Category Archives: Tatsächliche Ereignisse

The Elefant Man

Mit Mel Brooks verbindet man im Allgemeinen Filme, für deren uneingeschränkte Würdigung man mit einem eher speziellen Humor ausgestattet sein sollte. An seinem Ruf als Regisseur und Autor eigenwilliger Komödien hat er hart gearbeitet und ist vermutlich auch völlig zurecht stolz darauf, aber als „The Elefant Man“ 1980 in die Kinos kam, verzichtete er darauf, als Produzent genannt zu werden, weil er nicht wollte, dass sein Name beim Publikum falsche Erwartungen weckte.

Dennoch wäre der Film ohne Mel Brooks nicht verwirklicht worden, denn das Drehbuch war bereits von allen Studios, bei denen die Autoren es eingereicht hatten, abgelehnt worden und David Lynch hatte erst einen Film vorzuweisen, „Eraserhead“, eine mit überwiegend von ihm selbst zusammengeliehenem Geld finanzierte Produktion mit entsprechend geringem Budget, für den man – wenn auch nicht unbedingt Humor – ebenfalls ein eher spezielles Filmverständnis braucht.

Offensichtlich war dieses Verständnis bei Mel Brooks vorhanden, und so begab man sich gemeinsam an die Arbeit: Freddie Francis, der später noch häufiger mit Lynch zusammenarbeiten sollte, wurde als Kameramann angeheuert, John Hurt wurde in stundenlanger Arbeit unter Bergen von Maske vergraben, Anthony Hopkins spielte hier so ziemlich das Gegenteil seiner wesentlich bekannteren Rolle von 1991, und Anne Bancroft, nebenbei mit Mel Brooks verheiratet, spielte das, was sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war: eine Theaterschauspielerin. Währenddessen beschränkte sich David Lynch zwar als Darsteller auf einen kurzen Cameo-Auftritt, versuchte ansonsten aber alles selbst zu machen: die Idee und weitgehend auch das Drehbuch stammten von ihm, er führte Regie und Musikregie und übernahm auch das Sound Design. Immerhin scheiterte er daran, auch noch die aufwendige Maske von John Hurt selbst zu gestalten und anzulegen.

Die Geschichte beruhte auf einem authentischen Fall im viktorianischen England, der vom behandelnden Arzt Frederick Treves in seinem Buch „The Elephant Man and Other Reminiscences“ geschildert wurde. Was die Erzählung angeht, hielt Lynch sich nicht unbedingt immer an die Überlieferung, aber gleichzeitig legte er sowohl bei der Darstellung des historischen Joseph Merrick, als auch bei der Inszenierung des Zeitalters in dem dieser lebte, großen Wert auf ausgiebige vorherige Recherche und Detailgenauigkeit.

Über Sinn und Zweck mindestens der Eröffnungsszene kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein, wie über den Gehalt an Sentimentalität, aber davon einmal abgesehen ist die Handlung klar, geradlinig und nachvollziehbar und dafür, dass man gerade einen Lynch-Film gesehen hat, ist die Chance auf eine alptraumfreie Nacht relativ hoch.

(The Elefant Man, Großbritannien 1980; Regie: David Lynch.)

A Night to Remember

„Too many people from this shipyard lost their lives that night and too many others as well. Why should we help to make an entertainment out of it.“

Auch wenn man wohl annehmen darf, dass es nicht alleine Pietät war, die große Schiffsreedereien wie Harland and Wolff und Shaw Savill Shipping davon abhielt, die Dreharbeiten zu „A Night to Remember“ zu unterstützen, denn auch in wirtschaftlicher Hinsicht lag es kaum in ihrem Interesse, dass die Geschichte der RMS Titanic Jahrzehnte nach ihrem Untergang durch eine erneute Verfilmung wieder ins Bewusstsein der Menschen gebracht wurde, so ist diese Haltung angesichts von nur etwas über 700 Überlebenden und um die 1500 Toten wohl durchaus nachvollziehbar.

Der Verdacht, dass es bei diesem Film in erster Linie um Spannung und Unterhaltung gehen würde, lag auch schon deshalb nahe, weil das britische Produktionsstudio Rank mit Roy Ward Baker einen ehemaligen Regieassistenten von Alfred Hitchock als Regisseur verpflichtet hatte (der im Anschluss an dieses Projekt eine ganze Reihe von Horrorfilmen für das Hammer Studio drehen sollte), und mit dem Drehbuch Eric Ambler beauftragt wurde, der damals bereits als Schriftsteller und Filmproduzent von Thrillern und Krimis bekannt war. Beide, Ambler und Ward, hatten in diesem Genre auch schon gemeinsame Filme vorzuweisen.

Andererseits basierte das Skript zu „A Night to Remember“ auf dem gleichnamigen Sachbuch von Walter Lord, der im Zuge seiner Recherche 64 Überlebende zu den Ereignissen befragt hatte. Darüber hinaus war es dem Filmstudio gelungen, noch eine ganze Reihe weiterer Augenzeugen zu finden und zur Mitarbeit zu bewegen. Dennoch, zwischen dem historischen Ereignis und dem Erscheinen des Buches, bzw. dem Drehbeginn des Films lagen immerhin 43 bzw. 46 Jahre.

Entsprechend Vieles im Film stimmte dann auch nachweislich nicht mit den historischen Gegebenheiten überein. So wird zum Beispiel in einer der frühen Szenen des Films die Schiffstaufe der Titanic gezeigt: ganz klassisch mit Ansprache und Sektflasche, die so aber nie stattgefunden hat. Auch werden im letzten Drittel des Films Szenen von Chaos und Panik während des Untergangs mit einem verlassenen Kinderspielzimmer gegengeschnitten, das es ebenfalls nicht an Bord gegeben hatte. Überhaupt sind in der IMDb im Kapitel „Goofs“ eine ganze Reihe von sachlichen Irrtümern und Anachronismen aufgelistet, während man andere Details zur Entstehungszeit des Films noch gar nicht kennen konnte, da sich manche der Vorgänge beim Versinken des Schiffes erst nach der Entdeckung und Untersuchung des Wracks im Jahre 1985 rekonstruieren ließen.

Dennoch gilt „A Night to Remember“ bis heute von allen Titanic-Verfilmungen als jene, bei der man sich am erfolgreichsten um Realitätsnähe bemühte und dabei vergleichsweise wenig auf inszeniertes Drama und emotionsgeladene Szenen setzte. Ganz anders, als der bis heute beim Publikum und finanziell erfolgreichste Film zum selben Thema, auch wenn dessen Regisseur betonte, dass „A Night to Remember“ als Vorbild für seinen eigenen Film diente, wobei seine Fehlerliste in der IMDb allerdings zehnmal so viele Einträge aufweist.

Sollten sich aber in Zukunft tatsächlich noch einmal Filmemacher an dieses Thema begeben, so ist – egal ob es sich um eine möglichst exakte Darstellung des Geschehens, oder hemmungsloses Schwelgen im Kitsch handelt – nicht mehr mit allzu viel Erkenntniszuwachs zu rechnen, denn heute, 100 Jahre nach den Ereignissen, ist mit Sicherheit keiner der Augenzeugen mehr am Leben.

(A Night to Remember, Großbritannien 1958; Regie: Roy Ward Baker.)

The Mystery of the Marie Celeste

Von der Schauspielerin Paula Maxa heißt es, sie sei im Verlaufe ihrer Karriere von 1917 bis in die 1930er Jahre auf mehr als 60 verschiedene Arten und über 10.000 mal auf der Bühne ermordet worden. Diese jahrelange intensive Ausübung des Opferrollenfachs ergab sich zwangsläufig daraus, dass sie die berühmteste Darstellerin des Grand Guignol war, einem kleinen, aber sehr beliebten Theater in Paris, dass sich von 1897 bis 1962 in einer ehemaligen Kapelle im Vergnügungsviertel Pigalle auf drastische Horror- und Gruselstücke spezialisiert hatte. Bis weit über die Grenzen Frankreichs hinaus wurden sie damit derart bekannt, dass das Théâtre du Grand Guignol heute als Vorläufer und Inspirationsquelle zahlreicher späterer Horror- und Splatterfilme gilt. Allen voran jenen der legendären Hammer Productions, denen wir die schaurig-blutigen Film-Serien über Dracula und Frankenstein mit Christopher Lee und Peter Cushing sowie nahezu unzählige weitere Horrorfilme mit Mumien, Werwölfen und Zombies verdanken. Diese erfreuten sich nicht nur beim Publikum über viele Jahre andauernder Begeisterung, sondern wurden von jenen Kritikern, die schon früh etwas mit dem Wort Kultfilm anfangen konnten, auch für ihren einzigartigen visuellen Stil gelobt.

Einer der ersten Hammer Filme überhaupt, The Mystery of the Marie Celeste aus dem Jahr 1936, steht bei Archive.org zum Download bereit: Es ist die auf Tatsachen beruhende Geschichte des amerikanischen Segelschiffs Marie Celeste, das am 4. Dezember 1872 im Atlantischen Ozean, nahe der Meerenge von Gibraltar, führerlos treibend aufgefunden wurde. Trotz guten Wetters – die Segel waren aufgezogen und kein Notsignal gehisst – fehlte vom Kapitän Benjamin Briggs, seiner Ehefrau Sarah und seiner zweijährigen Tochter Sophia, die sich als Passagiere an Bord befunden hatten, ebenso wie von den sieben Mitgliedern der Besatzung, jede Spur. Einen knappen Monat zuvor hatte das Handelsschiff mit einer Fracht von 1701 Fässern Industriealkohol, den Hafen von New York City in Richtung Genua verlassen. Der Kapitän und seine Mannschaft waren erfahrene Seeleute, es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt, vielmehr wurde das Schiff in segeltauglichem Zustand mit ausreichend Proviant für die nächsten sechs Monate an Bord angetroffen und auch im Logbuch fanden sich keine Hinweise auf die Vorkommnisse, die zum spurlosen Verschwinden der Besatzung geführt hatten.

Auch in den folgenden Jahren tauchte keiner der Vermissten wieder auf und so wurde das Rätsel trotz zahlreicher ausgefeilter Theorien, von Piraten über Tsunamis bis zur Entführung durch Außerirdische, nie befriedigend gelöst, was die Marie Celeste bis heute zu einem der berühmtesten Geisterschiffe der Geschichte macht. Ein idealer Plot also, für eine Verfilmung durch die Hammer Productions: hier fließt das Blut zwar noch in schwarzweiß und ohne Vampire und Monster, dafür aber spielt Bela Lugosi eine der Hauptrollen. Gut, der Film erhielt seinerzeit miserable Kritiken, aber jene Kritiker und Filmemacher, die sich und ihre Arbeit vielleicht manchmal ein bisschen zu ernst nehmen, konnten mit den Hammer Filmen ja noch nie etwas anfangen.

(The Mystery of the Marie Celeste, Großbritannien 1936; Regie: Denison Clift.)

Der Mann mit der Kamera

Es beginnt mit viel Text in russischen Buchstaben (und im Falle der hier besprochenen Version, auch mit der Übersetzung ins Englische, die da lautet):

„Man with a Movie Camera/A6 reel record on film/Produced by VUFKU in 1929/ATTENTION VIEWER:/This film is an experiment/in cinematic communication of real events/Without the help of Intertitels/Without the help of a story/Without the help of theatre/This experimental work aims at creating a truly international language/of cinema based on its absolute separation/from the language of theatre and literature“

Man sieht, der Regisseur Dziga Vertov meint es ernst, mit dem Film und dem Kino. Was dann aber kommt, ist eine schnelle und abwechslungsreiche Abfolge von durchaus unterhaltsamen Bildern und Szenen, eingefangen mit nahezu allen damals zur Verfügung stehenden Aufnahmetechniken plus noch ein paar mehr, die der Filmemacher bei dieser Gelegenheit einführte. Nicht nur deshalb gilt er bis heute als wegweisend, darüber hinaus ist er ein schönes Dokument seiner Zeit, nichts wurde von Schauspielern gestellt, versicherte der Regisseur, alle sind echt und stellen nur sich selbst und ihre tatsächliche jeweilige Tätigkeit dar.

Das alles ist zudem so gut gelungen, dass es über die Jahre hinweg zahlreiche Musiker veranlasst hat, eine Filmmusik zu komponieren. Wie damals üblich, wurde der Stummfilm bei seiner Premiere 1929 ebenso, wie bei den späteren Aufführungen im Kino, zunächst von einem Klavierspieler begleitet. Die Anweisungen, die Dziga Vertov dazu geschrieben hatte, nahm z. B. der norwegische Ambient-Musiker Geir Jenssen, Künstlername Biosphere, als Grundlage seiner Version, die 1996 beim norwegischen Tromsö International Festival uraufgeführt wurde und als Musik-CD erschienen ist. Ein paar Jahre später erhielt die britische Jazz/Electronica Band The Cinematic Orchestra den Auftrag, zum Festival der Kulturhauptstadt Porto 2000 ebenfalls eine Filmmusik zu komponieren, die sowohl als Musik-CD, aber auch als DVD mit Film erschien, und im Jahr 2002 gab das British Film Institute eine DVD des Films mit Musik von Michael Nyman heraus. Und dies sind nur drei von vielen weiteren Filmmusiken.

Man kann sich Man with a Movie Camera aber auch ohne musikalische Untermalung bei archive.org ansehen und herunterladen. Vielleicht findet man ja eine passende Musik von entsprechender Länge in der eigenen Sammlung, oder man macht sich eben selbst ans Komponieren.

(Chelovek s kino-apparatom, UdSSR 1929; Regie: Dziga Vertov.)