich wiederum auf einen authentischen und gut dokumentierten Fall von Hexenverbrennung im Jahr 1590 in Bergen bezieht.

Für Dreyer selbst war es der erste Film, den er nach seinem bis heute ungleich berühmteren Vampyr von 1932 verwirklichen konnte – zwischen beiden lagen allerdings 11 Jahre, in denen Dreyer als Kritiker und Journalist arbeitete, da es ihm nicht gelang, ausreichend Geld für weitere Produktionen aufzutreiben.

Ebenso wie Vampyr wurde auch Vredens Dag ein finanzieller Misserfolg und von den zeitgenössischen Kritikern zurückhaltend bis negativ aufgenommen, aber ebenso wie dieser gilt Vredens Dag heute als Meisterwerk, sogar beim Publikum und Amos Vogel ging sogar so weit, über ihn zu schreiben, Stil und erzählerische Mittel Dreyers nähmen hier „…den modernen Film voraus und setzten eine Norm, die selten übertroffen worden ist.“

(Vredens Dag, Dänemark 1943; Regie: Carl Theodor Dreyer.)

 

Häxan

Anders als bei diesem Film, bei dem nicht wirklich erkennbar ist, warum seine Uraufführung im Jahr 1948 durch die Zensurbehörde von New York verboten wurde, kann man beim Stummfilm Häxan recht schnell darauf kommen, warum es nach seiner Premiere im Jahr 1922 in praktisch jedem Land, in dem er gezeigt wurde, zu Protesten und/oder Aufführungsverboten kam: Die detailverliebte Darstellung von Folter, Nacktheit und sexuellen Praktiken, insbesondere im Rahmen von Schwarzen Messen und Blasphemie zieht auch heute noch in vielen Teilen der Welt ähnliche Reaktionen nach sich.

Dabei war es dem dänischen Filmemacher Benjamin Christensen doch nur um eine historisch fundierte, filmische Dokumentation des Hexenwesens gegangen, allerdings, nachdem sämtliche Historiker, deren Expertise und Beratung er angefragt hatte, die Zusammenarbeit ablehnten, weil sie mit seinem Film nicht Verbindung gebracht werden wollten, machte er sich höchst selbst ans Werk, las einen ganzen Stapel Bücher zum Thema, vor allem den berüchtigten Hexenhammer, und ging dann daran, das Gelesene möglichst anschaulich, mit viel Aufwand und sich selbst in der Rolle des Satans, in Szene zu setzen.

Kein Wunder also, dass die Reaktionen auf seinen Film – immerhin der teuerste Stummfilm, der je in Skandinavien produziert wurde – recht gemischt ausfielen, aber während die einen ihn verbieten lassen wollten, feierten ihn die anderen: in Deutschland wurde Christensen wegen dieses Werkes als Regisseur zur UFA geholt und auch seiner späteren Karriere als Filmemacher in den USA stand Häxan nicht im Wege, obwohl er dort lange Zeit gar nicht aufgeführt werden durfte.

Mittlerweile ist Häxan – wie könnte es anders sein? – zum Kultfilm avanciert. 1968 erschien eine mit Jazz und William S. Burroughs unterlegte, wenn auch gekürzte und zu schnell ablaufende Fassung und 2001 brachte The Criterion Collection eine restaurierte, allerdings auch gekürzte Version auf DVD heraus.

Die ungekürzte, volle 104 Minuten lange, Originalfassung von Häxan gibt es aber bei archive.org: zur Ansicht und zum Download – inklusive aller der Zensur zum Opfer gefallenen Szenen.

(Häxan, Dänemark 1922; Regie: Benjamin Christensen.)

 

Ordinary Heroes

This is a story about political activism in 1980s Hong Kong. Many of the events are based on real historical incidents and most of the main characters are based on real people…“ was zum Beispiel auch, wie der Vorspann weiter mitteilt, für das Straßentheater gilt, mit dem der Film beginnt und zu dem er wiederholt zurückkehrt, denn dieses erzählt die Geschichte des mittlerweile verstorbenen Aktivisten Ng Chung Yin.

Aber es geht hier keinesweg nur um ihn, sondern um eine ganze Gruppe politisch engagierter Menschen, die sich über Jahre hinweg hauptsächlich für die Rechte der sogenannten „Boat People“ einsetzen, oft mit mehr Ausdauer als Erfolg, da sie mit ihren Bemühungen regelmäßig an den strikten Gesetzen der damals noch britischen Regierung scheitern. (Vielleicht kann man dieses Thema bei einem Film aus dem Jahr 1999, zwei Jahre nach dem Ende eben dieser Regierungszeit, auch als kleine Erinnerung daran verstehen, dass unter britischer Herrschaft in Hong Kong ebenfalls nicht immer alles ideal geregelt war?)

Wobei einem der Hauptdarsteller durchaus bekannt vorkommen kann, was mal wieder zeigt, dass der Anspruch auf Exklusivität nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhen muss, denn nur weil Tsai Ming-liang keinen Film ohne ihn drehen kann, heißt das noch lange nicht, dass dies umgekehrt ebenso der Fall ist: im Anschluss an diesen Film jedenfalls, nahm sich auch Lee Kang-sheng mal eine Auszeit, um unter anderer Regie zu spielen, aber es war ja auch der beste Regisseur von Hong Kong, der da gerufen hatte…

(Ordinary Heroes, Hong Kong 1999; Regie: Ann Hui.)

Song of the Exile

Nicht nur die Herren des Neuen Kinos in Taiwan nutzten ihre Arbeit als Filmemacher, um sich mit ihren Autobiographien und Familiengeschichten auseinander zu setzen, auch die große Dame der Hong Kong New Wave verarbeitete ihre eigene, private Geschichte.

Aber auch wenn die Geburtstage von Ann Hui und Hou Hsiao-hsien zum Beispiel, nur wenige Wochen im Frühjahr 1947 auseinander lagen, und ihre Geburtsorte in China mit nur etwas über 2600 km gemessen an der Gesamtgröße der Volksrepublik geradezu nahe beieinander liegen, so schlugen ihre Familien während des Bürgerkrieges verschiedene Richtungen ein: während Hou Hsiao-hsien in Taiwan aufwuchs, gingen Ann Huis chinesischer Vater und ihre japanische Mutter zuerst nach Macao und dann nach Hong Kong.

Und auch, wenn Hou Hsiao-hsien das Drehbuch zu seinem autobiographischen Film gemeinsam mit der Schriftstellerin Chu Tien-wen verfasste, während Ann Hui sich für das Drehbuch ihres Films Wu Nien-jen auslieh, der sich ja schon im Rahmen des New Taiwanese Cinemas auf Autobiographisches spezialisiert hatte, und ihr Film überhaupt in Hong Konger und Taiwanesischer Zusammenarbeit entstand, so liegt es wohl nicht nur an ihrer Hauptdarstellerin Maggie Cheung, dass Ann Huis Song of the Exile so vollkommen anders aussieht, als Hou Hsiao-hsiens The Time To Live, The Time to Die.

Man sieht vielmehr deutlich, dass hier zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken: mit unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten – vor allem ist es die Darstellungsweise, mit der sie Welten auseinander liegen – aber es sind ja auch ganz andere Geschichten, die hier erzählt werden, und die beide Filme sehenswert machen.

(Song of the Exile, Hong Kong und Taiwan 1990; Regie: Ann Hui.)

 

The Puppetmaster

Anders als bei der Reihe gleichnamiger Filme aus den USA handelt es sich hier keineswegs um einen Horrorfilm und der Titel ist auch nicht im übertragenen Sinne, zum Beispiel als politischer Strippenzieher zu verstehen, sondern es geht tatsächlich ganz handgreiflich um einen taiwanesischen Puppenspieler. Sein Name ist Li Tian-lu und er war bereits in diesem Film von Hou Hsiao-hsien zu sehen, aber während er dort die Rolle des Familienvaters spielt, geht es nun um sein eigenes, tatsächliches Leben, wobei auch dieses Drehbuch wieder in bereits bewährter Zusammenarbeit von Chu Tien-wen und Wu Nien-jen verfasst wurde.

Geboren im Jahr 1909, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erzählt der mittlerweile 84jährige Li seine persönliche Geschichte und damit auch die von Taiwan, beginnend in der Zeit als Taiwan eine japanische Kolonie war, über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zur Machtübernahme der chinesischen Kuoming-Partei.

Dabei wechseln sich lange, ungeschnittene Szenen, in denen der alte Mann ganz gelassen in einem Sessel sitzt und erzählt, mit solchen ab, in denen das Erzählte von Schauspielern nach-, bzw. vorabgespielt wird, denn bisweilen sieht man die gespielten Szenen, bevor durch die erst danach einsetzende Stimme aus dem Off verständlich wird, worum es sich handelt. Und so ist The Puppetmaster zwar einerseits der mittlere Teil der Film-Trilogie von Hou Hsiao-hsien, die sich mit der Geschichte Taiwans im 20. Jahrhundert auseinander setzt, gehört aber eben auch zu der ganzen Reihe von Hou Hsiao-hsien Filmen, die Autobiographisches verarbeiten.

Was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch grundlegend von vielen der späteren Filme Hou Hsiao-hsiens unterscheidet, die unübersehbar von der jeweiligen Gegenwart handeln, in der sie entstanden sind.

(The Puppetmaster, Taiwan 1993; Regie: Hou Hsiao-hsien.)

 

City of Sadness

Mit dem Neuen Taiwanesischen Kino Anfang der 1980er kamen auch neue Themen. Während in The Time to Live, The Time to Die noch die private Geschichte von Hou Hsiao-hsiens Familie im Vordergrund stand, und die Taiwans eher im Hintergrund ablief, so handelt es sich bei City of Sadness zwar ebenfalls hauptsächlich um die Geschichte einer Familie, aber hier gibt es keinen Rückzug ins Private mehr, jedes Familienmitglied wird auf seine Art und Weise in die politischen Ereignisse verwickelt.

Es beginnt mit der Kapitulationsrede des japanischen Kaisers Hirohito. Der Zweite Weltkrieg ist verloren und damit endet nach 51 Jahren auch die Besatzungszeit der Japaner in Taiwan. Nun soll der Inselstaat wieder zu China gehören, aber zu welchem, einem von der chinesischen Nationalpartei Kuomintang unter General Chian Kai-shek, oder einem kommunistischen unter Mao Zedong ist noch nicht entschieden, denn noch tobt der Bürgerkrieg und Taiwan wird von einem Krieg gleich in den nächsten mit hinein gezogen. Entsprechend ist es im Film, während die Ansprache Hirohitos im Radio läuft, und man hören kann, wie irgendwo eine Geburt stattfindet, ist es zunächst einmal: dunkel.

Ebenfalls Teil einer Trilogie, in deren zweiten Teil, The Puppetmaster, Li Tian-lu, der hier den alten Familienpatriarchen gibt, noch eine wesentliche Rolle spielen wird, und deren dritter Teil, Good Men, Good Women, das Thema des ersten aus einer anderen Perspektive zeigt, geht es hier aber nicht nur allgemein darum, wie schwierig es ist, durch solche Zeiten einigermaßen mit Anstand zukommen, sondern auch um den sogenannten Zwischenfall vom 28. Februar 1947, jenem Aufstand in Taiwan, der durch chinesisches Militär niedergeschlagen wurde, wobei zwischen 10 000 und 30 000 Zivilisten getötet wurden.

Ein Thema, das lange Zeit in Taiwan tabu war, weshalb das Drehbuch auch von den beiden Personen gemeinsam verfasst wurde, auf die – einzeln oder in Zusammenarbeit – der weitaus größte Teil der Drehbücher des Neuen Taiwanesischen Kinos zurückging: der Schriftstellerin Chu Tien-wen und dem Drehbuchautor und Schauspieler Wu Nien-jen. Dennoch, allem Fingerspitzengefühl zum Trotz, erhielt City of Sadness laut Regisseur Hou Hsiao-hsien zunächst keine Aufführungserlaubnis für Taiwan und wurde erst freigegeben, nachdem er auf internationalen Festivals gelaufen und ausgezeichnet worden war.

Auf diesen aber wurde er gefeiert, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa, wo er als erster chinesisch-sprachiger Film den Goldenen Löwen von Venedig erhielt, was schon deshalb ganz passend ist, weil hier gleich mehrere chinesische Sprachen und Dialekte zu hören sind: neben Taiwanesisch auch Mandarin, Kantonesisch und das für Shanghai typische Chinesisch (plus das Japanisch der ehemaligen Besatzungsmacht).

Und auch auf der hier schon das eine oder andere Mal erwähnten Hong Kong Film Award Liste der Best 100 Chinese Motion Pictures brachte City of Sadness es auf Platz 5, was ihn zum höchstplatzierten taiwanesischen Film dieser Liste macht und wohl auch damit zu tun haben könnte, dass Tony Leung hier eine seiner frühen Hauptrollen hat, wenn auch eine stumme, da das für diese Rolle erforderliche Taiwanesisch aufgrund seiner Herkunft aus Hong Kong für Hou Hsiao-hsien einfach nicht überzeugend genug klang…

(City of Sadness, Taiwan 1989; Regie: Hou Hsiao-hsien.)