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Jing Ke ci Qin Wang

„It is a country that has no past. Political regimes systematically robbed us of history and it’s only now that we are beginning to get it back.“ Der Regisseur Chen Kaige, der dies über sein Heimatland China sagt, hat ebenso wie Zhang Yimou, die sogenannte Kulturrevolution in China als Teenager erlebt. Beide gehörten später zum ersten Jahrgang der 1978 wieder eröffneten Pekinger Filmakademie. Wobei es Chen Kaige war, der als Regisseur gleich mit seinem ersten Film „Gelbe Erde“ internationalen Erfolg hatte, während Zhang Yimou hier den Kameramann machte.

In einem anderen Interview sagte Kaige, dass historische Themen bei den Filmemachern in China auch deshalb sehr beliebt seien, weil man es bei zeitgenössischen Themen immer mit der Politik zu tun kriege. Ganz besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei die Geschichte des ersten Kaisers von China, dem es nach Jahrhunderten mit ständigen Kriegen gelang, die vormals sieben Königreiche zu unterwerfen und zu einem einzigen, großen Kaiserreich zusammenzufügen. Dass er dabei weniger auf gutes Zureden und Diplomatie setzte, sondern auf Waffen und Gewalt, ist wohl naheliegend, allerdings wird seine Geschichte so erzählt, dass er dabei auch weit über das notwendige Maß hinaus zerstörerisch und brutal bis hin zur Grausamkeit sein konnte. Das perfekte Thema also, um sich mit so zeitlos aktuellen Fragen wie Menschenwürde, Machtstreben und Verantwortung, Allgemeinwohl contra Freiheit des Individuums und der Rechtfertigung von Gewalt auseinanderzusetzen.

Sollte Chen Kaige aber tatsächlich angenommen haben, dass er hier einen guten Weg gefunden hatte, seinem Land einerseits mit den Mitteln des Films einen Teil seiner Geschichte zurückzugeben, und gleichzeitig weitgehend unbehelligt von der chinesischen Zensurbehörde zu bleiben, so lag er falsch: es gab eine ganze Menge an Hindernissen zu überwinden, wobei die wirkungsvollste Methode, einen Monumentalfilm zu verhindern natürlich immer darin besteht, ihm das Geld zu streichen, was wiederum dazu führte, dass „Jing Ke ci Qin Wang“ (The Emperor and the Assassin) zwar für einige Jahre der teuerste Film war, der in China von einem chinesischen Regisseur gedreht worden war – allerdings überwiegend finanziert mit Geld aus Japan und Frankreich.

Als aktuell teuerster und aufwendigster chinesischer Film gilt laut IMDB zur Zeit übrigens der Film von Kaiges oben schon erwähnten Kollegen Zhang Yimou, den dieser vier Jahre später zu genau demselben Thema drehte, allerdings sieht hier das Ergebnis vollkommen anders aus

(Jing Ke ci Qin Wang, China 1998; Regie: Chen Kaige.)

The Fountain

Als das Kronos Quartet im Jahr 1973 von David Harrington in Seattle gegründet wurde, war Darren Aronofsky gerade einmal 4 Jahre alt. Und während die Musiker des Streichquartetts in den vergangenen fast 40 Jahren in teilweise wechselnder Zusammensetzung weltweit tausende von Konzerten gegeben haben, mehr als 45 Platten einspielten und dafür mit zahlreichen Preisen bedacht wurden, hat es Aronofsky als Filmregisseur bisher auf gerade einmal drei kurze und fünf lange Filme gebracht, für die er allerdings auch schon eine ganze Reihe von Auszeichnungen erhalten hat. Von Anfang an widmete sich das Kronos Quartet hauptsächlich der zeitgenössischen Musik und hier besonders gerne den Komponisten der Minimal Music, wie Terry Riley, Steve Reich und Philipp Glass, was sie auch schon früh in den Bereich Filmmusik führte: 1985 und 1999 spielten sie für Philipp Glass die Soundtracks zu „Mishima“ und „Dracula“ ein, worauf in den Jahren 2000 und 2006 die Zusammenarbeit mit Clint Mansell folgte, der für seinen Freund Aronofsky die Musik zu den Filmen „Requiem for a Dream“ und „The Fountain“ komponiert hatte. Bei der Musik zu The Fountain stieß dann auch noch die schottische Postrock Band Mogwai hinzu und alles in allem konnte bei derart eingespielten Profis praktisch nichts mehr schief gehen.

Allerdings war die Filmmusik auch so ziemlich das Einzige, was an The Fountain auf Anhieb und reibungslos funktionierte. Denn ansonsten musste Aronofsky das Skript mehrfach umschreiben und kürzen und die ursprünglich vorgesehenen Hauptdarsteller sprangen kurz vor dem geplanten Drehbeginn ab, um sich anderen Projekten zu widmen, was wiederum zur Folge hatte, dass der Film von der Produktionsfirma Warner Brothers zunächst auf Eis gelegt und erst nach weiteren zwei Jahren und nur mit einem um die Hälfte reduzierten Budget realisiert wurde.

Während dies alles Aronofsky wahrscheinlich einiges an Kraft und Nerven gekostet hat, tat es dem Film selbst aber in mancher Hinsicht gut: das ursprüngliche Skript war nicht verloren, sondern wurde vom Zeichner Kent Williams in ein Comic umgesetzt und man mag sich auch lieber nicht vorstellen, was es für ein Film geworden wäre, hätten tatsächlich Brad Pitt und Cate Blanchet statt Hugh Jackman und Rachel Weisz die Hauptrollen gespielt. Nicht zuletzt die Budget-Kürzung trug aber auch dazu bei, dass Aronofsky statt teure CGI-Technik bei den Spezialeffekten einzusetzen, auf solides Handwerk, zum Beispiel die Petrischalen des Peter Parks, zurückgriff. Dieser hatte sich nämlich darauf spezialisiert, von ihm herbeigeführte chemische Reaktionen abzufilmen, die, auf das Großformat einer Kinoleinwand projiziert, überwältigend schöne Bilder schaffen – die perfekte Ergänzung zu einem Film, in dem ansonsten Krankenhäuser aussehen, wie Raumschiffe und Raumschiffe wie fliegende Gärten. Wem also die Handlung zu pathetisch erscheinen sollte, dem bleibt noch immer die Möglichkeit, ganz einfach Bilder und Musik auf sich wirken zu lassen, was in diesem Falle auch schon völlig ausreichend ist, für großes Kino.

(The Fountain, USA 2006; Regie: Darren Aronofsky.)

Lady Windermere‘s Fan

Nachdem Oscar Wilde bereits einige Jahre lang erfolgreich die viktorianische feine Gesellschaft seiner Zeit durch seine Texte, Reden und sein gesamtes öffentliches Auftreten, inklusive seiner Art sich zu kleiden, provoziert hatte, entdeckte er mit dem Theater eine ganz neue Möglichkeit, für Aufregung zu sorgen. Seine ersten Stücke, melodramatische Tragödien, zeigten zwar noch nicht den rechten Erfolg, aber dies änderte sich, als er einen anderen, subtileren Weg fand, indem er zu vorgeblich leichteren, aber ebenso gesellschaftskritischen Stücken wechselte. Romantische Salonkomödie nannte man so etwas und es war für Wilde genau die richtige Spielwiese, um die Eigenarten der Upper Class treffend zu karikieren und vorzuführen. Das erste Stück dieser Art und auch gleich eines seiner erfolgreichsten, hieß „Lady Windermere‘ s Fan – A play about a good woman“ und feierte 1892 in London seine Premiere. Wobei die Entscheidung darüber, wer, und nach welchem Maßstab, die gute, oder besser: anständige Frau in diesem Stück ist, dem Publikum überlassen blieb, das zugleich die Möglichkeit erhielt, sich über die moralischen Zustände ein wenig zu entrüsten.

Wildes Komödien sind durch Schlagfertigkeit und temporeiche Dialoge gekennzeichnet, ebenso wie die Filme von Ernst Lubitsch mit dem speziellen ‚Lubitsch-Touch‘, vom dem hier bereits an anderer Stelle die Rede war. Umso eigenwilliger war also eigentlich die Idee, ein Stück von Oscar Wilde ausgerechnet in einen Stummfilm zu verwandeln. (Wobei Ernst Lubitsch damit noch nicht einmal der erste war, schon 1916 hatte es eine britische Stummfilmfassung unter der Regie von Fred Paul gegeben.) Aber Lubitsch versuchte gar nicht erst, die Dialoge aus Wildes Theaterstück in Zwischentiteln unterzubringen, sondern wählte einen ganz anderen Ansatz, indem er auf Mimik und Gestik ebenso wie spezielle Bildkompositionen setzte: mal eingerahmt durch ein Labyrinth, mal aus verschiedenen Perspektiven, sieht das Publikum oft mehr als die handelnden Personen und kann die daraus resultierenden Missverständnisse und Verwicklungen so auch ohne ausführliche Erklärung nachvollziehen.

Wer aber nun die später oft persiflierte, übertriebene Stummfilm-Mimik und -Gestik mit rollenden Augen und ohnmächtig zu Boden sinkenden Damen vor sich sieht, irrt, denn nicht nur das Treffsichere, sondern auch das Subtile, das sowohl für Wilde als auch für Lubitsch typisch ist, blieb hier in vollem Umfang erhalten.

Lady Windermere‘s Fan steht bei Archive.org zum freien und kostenlosen Download zur Verfügung. Nur Musik muss man sich selbst dazu auflegen.

(Lady Windermere‘s Fan, USA 1925; Regie: Ernst Lubitsch.)

Mind Game

Vom japanischen Anime Studio 4°C war hier schon im Zusammenhang mit Genius Party die Rede. Einer der schönsten Beiträge dieser Kurzfilm-Anthologie ist „Happy Machine“, dessen Regisseur Masaaki Yuasa vier Jahre vorher ebenfalls für das Studio 4°C beim abendfüllenden Animefilm „Mind Game“ Regie geführt hatte. Unterstützt wurde er dabei von Koji Morimoto und Shinchiro Watanabe, die mit „Dimension Bomb“ und „Baby Blue“ später ebenfalls Beiträge zu Genius Party bzw. Genius Party Beyond lieferten.

Auch bei Mind Game sind, wie bei den zwei Genius Party Filmen, verschiedene Animations- und Zeichenstile in einem Film versammelt, allerdings nicht in mehreren in sich geschlossenen Episoden verschiedener Autoren, sondern um nur eine einzige, fortlaufende, in sich verschachtelte Geschichte zu erzählen, die auf der gleichnamigen Manga-Serie von Robin Nishi beruht. Zusätzlich kamen Schauspieler zum Einsatz, die teilweise überzeichnet oder mit Animationen kombiniert wurden. Überhaupt sind die verschiedenen Stile hier nicht fein säuberlich von einander getrennt, sondern wechseln sich in rascher Folge ab, fließen ineinander, überlagern und ergänzen sich, was ebenso bunt, einfallsreich und skurril ist, wie die Geschichte, die sie erzählen, und das, obwohl es doch eigentlich um sehr ernste Themen geht: um das Überwinden von Ängsten und Hindernissen, um Liebe, das Leben und den ganzen Rest. Und Gott kommt auch zu Wort.

(Mind Game, Japan 2004; Regie: Masaaki Yuasa.)

All About Eve

„Fasten your seatbelts. It’s going to be a bumpy night.“ belegt auf der Liste des American Film Institute der 100 besten Sprüche in us-amerikanischen Filmen den 9. Platz (nach diesem und vor diesem Satz) und ist, ebenso wie der Filmtitel, in zahlreichen Filmen zitiert, variiert und veralbert worden. Dass es mit Bette Davis als Hauptdarstellerin auf alle Fälle ‚bumpy‘ Dreharbeiten werden würden, davon waren jedenfalls eine ganze Reihe der Leute überzeugt, die bereits vorher mit ihr zusammen gearbeitet hatten, unter ihnen der Regisseur Edmund Goulding, der seinen Kollegen Joseph L. Mankiewicz anrief um ihn zu warnen: Bette Davis würde ihn zermahlen, bis nur noch ein Häufchen feiner Staub von ihm übrig bliebe.

Mankiewicz, der nicht nur Regie führte, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, hatte die Rolle ursprünglich für Clodette Colbert geschrieben, die aber nun infolge eines Unfalles nicht einsatzfähig war, und als dann noch noch eine nach der anderen der Frage kommenden Schauspielerinnen ausfielen, weil sie entweder zu jung oder zu deutsch waren, seltsame Forderungen hatten oder schlicht nicht verfügbar waren, fiel die Wahl auf Bette Davis, die als eigensinnig und schwierig galt, aber auch dafür bekannt war, viel Einsatz zu zeigen. (Und dabei für eine Hollywood-Schauspielerin ungewöhnlich wenig Eitelkeit an den Tag legte, wenn sie hier zum Beispiel zum ersten Mal zu sehen ist, hat sie eine dicke Fettschicht im Gesicht.)

Tatsächlich hatte Bette Davis keineswegs vor, Mankiewicz das Leben schwer zu machen, denn nach Jahren voll mit Streitigkeiten und einem Prozess gegen ihr Studio Warner Brothers sowie unglücklich ausgewählten Rollen in wenig erfolgreichen Filmen, war dies, so erzählte sie noch viele Jahre später in einem Interview, ihre „Auferstehung von den Toten“. Und auch Mankiewicz sagte über sie, sie sei eine der professionellsten und umgänglichsten Schauspielerinnen gewesen, mit denen er je gearbeitet habe.

Gelohnt hat es sich für Mankiewicz auf alle Fälle, denn bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1951 machte All About Eve Joseph L. Mankiewicz nach John Ford (1940 und 1941) zum bislang einzigen Titelverteidiger beim Academy Award für die beste Regie (nach A letter to three Wives von 1949). Überhaupt kam der Film bei Publikum wie Kritikern gut an, und das, obwohl fast alle Charaktere ständig rauchen und gelegentlich zu viel trinken, vor allem aber hemmungslos ihren Narzissmus ausleben und trotzdem sämtlich wie intelligente und erwachsene Menschen erscheinen. Sogar Marilyn Monroe hat hier nicht nur einen frühen, aber für sie typischen Auftritt, sondern auch Momente der Erkenntnis.

Dementsprechend war er bei der Oscar-Verleihung des Jahres 1951 nicht nur im Hinblick auf Mankiewicz als Regisseur erfolgreich. Zum ersten Mal in der Geschichte der Academy Awards wurden zwei Schauspielerinnen aus demselben Film als beste Hauptdarstellerinnen nominiert, was aber vielleicht gar keine so gute Idee war, denn schließlich ging der Oscar an keine von beiden, sondern an Judy Holliday für Born Yesterday.

Trotzdem erhielt All About Eve insgesamt sechs Oscars: für den besten Film, Regie, Drehbuch, männliche Nebenrolle (George Sanders), Kostüme und den besten Ton. Bei den Nominierungen erzielte er mit 14 zudem einen Rekord, der 46 Jahre lang nicht wiederholt wurde, bis im Jahr 1997 ausgerechnet dieser Film gleichzog. Den Rekord der meisten Oscar-Nominierungen für weibliche Rollen (neben Bette Davis und Anne Baxter für die Hauptrolle waren auch Celeste Holm und Thelma Ritter für die beste weibliche Nebenrolle nominiert), hält er allerdings bis heute.

(All About Eve, USA 1950; Regie: Joseph L. Mankiewicz.)

Sita sings the Blues

Wenn man auch am Beispiel dieses Films sehen kann, dass es zur Zeit ganz hilfreich ist, englisch zu verstehen, um deutsche Klassiker im Internet anzuschauen, so soll dies natürlich keineswegs bedeuten, dass die in den USA geltenden Copyright-Regelungen es den Filmschaffenden einfacher machen würden. Denn auch, wenn man den Film komplett selbst macht, die Musik bei Freunden in Auftrag gibt und sich versichert, dass auf die Lieder, die man zusätzlich verwenden möchte, kein Copyright mehr besteht, so heißt das noch lange nicht, dass niemand in den USA Forderungen stellen kann, von der deutschen GEMA mal ganz zu schweigen…

Aber fangen wir von vorne an: Das Ramayana ist eine der großen epischen Erzählungen der indischen Mythologie. Es handelt von den Prüfungen und Erlebnissen des Prinzen Rama und seiner Frau Sita und wurde, nachdem es Jahrhunderte lang überwiegend mündlich überliefert worden war, vor etwa 2000 Jahren in seiner heute bekannten Fassung schriftlich niedergelegt, was es ausgesprochen schwierig macht, darauf ein wie auch immer geartetes Copyright anzumelden. Wenn nun die Amerikanerin Nina Paley dieses mit sehr zeitgemäßen eigenen Erlebnissen verknüpft und in fünf Jahre langer Arbeit am heimischen Computer daraus einen Animations-Film macht, dann sollte man eigentlich davon ausgehen, dass alle daraus resultierenden Rechte ausschließlich bei ihr liegen.

Auch dann noch, wenn sie ihren Film mit Liedern der in den 1920ern und frühen 30er Jahre populären Jazz-Sängerin Annette Hanshaw unterlegt, da sie sich vorher versichert hatte, dass auf diese kein Copyright besteht. Was Annette Hanshaw anging, so lag Nina Paley damit auch richtig, allerdings gibt es in den USA noch eine ganze Reihe darüber hinaus gehender Copyrights, zum Beispiel Rechte auf die Aufnahmen, auf die Komposition und den Liedtext sowie das Recht, die Aufnahmen mit Bildern zu unterlegen (mehr dazu hier), welche sie nicht eingeholt hatte, was dazu führte, dass mit der Publikation ihres Filmes Forderungen von annähernd 220.000 Dollar auf sie zukamen. Nach langen Verhandlung einigte man sich darauf, die Rechte gegen eine Gebühr von immer noch 50.000 Dollar an Nina Paley zu vermieten und ‚Sita sings the Blues‘ konnte seine Premiere im Jahr 2008 auf der Berlinale feiern.

Da die Künstlerin selbst eine engagierte Vertreterin der Free Culture Idee ist, hat sie ihren Film zudem unter eine Creative Commons Lizenz gestellt, weshalb er legal und kostenlos sowohl auf ihrer eigenen Website, als auch bei Archive.org angeschaut und heruntergeladen werden kann. Und weil es ein wirklich schöner und origineller Film ist, wurde er verdientermaßen in den letzten Jahren mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht.

Soweit hätten nun also eigentlich alle Beteiligten zufrieden sein können, hätte nicht eines Tages die GEMA ‚Sita sings the Blues‘ bei Youtube entdeckt, einen Urheberrechtsverstoß gewähnt und den Film für Deutschland kurzerhand und ohne bei der Urheberin nachzufragen, bei Youtube sperren lassen. Was wiederum dazu führte, dass Nina Paley selbst einen Film bei Youtube einstellte, in welchem sie die ganze Rechtelage erneut erklärte und zusätzlich den Lizenzvertrag in die Kamera hielt: „…it does say: ‚Licensed Territory: The world‘ – it does not say, the world except Germany, where GEMA can block whatever they want.“

Es scheint gewirkt zu haben, denn auch, wenn die GEMA ihrerseits weder einen Film bei Youtube einstellen ließ, in welchem sie ihr Vorgehen erklärt, noch einen, in dem sie sich offiziell für den Fehler entschuldigt, so ist ‚Sita sings the Blues‘ – zumindest bis auf Weiteres – auch dort wieder abrufbar. Den Download und weitere Hinweise sowie Links auf andere Websites und Formate findet man aber übersichtlicher zusammengestellt auf der von Nina Paley selbst eingerichteten Website: sitasingstheblues.com.

(Sita sings the Blues, USA 2008; Regie: Nina Paley.)

Das Cabinet des Dr. Caligari

Wohl dem, der Englisch versteht: In den USA gibt es den Begriff „public domain“, der bedeutet, dass ein Werk nicht mehr unter das Copyright fällt und damit zur freien Nutzung zur Verfügung steht. Solche Werke darf man kopieren, weiterverbreiten und ganz oder in Teilen auch mit eigenen Ideen überarbeiten und das Ergebnis wiederum publizieren. Und um hier keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, gibt es zahlreiche Websites, die sich der Auflistung solcher Werke widmen, so findet man Filme, die unter public domain fallen, zum Beispiel auf der Wikipedia Website „List of Films in the public domain in the United States“, oder bei Open Culture, bei The Public Domain Review und vor allem im Internet Archiv, unter Archive.org (siehe auch hier).

In Deutschland, wie in der gesamten Europäischen Union, gilt hingegen das Urheberrecht, welches nicht mit dem englischen Begriff public domain identisch ist, grundsätzlich aber vorsieht, dass der Urheberrechtsschutz 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt. – Eine entsprechende Website „Liste der gemeinfreien Werke in der BRD“ existiert, zumindest in der Wikipedia, allerdings nicht. Sucht man danach auf der Seite des Staatsministers für Kultur und Medien, Bernd Neumann unter dem Abschnitt Medien, so findet man dort das Thema Urheberrecht in der Digitalen Welt, wo man einiges darüber lesen kann, wie wichtig der Schutz des Urheberrechts auch im Internet ist, und wer mit diesem beauftragt ist, etc., aber leider nichts darüber, welche Werke denn nun nicht mehr darunter fallen, bzw. der Allgemeinheit zur freien Weiterverwertung zur Verfügung stehen. Stattdessen liest man dort:

“Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich künftig per Mausklick kulturelle Schätze auf den heimischen Bildschirm holen. Damit werden Kultur und Wissen in früher nicht vorstellbarem Maße für jedermann zugänglich, unabhängig von Ort und Zeit“

gefolgt von einem Link auf die Deutsche Digitale Bibliothek, wo es wiederum heißt:

„Das kulturelle Erbe der Nation wird weitgehend kostenfrei für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich gemacht. Dieses Angebot wird 2012 zur Verfügung gestellt.“

Unabhängig davon, wann das Angebot denn nun tatsächlich zur Verfügung steht, gibt es aber auch hier keine Hinweise darauf, welche Werke denn nun tatsächlich aktuell nicht mehr unter den Urheberschutz fallen.

Also zurück zum Urheberrecht, wo zu lesen ist:

„(1) Steht das Urheberrecht mehreren Miturhebern (§8) zu, so erlischt es siebzig Jahre nach dem Tode des längstlebenden Miturhebers.

(2) Bei Filmwerken und Werken, die ähnlich wie Filmwerke hergestellt werden, erlischt das Urheberrecht siebzig Jahre nach dem Tod des Längstlebenden der folgenden Personen: Hauptregisseur, Urheber des Drehbuchs, Urheber der Dialoge, Komponist der für das betreffende Filmwerk komponierten Musik.“

Dementsprechend müsste der deutsche Klassiker des Expressionismus von 1920, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ eigentlich mittlerweile gemeinfrei sein. Dies sieht allerdings die Website „Filmportal.de“ ganz anders: dort ist als Rechteinhaber die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eingetragen, welche das genauso sieht, und den Film ebenfalls nicht zum freien Download zur Verfügung stellt:

„Die Filme der Murnau-Stiftung sind in einer Auswahl repräsentativer Titel als Home-Videos oder DVDs allgemein im Handel erhältlich. Verzeichnis der lieferbaren Filmtitel sowie Händlerverzeichnis erhalten Sie bei BMG-Video/Universum sowie BlackHill. Video-Kopierung und Versand von Filmen unseres Bestandes, die nicht im freien Handel erhältlich sind, ist aus lizenzrechtlichen Gründen leider nicht möglich.“

Und so kommt es, dass man einen der wichtigsten Filme der deutschen Filmgeschichte zwar auf englischen Websites, mit englischen Zwischentiteln anschauen und herunterladen kann (zum Beispiel hier), aber eben nicht auf deutsch. (Ausführliche Hinweise zum Thema ‚Urheberrecht im Internet‘ finden sich zum Beispiel bei iRights.info.)

(Das Cabinet des Dr. Caligari, Deutschland 1920; Regie: Robert Wiene.)

Charade

„How do you shave in there?“ Es war der letzte Film, in dem Cary Grant den romantischen Helden gab, und eigentlich hatte er diese Rolle wohl auch schon gar nicht mehr übernehmen wollen, er selbst Ende fünfzig, Audrey Hepburn erst 33 Jahre alt und damit 26 Jahre jünger als er…

Aber Peter Stone, der Drehbuchautor, fand eine pragmatische Lösung: er strich einfach alle Dialogzeilen aus Grants Rolle, in denen dieser sein Interesse an Hepburns Charakter allzu eindeutig erkennen lässt und schrieb sie Audrey Hepburns Rolle zu. Somit war es nicht mehr der ältere Herr, der sich an die deutlich jüngere Frau heranmacht, sondern umgekehrt, wobei Cary Grant in der Duschszene auch noch den Anzug anlassen durfte und der Rolle von Audrey Hepburn unter anderem durch das Alter ihres verstorbenen Ehemannes, eine generelle Vorliebe für ältere Männer ins Drehbuch geschrieben wurde. – Immerhin ein Fortschritt, denn als für Audrey Hepburn neun Jahre vorher mit dem Film Sabrina und dem dreißig Jahre älteren Humphrey Bogart eine ganze Serie von Filmen begann, in denen sie – selbst erst Anfang zwanzig – jeweils die eine Hälfte von Liebespaaren spielte, deren männliche Partner locker ihre Väter hätten sein können, schien man das in Hollywood noch völlig in Ordnung zu finden und niemand machte sich die Mühe, die Drehbücher hin zu mehr weiblicher Selbstbestimmung umzuschreiben.

Es waren wohl auch nicht zuletzt die selbstbewusst angelegte Rolle Hepburns und die eher zurückhaltende Cary Grants, die Charade zu einem Erfolg machten – wobei in der Freude darüber anscheinend vergessen wurde, das Copyright korrekt zu beantragen, weshalb der Film, nicht aber die Musik von Henry Mancini und das Originalmanuskript von Peter Stone, schon kurz nach seiner Premiere in die Public Domain übergingen (mehr dazu hier) und heute bei Archive.org zum Download zur Verfügung steht.

(Charade, USA 1963; Regie: Stanley Donen.)

Blow Up

Bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards, die ja nun auch schon bald wieder ansteht, gibt es die schöne Tradition der Dankesrede, die, je nach mentaler Verfassung des oder der Geehrten, gerührt, verheult oder zudringlich ausfallen, manchmal Ansätze von Hysterie, Größenwahn oder auch Erkenntnis zeigen und gelegentlich mit intimen Outings, Liebesschwüren oder politischen Statements angereichert werden. Als Michelangelo Antonio 1995 seinen Ehren-Oscar entgegen nahm, machte er es kurz: „Grazie.“

Um einiges ausführlicher konnte Antonioni hingegen werden, wenn er über seine Filme sprach:

„I always try to follow a certain pattern and work without thinking of the audience. It is not that I dislike my audience; I am not an intellectual, but I believe that films should not be made to entertain the audience, earn money or achieve popularity. I think that films should be made to be as good as possible. And it seems to me that this is the best way to work and to be trustworthy in the world of cinema.“

Oder:

„What happens to the characters in my films is not important. I could have them do one thing, or another thing. People think that the events in a film are what the film is about. Not true. A film is about the characters, about changes going on inside them. The experiences they have during the course of the film are simply things that ‘happen to happen’ to characters who do not begin and end when the film does. In Blowup (1966), a lot of energy was wasted by people trying to decide if there was a murder, or wasn’t a murder, when in fact the film was not about a murder but about a photographer. Those pictures he took were simply one of the things that happened to him, but anything could have happened to him: he was a person living in that world, possessing that personality.“

Und:

„By developing with enlargers things emerge that we probably don’t see with the naked eye. The photographer in Blowup (1966), who is not a philosopher, wants to see things closer up. But it so happens that by enlarging too far, the object itself decomposes and disappears. Hence there’s a moment in which we grasp reality, but then the moment passes. This was in part the meaning of Blowup.“

Noch sehr viel wortreicher kann es bisweilen werden, wenn andere über Antonionis Filme reden oder schreiben, weshalb hier nur noch rasch erwähnt sei, dass die Musik von Herbie Hancock stammt, David Hemmings, Vanessa Redgrave und Jane Birkin hier ihre ersten nennenswerten Rollen spielen, während die damals schon recht bekannte Veruschka von Lehndorff sich einfach selbst darstellt, dass die Yardbirds einen Auftritt mit Jimmy Page und Jeff Beck vor lethargisch-unbewegtem Publikum haben und dass der Film bei professionellen wie Amateurfotografen einen Nikon F-Hype auslöste.

(Blow Up, Großbritannien 1966; Regie: Michelangelo Antonioni.)

Vargtimmen

Davon, dass Ingmar Bergman in seinem Leben oft mit Ehrungen und Auszeichnungen bedacht wurde, und wie er darauf reagierte, war hier schon an anderer Stelle die Rede. Als einer seiner bekanntesten, nicht nur preiswürdigen, sondern auch einflussreichsten Filme gilt bis heute Persona. Wesentlich weniger bekannt ist hingegen Vargtimmen, obwohl er gewissermaßen die andere Hälfte von Persona darstellt, denn beide Filme gehen auf das gleiche Manuskript mit dem Arbeitstitel „Die Menschenfresser“ zurück, das Bergman 1964 während eines langen Krankenhausaufenthalts schrieb. Wieder genesen erschien ihm das Skript zunächst als zu aufwendig und teuer zu verfilmen, weshalb er es in reduzierter und damit auch konzentrierterer Version drehte. Nach Abschluss der Dreharbeiten zu Persona scheinen ihm aber doch einige Ideen und Motive aus dem ursprünglichen Manuskript zu wichtig gewesen zu sein, um sie einfach fallen zu lassen und so kam es zu Vargtimmen, zu deutsch: Die Stunde des Wolfes.

Dass dieser Film, gemessen an seinem Vorgänger, ein weniger großer Erfolg wurde, dürfte wohl damit zusammenhängen, dass er, selbst für einen Bergman, sehr düster geraten ist. Zudem verabschiedet er sich hier von herkömmlichen Erzählformen: die Geschichte ist ineinander verschachtelt und damit ähnlich verwirrt wie der nervliche Zustand des Protagonisten. Aber auch Vargtimmen hat, wie viele Filme von Bergman, autobiographische Züge: so lässt er Max von Sydow als Johan Borg einiges Erhellendes zum Thema Künstlerdasein sagen und eine kurze, aber sehr intensive Szene, in der es um Schränke, elterliche Bestrafung und daraus resultierende Kindheitstraumata geht, könnte ziemlich genau so, wie sie im Film geschildert wird, auf Bergmans eigene Erinnerungen zurück gehen, wobei sie den erst vor kurzem ebenfalls gefeierten und mit zahlreichen Auszeichnungen versehenen Film von Michael Haneke, Das weiße Band, geradezu vorweg nimmt. Allerdings, während Haneke seine Geschichte in 144 Minuten erzählt, reichen bei Bergman nur wenige Sätze.

(Vargtimmen, Schweden 1968; Regie: Ingmar Bergman.)