Category Archives: Original und Neuverfilmung

La Règle du Jeu

„Das ist auch ein Zeichen unserer Zeit, heutzutage lügt jeder: die Pharmaprospekte, die Regierungen, das Radio, die Filme, die Zeitungen. Also warum sollten einfache Leute wie wir nicht auch lügen?“

Es waren schlimme Zeiten, als La Règle du Jeu (Die Spielregel) 1939 seine Premiere in Paris hatte, Europa stand am Anfang des Zweiten Weltkrieges und die Franzosen erwarteten den Einmarsch der Deutschen – nicht wirklich die richtigen Umstände um feinsinnige Komödien zu würdigen: Das Publikum tobte, buhte und schrie und es ist überliefert, dass einer der Zuschauer gar eine Zeitung in Brand setzte, in der Absicht, das ganze Kino niederzubrennen.

Auch die französischen Behörden hielten Jean Renoirs Film für „kapriziös“ und „demoralisierend“, was Grund genug war, seine Aufführung zu verbieten und dass im kurze Zeit später besetzten Frankreich die Nazis erst recht keinen Grund sahen, ihn wieder freizugeben, dürfte wohl nicht nur daran gelegen haben, dass Renoir 1940 in die USA, nach Hollywood, geflüchtet war, um dort antifaschistische Filme zu drehen.

Erst als nach dem Krieg einzelne Stücke von Kopien des Negativs mühsam wieder zu einer geschlossenen Fassung restauriert wurden – das Original war während eines Bombenangriffs der Alliierten zerstört worden – fand der Film sein Publikum und wurde auch von Regisseuren wie z.B. Francois Truffaut und Jacques Rivette als einer der besten Filme aller Zeiten und großes Vorbild für eigene Arbeiten gefeiert.

Das mit dem Vorbild sah dann viele Jahre später Robert Altman genauso, der mit seinem Film Gosford Park aus dem Jahr 2001 zwar eine im Detail ganz andere Geschichte verfilmte, aber kein Geheimnis daraus machte, dass er Schauplatz und Situation der Geschichte ebenso übernommen hatte, wie einige filmische Techniken, z.B. die ständig bewegte Kamera und den sogenannten ‚deep focus‘, der zur Folge hat, dass das Hintergrundgeschehen ebenso betont wird, wie das im Vordergrund.

Beide Filme erzählen von Jagdgesellschaften auf den Schlössern reicher Adliger, und beide, soviel darf hier wohl noch von der Handlung verraten werden, zeigen die ‚Herrschaften‘ einerseits und die ‚Dienerschaft‘ andererseits, aber während es bei „La Règle du Jeu“ die französische ‚bessere Gesellschaft‘ ist, die nicht eben gut wegkommt, ist es bei „Gosford Park“ die englische Aristokratie, die von Robert Altman noch ein ganzes Stück spöttischer in Szene gesetzt wird.

(La Règle du Jeu, Frankreich 1939; Regie: Jean Renoir.)

The Mummy

How could you do that?“ – „Had to! Science, you know!“

Wenn man im Lexikon des Internationalen Films das Zitat „Vom deutschen Expressionismus beeinflusster Horrorfilm mit einer schauspielerischen Glanzleistung von Boris Karloff“ in Zusammenhang mit einem Mumienfilm liest, kann man sich schon fragen, wie bitteschön denn eine „schauspielerische Glanzleistung“ darin liegen kann, wenn ein bis zur völligen Unkenntlichkeit komplett in Binden eingewickelter Darsteller mit ausgestreckten Armen langsam hinter seinen Opfern her schlürft und vielleicht hin und wieder ein Grunzen von sich gibt. Mimik? Gestik? Überzeugende Dialoge???

Aber anders als in vielen späteren Mumienfilmen, wo Mumien sich tatsächlich überwiegend durch die Szenen schleppen, um sich im Auftrag altägyptischer Götter, Priester oder Flüche an Jenen zu rächen, die ihre Gräber plündern, ist im Film The Mummy von 1932 die Mumie nur einmal, und zwar ganz am Anfang, in der klassischen Bandagenoptik zu sehen. Danach wird sie stets als Ardath Bey in menschlicher, wenn auch mit viel Aufwand und stundenlanger Maske auf sehr, sehr alt getrimmter, Gestalt erscheinen.

Und Boris Karloff ist tatsächlich großartig. Ebenso wie die expressionistischen Aufnahmen von Karl Freund, der, bevor er als Regisseur zu arbeiten begann, als einer der besten Kameramänner der Stummfilmzeit galt. Vor seinem Weggang nach Amerika hatte er in Deutschland für Friedrich Wilhelm Murnau 1924 Der letzte Mann gedreht und zwei Jahre später Metropolis für Fritz Lang. Und wenn man sich dann von der gruseligen aber ohne große Schock-Effekte souverän erzählten Geschichte nicht allzu sehr ablenken lässt, kann man zudem auch noch einiges über Archäologie lernen:

Method is everything in archeology, my boy. We always deal with our finds of the day in order. We didn‘t come to dig in Egypt for medals. Much more is to learn from studying bits of broken pottery, than from all the sensational finds. Our job is to increase the human knowledge of the past, not to satisfy our own curiosity!“

Der komplette Film kann bei Archive.org kostenlos angeschaut und heruntergeladen werden.

(The Mummy, USA 1932; Regie: Karl Freund.)

To be or not to be

„What would Lubitsch have done?“ soll auf einem Schild im Büro von Billy Wilder gestanden haben. Wilder, der selbst für einige der besten Komödien der Geschichte Hollywoods verantwortlich war, war nicht nur ein Freund und Bewunderer von Ernst Lubitsch, sondern hatte auch verschiedene Drehbücher für ihn verfasst. Beide waren in Berlin geboren, lernten sich aber erst nach ihrer Emigration in die USA kennen. Lubitsch hatte seine Karriere als Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin begonnen, wo er ab 1911 unter dem damaligen Intendanten Max Reinhardt engagiert war, ging aber nach ein paar Jahren dazu über, eigene Drehbücher zu verfassen und hauptsächlich als Regisseur zu arbeiten. 1922 siedelte er nach Hollywood über, das er auf einer früheren Reise kennengelernt hatte und dessen finanzielle wie technische Möglichkeiten er deutlich höher einschätzte, als jene, die ihm bisher zur Verfügung gestanden hatten.

Dort spezialisierte er sich bald auf Komödien, und entwickelte den damals schon viel gerühmten, sprichwörtlichen „Lubitsch-Touch“: einen speziellen Witz, der auf Timing und schlagfertigen, raschen Dialogen beruhte, angereichert mit Anzüglichkeiten, die gerne auch ein wenig deutlicher sein durften, aber nie vulgär.

To be or not to be war einer der letzten Filme von Ernst Lubitsch und ist bis heute einer seiner bekanntesten. Er war ebenfalls der größte Film-Erfolg in der Karriere von Hauptdarsteller Jack Benny, der später zu einem der beliebtesten amerikanischen Komiker des 20. Jahrhunderts werden sollte, und der letzte Film von Hauptdarstellerin Carol Lombard, die noch vor der Premiere bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Das Drehbuch wurde von Edwin Justus Mayer nach einer Geschichte von Lubitschs ungarischem Freund Menyhért Lengyel geschrieben und erzählt davon, wie eine Gruppe Theater-Schauspieler sich in Polen zu Beginn des zweiten Weltkrieges recht erfolgreich gegen die Nazi-Besatzer zur Wehr setzt. Als der Film 1942 und damit mitten im Krieg in die Kinos kam, waren einige Kritiker der Ansicht, dies sei keineswegs der richtige Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus, aber auch schon damals gab es viele andere, die meinten, Lubitsch habe mit seiner ganz speziellen Art und Weise durchaus den richtigen Ton getroffen. Ähnlich sah dies wohl nicht nur Mel Brooks, der 1983 seine Neuverfilmung in die Kinos brachte, sondern ganz offensichtlich auch die us-amerikanische Nationalbibliothek, die „Libary of Congress“, die ihn 1996 in das Verzeichnis besonders erhaltenswerter amerikanischer Filme, die „National Film Registry“ aufnahm.

(To be or not to be, USA 1942; Regie: Ernst Lubitsch.)

Yojimbo

Im Jahr 1964 gelang es Sergio Leone mit Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar) den Western völlig neu zu erfinden. Die Coolness und Unabhängigkeit des namenlosen Helden, einer Spielernatur, die nur ihrer eigenen Moral folgt, aber auch die Brutalität und Grausamkeit des Gezeigten waren so in dem bislang von Hollywood dominierten Genre nicht zu sehen gewesen.

Dumm nur, dass Leones Film von der Verlegung des Schauplatzes einmal abgesehen, die geradezu Szenen genaue Kopie eines drei Jahre älteren japanischen Films war, und dass, sowohl Leone selbst, als auch seine Produzenten, es versäumt hatten, sich mit Fragen des Urheberrechtes zu befassen und eine Erlaubnis für das Remake einzuholen. Dumm auch, da der Regisseur des Originals Akira Kurosawa war, ein zu diesem Zeitpunkt bereits hochberühmter und von vielen anderen Filmemachern verehrter Regisseur, der schnell von der unauthorisierten Neuverfilmung erfuhr. Zuerst wandte er sich persönlich in einem Brief an Leone und als dieser das Vorbild einfach leugnete, zog Kurosawa in Italien vor Gericht. Mit Erfolg: nach jahrelangem Prozess einigte man sich außergerichtlich, und zwar durchaus im Sinne Kurosawas, der 15% der weltweiten Einnahmen und die Verwertungsrechte auf dem asiatischen Markt erhielt.

Leone war nicht der erste, der auf die Idee kam, einen von Kurosawas Samurai-Filmen ins Western-Genre zu übertragen: schon im Jahr 1960 hatte John Sturges mit seinem Film The Magnificent Seven (Die glorreichen Sieben) nach der Vorlage von Kurosawas Shichinin no samurai (Die sieben Samurai) aus dem Jahr 1954, einen Klassiker abgeliefert, während das Remake von Kurosawas Rashomon (1950) als The Outrage unter der Regie von Martin Ritt (und wie Leones Film aus dem Jahr 1964), trotz Edward G. Robinson und Paul Newman als Hauptdarsteller ein Flop wurde.

Aber Leone schaffte es, obwohl er sich in Handlung, Szenen-Abfolge und teilweise bis zu den Kamera-Einstellungen und dem Einsatz von Geräuschen und Filmmusik eng an Yojimbo hielt, doch etwas Neues zu schaffen und damit wiederum ein eigenes Genre, den so genannten „Spaghetti-“ oder „Italo-Western“ zu begründen, der nicht nur viele Fans fand, sondern seinerseits wieder stilbildend wirkte.

Selbstverständlich sind beide Filme sehenswert, Yojimbo wie auch Per un pugno di dollari, ganz besonders im direkten Vergleich: wie aus einem japanischen Dorf in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ein zeitgleiches mexikanisches wird, aus einem namenlosen Samurai ein Revolverheld und aus einer Schale Reis ein Bohnensüppchen. Aber Kurosawas Yojimbo bleibt eben das Vorbild.

(Yojimbo, Japan 1961; Regie: Akira Kurosawa.)